Kapitel 94: „Das ist der Tag"
Sie wachte am späten Nachmittag wieder auf, das Bett neben ihr war leer und wieder war da diese merkwürdige Bedrückung, diese Gefahr, dass irgendetwas in der Dunkelheit der Ecken auf sie lauern würde.
Ein wenig unsicher setzte sie sich auf, ihre Augen mussten sich erst einmal an diese schummrige Dunkelheit in seinem Schlafzimmer gewöhnen, „Severus?", stand auf und fand ihn unbeweglich einige Schritte vor dem Fenster stehend.
„Alles in Ordnung?", fragte sie, näherte sich dem stillen Mann und folgte seinem Blick in Richtung Fenster.
Als sie nach draußen sah, rollte eine Gänsehaut über sie, der Himmel, der vor wenigen Stunden noch goldene Strahlen und einen hellblauen Hintergrund über sie warf, wurde von schlammig-dunklen Wolken gesäumt, die ein ungesundes Licht auf Schloss und Bewohner abgaben, die Spannung in der Luft war beinahe greifbar, als würde eine unnatürlich starke Bedrohung auf sie drücken, unsicher drehte sie sich zu Severus.
Er trug einen ganz merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht, wirkte beinahe wie eine Statue, die auf ihren Einsatz wartete, die Augen und die Haare noch schwärzer als üblich.
„Das ist der Tag.", flüsterte er dunkel, er dachte an Albus Worte am Morgen, so stur und unüberzeugbar hatte er ihn selten erlebt, er hatte erneut an sein Gewissen appelliert, er hatte ihm erneut gesagt, dass er das alles nicht mehr könnte, dass er das alles nicht mehr wollte, dass er sich das alles noch einmal gut überlegen sollte, aber Albus ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen und so zog Severus mit wehendem Umgang von dannen, rannte ausgerechnet Potter in die Arme, der ihn misstrauisch musterte, als würde der Junge schon irgendetwas ahnen.
„Du meinst...", Hermine schluckte.
„Heute wird Albus Dumbledore... sterben", das letzte Worte hauchte er so leise, dass Hermine ihn kaum verstand, aber genau wusste, was er meinte.
Mit wackeligen Knien ging sie zu ihm, ihre Augen huschten über ihn, sie konnte seinen Blick immer noch nicht deuten, er schien unnahbar.
Vorsichtig legte sie ihre Hände an seine Brust, strich hauchzart über den Stoff, der ebenso elektrisiert schien, wie die Luft in den Mauern. Diese sanfte Berührung riss ihn aus seiner selbstauferlegten Starre, er sog scharf die Luft ein, die Maske rutschte von seinem Gesicht und gab das ganze Elend frei, was sich aufgestaut hatte, „ich kann das nicht.", schüttelte dabei vibrierend den Kopf.
„Du bist der Einzige, der das kann", hielt sie dagegen, ging noch einen Schritt zu ihm, „und er weiß das... du bist ihm nicht egal, du bist der Einzige, dem er in diesem Ausmaß vertraut... dem er eine solche Bürde zumuten kann.", sie versuchte stark zu sein, für Severus, der in diesem Moment so verloren vor ihr stand im Angesicht dieser überwältigenden Aufgabe, auch wenn die Überlegung, dass sie den alten Schulleiter nie wieder sehen würde, ihr die Tränen in die Augen trieb.
Severus musterte die rehbraunen Fenster ihrer Seele, die immer wässriger wurden, je länger sie ihn ansah, er musterte den verkniffenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, das immer schneller werdende pochen ihrer Halsschlagader, er spürte die Hitze, die immer weiter in ihr Aufstieg und sich auf ihr Dekolleté legte.
Sie versuchte ihm beizustehen, für ihn da zu sein, an dem vermutlich schlimmsten Tag seines Lebens, sie wollte stark sein, ihm Mut zusprechen, sein Versprechen einzuhalten, auch wenn sich nach diesem Verbrechen alles ändern würde.
Für Severus, für Hogwarts, für die Welt der Zauberei und auch für Hermine.
Wie sollte sie ihn akzeptieren und schätzen, wenn die Gesellschaft ihn verachtete?
Wie könnte sie guten Gewissens daran festhalten, ihn weiter zu sehen, wenn er ein Mörder wäre?
Er würde an diesem Tag nicht nur Dumbledore verlieren, sondern auch die letzten, die ihm wohlgesonnen waren, die trotz allem an ihn glaubten, daran glaubten, dass er doch auf der guten Seite stand, auch wenn er das wirklich tat.
Er stellte sich Minervas Reaktion vor, auch ihr würde er das Herz brechen, auch ihr würde er eine Stütze nehmen, einen Verbündeten, einen Freund.
Er dachte an Remus und Tonks, die immer loyal hinter Dumbledore standen und die vermutlich ihr Leben für seines geben würden.
Er dachte an Harry, Ron, Ginevra, Neville, an all die Schüler, die Dumbledore und seinen Schutz, seinen unerschütterlichen Glauben an das Gute, so sehr brauchten in diesen dunklen Zeiten und die er schutzlos dem Feind überließ.
