Kapitel 4

„Gaya! Maya!", ertönte die wütende Stimme meines Vaters von unten. Seufzend stand ich auf, ging aus meinem Zimmer und die Treppe nach unten. Kaum hatte ich den unteren Treppenabsatz erreicht, schlug mir schon der Alkoholgeruch meines Dads entgegen. Ich hasste diesen Geruch. Jeden Abend, wenn Dad zurückkam, stank er nach Alkohol. Am ersten Abend als er betrunken nach Hause gekommen war, war ich gerade einmal sieben Jahre alt gewesen und war mit Maya auf dem Arm im Wohnzimmer gewesen. Das war bestimmt der schlimmste Abend meines Lebens gewesen. Maya hatte geschrieben wie am Spieß und ich wusste nicht, was ich machen konnte. Das einzige, worum ich mich damals bemüht hatte, war, Maya von Dad fernzuhalten.

Ich hatte kaum unsere geräumige Küche betreten, als ich schon die Hand meines Vaters im Gesicht spürte. Der Knall hallte ohrenbetäubend laut durch den Raum. Hoffentlich hatte Maya das nicht gehört. Es war furchtbar sie fast jeden Abend leise in ihrem Zimmer schluchzen zu hören, bis sie schließlich einschlief. Vor Schmerz verzog ich das Gesicht, bevor ich mich wieder Dad zuwandte. „Warum nimmst du sie schon wieder in Schutz? Sie hat nicht nur meine Frau, sondern auch deine Mutter umgebracht!", schrie mein Vater mich an und schlug mit der Faust in meine Bauch. Stöhnend krümmte ich mich nach vorne. Ich hasste es, dass er mich schlug, aber er war mein Vater. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, mich zu wehren. Der einzige Grund warum ich mich jeden Abend überhaupt dieser Qual stellte und mich nicht einfach in meinem Zimmer einschloss war, dass ich Angst hatte, dass er dann Mayas Tür eintreten würde und sie krankenhausreif schlagen würde oder sogar noch schlimmer. Ein stechender Schmerz an meinem rechten Bein ließ mich wieder auf sehen. Dad stand vor mir, mit einer Tasse in der Hand. Schwer schluckend sah ich auf den Boden, wo Scherben lagen. Dann schweifte mein Blick an meinem brennenden Bein nach oben, an dem nun eine rote Blutspur entlang lief. Er hatte wirklich mit einer Tasse nach mir geworfen? Als ich meinen Blick langsam wieder auf ihn richtete, traf mich bereits die zweite Tasse, dieses Mal jedoch an meinem linken Arm, der ebenfalls sofort anfing zu brennen. Dann trat er wieder einen Schritt auf mich zu und erneut landete seine Hand in meinem Gesicht, bevor er mich unsanft zur Seite schubste, sodass ich ins Straucheln kam und auf dem Boden landete. Er ging derweilen die Treppen nach oben und verschwand in seinem Zimmer. Die Tür fiel mit einem lauten Knall zu. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, aber irgendwie gelang es mir, nicht in den Scherben zu landen.

Eine Weile lang blieb ich einfach nur auf dem Boden sitzen und schluchzte. Er hatte mich nie ernsthaft verletzt, nur ein Haufen blauer Flecken zeugte davon, dass überhaupt irgendetwas passiert war. June und April – Mayas beste Freundin – wussten als einzige die ganze Geschichte. Für alle anderen waren wir die perfekte Vorzeigefamilie. Nach außen ließen wir uns absolut nichts anmerken und selbst die anderen aus meiner Clique dachten noch immer, dass Kasia meine richtige Mutter war. Irgendwann stand ich wieder auf und nahm mir einen Besen und eine Kehrschaufel um die Scherben aufzukehren. Als das erledigt war, stocke ich: auf dem weißen Fliesenboden war ein roter Blutstreifen. Mist, nicht das auch noch. Schnell ging ich zu unserem Erste-Hilfe-Kasten und suchte zwei Verbände heraus, von denen ich mit dem einen mein Bein und mit dem anderen meine Arm verband. Dann ging ich zurück in die Küche und nahm mir einen Lappen um das Blut aufzuwischen. Als ich endlich damit fertig war, räumte ich wieder alles auf und ging dann zurück in mein Zimmer. Während ich mich zum Schlafen richtete, betrachtete ich die Verbände, die meine Schnittwunden verbargen. Maya durfte das nicht erfahren, ansonsten würde sie sich nur noch mehr Vorwürfe und Sorgen machen als ohnehin schon. Seufzend schlüpfte ich schließlich in meinen Schlafanzug und legte mich ins Bett. Es war vergleichsweise noch erstaunlich früh, mir war es recht so, immerhin war ich ziemlich müde von dem frühen Aufstehen am Morgen. Ja, ich war definitiv ein Morgenmuffel. Das war wirklich ein furchtbarer Tag, hoffentlich wurde morgen besser.

