Kapitel 3
„Hey, Gaya, wie geht's dir? Wie waren deine Ferien?", ertönte eine bekannte Stimme hinter mir. Als ich stehen blieb und mich umdrehte sah ich Scarlett und Alex gutgelaunt auf mich zukommen. Die beiden gehörten genauso wie June, Sarah, Robin und Sam zu meiner Clique. Wir verbrachten fast jede freie Minute zusammen und hatten wirklich immer Spaß. Manchmal machten wir einfach nur einen gemütlichen Filmeabend bei einem von uns, dann gingen wir aber wann anders auf diese oder jene Party. Meistens verbrachten wir die Freitag- und Samstagabende aber einfach in unserem Lieblingsclub, tanzten ein wenig und lachten, redeten oder spielten Wahrheit oder Pflicht. Ich kann nicht mehr sagen, wie es passiert ist, aber das ist vor ein paar Jahren zu unserem Lieblingsspiel geworden – allerdings mit unseren eigenen Regeln – und meistens gesellen sich auch noch einige andere Leute aus unserem Jahrgang dazu und spielten mit. Bei uns war es wirklich nie langweilig und das fanden offensichtlich auch die anderen, immerhin waren wir nun seit vielleicht fünf Jahren DIE Clique der Schule. Alle mochten uns und wollten Zeit mit uns verbringen – oder zumindest fast alle.
Als die beiden schließlich bei mir ankamen, begrüßten wir uns zügig und gingen dann in ein fröhliches Gespräch vertieft zusammen zu unserem Klassenzimmer. Die beiden hatten mit mir Geographie, zum Glück, denn obwohl ich mich mit den meisten wirklich gut verstand und sie mich auch zu mögen schienen, waren wir doch nicht wirklich Freunde. Lachend betraten wir drei das Klassenzimmer, doch in der Tür blieb ich wie erstarrt stehen. Nein, das kann doch nicht sein. Jack stand mitten im Raum und unterhielt sich angeregt mit ein paar Jungs, unter welchen ich unter anderem Ian und Noah deutlich ausmachen konnten. Na super, die beiden hatten schon so immer wieder ein paar fiese Worte für mich übrig, wenn sie sich jetzt noch mit Jack anfreundeten, dann konnte das Schuljahr nur noch eine Katastrophe werden. Doch von denen ließ ich mich nicht so leicht unterkriegen, die wollten Krieg? Den konnten sie haben. „Gaya, alles ok?", riss mich Alex aus meinen Gedanken. Erschrocken sah ich zu meinen beiden Freunden und nickte: „Ja, sorry, ich war nur in Gedanken." Vielleicht hätte ich besser nichts sagen sollen, denn jetzt hatten mich auch die Jungs bemerkt und während manche von ihnen unverhohlen auf meinen weiten Ausschnitt starrten schenkten mir die restlichen nur einen tötenden Blick. „Nicht die schon wieder", durchdrang Jacks gehässige Stimme die Stille, sodass sich auch noch alle, die bisher in ihre eigenen Gespräche vertieft gewesen waren, zu mir umdrehten. Nicht, dass es mich nervös machte oder so, aber ich hasste es einfach von allen angestarrt zu werden und im Mittelpunkt zu stehen. Die sollten sich mal um ihren eigenen Kram kümmern. Noch einmal atmete ich tief durch, dann lief ich einfach von Scarlett und Alex gefolgt durch das Zimmer und setzte mich auf meinen Platz. Die anderen ignorierte ich so gut wie es ging, stattdessen fing ich seufzend an, meinen beiden Freunden von meiner Begegnung mit Jack am Morgen zu erzählen. Ich entschied mich für eine Kurzfassung, sodass ich gerade mit dem Klingeln zu Unterrichtsbeginn fertig war. „Guten Morgen meine Lieben, ich hoffe ihr hattet alle schöne Ferien", begrüßte uns Mrs. Murray lächelnd, als sie den Raum betrat. Sie war meine absolute Lieblingslehrerin. Doch zu meinem Leidwesen ließ sich Jack genau hinter mich auf den Stuhl fallen. Na das konnte ja mal was werden.
