Kapitel 5
Der Tag verging ohne weitere Zwischenfälle, genauso wie der Rest der Woche. Leider hatte ich noch immer Mr. Campbell in Biologie und auch in Sport. Als Krönung war nun auch noch Jack in meinem Sportkurs, schlimmer ging es wirklich nicht mehr. Wenigstens hatte ich aber noch Sarah, sonst würden die Sportstunden wirklich zur kompletten Hölle werden.
Inzwischen war Freitag und Maya bereits bei April, wo sie übernachten würde. Ich hatte noch gute zwei Stunden bevor ich bei Sarah sein sollte und jeden Augenblick wollten June und Mia vorbei kommen, damit wir uns gemeinsam fertig machen konnten. Bei June und mir ist das zur Gewohnheit geworden und da es Mias erste Party bei uns war, hatten wir sie kurzerhand dazu eingeladen. Ich hatte gerade die Schnittwunde an meinem Arm genauer untersucht und angefangen sie so gut es ging zu überschminken, als es an der Tür klingelte. Lächelnd rannte ich die Treppe runter um Mia und June ins Haus zu lassen. „Schön dass ihr da seid", begrüßte ich die beiden, von denen jede eine große Tasche in der Hand hielt.
Als wir zwei Stunden später bei Sarahs Haus ankamen, waren bereits jede Menge Leute da. Wir hatten riesen Spaß gehabt und die letzten zwei Stunden eigentlich nur gelacht und darüber diskutiert, was wir anziehen sollten. Jetzt trug jede von uns ein Cocktailkleid und ein Paar High Heels in der passenden Farbe: das von June war dunkelblau, Mias lag irgendwo zwischen violett und pink und meins war rot. Meine Wunden waren schon ganz gut verheilt, sodass man sie nur sah, wenn man wusste, wo genau man suchen musste. Kaum hatten wir das Haus betreten, kam Sarah auch schon auf uns zu: „Da seid ihr ja endlich!" Sofort zog sie uns mit sich durch die Menge und drückte jedem ein Glas in die Hand. Skeptisch betrachtete ich die Flüssigkeit darin und gab mein Glas dann an June weiter und schenkte mir ein eigenes mit Wasser ein. Als mein Dad das erste Mal betrunken nach Hause gekommen war, hatte ich mir geschworen nie auch nur einen Schluck Alkohol anzurühren und bisher hatte ich das tatsächlich auch geschafft. June hatte immer mein Glas genommen und es war niemandem aufgefallen. Das war auch der Grund, warum Sarah mir ebenfalls ein Glas in die Hand gedrückt hatte. „Du trinkst keinen Alkohol?", fragte mich Mia, der es aufgefallen sein musste. „Ähm, nein, ich ... habe schlechte Erinnerungen, aber das müssen die anderen nicht wissen, ok?", antwortete ich ihr nervös, worauf sie nur nickte. Erleichtert trank ich einen Schluck von meinem Wasser. Die nächste Stunde verbrachten wir damit zu reden, zu lachen und ab und zu tanzten wir auch. Als Mia, June und ich gerade wieder in die Küche liefen um unsere Gläser aufzufüllen, tauchte plötzlich Robin hinter uns auf: „Da seid ihr ja, ich habe euch schon gesucht. Wir wollen drüben Wahrheit oder Pflicht spielen, kommt ihr mit?" „Natürlich", grinsten June und ich gleichzeitig und zogen Mia mit uns mit bevor sie auch nur irgendetwas sagen konnte.