Von einem heftigen Schmerz in meinem Arm wachte ich am nächsten Morgen auf. Arg, verdammte Schnittwunden. Ruckartig setzte ich mich auf und schaute auf meinen Arm. Der Verband hatte sich rot gefärbt. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr verschwand ich im Bad. Zum Glück hatte ich noch genug Zeit, bevor Maya kam um mich zu wecken. Als ich die Tür hinter mir verschlossen hatte, fing ich an, den Verband vorsichtig zu entfernen. Eine rote Blutsspur lief von der Wunde nach unten und tropfte auf den Boden. Verwundert, dass sie noch immer blutete, betrachtete ich die Wunde genauer und entdeckte eine Scherbe, die noch in meinem Arm steckte. Kein Wunder, dass ich Schmerzen hatte. Entschlossen biss ich die Zähne zusammen und zog sie heraus, bevor ich sanft etwas Wasser darüber laufen ließ, um das Blut so gut es ging wegzuwaschen. Da aber immer noch Blut aus meinem Arm tropfte, nahm ich mir einen neuen Verband und wickelte ihn wieder um meinen Arm. Schon besser. Dann widmete ich mich der Verletzung an meinem Bein, die zum Glück schon so weit verheilt war, dass ich keinen weiteren Verband brauchte. Erleichtert ging ich zurück in mein Zimmer und zog mich um. Da ich den Verband an meinem Arm und die Schnittwunde an meinem Bein verbergen musste, entschied ich mich für einen klassische Jeans und eine schulterfreie Bluse mit etwas längeren Ärmeln. Gut, dass es heute nicht all zu warm werden sollte. Zufrieden warf ich einen letzten Blick in den Spiegel, bevor ich anfing meine Zähne zu putzen und anschließend meine Haare bürstete. Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich ausnahmsweise noch genug Zeit hatte um mich zu Hause zu schminken, was ich auch direkt tat.

„Gaya, bist du etwa schon wach?", ertönte Mayas Stimme aus meinem Zimmer, als ich es gerade geschafft hatte, den letzten blauen Fleck in meinem Gesicht zu überdecken. „Im Bad", antwortete ich ihr und kurz darauf erschien sie in der Tür. „Wow", staunte sie, als ich mich bereits fertig angezogen zu ihr umdrehte, „bist du aus dem Bett gefallen?" „So ähnlich", erwiderte ich grinsend und legte den letzten Rest Make-Up auf. So früh wie schon lange nicht mehr verließ ich kurz darauf mit Maya das Haus. Während der gesamten Fahrt schnitt keiner von uns den letzten Abend mit auch nur einem Wort an. Als ich vor Mayas Schule hielt verabschiedete ich mich lächelnd von ihr: „Ich hol dich heute Abend dann bei April ab, richtig?" Maya nickte nur. „Hab einen schönen Tag", wünschte ich ihr und fügte dann, um sie noch ein wenig aufzuheitern hinzu, „Und denk dran, heute Mittag gehen Kasia und Dad für eine Woche auf Geschäftsreise." Sofort schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, sodass sie gut gelaunt ausstieg und zu ihren Freunden lief.

Zum ersten Mal– seit ich weiß nicht mehr wann – kam ich mal pünktlich in der Schule an. „Gaya, du bist ja schon da?!", begrüßte mich June überrascht als sie mich sah, „Bist du aus dem Bett gefallen?" „So ähnlich", antwortete ich grinsend. Sie kannte mich einfach zu gut. Sofort zog sie mich ein Stück auf die Seite: „Dein Dad?" Ich nickte. „Was war es dieses Mal?", hackte sie vorsichtig nach. „Zwei Tassen", sagte ich mit Schmerz in der Stimme. Verwirrt starrte sie mich an. „Er hat zwei Tassen nach mir geworfen", fügte ich seufzend hinzu. „WAS?" June sah mich mit großen Augen an, doch ich sagte nichts weiter.

Als wir wieder zurück zu den anderen traten, hatten sich auch die Restlichen der Clique zu uns gesellt. Auch Mia und – leider – Jack standen dabei, Sam und Sarah schienen wieder gesund zu sein und Sarah versuchte verzweifelt Gehör zu finden. „Leute, könnt ihr mal ruhig sein?", versuchte ich Sarah zu helfen. Sofort verstummten alle – bis auf Jack, wie hätte es auch anders sein sollen. „Du schon wieder? Was machst du hier?", fragte er gehässig. Sein Ernst? „Das sind meine Freunde und zufälligerweise gehe ich auch hier zur Schule, aber das tut jetzt nichts zur Sachen", antwortete ich ruhig, „Sarah, was gibt's?" „Danke Gaya, du bist ein Schatz! Also, wie ihr ja wisst habe ich am Freitag Geburtstag und ich wollte euch zu meiner Party einladen. 19.00 Uhr Freitagabend bei mir, ihr habt ja die Adresse", erklärte sie fröhlich, „Mia, Jack, ihr dürft natürlich auch kommen." Nein, nicht Jack! Aber gut, es war nicht meine Party, also konnte ich nichts dagegen sagen und verschwand mit dem Klingeln einfach im Schulgebäude.

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