Die Stunde verging unerwarteter, aber glücklicher Weise ohne weitere Zwischenfälle, genauso wie der restliche Schultag auch. Leider waren nur Sarah und Sam krank, sodass ich in Musik in den letzten beiden Stunden keine meiner Freunde zur Unterstützung dabei hatte, aber immerhin hatten weder Jack, noch Ian oder Noah mit mir Musik. Als unser Musiklehrer endlich den Unterricht beendete packte ich in Rekordzeit meine Schulsachen zusammen, da ich Maya abholen musste. Sie hatte schon eine viertel Stunde vor mir Schule aus, aber die Zeit nutzte sie immer für Hausaufgaben und störte sich nicht daran, dass sie auf mich warten musste. Aber unser auch so lieber Musiklehrer musste ja unbedingt zehn Minuten überziehen, weil die Klasse so laut gewesen war – ja, ich hatte tatsächlich die gesamte Doppelstunde über kein einziges Wort gesagt.
Als ich aus dem Klassenzimmer stürmte und über den Hof zu meinem Auto eilte, nahm ich meine Umgebung und die anderen Schüler, die kreuz und quer liefen, so gut wie gar nicht war. Das war allerdings nicht gerade die beste Idee, denn so sah ich Jack nicht, der gerade auf der Suche nach Mia über den Platz lief. Bevor ich überhaupt registrierte, was passiert war, saß ich auch schon auf dem Boden. Blinzelnd sah ich nach oben, in das grimmige Gesicht von Jack, der aussah, als würde er sich jeden Moment auf mich stürzen wollen. Schwer schluckend richtete ich mich wieder auf und nuschelte ein leises „Entschuldigung", bevor ich mich an ihm vorbei drückte und zu meinem Auto rannte. Doch weit kam ich nicht, da packten mich schon zwei starke Hände an den Armen und zwangen mich stehen zu bleiben. „Hatte ich dir nicht schon erklärt, dass du mit einer einfachen Entschuldigung nicht davon kommst?", fragte Jack dicht an meinem Ohr. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Der war ja fast noch schlimmer als Mr. Campbell, was wirklich eine Kunst war. „Können wir das morgen klären? Ich muss jetzt los, meine kleine Schwester von der Schule abholen, sie warten schon seit einer halben Stunde auf mich", fragte ich möglichst nett und wand mich geschickt aus seinem Griff. Tja, so ein Selbstverteidigungskurs war doch ganz gut um solchen Typen zu entkommen. Wobei ich Jack nicht in die Kategorie Jungs stecken würde, die sich einen Spaß draus machen Mädchen zu kidnappen und zu vergewaltigen. Verdattert sah mir Jack hinterher, als ich ohne eine Antwort von ihm abzuwarten in mein Auto stieg und davon fuhr. Das letzte was ich im Rückspiegel sah, war wie Mia sich zu Jack gesellte und ihn offenbar aus seiner Starre holte. Wie konnte jemand so nettes wie Mia nur so einen bescheuerten Zwillingsbruder wie Jack haben?
Wie bereits am Morgen fuhr ich viel zu schnelle und – wie hätte es anders sein sollen – legte ich mal wieder eine Vollbremsung vor diesem doofen Blitzer hin.
