Kapitel 64: Unverständnis
Ihr Herz klopfte wie verrückt, jedes Wort verstärkte den verschnellerten Blutdruck, legte ein lautes Rauschen in ihre Ohren, ließ sie in Schweiß ausbrechen, ihr Gesicht war kalkweiß, dieses Geständnis war fast schlimmer als das Entdecken seiner wahren Identität, „warum?", hauchte sie.
„Weil es der einzige Weg ist", er hatte sich lange dagegen gesträubt diese Erklärung als ausreichend hinzunehmen, wie oft hatte Albus ihm diese Worte gesagt, gehofft, dass er es endlich akzeptieren würde.
Nun, da er Hermine alles erklärte, schienen diese Worte endlich Sinn zu ergeben.
Es musste so sein.
Er musste es tun.
„Der einzige Weg... weil du... diese Rolle noch nicht aufgeben kannst?", ihre Gedanken waren wie ein entzündetes Buschfeier, rasend schnell bereitete es sich aus, zeigte ihr immer neue Wege und Windungen.
Er nickte, „es ist eine Rettung und ein Ablenkungsmanöver....", er dachte daran was Albus gesagt hatte, dass der Dunkle Lord nur so vollkommen von Severus Loyalität überzeugt werden würde, dass er vermutlich nach Dumbledores Tod die Schule leiten würde, so konnte er wenigstens ein wenig auf die Schüler aufpassen.
„Wenn... der Tag gekommen ist, dann wird sich alles verändern.", schob er nach, „Ihr müsst euch darauf vorbereiten."
„Wir?", sie konnte immer noch nicht glauben, was er ihr hier eröffnete.
„Du, Ron und Harry. Ihr rückt alle immer weiter in das Fadenkreuz der Todesser... wenn Dumbledore tot ist wird es für den Dunklen Lord keinen Grund mehr geben diese Schule nicht betreten zu können. Mit Dumbledore stirbt sein größter Widersacher."
„Wie kannst du das nur tun? Wie kannst du ihn töten und Voldemort die Tür öffnen?", fragte sie erst leise, wurde dann immer lauter, so langsam kam die Wut über dieses unfaire Spiel zurück, einen alten, bereits geschwächten Mann zu töten.
„Glaubst du ich mache das gerne? Glaubst du wirklich, dass dieser perfide Plan von mir stammt?!", wütend und beleidigt starrte er sie an, sie sollte ihn doch besser kennen mittlerweile, oder?
„Es ist Dumbledores Plan, alles ist immer nur Dumbledores Plan! Er hat es mir aufgetragen!"
„Und du machst einfach mit?!", sie verstand nicht, wie der Schulleiter ihn jedes Mal zu irgendwelchen Taten bringen konnte.
„Ich... mache nicht.. einfach mit. Ich muss es machen, verstehst du das nicht?", er war gefährlich leise geworden.
„Warum?" sie schüttelte fassungslos den Kopf.
„Das ist nicht wichtig.", presste seine Kiefer aufeinander, knackte mit den Fäusten und verließ, nach einem schwerfällig Aufstehen, den Raum, humpelte zur Couch.
Hermine folgte ihm, „das ist nicht wichtig? Wie kannst du so etwas sagen?"
„Weil es dich nichts angeht!", zischte er laut, belegte sie mit einer unangenehmen Gänsehaut, „Du musst nicht alles wissen!"
Ein trauriges, verächtliches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, sie befreite sich von seinen Roben, sie musste hier weg, weg von ihm, von diesem Geheimnis, welches nun offen im Raum und zwischen ihnen stand.
Sie war gekränkt, seine erneut-abweisende Art verletzte sie ungemein, sie war der festen Überzeugung, dass sie schon weiter waren, dass sie keinerlei Geheimnisse mehr hatten und vor allem, dass sie nicht so verletzend miteinander umgingen.
Kopfschüttelnd und sich selbst verfluchend zog sie ihre Sachen wieder an, nahm ihren Zauberstab und verließ seine Räume, ließ ihn auf der Couch zurück, er starrte ins Feuer, hasste sich wieder einmal selbst für seine getroffenen Entscheidungen.
Hermine stürmte durch die Kerker nach oben, es war ihr völlig egal, wer sie sah, was die Slytherins über sie dachten und sagten.
Nun, nachdem sie dieses Geheimnis erfahren hatte, schien nichts mehr wichtig zu sein, nichts, was hier ansonsten in diesen Mauern geschah, schien mehr von Bedeutung zu sein.
Ihre ganzen Sorgen, Ängste und Befürchtungen Noten und Schulleistungen betreffend waren vollkommen nichtig.
