Kapitel 95: Ausnahmezustand


Nach einigen Momenten ging Ginny vorsichtig zu Harry und Dumbledore, kniete sich neben ihn, musterte den Leichnam, danach ihren Freund und zog ihn in eine tröstende Umarmung, teilte seine Trauer und Verzweiflung.
Die Schüler und Professoren, die immer noch unbeweglich in einem Halbkreis standen zogen mit tränenden Augen nacheinander die Zauberstäbe, richteten sie langsam geradewegs in den Himmel und lösten damit das bedrohliche Dunkle Mal über dem Astronomieturm auf, welches unheilvoll auf sie herab sah.

Als die Dunkelheit über ihnen verschwand, verschwand auch ein Teil der Bedrückung, die sich auf die Mauern des Schlosses gelegt hatten.
Hermine atmete einige Male durch, strich sich die Tränen von den Wangen und sah zum immer noch geöffneten Tor zur Eingangshalle, in dem sich mittlerweile Remus, Tonks und einige andere Ordensmitglieder versammelt hatten, die neben Schrammen und kleinen Verletzungen, ebenso geschockt und mitgenommen aussahen, wie ein Großteil des Kollegiums, die jetzt alle gespannt zu McGonagall sahen und auf Anweisungen warteten.
„Minerva...", Pomona strich behutsam über ihren Arm, zog ihren Blick damit auf sich, der sich sofort fokussierte.
„Alle Schüler gehen umgehend in ihre Häuser!", verkündete sie streng, „Pomona und Filius, ihr kümmert euch darum, dass alle Schüler da sind, wo sie hingehören... ich bin mir sicher, dass Mr. Malfoy nicht mehr hier sein wird...", befahl sie mechanisch, „Kingsley", sie winkte zu den Ordensmitgliedern, „du kümmerst dich mit einigen anderen um die Sicherheit des Schlosses... ich will, dass ihr jeden Winkel des Schlosses durchkämmt...", sah Pomona und Flitwick dabei zu, wie sie die traumatisierten Schüler ins Schlossinnere beförderten, Hermine, Ron, Ginny und Harry blieben an Ort und Stelle.
Kingsley nickte, „wir werden uns darum kümmern.", schnappte sich dann drei weitere Auroren und sicherte zuerst die Umgebung.

Tonks und Remus stießen langsam dazu, konnten den Blick vom Schulleiter kaum abwenden, versuchten sich dann auf die Schüler und McGonagall zu konzentrieren.
„Er muss beerdigt werden", Harrys Stimme klang ganz merkwürdig, er nahm einen tiefen Atemzug und sah zur Gryffindorhauslehrerin.
„Das wird er", entschlossen nickte sie, drehte sich zu ihrem einstigen Verbündeten, sammelte für einen kurzen Moment ihre Kraft, murmelte dann lautlos und schwang den Zauberstab, um eine hell-leuchtende Hülle um den Leichnam zu legen, die ihn sanft davon schweben ließ, „er wird ruhen, bis alles so weit ist...", erklärte sie kryptisch und auch wenn die Anwesenden noch so viele Fragen hatte, blieben sie still, folgten stattdessen der alten Löwin, die in Richtung Eingangshalle ging.

Remus, Tonks, Harry, Ginny, Ron, Hermine und McGonagall nahmen die Treppen nach oben, gingen die stillen Korridore entlang, vorbei am Schulleiterbüro und dem goldenen Wasserspeier, weiter zu dem Büro der Stellvertretung, traten nacheinander in den ordentlichen Raum, an dem alles fein säuberlich an Ort und Stelle lag.
Als die Tür von McGonagalls Büro leise ins Schloss klickte, wurden zaghaft die ersten Feststellungen und Fragen in den Raum geworfen „es war Snape! Er hat ihn einfach getötet!"
„Snape? Unmöglich. Er ist einer von uns."
„Warum hat er das getan? Warum hat er ihn umgebracht?"
„Er hat es getan, er hat uns allen die ganze Zeit etwas vorgemacht."
„Wo kamen die ganzen Todesser her?"
„Was wird jetzt mit der Schule und den Schülern?"
„Was passiert mit Draco?"
„Was machen wir jetzt?"
Nach den ganzen Fragen, auf die niemand der Fragenden eine Antwort bekam, lag der Raum wieder in völliger Stille vor ihnen, die alte Hexe, die die ganze Aufregung sprachlos mitverfolgt hatte, ging langsam rückwärts, setzte sich auf ihren alten Stuhl am Schreibtisch und nahm einige tiefe Atemzüge, schloss für einen kurzen Moment die Augen.

