Kapitel 1

Es fing alles hier, an diesem grauenhaften Ort, an. Ich weiß noch, dass ich starr aus dem Fenster blickte, als sein Klopfen diese schrecklich ungewohnte Stille durchbrach. Den ganzen Morgen über war es so verdammt ruhig gewesen. Keine Papierflieger. Kein Getuschel. 

Wahrscheinlich lag es daran, dass er neu war und niemand einen schlechten Eindruck bei ihm hinterlassen wollte. So war das immer. Und dann, hinter deinem Rücken redeten sie von dir, als seist du schon dreimal aus dem Jugendknast ausgebrochen. Wobei das noch bewundert werden würde.

Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, sind diese wunderschönen Augen, die so viel Lebensfreude ausstrahlten. Sie hatten keine besondere Farbe, nur ein normales Braun, aber dieses Funkeln machte sie so einzigartig schön. Dann sah ich sein Lächeln, mit welchem er die Klasse betrat und den Raum fast augenblicklich in ein Paradies verwandelte. Sein Blick glitt durch den Raum und als er bei mir angekommen war, breitete sich sein Lachen noch ein Stück weiter aus, wenn das überhaupt noch möglich war.

Selbstbewusst ging er nach vorne zum Pult und ich war sofort fasziniert von ihm. Alleine durch sein Auftreten ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Er wechselte ein paar Worte mit dem Lehrer und drehte sich dann zu uns um. An manchen Plätzen wurde ein wenig geflüstert, aber trotzdem war es noch so still. Jeder hatte seinen Blick gespannt nach vorne gerichtet und manche Mädchen legten verträumt ihren Kopf auf den Händen ab.

„Hey, also... ich bin Noah Serrafino. Es wäre echt nett, wenn mir einer von euch nachher noch die Schule zeigen könnte."

Mein Mathelehrer räusperte sich kurz und setzte dann zum Sprechen an.

„Sehr gut Noah. Setz dich doch bitte neben Aaron. Er kann dir dann nachher noch alles zeigen, da er sich ja sonst nicht am Unterricht beteiligt. Das sollte sich übrigens ändern, nicht wahr?"

Nachdem er das gesagt hatte, gingen die Arme der Mädchen, die sich wahrscheinlich bereit erklären wollten, ihn durch die Schule zu führen, mit einem genervten Seufzen herunter. Sie murmelten irgendetwas unverständliches und erdolchten mich dann fast mit ihren Blicken.

Danach deutete der Lehrer auf mich und ich senkte meinen Blick. Geschmeidige Schritte bewegten sich langsam und vorsichtig auf mich zu, bis der Stuhl auf meiner rechten Seite sanft zurückgezogen wurde. Dann ließ sich Noah darauf fallen. Das Getuschel meiner Mitschüler war nicht zu überhören und sie alle sahen mich mit einem angewiderten, herablassenden Blick an.

Als Sören von der anderen Ecke des Klassenraumes rief:„Ey Alter, pass' auf, dass du von der Schwuchtel nicht vergewaltigt wirst", zuckte ich ganz plötzlich zusammen. Mein Nachbar musterte mich aber nur mit einem verwirrten Blick, während ich nur mit den Blättern meines Collegeblockes spielte.

Danach verging die restliche Stunde relativ ruhig, ich wurde ab und zu dran genommen, konnte aber nicht antworten, da meine Angst etwas Falsches zu sagen, einfach zu stark war.

Es klingelte und während meine Klassenkameraden sich durch die Tür und in ihre Freiheit drängten, packte ich noch ganz gemächlich meine Sachen zusammen. Ich bemerkte erst gar nicht, wie der große Junge, seine Tasche auf den Schultern und mit der einen Hand umklammert, neben mir stand und mich lächelnd beobachtete, aber dann riss er mich aus meinen Gedanken als er mich ansprach.

„Soll ich dir helfen oder bist du gleich fertig? Du wolltest mir doch noch die Schule zeigen."

Innerlich konnte ich mich gerade ohrfeigen und nickte nur, da ich einfach kein Wort herausbrachte. Er zog die Augenbrauen zusammen, während ich meine Tasche schulterte und gehen wollte. Jedoch stoppte er mich und legte mir seine Hand auf den Arm. Diese Stelle fing augenblicklich an zu kribbeln und ließ mich rot anlaufen. Mira  rannte mit schnellen Schritten an Noah vorbei, ihre hellblonden Haare wehten hinter ihr her. Verwirrt sah Noah ihr nach, leckte sich über die Lippen, drehte sich dann mit einem Kopfschütteln wieder zu mir.

„Ist alles okay? Ich meinte das nicht böse oder so und ic-", doch weiter kam er nicht, da ich ihn unterbrach und zum ersten Mal an diesem Tag mit meiner kratzigen Stimme sprach.
„Es ist alles gut. Wir sollten uns nur vielleicht ein wenig beeilen, wenn wir noch in der Mittagspause fertig werden wollen."

Meine Stimme klang überraschender Weise relativ fest und für einen kurzen Moment glaubte ich mir selbst. Ich führte ihn ein wenig rum und zeigte ihm die wichtigsten Orte und die Räume, in denen unsere Klasse Unterricht hatte. Immer wieder sah er mich einfach nur an und schien nachzudenken. Langsam fing ich an mich zu fragen, ob ich etwas im Gesicht hatte.

„Ist irgendetwas?", fragte ich ihn direkt und war überrascht, als er sich nicht direkt wieder umdrehte sondern antwortete.

„Machen sie das öfter?"

Sein Gesichtsausdruck war neugierig. In seinem Blick lagen Schock, aber auch Interesse. Ich stand einfach nur da, wusste nicht, worauf er hinaus wollte.

„Dieser Sören, sagt er öfter so 'ne Scheiße über dich?"

Mein Herz machte einen Aussetzer und ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich kannte ihn nicht, deshalb würde ich ihm sicher nichts erzählen und außerdem würde es ihn bestimmt eh nicht interessieren. Oder er würde mich auslachen.

Ich schüttelte mit dem Kopf und Noah nickte leicht.

„Hör zu, ich bin ja noch neu hier und du bist der Einzige, den ich kenne. Dir macht es doch bestimmt nichts aus, wenn ich morgen auch die Pausen bei dir verbringe, oder?"

Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern. Das sollte genügen.

„Kommunikation ist nicht so deine Stärke," lachte er und stieß mir leicht mit dem Ellenbogen in die Seite.„Also gut, wir treffen uns dann morgen am Eingang. Ich warte auf dich."

Das Letzte sagte er mit einem Zwinkern und dann ging er auch schon. Er hinterließ ein warmes Kribbeln in meinem Bauch und dann realisierte ich, was das bedeutete. Er würde mich auch alleine lassen, nachdem er einmal mit Sören gesprochen hat. Und dann wäre ich wieder alleine. Er würde mit bei ihnen stehen, mich auslachen und Witze über mich machen.

Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht wieder so schwach wegen jemandem sein, so verletzlich. Also beschloss ich, dass ich gar nicht erst anfangen wollte, ihn zu mögen. Ich blendete ab da einfach aus, dass er nett zu mir war und dass er der Erste seit Jahren war, der nicht glaubte, was Sören sagte. Denn eigentlich, war es ganz anders gewesen.

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