Der Tod war bereits in den Mauern von Hogwarts, in Form von Albus Dumbledore, der jeden Tag mehr in die Anderswelt hinüberschied, in Form von Severus Snape, der den Schulleiter früher oder später töten würde.
Wie konnte er mit dieser Bürde schlafen?
Wie konnte er noch normal in diesem Schloss leben, wenn der Tag des Schicksals mit jeder Stunde näher rückte?
Hermine versuchte sich vorzustellen was sowohl Dumbledore als auch Severus dazu bewegt haben mussten eine solche gravierende Entscheidung zu treffen.
Was war groß und wichtig genug, um sein eigenes Leben zu geben?
Um ein fremdes Leben zu nehmen?
Was stand alles dahinter?
War es nur eine Wohltätigkeit, weil er ansonsten einen schmerzhaften Tod erleiden müsste?
War Dumbledore vielleicht zu feige, um sich selbst zu richten?
War er vielleicht um sein Ansehen besorgt?
Sie überlegte ob sie jemals in der Zaubererwelt etwas über Suizide gelesen oder gehört hatte, aber das schien ein völlig unbeleuchtetes Thema zu sein, dabei gab es genug Gifte und Tränke, die jemanden mit Leichtigkeit töten könnten.
Nein, vermutlich steckte etwas anderes dahinter und sie wollte und musste herausfinden, was.
Könntest du die Wahrheit ertragen? Willst du wirklich wissen, warum sich die beiden auf diesen Plan, diese Absprache geeinigt haben?, wollte die moralische Instanz in ihr wissen.
Severus hatte ihr nicht den Eindruck vermittelt, dass er vollkommen d'accord damit war, im Gegenteil, dass der Schulleiter das von ihm verlangte schien ihn furchtbar wütend zu machen, er wirkte so handlungsunfähig, so verzweifelt, was, wenn man es genau betrachtete, kein Wunder war.
Er kannte ihn seit er hier zur Schule gegangen war, er war sein Mentor, zumindest hatte Hermine früher den Eindruck, ihn und Dumbledore verband eine ganze Menge, auch wenn sie nie dahinter gestiegen war, was genau es war.
Das, was sie mittlerweile von Severus über ihre Verbindung wusste, klang allerdings nur halb so rosig.
Dumbledore hatte ihm nicht die Chance gegeben ein anderes Leben zu führen, viel mehr war es eine Entscheidung, dafür oder dagegen, vielleicht an eine Art Bedingung geknüpft.
Warum sonst konnte der alte Mann all das von ihm verlangen?
Es war zum Haare raufen.
Es gab so viele Möglichkeiten was genau passiert war, dass sie wahrscheinlich nie auf die richtige Lösung kommen würde.
Ein paar Stunden später klopfte es an ihrer Tür, sie hatte die ganze Zeit damit verbracht ihr Hirn zu zermartern, auch wenn sie genau wusste, dass es nicht bringen würde und auch nichts an der Situation änderte, selbst wenn sie auf die richtige Lösung gekommen wäre, was nützte es?
Was hätte sie machen können, um Severus oder auch Dumbledore zu retten?
Obwohl sie mittlerweile nicht einmal mehr glaubte, dass der Schulleiter gerettet werden wollte, er schien sich in seiner Rolle als heimlicher Märtyrer wohl zu fühlen, so wohl wie man sich mit der stetig-wachsenden Gewissheit zu sterben wohl fühlen konnte.
Mit einem verbissenen Ausdruck ging sie zur Tür, öffnete sie und stand Harry gegenüber, der sie wieder einmal besorgt musterte, „Hey...", seine Augen huschten über ihr Gesicht, „wie geht es dir?"
Hermine nahm einen tiefen Atemzug, „mein Kopf dröhnt...", was noch untertrieben war, „aber ist schon in Ordnung..."
Harry nickte, „ich hab hier die Aufgaben", hielt ihr die Unterlagen hin, die sie bearbeiten musste.
Mit einem dankbaren Lächeln nahm sie ihm die Unterlagen aus der Hand, „kann ich dich etwas fragen?", sie musste einfach die Chance ergreifen Harrys Meinung zu diesem Thema einzuholen, immerhin verbrachte er im Moment sehr viel Zeit mit ihm.
„Klar", Harry nickte.
„Wie geht es Dumbledore?"
Der Dunkelhaarige sah sich ein wenig auf dem Gang um, ging dann ein Schritt näher zu ihr, „was meinst du?"