Als wir uns zu den anderen in den Kreis auf den Boden setzte, fing Sarah bereits an zu erklären: „Wir spielen unsere Variante von Wahrheit oder Pflicht. Das heißt wir drehen eine Flasche um herauszufinden, wer die nächste Frage oder Aufgabe erfüllen muss. Man hat die Wahl zwischen Wahrheit oder Pflicht, so wie normal auch, aber weder Wahrheit noch Pflicht darf öfter als zweimal direkt hintereinander genommen werden. Man darf sich weigern etwas zu beantworten oder zu machen, dafür muss man jedoch ein Kleidungsstück seiner Wahl ablegen. Dadurch wird das Spiel witziger und der Druck die Aufgaben wirklich zu machen erhöht." „Ich würde sagen, dass Geburtstagskind darf anfangen zu drehen", ertönte Jacks Stimme. Der war ja auch hier. Na toll, das konnte ja mal was werden. Jack saß neben Sarah auf der anderen Seite des Kreises und viel mir erst jetzt auf. Gerade lehnte er sich zur Seite und flüsterte Sarah was ins Ohr, woraufhin sie leise loskichern musste. Dann drehte sie die Flasche. Ein paar Runden vergingen mit harmlosen Fragen und Aufgaben, über die wir alle lachen mussten, doch dann drehte Jack die Flasche. Sie wurde immer langsamer, bis sie auf Sarah zeigte und stehen blieb. „Wahrheit oder Pflicht?", fragte er sie schelmisch grinsend. „Pflicht." Jacks Grinsen wurde noch etwas breiter, bevor er ihr die Aufgabe erteilte: „Küss mich. Mindestens fünf Sekunden lang, auf den Mund." Augenblicklich verschluckte ich mich an dem Wasser, das ich gerade getrunken hatte. Wir hatten noch nie Aufgaben, die mehr gefordert hatten als einen Kuss auf die Wange oder ähnliches, das Gleiche galt auch für die Wahrheitsfragen. Das mit dem Kuss würde Sarah doch nicht machen, Jack war schließlich so ein Idiot. Da hatte ich mich aber wohl gewaltig getäuscht. Fassungslos sah ich dabei zu, wie Sarah sich langsam vorbeugte und ihre Lippen auf die von Jack legte. Ohne jeglichen Bemerkungen ging das Spiel weiter, dann landete die Flasche irgendwann auf mir. „Wahrheit oder Pflicht?", fragte mich Robin. „Wahrheit." Einen Moment lang überlegte er, dann stellte er mir meine Frage: „Welche ist deine schlimmste Kindheitserinnerung?" „Der Streit mit meinem Vater in der Nacht als meine kleine Schwester nach ihrer Geburt aus dem Krankenhaus entlassen wurde", antwortete ich. Um ehrlich zu sein war es nicht wirklich ein Streit, aber es war die beste Bezeichnung, die mir einfiel und die Situation damals annähernd traf ohne die Schläge von Dad zu erwähnen. June warf mir einen prüfenden Blick zu, da sie genau wusste, wie sehr mich die Erinnerungen daran mitnahmen. Schnell drehte ich die Flasche. Sie landete auf Mia: „Wahrheit oder Pflicht?" „Pflicht." „Singe dein Lieblingslied und tanze dazu", gab ich ihr die Aufgabe. Kurz überlegte sie, dann stand sie aber auf und fing an zu singen. Sie war wirklich ziemlich gut. Als sie sich erschöpft wieder auf den Boden fallen ließ, erntete sie von allen eine Runde Applaus. Lächelnd drehte sie die Flasche und das Spiel ging weiter. Sam, June, Scarlett, Alex, Sarah, Mia, Jack und dann zeigte die Flasche wieder auf mich. Nein, nicht von Jack. „Wahrheit oder Pflicht?", fragte er mich mit einem teuflischen Grinsen. Bei ihm würde ich sicherlich nie Pflicht nehmen, also: „Wahrheit." „Wann, wo und mit wem hattest du dein erstes Mal?" „Eigentlich sind das ja drei Fragen, aber gut", setzte ich an, „Und es tut mir leid Jack, aber