Kapitel 96: Raum und Zeit


Bedrückt lief sie weiter, verließ das Treppenhaus und sah schon von Weitem die Tausend Splitter, die vor der Großen Halle auf dem Boden verteilt waren.
Der Schein der Fackeln tanzte über das geborstene Glas auf der Erde, neben dem feinen Glasstaub stachen hier und da größere Scherben heraus, verwandelten den grauen, kalten Steinboden in ein orange-rotes Feuermeer.

Das Glas unter ihren Schuhen knirschte, als sie sich langsam der Großen Halle näherte, in ihrem Marsch am Abend hatte sie gar nicht auf ihre Umgebung geachtet, aber nun, da alles still und bedrückt schlief in diesen Mauern, erkannte sie das Ausmaß der Zerstörung.
Die großen hohen Fenster der Großen Halle lagen zerborsten in unzähligen Stücken quer verteilt in dem Raum, die sonst so umarmende Wärme und Geborgenheit vertrieben, keine der schwebenden Kerzen tanzte in der Luft, kein Feuer in den großen Schalen an den Wänden erhellte die Halle, hier und da funkelten kleine Sterne weit weg am Himmelszelt durch die zerstörten Fenster, belegten alles daran mit einer schweren Melancholie, die sich einen Weg in Hermines Inneres suchte.

Vorsichtige Schritte hinter ihr zogen sie aus der Starre, Remus näherte sich langsam, begutachtete ebenso musternd die Scherben der Hoffnung, „ich hätte nie gedacht, dass ich die Große Halle einmal so sehen würde...", er seufzte, strich sich über das Gesicht und sah zu Hermine.
„Glaubst du er war das? Das hier?", Hermines Stimme klang noch immer so furchtbar mechanisch, ebenso wie die von Harry und McGonagall.
„Severus? Nein...", er schüttelte leicht den Kopf, „er hatte nie etwas übrig für mutwillige Zerstörung... das würde nicht zu ihm passen...", schnaubte leicht, „aber was weiß ich schon... ich habe auch geglaubt, dass er zu so etwas nie im Stande wäre... dass etwas Gutes in ihm steckt", er wirkte ebenso erschüttert über sein Vertrauen in Severus wie schon McGonagall einige Stunde zuvor.

Was sollte sie sagen?
Sie wollte kein schlechtes Wort über ihn verlieren, eben weil sie die Wahrheit kannte, aber genauso wenig konnte sie ihn verteidigen, eben weil Remus nicht die Wahrheit kannte. Verzweifelt sah sie nach oben, versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder einen Weg an die Oberfläche bahnen wollten.
Remus drehte sie vorsichtig an der Schulter zu sich, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich, „wenn ich daran denke, dass er dich nachhause gebracht hat...", ihm wurde körperlich schlecht bei dieser Überlegung, er hätte ihr weiß Merlin was antun können.

Hermine schluchzte auf, es tat weh, dass selbst Remus nun so über Severus dachte, dass er ihm unterstellte von Grund auf böse zu sein, ein Schmerz, den Remus völlig falsch verstand und als Bestätigung sah, „es tut mir leid... ich war so sehr mit mir beschäftigt, dass ich dich in Gefahr gebracht habe..."
Sie schüttelte den Kopf, „hast du nicht", meinte sie entschieden, löste sich ein wenig von ihm und strich sich die Tränen von der Wange, „Snape hat mir nie etwas getan... er... war für seine Verhältnisse freundlich zu mir, wirklich..."
„Hat er etwas zu dir gesagt, als du mit ihm alleine warst?"
Sie schloss die Augen, ein trauriges Lächeln huschte kurz über ihre Lippen, dann drängte sie die aufkommenden glücklichen Momente wieder zurück, „das übliche, dass ich nichts in der Winkelgasse zu suchen hätte, dass ich töricht sei, dass ich besser auf mich aufpassen sollte...", zuckte schwach mit den Schultern.
Remus kramte ein unbenutztes Stofftaschentuch aus seiner Jackentasche, gab es ihr, sah ihr dabei zu, wie sie die Tränenspur von den Wangen wischte, „das passt doch alles nicht zusammen...", murmelte er, „warum würde er so etwas machen?!", setzte sich einen Splitterfreien Teil der nächststehenden Bank, zermarterte sich augenscheinlich das Hirn, um an die Lösung zu kommen, „er war so... anders...", flüsterte er.

