Kapitel 9

Noch eine Weile ging das Spiel weiter und ich kam erst einmal nicht mehr dran, was mir gar nicht so unrecht war, immerhin war Jack ständig an der Reihe. „Entschuldigt mich für einen Moment", sagte ich irgendwann und ging in Richtung der Toiletten davon. Es waren bereits mehrere Stunden vergangen, wie mir ein Blick auf die Uhr verriet. Rasch zog ich meinen Lippenstift nach und kehrte dann nach einem tiefen Atemzug zurück zu den anderen. Mia hatte inzwischen einen Knutschfleck am Hals und Alex drehte gerade die Flasche. Schon wieder zeigte sie auf Jack, der ohne zu zögern seine Aufgabe erfüllte. „Tja, dieses Mal musst du aber Pflicht nehmen", riss mich Jack aus meinen Gedanken. Sofort schaute ich auf die Flasche, die auf mich zeigte. Seufzend sah ich auf und blickte Jack direkt ins Gesicht: „Also gut, Pflicht, was ist die Aufgabe?" Ich wollte das einfach nur schnell hinter mir haben. Kurz überlegte er, während er sich im Raum umschaute, doch dann blieb sein Blick auf irgendetwas – oder irgendjemandem – hinter mir hängen und ein hinterlistiges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Das konnte ja mal nichts Gutes bedeuten. „Wir wollen es ja mal nicht übertreiben, also. Siehst du den Mann hinter dir an der Bar?", setzte Jack an. Sofort drehte ich mich um: „Nein!" Ich starrte ihn fassungslos an. „Du weißt doch noch gar nicht, was du machen sollst", beschwerte er sich sofort. Schnaubend schüttelte ich den Kopf: „Das ist Mr. Campbell. Mein Klassenlehrer und der Lehrer, der mich vermutlich am meisten hasst. Also egal was du vor hast, nein. Einfach nur nein." Jetzt war es Jack, der schnaubend den Kopf schüttelte, während June und Mia mich beunruhigt ansahen. Ich sah Jack wütend an. „Du sollst ihn nur um einen Tanz bitten, mehr nicht. Da ist doch nichts dabei", setzte dieser mit einem unschuldigen Blick hinterher. „Er wird so oder so ablehnen", entgegnete ich, während ich etwas nervös mit dem Träger meiner Tasche herumspielte. „Dann spricht ja nichts dagegen, dass du ihn fragst." Es war so klar, dass das jetzt kam. Normalerweise war ich eine der wenigen, die wirklich alles machten, aber das ging wirklich zu weit. Er war immerhin mein Lehrer. „Du kannst natürlich auch dein Kleid ausziehen, wenn dir das lieber ist. An dem ist doch so oder so kaum Stoff dran", fügte Jack nun hinzu. Wieder grinste er mich gehässig an und ließ seinen Blick langsam über mich gleiten, wobei er besonders lange an meinem Ausschnitt hängen blieb. Idiot. „Kannst du vergessen, ich zieh mich nie im Leben in einem Club einfach aus", antwortete ich und in diesem Moment war mir klar, dass er gewonnen hatte, „Wenn ich wieder da bin, bring ich dich um, das kannst du mir glauben." Mit diesen Worten drehte ich mich um und lief auf die Bar zu. Was tat ich hier bloß? Kurz bevor ich an meinem Ziel ankam, drehte ich mich noch einmal um und warf Jack einen Killerblick zu, bevor ich tief durchatmete und die letzten paar Schritte auf Mr. Campbell zuging. Schlimmer kann es ja eh kaum noch werden, er hasst mich so oder so schon.