Und als er die junge Frau vor ihm so musterte, die immer noch wie Löwin gegen die Trauer kämpfte, die sich ihrer immer weiter bemächtigte, wurde ihm klar, dass er auch sie verlieren würde, egal wie oft sie betonte, dass sie ihm beistehen würde, eine Tatsache, die er ihr nicht übel nehmen konnte.
„Es tut mir so leid.", flüsterte er dunkel, versteckte seine Emotionen langsam, aber sicher wieder unter seiner kalten Maske, er musste sich selbst abschotten, vor dem was er tun würde und vor den Reaktionen, die seine Tat hervorrufen würde.
Hermine schüttelte den Kopf, „es gibt nichts zu entschuldigen", ignorierte ihre zitternde Stimme, musterte ihn.
Er spürte ein Kribbeln am linken Arm, ein Zeichen, dass Todesser in unmittelbarer Nähe waren, was bedeutete, dass Draco tatsächlich einen Weg gefunden hatte, andere Anhänger ins Schloss zu holen, „ich muss... gehen...", sah dabei gequält zu ihr, „geh in euren Gemeinschaftsraum."
Mit einem herzzerreißenden Ausdruck auf dem Gesicht schlang sie ihre Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich und drückte ihn fest an ihren Körper, krallte die Finger in den Stoff seiner Robe, „du bedeutest mir eine ganze Menge... das weißt du, oder?", hauchte sie schluchzend an sein Ohr, schüttelte dann den Kopf, löste sich leicht von ihm, schob ihn dann zur Tür, „na los... geh...", nickte und ließ ihn los, sah ihm befangen hinterher, als er das Schlafzimmer und seine Räume verließ.
Sie drehte sich zum Fenster, sah noch einmal hinaus, zog ihre Strickjacke enger um ihren Körper und spürte etwas in ihrer Tasche, griff hinein und fand einen zusammengefalteten Zettel, den sie neugierig auseinander strich und aufmerksam durchlas.
*
„Sind alle Gryffindors anwesend?", fragte McGonagall ein wenig unruhig, „Granger... wo ist Granger?"
„Ich bin hier", Hermine trat angespannt näher an die Gruppe, wurde von Ginny und Ron gemustert.
„Wo ist Harry?", fragte Dean, suchte nach dem Quidditch-Captain.
„Potter ist bei Professor Dumbledore", beantwortete McGonagall, „er wird sicher gleich hier eintreffen."
„Was ist denn überhaupt los?", wollte Seamus wissen.
„Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme...", McGonagalls Augen sprangen über die anwesenden Schüler.
„Eine Vorsichtsmaßnahme? Das heißt wir werden angegriffen, richtig?", Seamus nannte das Kind beim Namen, „Ist Harry deswegen bei Dumbledore? Weil sie gegen Todesser kämpfen?"
Ein Raunen ging durch den Gemeinschaftsraum, die alte Hexe nahm einen tiefen Atemzug, Hermine und Ron tauschten vielsagende Blicke aus, „wir befürchten, dass Todesser versuchen werden ins Schloss zu gelangen... so, wie sie es all die Monate zuvor versucht haben... Potter wird gleich zu uns stoßen.", wiederholte sie dabei.
Während eine leidenschaftliche Diskussion darüber entbrannte, ob die Gryffindors den sicheren Turm verlassen und zu Harry und Dumbledore stoßen sollten, die sich vermutlich immer noch auf dem Astronomieturm befanden, jedenfalls hatten die einen oder anderen Gryffindors gehört, dass Harrys Weg ihn an diesem Tag dahin führte, sah Neville zufällig aus dem Fenster in Richtung angesprochenem Astronomieturm, als Harry samt Dumbledore dort wie aus dem Nichts auftauchten, „da sind sie", sagte er leise, schluckte den Frosch in seinem Hals herunter und wiederholte seine Sichtung, „da sind Harry und Professor Dumbledore."
Der aufkommende Tumult erstarb im Nu, eine Stille legte sich auf die Schüler, McGonagall bahnte sich einen Weg zum Fenster, folgte mit aufmerksamen Augen dem Vorgehen auf dem gegenüberliegenden Turm.
„Was passiert da?", wollte Seamus wissen.
„Sie reden... Dumbledore sieht irgendwie krank aus... er schickt Harry weg...", erzählte Neville, Hermines Herz rutschte in die Hose, er würde vermutlich nach Severus suchen, „ist das... Draco?", Nevilles Sichtung löste eine erneute dröhnende Stille aus.
„Was reden Sie denn da, Longbottom? Malfoy ist in den Kerkern, Severus kümmert sich um-", als McGonagall den blonden Mann erkannte verstummte auch sie.
„Was hat Malfoy da verloren?", fragte Ron, sah unruhig zu Ginny und Hermine, die immer nervöser wurde.
Die wenigen Minuten, die vergingen, fühlte sich an wie Stunden, immer wieder schwirrten Behauptungen und Vermutungen durch den Raum was nun auf dem Turm geschah, was Draco dort tat, wo Harry blieb und ob die Todesser wirklich die Schutzbanne durchbrechen würden.