„Professor McGonagall", Ron schien sich auf das ganze keinen Reim bilden zu können, was eigentlich warum passiert war, niemand der Anwesenden konnte das, niemand außer Hermine, die still und immer noch kreidebleich in einer Ecke etwas abseits stand.
„Bitte", McGonagalls Stimme zittert, ebenso wie die Hand, die sie erhoben hatte, um Schweigen einzufordern.
„Wir müssen Sn-"
„Wir müssen zu allererst die Schule sichern und die Schüler beschützen!", McGonagall ließ in dieser Frage keine zweite Meinung zu, „Das hätte Albus auch getan.", die Augen glitzerten verdächtig hinter der Brille, „Remus, bitte informier den Orden, versucht so viele wie möglich zu mobilisieren und hier her zu bringen... Tonks, du bist unsere Verbindung zum Ministerium, Alastor und Kingsley werden wissen, wem wir vertrauen können... wir können keinen weiteren Verrat riskieren.", ihre Verachtung war für jeden hörbar, als würde sie sich selbst für ihre Naivität verdammen, Severus all die Jahre vertraut zu haben, sich von ihm so hintergehen zu lassen, ihn so nah an Dumbledore gelassen zu haben, dass er ihn schlussendlich sogar töten konnte, „Niemand wird auf eigene Faust nach Severus Snape suchen.", dabei sah sie vor allem zu Tonks und Harry, die, so vermutete die Gryffindorhauslehrerin, ihre ganz eigenen Rachepläne schmiedeten.
Harry wollte gerade etwas erwidern, als McGonagall ihm ins Wort fiel, „er wird seine gerechte Strafe bekommen, aber nicht durch Sie oder mich, Potter. Er wird sich dem Zaubergamot stellen, wenn er gefasst wird."

Weitere Minuten der Stille vergingen, McGonagall nahm erneut einen tiefen Atemzug, ließ zitternd die Luft aus den Lungen, „ich brauche einen Moment für mich... Remus... wärst du so freundlich-"
Er nickte schnell, sah mitfühlend über sie, wechselte einige Blicke mit Tonks und wandte sich dann an die verschreckten Schüler, „kommt... ich bringe euch nach oben."
Harry und Hermine sahen unschlüssig zu McGonagall, die mit ihrer Fassung zu ringen schien, nicht vor ihnen in Tränen auszubrechen, wurden dann von Remus und Tonks vorsichtig aus dem Raum geschoben.
Den Weg zum Gryffindorgemeinschaftsraum brachten sie ebenso schweigend hinter sich, wie den zu McGonagalls Büro.
Am Portrait der Fetten Dame angekommen, die ebenfalls den Tränen nahe war, hielt Tonks inne, „ich werde Sprout zur Seite stehen", nahm Remus in die Arme und lief dann durch verschiedene Geheimgänge auf schnellstmöglichem Weg zum Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs.
Ginny murmelte leise das Passwort, das Portrait schwang schnäuzend zur Seite, Remus folgte den Schülern ins Innere, welches vermutlich noch nie so still und bedrückt war, wie an diesem frühen Abend.

Egal in welches Gesicht er sah, alle trugen denselben Ausdruck der Trauer, des Schocks und der Fassungslosigkeit, hier und da flossen stille Tränen, in einigen Ecken wurden leise Worte ausgetauscht und Trost gespendet.
Ginny, Ron, Harry und Hermine setzten sich auf die Couch, Remus zauberte sich einen Hocker, setzte sich vor die vier, suchte nach den richtigen Worten, aber schien keine zu finden.

Was konnte er sagen, um Frieden und Trost zu spenden nach so einer schrecklichen Tat?
Was würde diesen verwirrten jungen Menschen helfen mit dem Ganzen umzugehen?
Erneut den Tod eines ihnen bekannten Menschen ertragen haben zu müssen.
Erneut in unmittelbarer Nähe des Bösen gewesen zu sein, vor dem sie doch gerade in Hogwarts geschützt werden sollten.
Von einem Menschen verraten worden zu sein, der eigentlich für ihren Schutz zuständig war.

Harry schüttelte verächtlich den Kopf, „wie konnte ich ihm vertrauen?", niemand der Anwesenden wusste so wirklich wen genau er meinte, Draco oder Severus, auch wenn Hermine so ein Gefühl hatte und die Schuld, die auf ihr lastete, um ein Vielfaches erhöhte.
„Hast du eine Ahnung, wie Bellatrix und Co es geschafft haben ins Schloss zu gelangen?", fragte Remus vorsichtig, er konnte sich immer noch nicht erklären, wie die Todesser, auf die sie gestoßen waren, in das Schloss gelangen konnten.
„Das Verschwindekabinett", sagte Harry leise, Remus stockte, Arthur hatte vor Monaten etwas von einem Verschwindekabinett in Borgin&Burkes erzählt, auf welches Harry ihn aufmerksam gemacht hatte, damals hatte Remus diese Information als verbissene Spinnerei Harrys abgetan.
Harry atmete durch, „Draco hat das Verschwindekabinett im Raum der Wünsche repariert... damit hat er sie ins Schloss geholt", spürte die Wut und die Trauer wieder aufsteigen und wandte den Blick ab.

