Kapitel 45: Reflektion


Hermine stand am Gleis als der Zug mit Harry, Ron, Ginny, Dean, Lavender und all den anderen Schülern, die die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbrachte, abfuhr, sie winkte ihnen hinterher, wie Hagrid es in den ersten Jahren, als sie alle noch klein waren, immer tat.
Als der Zug schon lange hinter einer Biegung und der Landschaft Schottlands verschwunden war, löste sie sich langsam aus ihrer Trance, zog sich die Strickjacke näher um den Körper und machte sich auf den Weg zurück zum Schloss.
Sie verzichtete auf eine der Kutschen, die von den sanften Thestralen gezogen wurden, lief stattdessen langsam und bedächtig durch den frischen Schnee, der unter ihren Schuhen knatschte.
So einsam sie sich in diesem Moment auch vorkam, es hatte etwas friedliches, beinahe schon verträumtes, den Weg zu Fuß nach oben zum Schloss zu nehmen.

Nach einem halbstündigen gemächlichen Marsch, erreichte sie die alte Holzbrücke, die sie mit einem kleinen wehmütigen Lächeln überquerte, wie oft hatten sie von hier auf die Ländereien geblickt, wie oft waren sie über die Brücke zu Hagrid gerannt, der sie stets mit offenen Armen und einem heißen Kakao empfing.
Sie erinnerte sich an die Gespräche, die sie hier mit Harry geführt hatte, als Hogwarts Schauplatz des Trimagischen Turniers war, „sie testen eurer Können... eure Fähigkeiten... ich hab Angst um dich, Harry...", mittlerweile wünschte sie sich sogar die Drachen und Wassermenschen zurück, gegen die Harry antreten musste.
Sie wünschte sich die Zeit zurück, als sie noch keine Ahnung von den Schrecken Voldemorts und seinen treuen Gefolgsleuten hatte, als das alles noch nur eine Übung war, ein Test, ein Versuchen; aber das war es schon lange nicht mehr und das würde es auch niemals mehr werden.
Es ging nicht länger nur um Noten, sondern immer mehr um das nackte Überleben, selbst in dieser sicheren Umgebung wie Hogwarts.

Mit einem undefinierbaren Gefühl stand sie vor dem großen Eingangstor, besah sich das alte Holz mit den Verzierungen und die Schlösser, die auch in diesen Zeiten wieder zum Einsatz kamen.
Wenn Dumbledore nur wüsste, was in diesen Mauern vor sich geht..., dachte sie müde, sie hatte keine Kraft mehr sich darüber aufzuregen, was der Mann in den Kerkern für Spielchen spielte, was er plante oder vorhatte, sie wünschte sich nur, dass all das endlich aufhörte.
Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Snape doch zu den Bösen gehört, motzte die nervende Kopfstimme, egal, was zwischen euch passiert ist, er war, was das anging, doch immer ehrlich!
Konnte sie sich da so sicher sein?
Vielleicht hatte er ihr nicht nur einmal das Blaue vom Himmel gelogen, sondern vielleicht war einfach alles, jede Wort aus seinem Mund, falsch.
Sie würde es nie herausfinden und das fuchste sie ungemein, auch, wenn sie diese Tatsache nicht zugeben wollte.
Sie wollte nicht zugeben, dass, so sehr sie ihn auch verachtete, er immer noch einen sehr großen Einfluss auf sie hatte.

„Miss Granger", eine beinahe schon empörte, alte, ihr nur allzu bekannte Stimme zog sie aus ihren Gedanken, „warum stehen Sie hier nur in Strickjacke vor dem Tor?", wollte McGonagall wissen, musterte sie ausgiebig.
„Ich hab Harry und die anderen zum Bahnhof gebracht, Professor", erklärte sie nach einem kurzen Schrecken, sie war durchaus froh, dass McGonagall nicht in Okklumentik geübt war.
McGonagall nickte, „bitte gehen Sie ins Schloss oder ziehen Sie sich etwas dickeres an...", eine deutliche Sorge legte sich in ihre Stimme, was Hermine ein kleines Schmunzeln auf die Lippen zauberte.
„Ich wollte gerade rein", stimmte Hermine zu, folgte dann ihrer Hauslehrerin, die sie auffordernd ansah, als sie die Tür öffnete und wieder ins Schloss trat, „ach... ist Professor Dumbledore eventuell zu sprechen?", wollte Hermine so unverfänglich wie möglich wissen.
„Professor Dumbledore ist zurzeit nicht im Schloss... hat Ihnen Potter nicht Bescheid gesagt? Er wird erst im nächsten Jahr wieder hier sein..", ihr aufmerksamer Blick flog über ihr Gesicht.
„Nein... das hat er nicht gesagt", Hermines Gedanken rasten.
„Gibt es etwas, über das Sie reden wollen, Miss Granger?"