„Mr. Campbell?" Rückartig drehte er sich um und sah mich überrascht an: „Miss Ustinov? Was machen Sie denn hier? Also, ich meine nicht in dem Club hier, sondern... Wie soll ich sagen, was wollen Sie von mir?" Nun musterte er mich skeptisch von oben bis unten. Nervös biss ich mir auf die Lippe und fühlte mich augenblicklich unwohl in meinem vielleicht doch viel zu knappen Kleid. „Naja, also, ähm...", fing ich zögerlich an, als er mich unterbrach. „Die Anderen beobachten uns." Kurz warf ich einen Blick über die Schulter nur um zu sehen, dass die Blicke meiner restlichen Clique – und Jacks – tatsächlich auf mir lagen. „Ja, ich weiß, wir spielen Wahrheit oder Pflicht", sagte ich seufzend. „Wahrheit oder Pflicht? Deshalb sind Sie hier, oder?" Ich nickte. „Was ist die Aufgabe? Na los, frag mich, was auch immer es ist." Verwirrt sah ich ihn an. Er war gar nicht wütend oder so? Keine Standpauke? „Ähm, also ich soll Sie um einen Tanz bitten", flüsterte ich und senkte den Blick. „Mehr nicht? Na dann." Mit diesen Worten trank Mr. Campbell einen letzten Schluck von seinem Cocktail, stand auf und zog mich am Arm in Richtung Tanzfläche. Verdattert stolperte ich ihm hinterher und öffnete den Mund bereits, um etwas zu erwidern, doch dann schloss ich ihn wieder. Was sollte ich auch sagen? Gerade als Mr. Campbell stehen blieb und sich zu mir umdrehte, endete das Lied, das gerade lief. „Bereit? Dann bekommen deine Freunde die Show, die sie wollen", grinste er leicht und umfasste mit seiner einen Hand meine, während er die andere sanft an meinem Schulterblatt platzierte und mich näher zu sich zog. Zaghaft legte ich meine Hand auf seine Schulter und warf einen kurzen Blick hinter ihn auf meine Clique. Jack konnte sein Lachen offensichtlich nicht verkneifen, doch mit einem Kopfschütteln wandte ich meine Aufmerksamkeit schließlich der Musik zu. Es war ein wirklich schönes Lied und wie ich relativ schnell heraushörte ein Disco Fox. Gut, das war in Ordnung. Kaum hatte ich diesen Gedanken beendet, tat Mr. Campbell bereits den ersten Schritt. Mühelos folgte ich seinen Bewegungen und hatte bald vergessen, mit wem ich eigentlich tanzte. Erst nachdem die Musik verstummte und ich die Arme sinken ließ, wurde mir wieder bewusst, was ich gerade getan hatte. Ich hatte tatsächlich mit dem Lehrer getanzt, der mich vermutlich am meisten hasste, und es hatte sich sogar gut angefühlt. „Danke für den Tanz", murmelte ich etwas verlegen und wollte mich schon abwenden, um zu den Anderen zurück zu kehren, als mich eine Hand am Arm packte und zurückzog. Verwirrt blinzelnd sah ich auf die Hand und dann nach oben, in das Gesicht von Mr. Campbell, das meinem viel zu nah war. „Gestattest du mir bitte noch einen Tanz?", flüsterte er. Kurz zögerte ich, doch dann nickte ich, woraufhin er seine Hände auf meine Taille gleiten ließ. Etwas überrumpelt schnappte ich nach Luft, sagte jedoch nichts. Stattdessen legte ich nun meinerseits die Hände an seine Schultern. Es begann ein sehr langsames Lied, zu dem viele Paare engumschlungen und zum Teil küssend tanzten. Ich fühlte mich etwas fehl am Platz, aber lange hatte ich keine Zeit darüber nachzudenken, denn Mr. Campbell zog mich bereits näher an sich. Nervös schaute ich auf die Seite, dabei glitt mein Blick zu dem Tisch, an dem wir vorhin gestanden hatten. Gerade noch so sah ich, wie auch June und Mia zögerlich den anderen folgten, die bereits davon gingen. Die würden doch jetzt nicht ernsthaft gehen? Da war bestimmt Jack dran schuld. Naja, so konnten sie uns wenigstens nicht weiter beobachten. Dennoch verspannte ich mich spürbar, was auch Mr. Campbell offenbar nicht entging: „Alles in Ordnung?" Seine Stimme war kaum mehr als ein leises Flüstern dicht an meinem Ohr. „Ja, alles gut. Nur meine Freunde haben offensichtlich gerade beschlossen mich alleine zu lassen und zu gehen", seufzte ich. „Tolle Freunde hast du da", lächelte er, „Aber du bist doch gar nicht alleine." Der zweite Teil klang beinahe anklagend, aber das bildete ich mir sicherlich nur ein. Langsam und zaghaft, glitten seine Hände noch ein Stückchen tiefer, bis sie auf meinen Hüften zum Liegen kamen. „Mr. Campbell?" Meine Worte waren so leise, dass ich mir nicht einmal sicher war, ob er mich hörte. Ich verstand einfach nicht, warum er sich so benahm, er hasste mich doch eigentlich. „Was