Kapitel 106: Staatsfeind No. 1


„Wie gut, dass ich euch kenne", scherzte Remus, ließ den Zauberstab sinken und sah ein wenig anklagend über die drei, dann über den demolierten Tisch, „Walburga würde euch verhexen...", reparierte das Mobiliar mit einem Zauberstabschwenker.
„Kannst du dich nicht vorher anmelden?!", fragte Ron kopfschüttelnd, „Ich meine... wir hätten dich töten können.."
„Ich dachte Dumbledores Schrei wäre Anmeldung genug...", Remus zuckte mit den Schultern.
„Warst du gerade schon mal hier?", wollte Hermine wissen.
„Nein, warum?"
„Hermine meint, dass sie vorhin auch einen Schrei gehört hat", erklärte Harry, räumte einige Bücher zur Seite, damit Remus einen Platz finden würde.
„Ich meine das nicht nur... es war so!", beharrte sie, „Ich bin doch nicht verrückt...", schob sie ein wenig schmollender nach.
„Dieses Haus spielt einem manchmal Streiche", Remus Blick wanderte über die Decke des Raumes, „man hört Dinge.. sieht Sachen... hier sind zu viele Seelen gefangen.
Ron schüttelte sich leicht, „das klingt ja beruhigend..."
„Wahrscheinlich wollte Kreacher euch einfach Ärgern... er hält nicht so viel von Gästen..", meinte Remus schmunzelnd.
„Kreacher haben wir bisher nur einmal gesehen... er hält sich wirklich ziemlich zurück.", Harry sah Remus dabei zu, wie er einige Bücher durchblätterte, „Du kommst nicht ohne Grund, oder?"
„Ich war grad in der Gegend...", druckste Remus herum, konnte die drei damit wenig überzeugen, „ich wollte nach euch sehen... eigentlich... wollte ich euch etwas erzählen."

„Ist etwas passiert? Mit Mum?", fragte Ron, sprang beinahe vom Sofa auf.
„Nein... da ist alles in Ordnung. Der Orden sichert den Fuchsbau Tag und Nacht... Ginny ist in Hogwarts und bis auf einige strengere Regeln geht es ihr und den übrigen Schülern offenbar den Umständen entsprechend gut... Snape hält sich wohl die meiste Zeit in seinem Büro auf...", erzählte er, „nein.. ich dachte nur, dass ich euch das hier nicht verschweigen könnte.", er legte die neuste Ausgabe des Tagespropheten auf den Tisch auf dem ein Bild von Harry die Titelseite zierte.
Harry Potter, Dumbledores Mörder?", las Hermine empört.
„Pius Thicknesse ist Scrimgeours Nachfolger... er steht voll und ganz unter dem Einfluss des Dunklen Lords, ebenso wie der Tagesprophet... sie hetzen die gesamte magische Welt gegen Harry auf und verbreiten Lügen, wo sie nur können...", erzählte Remus beinahe schon erschöpft, strich sich über die müden Augen.
„Das macht die ganze Sache nicht einfacher", Hermine sah von dem Artikel auf, den sie überflogen hatte.
„Sie sortieren mittlerweile auch im Ministerium nach Reinblütern und Muggelstämmigen...", seufzte Remus, „und Harry ist der Staatsfeind Nr.1"
„Dann sollten wir ganz schnell dafür sorgen, dass das alles ein Ende findet.", Harry sah gedankenversunken auf den Artikel und sein Bild.

*

Der vergangene Tag und Remus' Neuigkeiten hatten an Hermines Kräften gezerrt, diese Unruhe, die sich in sie geschlichen hatte, wurde immer größer.
Langsam, aber sicher verlor Hermine die Hoffnung, dass dieses Ausharren sie in irgendeiner Weise voranbringen würde, ganz im Gegenteil. Voldemort, das Ministerium und der Tagesprophet konnten ihre schmierigen Lügen mit jedem Tag, der verging, weiter unter die Leute bringen ohne, dass sie irgendetwas dagegen unternehmen konnte.