Ein plötzlich grüner Lichtschein huschte über die Wände des Gemeinschaftsraums, „nein", hauchte McGonagall, folgte dem ungebremsten Fall eines leblosen Körpers vom Astronomieturm nach unten auf den Innenhof, „nein", wiederholte sie erneut, lief kopflos durch die Schüler aus dem Gemeinschaftsraum heraus.
„Was ist passiert?", wollte Seamus wissen, ging langsam in Richtung Fenster, an dem Neville wie versteinert stand, „Neville! Was ist passiert?!", fragte er lauter, als er immer noch nicht reagierte.
Ginny schob sich ebenfalls zu ihm, legte vorsichtig die Hand an seinen Arm und drehte ihn zu sich, „Neville...."
„Er ist tot... Dumbledore... er... er ist über die Brüstung gefallen...", stotterte er, das Gesicht kalkweiß.
„Was? Dumbledore kann nicht tot sein", Seamus sah sich hilfesuchend um, als wäre das Ganze nur ein makabrer Scherz.
Ginny stierte aus dem Fenster, bemerkte als erste das Dunkle Mal über dem Astronomieturm, das Zeichen Voldemorts und seiner Anhänger und die Gewissheit, dass sich dort ein Mord ereignet hatte.
Sie zog ihren Zauberstab, lief entschlossen durch den Raum, ebenso wie McGonagall gerade und wollte ebenfalls den Turm verlassen, als Ron sie aufhielt, „wo willst du hin?"
„Ich werde McGonagall und Harry nicht alleine lassen, wenn es zu einem Kampf kommt.", sagte sie grimmig, entzog sich seinem Griff, wandte sich dann an Hermine, die ebenso geschockt wie Neville aussah, „Mine, kommst du mit?"
Der Sturm, der in ihrem Kopf tobte, endete mit dieser Frage, sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, aber sie würde Harry und auch die alte Hexe nicht ebenfalls sterben lassen, auch wenn sie eigentlich nicht das Ziel waren.
Nickend zog sie ebenfalls ihren Zauberstab, folgte ihrer besten Freundin und rannte mit ihr die Treppen nach unten, gefolgt von den anderen Gryffindors, die, nach einer kurzzeitigen Schockstarre, wie eine wilde Horde losstürmten.
„Wo gehen wir hin?", fragte Hermine laut, die Stimme merkwürdig verzerrt, der Marsch der Schüler hallte von den Wänden wider.
„In den Innenhof", bestimmte Ginny, nahm die nächste Treppe und sah aus dem Augenwinkel wie die Hufflepuffs von Sprout angeführt ebenfalls den Weg in den Innenhof einschlugen.
Das Schloss wurde von einer stillen Wut und Trauer gefüllt, von der Hoffnung, dass das Ganze ein Missverständnis war, dass der Schulleiter nicht tot im Innenhof liegen würde, dass Voldemorts Schrecken noch nicht nach Hogwarts gedrungen war.
Aus jedem Gang drangen mehr Schüler, Professoren und Geister des Schlosses, sie alle folgten dem Gryffindor-geführten Marsch, bereit sich, ihre Freunde und Hogwarts zu verteidigen.
Als die Tür zum Innenhof sich öffnete, bot sich ihnen jedoch ein Bild was jede Hoffnung, jede wilde Wut zunichte machte.
Inmitten des Hofes lag Dumbledore, unbeweglich, still, beinahe friedlich, McGonagall stand ebenso unbeweglich daneben, die Hände, die sich krampfhaft an ihrem Zauberstab festhielten, zitterten wie Espenlaub.
Langsam, aber sicher gingen die Schüler näher, konnten ihren Augen kaum trauen und versammelten sich, wie unter einer Decke der Trauer, in einem Halbkreis um den toten Schulleiter.
Die erste, die diese gespenstische Stille durchbrach, war Poppy, die ein herzzerreißendes Schluchzen nicht länger unterdrücken konnte, wie aus einer Trance gerissen sah McGonagall auf, erkannte die Schülerschaft vor ihr und näherte sich langsam der Menge.
Hermine sah leidvoll und bedrückt über den toten Körper, sie spürte die Emotionen ihrer Mitschüler, fühlte die Trauer, die langsam, aber sicher nach außen sickerte, sie spürte Angst und Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und vor allem Fassungslosigkeit.
Als sie so auf Dumbledore starrte, konnte sie gar nicht verhindern, dass die Tränen in schneller Folge über ihre Wangen liefen und noch mehr, als Harry nach wenigen Minuten zu ihnen stieß, geschockt und mit wackeligen Knien zu Dumbledore ging, sich neben ihn kniete, eine verirrte Strähne seiner Haare richtete und vorsichtig eine Hand auf seine Brust legte.
Er hatte einen weiteren Verlust zu ertragen, einen weiteren geliebten Menschen verloren, er war ein weiteres Mal Opfer dieses Krieges geworden, wenn auch dieses Mal aus anderen Gründen.
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