Auch das war nicht fair von Dumbledore, ihm Nahestehende mit bohrenden Fragen und den Versuchen eine Erklärung zu finden zurück zu lassen, sie an sich und ihrer Menschenkenntnis, an ihren Überzeugungen zweifeln zu lassen.
Hermine verstand langsam, aber sicher, dass so viel mehr hinter diesem Gefallen stand, dass so viel mehr Menschen mitgezogen wurden in diesen Sumpf und die Gefahr und dass der eine oder andere dort unterging, wurde immer größer.

„Er hat eine Rolle gespielt", sagte Hermine leise, ein Aussage, die an und für sich nicht falsch war, er hatte eine Rolle gespielt, sein ganzes Leben lang und vermutlich noch eine ganze Zeit.
„Ja... offenbar", elegisch sah er wieder zu ihr, „offenbar so gut, dass er sogar Dumbledore hintergehen konnte..."
„Dumbledore... er...", sie atmete tief ein und aus, „er hat sich verändert in den letzten Monaten... dieser Fluch, den er abbekommen hat... er war nicht mehr im Besitz seiner vollen Kräfte... vielleicht hat das auch seinen Blick... getrübt."
Erstaunt sah Remus zu ihr, „ich wusste nicht, dass es ihm so schlecht ging... er hat nie etwas gesagt... er schien immer nur so... verbissen... als würde er ständig unter Stress stehen... ich dachte das liegt an seinen ständigen Reisen, von denen wir immer noch nicht wissen, wo sie ihn hingeführt haben.", er stoppte einen Moment, „Und warum war Harry dabei, als er wieder das Schloss verlassen hat?"
Hermine zuckte schwach mit den Schultern, „ich weiß es nicht, Remus. Wirklich nicht... er hat noch nichts gesagt und ich möchte ihn nicht fragen... nicht heute und auch nicht morgen...", schüttelte leicht den Kopf, „ich weiß überhaupt nicht, wie... ich...", spürte, wie die Tränen wieder über ihre Wange liefen und wischte sie mit dem Taschentuch ab.
Remus rutschte ein wenig zur Seite, zog sie vorsichtig zu sich auf die Bank, „er muss das Ganze erstmal verarbeiten... diese Bilder... gib ihm einfach ein wenig Raum und Zeit."

Ein erneutes Knirschen am Eingang der Halle ließ die beiden aufsehen, Tonks stand unschlüssig vor ihnen, musterte dann die Scherben auf der Erde und die leeren Fenster, „sieht nach Bellatrix aus...", ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen, ging dann zu Hermine und Remus und hockte sich vor sie, nahm ihre Hand, „du und Ginny ihr wart heute sehr mutig.", ein stolzes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, sah Remus musternden Blick, „Die beiden haben den Häusermarsch angeführt.", erklärte sie, „Das hat Pomona mir vorhin erzählt."
„Ginny war mutig", stellte Hermine klar, sie hatte keinen Moment gezögert, „sie wollte Harry und McGonagall in einem möglichen Kampf nicht alleine lassen."
„Es ist genauso mutig einem Freund in den Kampf zu folgen", Tonks drückte ihre Hand, „Leuten, die einem etwas bedeuten...", sah dann zu Remus, der lächelnd leicht den Kopf schüttelte.
Hermine nahm Tonks Blick wahr, „ich muss ins Bett... Danke für das Gespräch, Remus, Tonks.", drückte beide nochmal an sich und stand dann auf, „Gute Nacht."
„Gute Nacht, Hermine", Tonks setzte sich auf den frei gewordenen Platz, sah ihr dabei zu, wie sie langsam hinter der Biegung verschwand und sah dann zu ihrem Freund, kuschelte sich an ihn.

„Es ist so grausam, dass sie so viel Leid ertragen müssen...", seufzte Remus, lehnte seine Wange an Tonks Kopf.
„Das müssen wir alle... um die Schüler mach ich mir keine Sorgen... die sind stärker als wir glauben", erwiderte Tonks.
„Minerva..."
„Minerva", sie nahm einen tiefen Atemzug, „ich hab sie noch nie so gesehen... wenn wir uns Sorgen machen müssen, dann um sie."

