Kapitel 2
Als wir an unserem Klassenzimmer ankamen, blieb ich stehen. „Ich will fair zu dir sein", sagte ich ernst und drehte mich zu Mia um, „Mr. Campbell kann es überhaupt nicht leiden, wenn man zu spät kommt – oder er kann mich einfach nicht ausstehen. Naja, vielleicht auch einfach beides, aber auf jeden Fall solltest du dich besser auf eine Standpauke von ihm und ein paar mehr Hausaufgaben vorbereiten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er bei dir eine Ausnahme macht, auch wenn du neu bist." Ich merkte, wie Mia schwer schluckte. „Ach komm, jetzt mach dir keine Sorgen, sein Unterricht ist gut und verständlich und hey, ich lebe noch und dabei kam ich eigentlich das ganze letzte Halbjahr zu spät in seinen Unterricht." Bei den Worten musste Mia losprusten und fing an zu lachen, weshalb auch ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Offensichtlich hatten meine Worte die gewünschte Wirkung auf sie. „Bereit?", fragte ich sie wieder ernst, als sie sich einigermaßen beruhigt hatte mit einem Zwinkern. Sie nickte nur, wobei nicht zu übersehen war, wie sie sich zusammen reißen musste, um nicht wieder loszulachen.
Kaum hatte ich die Tür geöffnet, schoss auch schon Mr. Campbells Kopf zu uns und seine Miene verfinsterte sich: „Miss Ustinov, Sie sind schon wieder zu spät. Ich dachte wir hätten dieses Thema vor den Ferien noch geklärt gehabt. Anscheinend waren diese zu lang für Sie, also was für eine Ausrede haben Sie sich dieses Mal ausgedacht?" Bevor ich auch nur irgendetwas erwidern konnte, trat Mia bereits neben mich: „Guten Tag Mr. Campbell, ich..." Doch weiter kam sie nicht, da Mr. Campbell sie bereits unterbrach: „Oh, Sie müssen Miss McCancey sein. Herzlich willkommen in der Klassen, nehmen Sie doch bitte Platz." Er deutete mit einem Lächeln auf einen freien Stuhl in der ersten Reihe, der genau neben meinem üblichen stand und sah sie auffordernd an. Schnell warf Mia mir einen entschuldigenden Blick zu, den ich mit einem leichten Nicken quittierte, bevor sie der Aufforderung von Mr. Campbell nachkam und sich hinsetzte. Ich wollte ihr gerade folgen, als unser lieber Mathelehrer mich jedoch wieder aufhielt: „Momentmal. Miss Ustinov, kommen Sie doch bitte mal an die Tafel." Seufzend stellte ich meine Tasche ab und ging zur Tafel. Mr. Campbell hatte bereits zwei Funktionsgleichungen angeschrieben. Abwartend sah ich ihn an, als er sich wieder zu mir umdrehte: „Können Sie bitte überprüfen, ob die beiden Funktion mit den Koordinatenachsen einen endlichen Flächeninhalt einschließen und anschließend gegebenenfalls diesen berechnen?" „Aber natürlich doch, Mr. Campbell", antwortete ich mit einer zuckersüßen Stimme, die seine Miene noch etwas grimmiger werden ließ. Gekonnt ignorierte ich ihn und drehte mich stattdessen an die Tafel. Zum Glück hatte ich mir vorhin noch das neue Mathethema angeschaut, denn uneigentliche Integrale hatten wir noch nicht im Unterricht. Erleichtert atmete ich aus und fing an die Aufgabe zu rechnen, wobei ich nicht verhindern konnte, dass sich ein siegessicheres Grinsen auf mein Gesicht schlich. Abschließend unterstrich ich das Ergebnis noch zweimal, bevor ich die Kreide vor Mr. Campbell auf das Pult legte und zu meinem Platz gehen wollte. Die Blicke der gesamten Klasse waren auf