Kapitel 91: Eine Mutter in Sorge
Die Tage nach den Ferien zogen schnell an ihnen vorbei und die Stimmung in den Mauern war von Tag zu Tag bedrückter und angespannter, oder war das vielleicht nur der Tatsache geschuldet, dass Hermine wusste, was auf sie alle warten würde?
War dieses dumpfe Gefühl, was sie immer nervöser werden ließ auch bei anderen in diesem Ausmaß vorhanden?
Bäumte es sich regelmäßig auf und bohrte wie ein langer Fingernagel im bereits gereizten Fleisch?
Eine Antwort auf alle diese Fragen bekam sie jedoch nie.
Immer öfter verging Hermine der Appetit, immer öfter blieb sie nächtelang wach und versuchte eine Lösung für das Unausweichliche zu finden, was stetig weiter auf sie zurollte, immer öfter blieb sie auch nach Unterricht auf ihrem Platz sitzen und grübelte, wie auch an diesem Tag.
„Hermine?", es war nicht Harry oder Ron, der sie aus ihrer Trance zog, sondern Severus, der sich beinahe schon besorgt vor ihren Tisch gehockt hatte und sie musternd beobachtete.
Überrascht sah sie zu ihm, ließ den Blick dann durch den Unterrichtsraum schweifen, fand ihn leer vor und strich sich müde über das Gesicht.
„Wenn du so weiter machst, kannst du bald wieder einen magischen Schlaf halten...", er schloss durch einen Zauberstabschwenker die Tür, streichelte sanft über ihre Hand.
Sie winkte ab, „halb so schlimm...", packte ihre Sachen dann zusammen, sah erneut zu ihm, als er sie immer noch ansah, „es geht mir gut, Severus. Wirklich."
„Du kannst vielleicht deinen Freunden etwas vorspielen... aber nicht mir. Ich weiß, was durch deinen Kopf spukt... aber du kannst daran nichts ändern.", ein trauriges Lächeln zuckte über seine Lippen, stand wieder auf und lehnte sich an den Nachbartisch, sah ihr dabei zu, wie sie ihre langsam ihre Tasche zuzog.
Hermine nahm einen tiefen Atemzug, stand auf, schulterte ihre Tasche, „mach dir keine Gedanken", stützte sich vorsichtig an seinem Bauch ab und gab ihm ein Küsschen auf die Wange.
Er hielt sie bei sich, drückte ihr die Lippen auf den Mund, „sehen wir uns heute Abend?"
Lächelnd nickte sie, „ich komme nachher zu dir", löste sich dann schwerfällig und verließ den Unterrichtsraum in Richtung Großer Halle.
„Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr", meinte Ron nuschelnd, hatte sich diverse Löffel Essen wieder in den Mund geschoben.
„Ich hab noch ein Buch zurückgegeben", sie setzte sich neben Harry, der wieder völlig eingenommen in dem Buch des Halbblutprinzen blätterte, sah dann zu Ron, der seinen besten Freund mürrisch beobachtete.
Ein wenig schmunzelnd zog sie einen Tagespropheten zu sich, der herrenlos auf dem Tisch lag, blätterte ein wenig umher, seufzte, „der Tagesprophet wird immer abstruser..."
„Ich bin mir sicher, dass die eine oder andere dunkle Gestalt da mittlerweile auch ihre Finger im Spiel hat... wie viele Todesser schon aus Askaban entkommen sind und keinen scheint's zu interessieren...", der Rothaarige schüttelte anklagend den Kopf.
Dem konnte sie nicht widersprechen, sie dachte an die Versammlung in Malfoy Manor, wie viele von den Gästen dort eigentlich gesuchte Todesser waren, versuchte diese Gedanken abzuschütteln und ließ den Blick durch die Halle wandern, an deren Ende sie Katie sah.
Das erste Mal seit dem verzauberten Medaillon, zusammen mit ihrer Freundin Leanne, lief sie entspannt durch die Große Halle, Hermine stupste Harry an, „Harry... da ist Katie!", nickte in Richtung Eingangshalle, „Katie Bell.."
Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, sprang Harry auf, ging geradewegs zu ihr, wechselte einige Worte mit ihr und stürmte kurz darauf aus der Großen Halle.
Kopfschüttelnd und mit einem schlechten Gefühl sah sie zu Ron, „wo will er hin?"
„Keine Ahnung...", hoffte, dass Harry sich nicht in Schwierigkeiten bringen würde.
*
Immer noch sprachlos saßen Harry, Ginny, Hermine und Ron im Gryffindor-Gemeinschaftsraum, Hermine starrte auf das Buch des Halbblutprinzen, auf Severus Buch, der diesen schrecklichen Zauber, den Harry an Draco angewandt hatte, erfunden hatte - für Feinde.
Hatte er ihr nicht vor Monaten gesagt, dass Harry das Buch abgeben müsste?
Eine Bitte, die offenbar einen triftigen Grund hatte.