*

Mit dieser Sorge sollten sie Recht behalten.
Als Remus und Tonks am nächsten Morgen die alte Löwin aufsuchen wollten, saß diese in genau derselben Position auf ihrem alten Stuhl, an der sie sie am vergangenen Abend zurückgelassen hatten, die Augen starr auf einen Punkt gerichtet.
„Minerva?", Tonks versuchte ihre Aufmerksamkeit vorsichtig auf sich zu ziehen, was ihr nach dem dritten Mal auch schließlich gelang.
Ein fragender Blick stand der Gryffindorhauslehrerin ins Gesicht geschrieben, Tonks lächelte mitfühlend, „hast du überhaupt geschlafen?"
Der konfuse Blick fokussierte sich immer weiter auf die junge Aurorin, die besorgt vor ihr saß, McGonagall nahm einen tiefen Atemzug, nahm die Brille von der Nase und strich sich über die gereizten Augen, die mittlerweile ziemlich schmerzten, „ich kann nicht schlafen, es gibt noch so viel zu tun. Ich muss die Beerdigung planen, ich muss die Eltern der Schüler informieren... und Aberforth... ich-"
„Du musst dich ausruhen", unterbrach Tonks sie, „wir sind hier, um zu helfen und um dich zu unterstützen. Wir bleiben so lange hier, bis alles erledigt ist.", nickte leicht dabei.
McGonagall sah über Tonks, dann zu Remus, nahm erneut einen tiefen Atemzug, wurde dann von Tonks sanft hochgezogen und gestützt, während sie zusammen in die angrenzende Wohnung gingen.

Remus machte sich gleich daran die Briefe für die Eltern aufzusetzen, vervielfachte eine Mitteilung über die Vorkommnisse in Hogwarts, verstaute sie in Umschlägen und kramte eine Liste der Familien heraus, an die die Briefe gehen sollten.
Eine gute halbe Stunde verging, bis Tonks wieder zu ihm stieß, die Fenster des Büros öffnete und kopfschüttelnd auf die stillen Ländereien sah, „ich hoffe sie fängt sich schnell wieder..."
„Das wird sie... sie braucht einfach nur Ruhe... ein wenig Zeit zum Nachdenken."
„Sie denkt schon zu viel nach", Tonks drehte sich um, lehnte sich an die gemauerte Fensterbank, „endlose Gedanken und Sorgen ziehen durch ihren Kopf... ich hab es gesehen..."
„Was hast du gesehen?", fragte Remus vorsichtig.
Tonks schloss die Augen, „einen grünen Blitz und seinen Sturz vom Astronomieturm... es läuft in einer Endlosschleife ab...", sah mit wässrigen Augen zu Remus, setzte sich in Bewegung, ging zu ihm und schmiegte ihre Arme um ihn, drückte ihn fest an sich.
„Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren, Tonks", meinte dieser leise, streichelte über ihren Rücken, „es wird die Zeit geben zu Trauern."
Sie schnäuzte leicht, nickte dabei, „du hast recht... wir müssen ihr unter die Arme greifen. Sag mir, was ich machen soll."

Für die nächsten Stunden arbeiteten die beiden gemeinsam die anfallenden Aufgaben ab, verschickten die Briefe mithilfe von unzähligen Eulen, beauftragten die Hauselfen damit die zerstörte Halle wieder Instand zu setzen und sprachen über erste Ideen für die Beerdigung von Dumbledore.

Mit einem lauten Poltern flog die Tür des Büros auf, kein geringerer als Alastor Moody stapfte ungehalten durch die Tür, „wo ist dieser Mistkerl von Todesser?!", bellte er, ließ sein bionisches Auge durch den Raum springen, heftete sein gesundes Auge an Remus und Tonks, die etwas verwundert am Schreibtisch standen.
„Würdest du bitte nicht so laut sein?!", fragte Tonks gepresst zischend, „Minerva schläft nebenan..."
„Ich kann nicht leise sein wenn dieser schmierige, feige Mörder von Albus durch die Welt läuft", knurrte er weiter, humpelte aufgeregt durch das Büro, „dieser... man sollte ihm jeden Knochen aus seinem Körper entfernen...", sah dann zu Remus und Tonks, „kann mir vielleicht irgendeiner von euch erklären, wie eine Horde Todesser in dieses Schloss gelangen konnte?"
Remus nahm einen tiefen Atemzug, „Draco Malfoy-"
„Malfoy? Hat sein Vater nicht schon genug Unheil angerichtet? Dieser langhaarige Teufel...", unterbrach Moody die Erzählung brummend.
„Er hat das Verschwindekabinett, welches im Raum der Wünsche steht, repariert... das Verbindungsstück steht bei-"
„Borgin&Burkes... ich hab mich immer gefragt, wo das andere steht... jetzt haben wir die Antwort.", für einen kurzen Moment war es still, „Wo ist Snape jetzt?", fokussierte den Blick auf Tonks.

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