Remus sah schuldig zu ihm, warum hatte er ihm nicht geglaubt?
Warum hatte er diesen Verdacht so einfach abgetan?
War es denn wirklich so abwegig gewesen zu glauben, dass Draco seinem Vater in die Todesserkreise gefolgt war und dass der Junge irgendetwas plante?

„Was ist auf dem Turm passiert, Harry?", fragte Ginny vorsichtig, zog sanft seine Hand in ihre und hielt sie fest.
„Wir haben Malfoy dort gesehen", fügte Ron hinzu, die Fragen standen ihm ins Gesicht geschrieben.
„Dass er sich den Todessern angeschlossen hat, war mir klar", fing Harry an, „dass er hinter den schiefgegangen Anschlägen gesteckt hat auch... er sollte Dumbledore töten..", er erinnerte sich an seine Worte, „ich glaube, er hatte wirklich keine Wahl...",Ich muss Sie töten... sonst tötet er mich', „...er hat den Zauberstab sinken lassen, bevor Bellatrix kam. Er hätte ihn nicht getötet.,.", gedankenverloren schüttelte er den Kopf, tauchte dann auf und sah geradewegs zu Remus, „es war Snape. Er hat ihm vertraut... Dumbledore hat ihm vertraut und... er hat ihn einfach getötet.", ließ Ginnys Hand los und lief geradewegs in den Jungenschlafsaal.
Ginny, Ron und Remus tauschten besorgte Blicke aus, Hermine versuchte die Tränen, die wieder aufstiegen, so gut es ging zurück zu halten, strich sich über das Gesicht und zog sich ebenfalls zurück in ihre Räume.

*

In dieser Nacht konnte Hermine kein Auge zu machen, sie konnte keinen Frieden finden, keine Entspannung, zu sehr bedrückte sie der Gedanke von Dumbledores Tod, von Severus Tat, der Gedanke wie das ganze Schloss über ihn sprach, die Information über den Verrat verbreitete sich wie ein Lauffeuer und ihm selbst den Tod an den Hals wünschte.
Wie traurig und am Boden Harry war, wie ratlos Remus, Tonks und McGonagall waren, die nichts von alldem irgendwie zu verstehen schienen.

Das konnte Dumbledore unmöglich alles bedacht und gewollt haben, oder?
Er konnte unmöglich gewollt haben, dass ausgerechnet Severus von der gesamten Zaubererwelt für einen Verräter und Mörder gehalten wurde, war der Zweck, den diese Tat mit sich brachte, dass Voldemort ihm vertraute, wirklich groß genug?
Was, wenn Severus von Auroren oder Ordensmitgliedern gefasst wurde, würde man ihm wirklich den Prozess machen?
Würde man ihn nach Askaban bringen?
Er konnte unmöglich gewollt haben, dass seine engsten Vertrauten in Verzweiflung und Überforderung zurückblieben, in dem Gedanken einen Fehler gemacht zu haben, etwas übersehen zu haben.
Hermine fragte sich inwieweit McGonagall sich die Schuld an dem Ganzen gab, ebenso wie Harry.

Einen tiefen Atemzug nehmend stand sie auf, zog sich eine dicke Strickjacke über den Pyjama und huschte aus ihrem Raum, die Gänge und Treppen entlang durch das Schloss.
Auch wenn es Sommer war, seit einigen Stunden hatte sich eine eisige Kälte über die Mauern gelegt, die tief in die Seele und Knochen der Bewohner zog.
Als sie langsam durch die verlassenen Gänge lief, erinnerte sie sich an die Begegnung mit dem Todesser vor den vielen Monaten, als das alles seinen Lauf nahm.
Sie erinnerte sich an die Angst, die sie gespürt hatte, an den diesen Überlebensinstinkt, der ihr sagte, dass sie alles dafür tun müsste, ihm zu entkommen.
Vielleicht hätte sie damals einfach auf ihren Instinkt hören sollen, hätte sie gar nicht erst in dieses Spielchen verwickeln lassen dürfen.
Dieser Erinnerungen fühlten sich so weit entfernt an, fast schon wie ein Traum, der trotz seiner Gefahren doch etwas anziehendes an sich hatte.

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