Ginny schüttelte den Kopf, nahm einen tiefen Atemzug, „Harry, das Buch muss weg..."
„Ja", er nickte schnell, auch über sein Gesicht zogen die Schrecken des verblutenden Draco, der vermutlich nur durch Snapes Hilfe überlebte und ihn mit einem Blick musterte, dass ihm noch mehr Angst und Bange wurde als sonst.
Sie zog Harry samt Buch mit sich, verließ mit ihm den leeren Gemeinschaftsraum und ließ Hermine und Ron zurück, der sehr blass aussah, „er hat Draco fast umgebracht..."
„Der Zauber hat Draco fast umgebracht", hielt Hermine dagegen, „hätte er gewusst, was er bewirkt, hätte er ihn nie ausgesprochen, er ist niemand, der andere verletzen will, das weißt du, Ron."
Ron schüttelte den Kopf, „ich sag das nicht gerne.. aber ein Glück kam Snape im richtigen Moment..."
Ein trauriges Schmunzeln huschte über ihre Lippen, das war vermutlich das erste Mal, dass sich Ron über das Auftauchen seines verhassten Lehrers freute, auch, wenn der Umstand kein schöner war, „wir können froh sein, dass er sich in diesen Bereichen so gut auskennt..."
„Glaubst du, dass das ein schwarzmagischer Fluch war?", Ron sah verdattert zu ihr.
„Ein Zauber, der solche Auswirkungen hat ist kein normaler...", formulierte sie vorsichtig, es hinterließ immer noch einen faden Beigeschmack, dass Severus damals einen solchen Weg wirklich eingeschlagen haben sollte.
„Was ein Tag", seufzte Ron, ließ sich in die Couch sinken und starrte an die Decke.
„Es wird Zeit, dass wir ihn langsam zu Ende bringen", Hermine stand auf, sah über ihren Freund, „Versuch ihn abzulenken, wenn er kommt.", verabschiedete sich dann mit kleinen Lächeln und verließ den Gemeinschaftsraum, um ihre Räume aufzusuchen.
Sie wartete auf heißen Kohlen bis nach der Sperrstunde, belegte sich mit einem Unsichtbarkeitszauber, trat in den Kamin, nahm sich eine Handvoll Flohpulver und schlug den Weg in die Kerker ein.
Das dunkle Wohnzimmer wurde durch die grünen sanften Flammen erhellt, lag dann, als Hermine aus dem Kamin stieg, wieder in völliger Dunkelheit vor ihr.
Alles war so still, beinahe schon verlassen, trotzdem stieg ein unangenehmes Gefühl in ihr hoch, als würde etwas in eben dieser verlassenen Dunkelheit lauern.
Mit gezücktem Zauberstab ging sie vorsichtig weiter, wurde auf einen seichten Lichtstrahl aus dem Schlafzimmer aufmerksam und fand Severus auf dem Bett sitzend vor.
Sie entzauberte sich, versuchte vorsichtig seinen Blick auf sich zu ziehen und ging langsam weiter in den Raum, nachdem sie ihren Zauberstab weggesteckt hatte.
Eine ganze Zeit schwieg er, schloss dann kurz die Augen, „warum hatte er das Buch noch?", fragte er leise und gequält, „Ich habe dir gesagt, dass es gefährlich ist... dass die Zauber gefährlich sind."
„Harry wollte das Buch nicht abgeben... er hat viel von dem Halbblutprinzen gehalten...", sagte sie ebenso leise, ging langsam zum Bett, während er den Kopf schüttelte.
„Wie geht es Draco?", fragte Hermine, setzte sich neben ihn auf die Bettkante.
„Es war sein Glück, dass Potter keine Ahnung hatte, wie er ihn richtig einsetzen sollte.", sagte er hart, er wollte sich nicht vorstellen, was noch passiert wäre, wenn der Fluch seine volle Wirkung entfaltet hätte.
Hermine griff vorsichtig nach seiner Hand, „zum Glück bist du rechtzeitig gekommen...", schenkte ihm aufrichtiges, dankbares Lächeln.
„Wenn ich in erster Linie nicht gewesen wäre, dann hätte ich nicht rechtzeitig kommen müssen...", er ließ ihre Hand los, stand auf und ging zum Fenster.
„Willst du dich denn immer für etwas geißeln, was du in deiner Jugend getan hast?", fragte sie nach einer kurzen Stille, musterte seine angespannte und betrübte Körperhaltung.
Severus nahm einen tiefen Atemzug, genau das tat er schon seit Jahren, sich für Fehler bestrafen, die mittlerweile weit in der Vergangenheit lagen, aber hatte es je etwas gebracht?
Hatte es je etwas geändert?
Die Schuld irgendwie vermindert?
Die Taten ungeschehen werden lassen?
Nein, auch das musste er sich eingestehen, egal wie viel Schuld er auf sich nahm, wie viele selbstgewählte Höllenqualen er durchlitt, nichts machte die Vergangenheit ungeschehen.