Hermine schluckte, nun hatte sie die Möglichkeit, sollte sie McGonagall wirklich reinen Wein einschenken?
Sollte sie das große Geheimnis, was sie belastete verraten?
Ihn und vor allem auch sich selbst in ein so schlechtes Licht stellen?
„Ich...also...wenn ich ehrlich sein soll-"
„Ich störe wirklich nur ungern", mischte sich aus dem Nichts eine dunkle Stimme ein, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, „Minerva... hätten Sie vielleicht eine Minute? Es geht um die Wichtel...", Snapes Blick glitt, wenn sie es nicht besser wüsste, beinahe fiebrig über Hermine, verschloss dann wieder seine Miene und richtete seine Aufmerksamkeit auf McGonagall.
„Was ist denn nun schon wieder mit den Wichteln?", fragte sie aufgebracht, „Filius sollte sich doch darum kümmern."
Snape nahm einen tiefen Atemzug, „ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum Flitwick es nicht geschafft hat", verdrehte ungesehen die Augen.
Genervt seufzte die stellvertretende Schulleitung, „was wollten Sie gleich sagen, Miss Granger?"
Hermine schüttelte den Kopf, „ist... nicht so wichtig... es ging um... meine Eltern, aber... das mit den Wichteln scheint dringender zu sein.", sah flüchtig zu Snape, der einen ganz merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht trug und lächelte dann gespielt zur Schulleitung.
„Wenn Sie wollen, dann kommen Sie nachher in mein Büro... ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden.", McGonagall täschelte aufmunternd ihre Schulter, lief dann im Stechschritt in die Große Halle, Snape verweilte für einen kurzen Moment bei ihr, sie spürte seinen Blick auf sich ruhen, ein beinahe unaushaltbares Gefühl kroch durch ihren Bauch.

Warum konnte er nicht einfach gehen?
War das eine Strafe?
Hatte er Angst, dass sie ihn verraten würde?
Und war diese Angst nicht vielleicht berechtigt?
Hatte sie nicht genau das vorgehabt?

Noch bevor sie zu irgendeiner Handlung im Stande war, hörte sie das schnelle Rascheln von Stoff auf dem Boden, Snape lief genauso schnell wie McGonagall in die Große Halle und ließ sie stehen, verwirrt, allein und mit einem aufkeimenden schlechten Gewissen.
Mit gesenktem Kopf lief sie durch die Eingangshalle, nahm die Treppen nach oben und ging geradewegs in ihre Räume.
Wie sollte sie die Ferien nur ganz allein aushalten mit der Möglichkeit ihm zu jeder Tagesstunde begegnen zu können?
Warum war sie nicht Ginnys Einladung gefolgt, Molly und Arthur hätten sie aufgenommen wie ihr eigenes Kind, sie hätte sich von Freds und Georges Scherzen ablenken lassen können, hätte mit Tonks und Remus reden können, hätte Harry und Ron dabei zusehen können wie sie im Affenzahn durch den Garten gesaust wären und weitere Quidditch-Züge geübt hätten.

Kannst du vielleicht einmal aufhören in Selbstmitleid zu baden? Du hast dir das alles selbst ausgesucht! Du wolltest nicht nachhause, du wolltest nicht in den Fuchsbau, du hast dich auf diesen unbekannten Todesser eingelassen... niemand hat dich zu irgendetwas gezwungen, jetzt leb verdammt nochmal mit den Konsequenzen!, motzte die Kopfstimme, brachte damit alle anderen Gedanken zum Schweigen.
Im Grunde hatte sie recht, es waren alles ihre eigenen Entscheidungen gewesen, die sie selbst zu verantworten hatte, aber es war so viel einfacher sich für getroffene Entscheidungen zu bemitleiden, anstatt etwas an der Situation zu ändern, auch, wenn das mehr als untypisch für Hermine Granger war.
Sie hatte das Gefühl in einem Strudel gefangen zu sein, aus dem sie nicht mehr entkam, es schien nichts könnte diese Abwärtsspirale durchbrechen; ihr fehlte die Kraft, die Motivation und ein richtiger Grund, als hätte das Aufdecken von Snapes Geheimnis ihr jegliche Form von Halt geraubt und nun fiel sie immer und immer tiefer in ein bodenloses Loch, was sich in den nächsten Tagen und Wochen auch nicht ändern sollte.

*

Nacht für Nacht verging und Hermine blieb in diesem Zustand von Einsamkeit und Haltlosigkeit, sie war mit ihren Gefühlen vollkommen überfordert. An manchen Tagen erreichten Briefe aus dem Fuchsbau sie, Ginny hielt sie auf dem Laufenden, schrieb von einem ominösen Vorfall, den sie lieber unter vier Augen erzählen wollte und tatsächlich lenkten diese wenigen Zeilen sie ein wenig ab, aber nicht für lange.
Immer öfter träumte sie von dem Todesser, der sich am Ende jeden Traumes immer wieder selbst demaskierte und als Severus Snape vor ihr stand und jedes Mal wachte sie mit pochendem Herzen und einer gehörigen Portion Panik im Körper auf.
Nach guten zehn Tagen konnte sie sich selbst nicht weiter belügen, sie vermisste ihn immer mehr, wollte ihn umarmen und küssen und gleichzeitig hasste sie ihn und sich dafür, dass sie ihm so verfallen war.