„Hey Maya, tut mir leid, dass du so lange warten musstest, ich wurde aufgehalten", begrüßte ich meine kleine Schwester als sie ins Auto stieg, „Wie war dein Tag?" „Ganz gut, so wie immer halt und bei dir?" Wenn sie wüsste... „Auch ganz gut, wir haben zwei neue Schüler im Jahrgang, Mia und Jack. Die beiden sind Zwillinge und Mia ist wirklich total nett", antwortete ich ihr mit einem Lächeln. Ich hatte ihr nie etwas von den Zwischenfällen mit Mr. Campbell erzählt und das mit Jack musste sie auch nicht wissen, immerhin hatte sie so schon genug Sorgen. Man müsste blind sein, wenn man nicht sah, wie es sie jeden Abend mitnahm, wenn ich sie ins Bett schickte, weil Dad früher nach Hause kam. Er hatte eine sehr hohe und angesehene Position in einer der reichsten Firmen im Ort – die rein zufälligerweise Kasia gehörte. Kasia war Mayas und meine Stiefmutter. Nachdem unsere Mum vor zehn Jahren gestorben ist, ist Dad in ein Loch gefallen und hat Kasia geheiratet, damit es uns gut ging. Das Unternehmen hatte Millionenumsatz und durch die Heirat hatte Dad finanziell für uns ausgesorgt. Wir konnten uns wirklich alles kaufen was wir wollten – eigentlich. Dad wusste nichts davon, aber Kasia gab uns keinen Cent mehr als unser Taschengeld, das wir – oder eigentlich nur ich – auch schon vor Mums Tod bekommen hatten. Maya war damals noch nicht auf der Welt gewesen. Sie war ein Frühchen und bei der Geburt gab es Komplikationen, weshalb Mum es nicht überlebt hatte. Bis heute gibt Dad ihr anscheinend die Schuld daran, was sie wirklich regelmäßig zu spüren bekam. Oft waren Dad und Kasia aber auf Geschäftsreise, das war die beste Zeit, die Maya und ich hatten. Wenn wir Dads Auto die Einfahrt hochfahren sahen, schickte ich Maya immer sofort ins Bett. All die Jahre hatten weder er noch Kasia sich um sie gekümmert und ich war nicht nur die große Schwester für Maya, sondern auch wie die Mutter, die sie nie hatte. Ich fühlte mich für alles verantwortlich, was Maya passierte und genau deshalb machte ich mir riesen Sorgen um sie. Wenn ich abends mal mit meinen Freunden in den Club ging und Dad nicht gerade auf Geschäftsreise war, bestand ich immer darauf, dass sie bei einer Freundin übernachtete. Das klappte auch immer ganz gut.
„Spielst du was mit mir?", bettelte Maya, als ich das Auto vor dem Haus abstellte und wir ausstiegen. „Natürlich, such du ein Spiel raus, immerhin haben wir noch zwei Stunden bevor Dad nach Hause kommt", antwortete ich grinsend. Kaum hatte ich die Haustür aufgeschlossen, verschwand Maya in ihrem Zimmer um ein Spiel zu holen. Müde streifte ich meine Ballerinas von den Füßen und ging ins Wohnzimmer, wo ich mich aufs Sofa fallen ließ. Keine zehn Sekunden später tauchte Maya wieder auf, mit ihrem Lieblingsspiel in der Hand. Lächelnd fing sie an aufzubauen, während ich noch einmal in der Küche verschwand und uns etwas zum Abendessen machte. Montags war bei uns beiden ein langer Schultag, weshalb es schon vier Uhr war. Um kurz nach sechs Uhr würde Dad kommen.
Mit zwei Tellern in der Hand ging ich zurück zu Maya.Während wir ein paar Runden Mayas Lieblingsspiel spielten, aßen wir, bis dieKirchenglocken schließlich 18.00 Uhr schlugen. Ich seufzte: „Maya, Dad kommtgleich, du solltest hochgehen und dich richten." Ich sprach ernst und sah meinekleine Schwester bittend an. Traurig nickte diese und packte das Spielzusammen, bevor wir gemeinsam die Treppe hochgingen. „Lass dich nicht komplettverschlagen", flüsterte Maya unter einem leichten Schluchzen, bevor sie in ihrZimmer ging und die Tür hinter sich abschloss. Von ihrem Zimmer aus konnte siein ihr eigenes Bad, sodass sie den Raum erst wenn sie am Morgen aufstehenmusste wieder verlassen musste – zum Glück. Wir hatten schon vor langer Zeitausgemacht, dass sie abends ihre Zimmertür abschloss, damit Dad nicht zu ihrkonnte. Ich hingegen ging in mein Zimmer und zog mir eine paar einfache Sachenan. Jetzt hieß es warten, bis Dad kam.
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