Aber würde die Zukunft besser aussehen?
Wenn er an Albus ableben dachte konnte er das recht schnell verneinen.
Mit einem bitteren Blick drehte er sich wieder zu ihr, „ich glaube du vergisst, was noch alles auf uns zu kommt... was ich noch tun werde."
„Das kannst du nicht miteinander vergleichen, das sind völlig andere Situationen", meinte sie schnell, stand auf und ging zu ihm, blieb einen guten Meter vor ihm stehen, „es gibt zwei Seiten der Medaille... du hast nicht nur Schlechtes zu verantworten, Severus, ohne dich wären viele verloren...", überbrückte vorsichtig den Abstand und nahm wieder seine Hand, versuchte seinen Blick bei sich zu halten, „selbst die, die eine Rettung vielleicht nicht verdient hätten.."
Diese Worte schenkten ihm einen kleinen Hauch von Hoffnung, dass sich auch für ihn am Schluss alles irgendwie zum Guten drehen würde, dass er selbst sein Schicksal in den Händen hielt und auch er, der eine Rettung vielleicht am wenigstens verdient hätte, gerettet würde vor der alles verschlingenden Dunkelheit, auch wenn er im Grunde gar nicht daran glaubte.
Anstatt etwas dazu zu sagen, zog er sie sanft zu sich und schloss sie in die Arme, lehnte sein Kinn auf ihren Kopf, ließ dieses Gefühl von Vergebung durch sich ziehen und die Schuldgedanken langsam verblassen, bis ein merkwürdiges Geräusch sie aus der Harmonie zog.
„Severus?", ein merkwürdiges Knistern begleitete diese vertraute Stimme, die von einer tiefgreifende Sorge durchzogen wurde.
Mit großen Augen sah Hermine zu ihm hoch, angespannt flog sein Blick über ihr Gesicht, er hielt einen Finger vor den Mund, bedeutete ihr kein Wort zu sagen, löste sich dann von ihr und ging vorsichtig ins Wohnzimmer.
Hermine versteckte sich lautlos hinter der Tür, versucht angestrengt zu hören, was im Nebenzimmer vor sich ging.
„Severus?", ertönte die Stimme erneut, „Ich bin es..."
„Narzissa?", fragte Severus perplex, der mittlerweile am Kamin angekommen war, aus dem das besorgte Gesicht der Malfoy blickte.
„Bitte verzeih mir meinen Überfall... ich habe von dem Unfall gehört... Dumbledore hat uns eine Eule geschickt...", ihre Stimme zitterte, „bitte sag mir, wie es meinem Sohn geht."
Hermine konnte sich ihren sorgenvollen Blick genau vorstellen, Severus nahm einen tiefen Atemzug, „den Umständen entsprechend gut."
„Was ist denn überhaupt passiert?", wollte sie wissen.
Er überlegte einen Moment, wenn er ihr erzählen würde, dass ausgerechnet Potter der Angreifer wäre, würde der Hass auf den Jungen noch weiter wachsen, andererseits war er sich sicher, dass Draco natürlich mit dieser Tatsache nicht hinterm Berg halten würde, „Draco... hatte eine ausgeartete Meinungsverschiedenheit mit... Potter.", er schürzte die Lippen.
„Was? Dieser Junge hat meinen Sohn beinahe getötet? Severus...", anstatt ihr die Sorgen zu nehmen verschlimmerte er sie nur.
„Er hat einen Zauberspruch angewandt, den er in einem Buch gelesen hat... auch wenn ich nichts für Potter übrig habe, er hätte Draco nie mutwillig verletzt, nicht in dem Maß... ich habe seine Wunden geheilt, ich versuche ihm zu helfen, aber dein Sohn ist eigensinnig...", versuchte Severus zu erklären.
Narzissa strich sich mit zitternden Fingern und glänzenden Augen durchs Gesicht, „beim heiligen Salazar... das muss ein Ende haben... bitte, Severus, versprich mir, dass du nicht zulassen wirst, dass Draco etwas zustößt..."
„Ich verspreche es.", sagte er aufrichtig, nahm dann einen tiefen Atemzug, als das grüne Feuer langsam erlosch.
Nach ein paar Minuten des stillen Wartens lugte Hermine vorsichtig aus der Tür, sah Severus auf dem Sessel sitzen und in den dunklen Kamin starren.
Langsam ging sie zu ihm, setzte sich auf die Lehne und streichelte über seinen Rücken.
„Du hast Harry in Schutz genommen", lehnte ihre Wange an seine Schulter.
„Ich habe Narzissa beruhigt", brummte er, „keiner von uns kann eine besorgte Narzissa gebrauchen, die im schlimmsten Fall noch das Schicksal in die eigene Hand nimmt.", er seufzte, „Nichts ist gefährlicher als eine Mutter in Sorge."
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