Sie erwischte sich immer öfter dabei, wie sie an die gemeinsam verbrachte Zeit dachte und sich versuchte vorzustellen, wie sie mit Snape in ihrem Bett lag, wie er ohne Maske neben ihr saß, ihr so vorsichtig und bedächtig näher kam, sich so lange dagegen sträubte die Nähe und Intimität zu und mit ihr zuzulassen.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie er sich fühlte, als er bei ihr war, mit dem Wissen, dass er in sich trug; das alles erklärte nun immer mehr, warum er so verhalten und unschlüssig war, vermutlich quälte ihn jedes Mal, wenn sie sich sahen, ein derart schlechtes Gewissen, weil er seine Position so sehr ausnutzte.
Das wiederrum quälte nun Hermine, sie wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte, auch wenn sie sich durch ihn mehr als schlecht in den letzten Wochen gefühlt hatte, aber tief in ihr war da der Wunsch und die Hoffnung, dass zumindest ein wenig von dem, was er gesagt und getan hatte, aufrichtig war.
Aber selbst wenn etwas von dem echt und aufrichtig war, was hatte das Ganze für einen Wert, für eine Bedeutung?
Was hätte sie mit dieser Gewissheit anfangen können, außer noch mehr Leid und Einsamkeit zu fühlen?
War es in dem Fall nicht vielleicht sogar gnädiger das alles als Lüge zu betrachten?
Als Schauspiel und Maskerade?
Weder die eine noch die andere Option beruhigten sie in irgendeiner Weise und schon bald nach dem Jahreswechsel trafen die ersten Schüler wieder im Schloss ein, Weihnachten hatte Hermine in diesem Jahr an keinem Tag gefeiert, auch wenn sie von ihren Eltern ein großes Paket bekommen hatte, was immer noch eingepackt auf einem Stuhl stand.

Als Harry, Ron und Ginny am Freitagnachmittag wieder kamen, wartete Hermine bereits im Gryffindorgemeinschaftsraum auf sie, wurde von Ginny und Harry in den Arm genommen, gerade als Ron sie begrüßen wollte, sprang Lavender von hinten auf ihn, hielt sich an ihm fest, wie ein wildgewordenes Klammeräffchen und drückte ihm auf jeden Zentimeter, den sie berühren konnte, Küsse auf.
„Jetzt weiß ich auf jeden Fall, was mir gefehlt hat in den letzten zwei Wochen", kommentierte Ginny genervt, zog sich dann mit Harry und ihr in eine ruhigere Ecke zurück, „hier, das soll ich dir von Mum geben... ein kleines Weihnachtsgeschenk.", Ginny zog ein recht mitgenommen-aussehendes Geschenk aus ihrer Tasche und drückte es ihr in die Hand.
„Ich hab überhaupt nichts für euch", sagte Hermine schuldbewusst, sah zwischen Harry und Ginny hin und her.
„Das macht nichts", Harry drückte ihre Hand, „ich bin einfach nur froh, dass wir alle gesund sind."
Ein fragender Blick schlich sich auf Hermines Gesicht, den er durchaus wahrnahm, seufzend rückte er ein wenig mehr zu ihr, „ein paar Tage nach Weihnachten, als Tonks und Remus zu Besuch waren, wurde der Fuchsbau angegriffen", fing er leise an.
„Was?!"
„Sie haben das Haus in Brand gesetzt", fuhr er fort.
„Was?!", wiederholte Hermine noch aufgewühlter, „Wer?"
„Todesser", Ginnys Gesicht trug einen merkwürdigen Ausdruck.
„Ist jemandem etwas passiert? Habt ihr gesehen... wer...", Hermines Herz pochte unangenehm in ihrer Brust.
„Nein... zum Glück war niemand mehr im Haus... Bellatrix und Fenrir. Remus und Tonks wollten gerade gehen", Harry Blick glitt zu Ginny, „ich bin nach oben gegangen und dann.."
„Dann war da plötzlich dieser Feuerring, der das Haus komplett eingeschlossen hat...Tonks und Remus haben versucht die Flammen in Schach zu halten...", meinte Ginny.
„Ich bin hinterher... ich wollte sie so unbedingt fassen", Harry ballte die Hände zu Fäusten.
„Du bist was?! Harry, bist du wahnsinnig?", Hermine schüttelte fassungslos den Kopf.
„Ich war ja nicht alleine... Ginny ist hinterher und danach Arthur, Remus und Tonks... sie haben sich, feige wie sie sind, in den hohen Gräsern versteckt..."
„Als sie gemerkt haben, dass so gut wie alle in den Felder waren, um uns zu helfen, sind sie zurück und haben den Fuchsbau in Brand gesteckt", Ginny senkte den Kopf, „ich hab Mum noch nie so gesehen...", sie versuchte die aufkommenden Tränen wegzublinzeln, „aber niemandem ist etwas passiert."

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