ich muss passen, ich bin noch Jungfrau." Stille. Eine Weile herrschte einfach nur komplette Stille. Nur die Atemgeräusche der Anwesenden im Raum waren zu hören. Dann durchbrach Jack das Schweigen: „Nie im Leben. Dir starren doch alle Jungs hinterher. Darf ich dich an Montag erinnern, als du ins Klassenzimmer getreten bist und die ganzen anderen Jungs dir auf den Ausschnitt gestarrt haben? Mindestens einer von denen ist dir doch schon an die Wäsche." „Nein, die starren immer nur", sagte ich seufzend. Ich hatte jetzt wirklich keine Lust mit Jack darüber zu diskutieren. Er sah mich noch immer ungläubig an, doch ich ignorierte seinen Blick einfach gekonnt und drehte die Flasche erneut. Eine Weile ging das Spiel noch weiter. Die Aufgaben und Fragen wurden immer intimer, mehr und mehr fingen an, sich zu weigern, bis hier eine Jacke, dort ein Hemd und da eine Strumpfhose lag. Ich kam nicht mehr an die Reihe. Um Mitternacht fingen die ersten an, sich zu verabschieden, weil sie am nächsten Tag noch einen Termin hatten oder sie stolperten einfach aus dem Haus, weil sie zu viel getrunken hatten. Irgendwann war nur noch unsere Clique übrig. „Ich glaube, ich sollte auch langsam gehen, ich muss meine Schwester um neun Uhr bei ihrer besten Freundin abholen und ich habe ihr versprochen, dass wir etwas zusammen unternehmen", ergriff ich nun das Wort und verabschiedete mich ebenfalls, „Danke für den tollen Abend, Sarah." „Ich habe zu danken", erwiderte diese mit einem Lächeln und umarmte mich. Auch Mia und June waren aufgestanden. „Soll ich euch mitnehmen?", fragte ich die beiden. Sie nickten und verabschiedeten sich ebenfalls von Sarah und den anderen. Auch die anderen folgten unserem Beispiel, nur Jack blieb gemütlich auf dem Sofa sitzen. „Ich würde noch etwas bleiben, wir sehen uns morgen Mia", verabschiedete er sich knapp. Als Sarah uns zur Haustür gebracht hatte, nahm ich sie noch einmal in den Arm. „Tu nichts unüberlegtes, ja?", flüsterte ich ihr ins Ohr, da ich ahnte, dass Jack nichts Gutes vorhatte. „Ja, ja, mach dir nicht so viele Gedanken, Jack ist doch cool", erwiderte sie locker und schob mich sanft aus dem Haus, bevor sie die Tür zuschlug. Ob das gut ging? Skeptisch schaute ich zurück zum Haus, als wir in mein Auto stiegen, doch June und Mia lenkten mich gleich ab. „Wollt ihr noch bei mir übernachten?", bot ich an. Beide waren sofort begeistert.
Lachend kamen wir an meinem Haus an und gingen in mein Zimmer. Schnell zog ich mein Schlafsofa aus: „Ihr könnt aufs Bett, ich leg mich hier her." Mein Bett war relativ breit, sodass man ohne große Probleme nebeneinander liegen konnte. Nachdem wir uns bettfertig gemacht hatten, legten wir uns hin, doch schlafen taten wir nicht. Eine Weile herrschte Ruhe, dann durchbrach Mia die Stille: „Tut mir leid wegen meinem Bruder vorhin, Gaya. Ich weiß wirklich nicht, warum er so ist. Ich..." Ich setzte mich auf und sah zu Mia, die – soweit ich in der Dunkelheit erkennen konnte – auf dem Rücken lag und an die Decke starrte. „Mia, du musst dich doch für gar nichts entschuldigen. Du kannst ja nichts für deinen Bruder", unterbrach ich sie. „Aber trotzdem, das war nicht in Ordnung von ihm." „Hör bitte auf dir solche Gedanken zu machen. Es ist okay, wirklich." Darauf sagte Mia nichts weiter und irgendwann schliefen wir dann auch ein.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top