mich gerichtet, mal wieder. „Nicht so schnell, Miss Ustinov." Augenblicklich hielt ich mitten in der Bewegung inne und verdrehte genervt meine Augen, bevor ich mich wieder zurück zu Mr. Campbell umwandte: „Was ist denn nun noch?" „Sie haben hier noch etwas vergessen", erwiderte er mit einem teuflischen Lächeln und deutete auf die Tafel, auf der bereits zwei weitere Funktionstherme standen. Ich wollte schon den Mund öffnen, um zu protestieren, aber ließ mich erst gar nicht zu Wort kommen: „Immer noch die selbe Aufgabenstellung." Mit einem bösen Blick schnappte ich mir wieder die Kreide und löste auch noch die nächste Aufgabe ohne Probleme. „Darf ich mich jetzt setzten?", fragte ich dieses Mal mit schneidend scharfer Stimme. Mr. Campbell betrachtete mein Ergebnis noch einen Moment lang, dann nickte er – zum Glück. Ich war schon auf halbem Weg an meinem Platz, als Mr. Campbells Stimme mich noch einmal stocken ließ. „Aber nach der Stunde erwarte ich, dass Sie noch einmal zu mir nach vorne kommen." Er sprach ernst und es war deutlich herauszuhören, dass er keinen Widerspruch zuließ. Ohne ihm zu antworten setzte ich mich an meinen Platz und holte grimmig meine Mathesachen aus meiner Tasche. „Der kann es echt nicht lassen, oder?", fragte mich June von der Seite. June war meine aller beste Freundin, seit ich vor zehn Jahren hier hergezogen war. „Anscheinend nicht", murrte ich und richtete meine Aufmerksamkeit nach vorne. Mr. Campbell hatte bereits angefangen der ganzen Klasse das neue Thema zu erklären – uneigentliche Integrale. War ja mal wieder so typisch, danke auch. Ohne ihm wirklich Beachtung zu schenken, schlug ich mein Buch auf und fing an die Aufgaben zu rechnen. Früher oder später musste ich die so oder so als Hausaufgabe lösen, also konnte ich doch auch jetzt schon anfangen. „Ihr hattet das Thema noch gar nicht? Und trotzdem lässt dich Mr. Campbell so eine Aufgabe vor der Klasse rechnen?", fragte mich nun Mia ungläubig. „Macht er öfter", ich zuckte nur die Schultern und schenkte ihr ein kleines Lächeln, „Ein Wunder, dass er dich verschont hat." Jetzt musste auch Mia lächeln: „Tja, das ist nun mal mein unwiderstehlicher Charme, Gaya." June, Mia und ich mussten bei diesen Worten loslachen, was uns einen ermahnenden Blick von Mr. Campbell einbrachte. War ja klar gewesen. „June, das ist übrigens Mia, Mia, das ist June, meine beste Freundin", wechselte ich das Thema, als Mr. Campbell sich wieder auf die Klasse konzentrierte. „Freut mich dich kennenzulernen, Mia", sagte June freundlich an mir vorbei. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite", erwiderte auch Mia. Ein Glück, dass sich die beiden sofort gut verstanden, Mia war nämlich wirklich sehr nett. „Miss Ustinov", riss mich Mr. Campbells Stimme aus meinen Gedanken, „wollen Sie das neue Thema erklären oder uns an ihrem Gespräch teilhaben lassen oder wären Sie doch so freundlich und würden aufhören Ihre Mitschüler abzulenken. Die wollen im Gegensatz zu Ihnen vielleicht zu hören und etwas lernen." Man, wie ich diesen Typ hasste. Und warum musste ich noch mal ausgerechnet ihn als Klassenlehrer haben? Schnell nuschelte ich ein leises „Entschuldigung", dann wandte ich mich wieder den Aufgaben im Buch zu. Wann war die diese schreckliche Stunde nur vorbei?
Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es – ENDLICH – zur Pause. „Oh Mann, ich dachte schon, die Stunde würde nie enden", sagte ich zu June und Mia, als ich meine Mathesachen in meiner Tasche verstaute. Die beiden stimmten mir lachend zu und packten ebenfalls zusammen. Als wir gerade zur Tür laufen wollten, hielt Mr. Campbell mich mal wieder auf: „Miss Ustinov." „Mist, da war ja noch was", ärgerte ich mich selbst darüber, dass ich vergessen hatte, dass ich nach der Stunde nach vorne kommen sollte, bevor ich zu Mia und June gewandt fortfuhr, „Geht ihr ruhig schon einmal vor, ich komm gleich nach." Doch beide schüttelten nur entschlossen den Kopf: „Kannst du vergessen, wir warten auf dich." Lächelnd ging ich zurück zum Pult. Die beiden waren echt super Freundinnen, die besten, die man sich wünschen konnte. „Miss Ustinov, ich dachte ich hätte mich vor den Ferien klar ausgedrückt was Ihre Zuspätkommen an geht", fing Mr. Campbell ohne umschweifen an. „Es tut mir leid, ich habe verschlafen und dann musste ich doch meine kleine Schwester noch in die Schule fahren und...", fing ich an mich zu rechtfertigen. „Vielleicht sollte ich Ihnen mal einen Wecker kaufen, damit Sie nicht jedes Mal verschlafen", überlegte Mr. Campbell scharf, was mich jedoch nur zum Lachen brachte. Doch schon ein kurzer Blick von ihm genügte, um mich verstummen zu lassen. „Und noch etwas", fuhr er nun ernst fort und sein Blick glitt für einen kurzen Moment auf meinen etwas weiten Ausschnitt, „Ich will Ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu tragen haben, aber für die Schule ist so ein Ausschnitt nicht gerade geeignet." Möglichst unauffällig zupfte ich an meinem Top um es etwas hochzuziehen, doch dabei konnte ich nicht verhindern, dass mir eine unangenehme Röte ins Gesicht stieg. „Kommt nicht mehr vor, versprochen", antwortete ich peinlich berührt und verlagerte nervös mein Gewicht von einem Bein auf das andere. Skeptisch musterte mich Mr. Campbell noch für einen Augenblick, doch dann nickte er ab: „Gut, Sie können gehen." Erleichtert ging ich zu Mia und June, die vor der Tür auf mich gewartet hatten. „Was hat er gesagt?", fragte Mia sofort als ich bei den beiden ankam. „Er hat gemeint, dass er mir vielleicht einen Wecker kaufen sollte, damit ich nicht jeden Tag verschlafe", sagte ich mit einem Schulterzucken gespielt lässig, während wir uns auf den Weg nach draußen machten. „Hat er nicht", prustete June los. „Doch, ich zitiere: „Vielleicht sollte ich Ihnen mal einen Wecker kaufen, damit Sie nicht jedes Mal verschlafen"." Jetzt konnte June gar nicht mehr an sich halten und fing lautstark an zu lachen, was mich und Mia ebenfalls ansteckte. „Oh, Gott", kicherte June, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, „der war echt genial und das hat er wirklich gesagt? Ich kann's gar nicht glauben." So ging das noch ein paar Mal, bis wir den Schulhof erreichten.
„Mia, da bist du ja endlich, wo warst du denn so lange", ertönte eine aufgebrachte Stimme hinter mir. Oh nein, nicht der jetzt auch schon wieder. Langsam drehte ich mich um, nur um zu sehen, wie Jack auf uns zu gerannt kam, doch kaum hatte er mich entdeckt, blieb er augenblicklich stehen: „Nicht die schon wieder. Mia, du kommst jetzt sofort mit mir mit und halte dich von der fern. Du hast heute Morgen doch gesehen, wie die drauf ist." Jack ging mit einem großen Bogen an mir vorbei, griff nach Mias Arm und wollte sie mit sich ziehen, aber diese entriss ihm ihren Arm wieder: „Nein Jack, ich komme nicht mit." Entsetzt starrte Jack seine Schwester an und wollte bereits den Mund öffnen, doch Mia unterbrach ihn, indem sie uns vorstellte. „Das sind June und Gaya", fing sie an und deutete mit der Hand zuerst auf June und anschließend auf mich, „Die beiden sind in meiner Klasse und meine Freundinnen." Jack klappte fassungslos der Mund auf. Der hatte wirklich gesessen. „Hi Jack, freut mich dich kennenzulernen", sagte ich mit zuckersüßer Stimme und lächelte ihn an. Dieser sah immer wieder ungläubig zwischen Mia und mir hin und her, bevor er schließlich sauer davon lief. Natürlich konnte er es nicht lassen und rempelte mich mit seiner Schulter hart an, sodass ich ins Taumeln kam. „Das ist noch nicht geklärt, wir reden zuhause weiter", rief er Mia noch zu, als er den Hof überquerte und in dem Gebäude für Geisteswissenschaften verschwand.
„Wer war das denn?", fragte June verwirrt, als Jack endlich wieder weg war. „Jack, mein manchmal ziemlich nervender Zwillingsbruder", antwortete Mia seufzend, „Und irgendwie scheint er es auf Gaya abgesehen zu haben, im negativen Sinn." Ich zuckte nur die Schulter auf Junes fragenden Blick hin. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was er von mir wollte, aber ehrlichgesagt war mir das auch vollkommen egal. Die restliche Pause über erzählte Mia June, was am Morgen geschehen war, als ich Jack das erste Mal getroffen hatte. Als es zum Pausenende klingelte machten wir uns schließlich auf den Weg zurück in die Klassenzimmer. Ich hatte jetzt Geographie, zu meinem Bedauern weder mit June noch mit Mia, also verabschiedete ich mich vorerst von den beiden.
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