„Immer wenn ich ihn sehe wirkt er so nachdenklich... beinahe schon fieberhaft... seine Hand ist schwarz...", Hermine erzählte bewusst nur das offensichtliche, dass seine Hand schwarz war, war mit Sicherheit allen Schülern mittlerweile aufgefallen, auch wenn er oft versuchte sie ein wenig zu verdecken.
„Er hat mir nicht genau gesagt, was mit seiner Hand ist... er sagte nur, dass es eine interessante Geschichte sei...", sagte Harry leise, er konnte Hermine nicht verübeln solche Gedanken zu hegen, er selbst lag nächtelang wach und fragte sich, was Dumbledore vorhatte, warum er immer mal wieder die Schule verließ, warum er jeden Tag blasser aussah und er konnte nicht bestreiten, dass auch er eine Besorgnis fühlte, dass irgendetwas schreckliches passieren würde.
Offenbar wussten wirklich nur Dumbledore und Severus was passiert war und was noch passieren würde, mit Ausnahme von Hermine.
Es war nicht fair, dass sie besser darüber Bescheid wusste, was noch passieren würde als Harry, es war nicht fair, dass er bald noch einen geliebten Menschen verlieren würde und das auf so eine grausame Art und Weise.
„Mach dir keine Sorgen, Mine", versuchte Harry sie aufzumuntern, „alles wird gut."
Nein wird es nicht!, dachte sie, verschloss diese Gedanken allerdings schnell wieder, setzte ein gespieltes Lächeln auf und nickte, „du hast recht... Danke nochmal für die Aufgaben... die werd ich gleich mal erledigen...", verabschiedete sich dann von ihm und schloss die Tür.
Einen tiefen Atemzug nehmend warf sie die Unterlagen auf ihr Bett, strich sich über das Gesicht und schüttelte den Kopf.
Sie brauchte frische Luft, diese ganzen Lügen und Wahrheiten erzeugten einen unangenehmen Druck in ihrem Magen, eine tiefgreifende Übelkeit, die zwar betäubt war, wenn sie mit Severus Zeit verbrachte, aber immer öfter an die Oberfläche drang, wenn sie alleine war.
Ruhelos nahm sie die Aufgaben vom Bett, setzte sich an ihren Tisch und bearbeitete die Aufgaben für den kommenden Unterricht.
Auch wenn sie für die nächste Stunde ein wenig abgelenkt war, als sie den Stift zur Seite legte und ihre Gedanken nicht mehr auf Verwandlung und Zauberkunst fokussiert waren, schwappten die Sorgen wieder über sie.
Sie zog sich eine Strickjacke über, verließ dann schnell ihre Räume, nahm die Treppen und lief fahrig durch die Eingangshalle in den Innenhof, atmete einige Male tief ein und aus, als sie an die frische Luft kam.
*
Während Hermine auf den Ländereien versuchte ihre Gedanken ein wenig zu beruhigen, kämpfte Severus in den Kerkern immer noch mit den Auswirkungen der Folter durch den Dunklen Lord, ohne Hermine würde er vermutlich immer noch auf der Couch liegen und in einem sehr viel schlechteren Zustand zugegen sein.
Die Wut, die er fühlte, galt nicht ihr, sondern dem Dunklen Lord und Dumbledore und trotzdem hatte er sie an ihr ausgelassen, wieder einmal.
Es tat ihm in dem Moment leid, als die Worte aus seinem Mund gestolpert waren, aber ihre ständige Fragerei und der Wunsch nach Erkenntnis und Aufklärung machten ihn rasend, warum konnte sie es nicht einfach gut sein lassen?
Er hatte ihr schon mehr verraten als gut und richtig für sie beide war und trotzdem bohrte sie immer weiter nach.
Er hatte immer wieder den Blick vor Augen, mit dem sie ihn ansah, so enttäuscht und wütend, er konnte es ihr nicht verübeln, aber anders als von ihm gedacht richtete sich die Enttäuschung und die Wut nicht unbedingt nur auf die Tat, die er begehen musste sondern auf das, für sie offenbar, mangelnde Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte, auch wenn das eine sehr subjektive Sicht auf die Dinge war.
Humpelnd und immer noch mit Schmerzen im Oberkörper schleppte er sich in sein Privatlabor, suchte nach Aufpäppel-und Schmerztränken, die eine etwas stärkere Wirkung hatten als die üblichen und kippte sich, als er das Gesuchte gefunden hatte, gleich zwei von jedem Trank in den Hals.
Er atmete einige Male durch, testete den Bewegungsradius seines Brustkorbs aus und stellte erleichtert fest, dass das unangenehme Bohren seiner Rippen langsam abklang.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top