ist Gaya?" Seine Stimme war sanft und ruhig, als er mir antwortete, doch es war etwas anderes, was meine Aufmerksamkeit erregte. Er hatte mich das erste Mal seit ich ihn kannte mit dem Vornamen angesprochen. Erst als ich nun noch etwas darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass er mich schon ein paar Wortwechsel früher angefangen hatte zu duzen. Das kannte ich gar nicht von ihm. Zu sehr von diesen Gedanken abgelenkt, vergas ich schließlich komplett, dass ich ihm noch eine Antwort schuldig war. Er sagte jedoch auch nichts und so schwiegen wir beide, bis das Lied zu Ende war. Danach blieben wir noch einen Moment in der Position stehen, in der wir uns befanden, bevor wir uns schließlich voneinander lösten. Ich wusste nicht, was das war, aber ich traute mich auch nicht danach zu fragen. Für die Tatsache, dass er mein Lehrer war, waren wir uns gerade definitiv zu nah gewesen, doch er schien sich überhaupt nicht daran zu stören. Stattdessen fragte er plötzlich in die Stille zwischen uns hinein: „Darf ich dich auf einen Drink einladen, wenn deine Freunde dich jetzt offensichtlich im Stich gelassen haben?" Ich kann nicht sagen, dass das wirklich unerwartet kam, dennoch war ich einen Augenblick lang zu geschockt um reagieren zu können. Als ich mich endlich wieder gefangen hatte, nickte ich nur und folgte dann Mr. Campbell zu der Bar, wo wir beide auf zwei Stühlen nebeneinander Platz nahmen. Nachdem wir bestellt hatten, herrschte eine Weile noch Stille. Was hätte ich auch sagen sollen? Ohne ein Wort zu sagen, tranken wir unsere Getränke, bis Mr. Campbell irgendwann unser Schweigen durchbrach: „Gaya?" „Hm?" Etwas nervös, was nun kam, trank ich einen weiteren Schluck von meinem – alkoholfreien – Cocktail. „Ich will dir ja wirklich nichts vorschreiben oder so, aber findest du dein Kleid nicht etwas zu gewagt? Es ist immerhin ziemlich knapp, wenn ich das so sagen darf und alle Jungs hier starren dir entweder auf die Brust oder auf den Po", sagte er und ließ seinen Blick erneut über mich wandern. Unsicher, was ich darauf erwidern sollte, biss ich mir nur auf die Unterlippe. Als er mir schließlich direkt in die Augen sah, zuckte ich langsam mit den Schultern. Mehr schaffte ich gerade nicht. „Entschuldige, ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten, ich", fing Mr. Campbell an, brach dann jedoch ab und sah unruhig auf die Seite. So hatte ich ihn ja noch nie erlebt und ich kann ehrlich nicht sagen, ob es mir gefiel oder nicht. „Nein, Mr. Campbell, es ist alles in Ordnung", versuchte ich ihn nun zu beruhigen, „Sie haben doch recht." Vorsichtig lächelte ich ihn an, nachdem er wieder zu mir aufschaute. Auch er lächelte schließlich zaghaft zurück. Einen Moment lang überlegte ich noch, doch dann atmete ich noch einmal tief durch, bevor ich weiter sprach: „Wie wäre es mit noch einem Tanz, um auf andere Gedanken zu kommen?" Vermutlich war das keine gute Idee, aber ich wollte nicht, dass er sich Vorwürfe machte – auch wenn wir uns nicht wirklich ausstehen können. Allerdings würde ein Tanz mir sicherlich auch gut tun um von meinen Gedanken loszukommen. Unsicher sah er mir einen Augenblick in die Augen, nickte dann jedoch und stand auf. Höflich hielt er mir seine Hand hin, die ich nach kurzem Zögern auch ergriff. Nun mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, führte er mich auf die Tanzfläche und legte seine Hand an meine Hüfte. Wenige Sekunden später spielte ein Jive an. Ich mochte Jive an sich zwar, aber nicht mit diesen extrem hohen Schuhen, die ich für heute ausgewählt hatte. Na super. Dennoch versuchte ich mir nichts anzumerken und folgte stattdessen mit einem etwas gezwungenen Lächeln auf dem Gesicht Mr. Campbells Bewegungen.

Kurz darauf waren die Gedanken, die zuvor noch in meinem Kopf gekreist waren, tatsächlich verschwunden und ich konzentrierte mich nur noch darauf, nicht umzuknicken. Eine Zeit lang, ging das tatsächlich gut, doch als Mr. Campbell mich ein weiteres Mal drehen ließ, trat ich ungeschickt auf. Bevor ich überhaupt registrierte was passierte, knickte mein Fuß bereits weg und ich fing an zu fallen. Mr. Campbell reagierte jedoch blitzschnell und ehe ich auf dem Boden landen konnte, hatte er bereits seine Arme um mich geschlungen und hielt mich fest.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top