Entmutigt ließ sie sich auf die Couch fallen, strich sich über die Augen und stellte sich dann den erstaunten Blicken ihrer Freunde.
„Wir sind einfach noch keinen Schritt weiter...", Bitterkeit schlich sich in ihre Stimme.
„Das wird schon, Hermine... wir haben doch Zeit", meinte Ron schulterzuckend, klopfte ihr auf den Arm.
„Wirklich? Haben wir das?", sie schüttelte genervt den Kopf und stand auf.
„Wo willst du hin?", wollte Harry wissen, wollte ihr schon hinterher, als Ron ihn aufhielt.
„Ich brauch mal ein paar Minuten für mich, okay?", lief dann mit schnellen Schritten aus dem Zimmer und stapfte wütend die Treppen nach oben, flüchtete in das nächstbeste Zimmer, dessen Tür offen stand und tigerte unruhig umher, strich sich angespannt über das Gesicht und nahm einige tiefe Atemzüge, die sie nach und nach beruhigten.
Als sie die Augen schloss und sich von dieser Ruhe, die sich auf sie legte, fluten ließ, bemerkte sie diesen herben Kräuterduft, der sich beinahe unentdeckt im Raum verteilte.

Bei den Erinnerungen, die dieser Duft in ihr auslösten, schlich sich ein warmes Lächeln auf ihr Gesicht.
Sie schloss sanft die Tür, lehnte sich dann mit dem Rücken an das Holz, ließ den Kopf in den Nacken sinken, atmete durch die Nase ein und den Mund aus, legte die Hände an die Tür und fühlte die Beschaffenheit des Holzes.
Als sie langsam die Augen öffnete, dachte sie im ersten Moment eine wunderbare Fatamorgana zu sehen.
Dort an der gegenüberliegenden Wand sah sie eine schwarze Wolke, die sich langsam zu dem dunkel gekleideten Mann formte, den sie schon vor Monaten in den schattigen Umrissen auf der Straße vor ihrem Haus gesehen hatte, „Severus", ein warmes Lächeln schob sich auf ihre Lippen, „ich wünschte du wärst echt..."
„Du solltest aufpassen, was du dir wünschst", flüsterte er dunkel, schluckte die Nervosität hinunter, die sich in ihm aufgebaut hatte.

Als er gemerkt hatte, dass sie tatsächlich das Zimmer betreten würde und die Tür schloss, klopfte sein Herz ihm bis in den Hals, er nahm sofort ihren blumigen Duft wahr, der ihn die letzten Monate vergessen ließ.
„Was machst du hier?", fragte sie mit zitternder Stimme.
„Wenn ich das wüsste...", ein freudloses Lächeln zuckte kurz über seine Lippen, dann musterte er sie beinahe schon mit einem bohrenden Blick, „hast du Angst?"
„Angst?", wiederholte sie fragend, „Vor dir?"
Der unterkühlte Ausdruck auf seinem Gesicht wurde noch ein wenig härter, er nickte.
„Wie könnte ich vor dir Angst haben?", leidend legte sie den Kopf schief, er wirkte so distanziert und reserviert, so vollkommen unnahbar, ganz anders als der Severus, den sie im letzten Jahr in ihr Herz geschlossen hatte, aber all das war kein Wunder; die Welt war mittlerweile ein grausamer Schauplatz.

„Kommst du klar? In der Schule meine ich...", wollte sie wissen, sah traurig über ihn.
„Alle Augen sind auf mich gerichtet, sie warten nur darauf, dass ich einen Fehler mache... sie alle... die Carrows, der Orden, die Schüler, Minerva... der Dunkle Lord...", er nahm einen tiefen Atemzug, „Ich habe mich in 20 Jahren nicht so einsam gefühlt wie in den letzten vier Monaten."
„Ich wünschte ich könnte dir helfen.. irgendwie", Hermine sah traurig über ihn, ging näher zu ihm, als er den Kopf schüttelte.
„Komm nicht näher", er konnte sich selbst nicht ertragen, wie könnte er dann genau das von ihr verlangen?
Er wusste, was der Großteil über ihn dachte, wie verängstigt die Schüler und auch Kollegen waren, wie abschätzig die Todesser über ihn dachten, wie sie ihm weiterhin nicht vollkommen vertrauten, auch wenn der Dunkle Lord es für diesen Moment tat und jeden bestrafte, der sich weigerte sich an Severus' Vorgaben zu halten.

Wie vor den Kopf gestoßen stand sie da, verstand das ganze völlig falsch, als würde er sie nicht vor ihm schützen, sondern ihre Nähe ablehnen.
Sie schluckte den Kloß im Hals herunter, ließ sich von seiner Forderung nicht abschrecken und ging geradewegs zu ihm, sah, wenn sie es nicht besser wusste, eine Art von Panik in seinen Augen, wie ein wildes Tier, welches in eine Ecke gedrängt wurde. Sie ließ sich auch davon nicht beirren, schmiegte ihre Arme um seinen Hals und drückte sich nah an ihn, versuchte ihm diese irrationalen Ängste zu nehmen, die langsam überhandnahmen.

Im ersten Moment wollte er sie von sich stoßen, wollte flüchten, so wie er es immer tat, wollte sich in Rauch auflösen und am liebsten nie wieder zusammensetzen, dieser instinktive Fluchtgedanke wurde immer stärker, dass er sich immer weiter versteifte, bis Hermine sich ein wenig löste und ihn mit einem warmen Kuss aus seinem gedanklichen Gefängnis befreite.
Den einen Arm eng um seinen Hals geschlungen, strich sie mit der freien Hand über seine Wange und durch die Haare und presste leidenschaftlich ihre Lippen auf seine, ließ das Chaos in seinem Inneren im Nu verstummen.
Er fühlte in diesem Moment keine Angst, keine Sorge, keinen Wunsch zu flüchten, sich aufzulösen, alles was er spürte war sie.
Ihre Lippen, ihre Arme, ihren Körper, ihr Wesen welches ihn, nach wie vor, zu begehren schien, unabhängig seiner Taten.

Von diesem inneren Chaos befreit, erwiderte er den Kuss, ließ seine Hände über ihren Rücken und ihr Gesicht gleiten, drückte sie noch ein wenig weiter an sich und küsste sie, bis ihm die Luft ausging und er sich notgedrungen lösen musste.
Hermine keuchte leicht, lehnte erleichtert ihre Stirn an seine, streichelte sanft mit den Fingerspitzen über Nacken und Hals und schmuste anschließend ihre Wange an seine, nahm, fest an ihn gedrückt, einen tiefen Atemzug und genoss diesen Duft, den sie so lange vermisst hatte.
Eine gefühlte Ewigkeit lang standen sie so, fühlten die gegenseitige Zuneigung, schenkten sich Geborgenheit und Berührungen, die tief in die gequälten Seelen drangen, bis Severus sich ein wenig löste, sie mit einem Blick musterte, der in Hermine mehrere Gänsehäute auslöste und ihr Schmetterlinge in den Bauch pflanzte.
„Du hast mir so gefehlt", flüsterte sie, verlor sich in diesen schwarzen Augen, die sie immer weiter verschluckten.
„Du mir auch", gab er dunkel und leise zurück, Bedauern legte sich auf seine Züge, „es tut mir so leid... alles...", er dachte an seinen Besuch vor Monaten in dem ruhigen Londoner Vorort, er musste einfach sehen wie es ihr ging, er dachte an die Schlacht in den Wolken, mit den sieben Potters, er war sich sicher, dass sie einer der gejagten Potters war, dass sie wieder derart in Gefahr gebracht wurde und er auch noch ein Teil der Hetze sein musste, was in diesem Fall aber einem Geschenk gleich kam, denn so konnte er die einen oder anderen Flüche ableiten und im schlimmsten oder besten Fall Leben retten.

Sie schüttelte den Kopf, „dir muss überhaupt nichts leidtun", versicherte sie ihm, „du hast mich gerettet... in der Nacht, in der Harry zum Fuchsbau gebracht wurde... ich habe deine Maske erkannt."
„Du bist mit Kingsley geflogen?", schlagartig wurde ihm bewusst, wie knapp sie am Tod vorbeigeschlittert war.
Sie strich über seine Wange, nickte lächelnd.
„Wer ist mit Lupin geflogen? Mein Fluch hat ihn getroffen, ich hatte auf Rowle gezielt, der Lupin töten wollte... aber der Sectumsempra hat sein Ziel verfehlt", fragte er schuldig, versuchte Wut in Hermines Augen zu finden.
„George... du hast ihn zum ‚Schweizer Käse' gemacht hast.. wie er sagt", lachte leicht, „aber es geht ihm gut. Wirklich."
Severus nahm einen tiefen Atemzug, „leider ist es nicht für jeden gut ausgegangen", seufzte er schuldbewusst, als wäre er derjenige gewesen, durch den Mad-Eye den Tod gefunden hatte.
Er löste sich langsam gänzlich von ihr und setzte sich auf das verstaubte Sofa, strich sich über das Gesicht und ließ den Kopf in den Nacken fallen.

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