Kapitel 1
„Gaya, wach auf", sagte eine Stimme, während zwei Hände mich sanft an den Schultern wachrüttelten. Müde blinzelnd öffnete ich die Augen. Oh Gott, ich hatte das Gefühl überhaupt nicht geschlafen zu haben. „Was ist denn los?", fragte ich verschlafen und rieb mir über die Augen. „Wir müssen los, die Schule fängt in einer viertel Stunde an", bekam ich sofort die Antwort. Wie konnte man um diese Uhrzeit nur so fit sein? Es dauerte noch einige Sekunden, bevor die Worte wirklich bei mir ankamen. Erschrocken und ruckartig setzte ich mich auf. Verdammt, ich hatte schon wieder verschlafen und dabei hatte ich mir fest vorgenommen mich dieses Halbjahr zu bessern. Vor mir auf meinem Bett saß Maya, meine kleine Schwester, die schon fertig gerichtet war. Ohne sie wäre ich sicherlich an manchen Tagen gar nicht erst in der Schule während der Unterrichtszeit angekommen. „Tut mir Leid", nuschelte ich in ein Gähnen und stand langsam auf, „gib mir fünf Minuten, dann können wir losfahren." Maya nickte nur und ich merkte, wie sie sich ein Seufzen unterdrückte. Im Vorbeigehen drückte ich ihr einen kurzen Kuss auf den Kopf, bevor ich endgültig ins Bad eilte. Als ich in den Spiegel sah, stöhnte ich frustriert auf: Ich hatte furchtbare Augenringe. Wie ich das nur hasste. Aber dafür war jetzt keine Zeit, erst musste ich Maya in die Schule fahren, danach konnte ich das noch überschminken. Es reichte immerhin, wenn ich fast jeden Morgen zu spät kam, da musste Maya nicht auch noch ärger bekommen. Mit meiner Haarbürste in der einen und der Zahnbürste in der anderen Hand hastete ich zurück in mein Zimmer um mich schnell umzuziehen. „Du bist wirklich ein Schatz", sagte ich mit Zahnpasta im Mund zu Maya, die mir bereits ein paar Sachen zum Anziehen auf mein Bett gelegt hatte. Ohne zu zögern schlüpfte ich in den roten Rock – mein Lieblingsrock – und in das einfache weiße Top. Mit einem kurzen Blick in den Spiegel betrachtete ich mich. Das Top war vielleicht etwas weit ausgeschnitten für die Schule, doch das wusste Maya nicht, immerhin war es nicht einmal mein eigenes, sondern das von Sarah – eine gute Freundin von mir. Sie muss es neulich hier vergessen haben. Jetzt hatte ich allerdings keine Zeit mehr mich noch einmal umzuziehen und beließ es dabei. Irgendwie hatte ich es schließlich geschafft meine Haare einigermaßen durchzubürsten und währenddessen meine Zähne zu putzen. Mit wenigen Schritten war ich wieder im Bad, spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken und spülte meinen Mund aus. Als ich die Treppe zur Haustür herunterstürmte band ich meine Haare zu einem einfachen und schnellen Pferdeschwanz zusammen, bevor ich mir meine Tasche über die Schulter warf, in ein mein neues Paar Ballerinas – passend zu meinem Rock in rot – schlupfte, aus dem Haus und in mein Auto eilte. Maya saß bereits auf dem Beifahrersitz und wartete auf mich. „Da bist du ja endlich!", seufzte sie, als ich den Motor startete. Wieder einmal fuhr ich den Weg zu Mayas Schule viel zu schnell entlang. Nur noch ein paar Kreuzungen, dann waren wir da. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich tatsächlich einiges an Zeit aufgeholt hatte, doch als ich um die nächste Straßenecke fuhr, legte ich eine Vollbremsung hin. Das war knapp, warum musste dort auch ein Blitzer stehen? Jeden Morgen entkam ich nur gerade so einem Foto, da ich jedes Mal zu spät daran dachte, dass dieser verdammte Blitzer seit neustem hier stand. Bisher hatte ich das tatsächlich auch geschafft, irgendwie. Erleichtert atmete ich aus. Ich war noch in der Probezeit und konnte es mir einfach nicht leisten meinen Führerschein zu verlieren, immerhin musste ich Maya doch in die Schule fahren. Sie war zwar erst zehn Jahre alt, aber dafür schon richtig anständig und im Vergleich zu den meisten in ihrem Alter sehr erwachsen. Sie war so selbstständiges und im Herbst würde sicher vieles so anders werden, immerhin kam sie dann in die fünfte Klasse und somit auf dieselbe Schule wie ich. Bis dahin waren es allerdings noch ganze sechs Monate und in dieser Zeit konnte viel passieren. Ich seufzte, dann hielt ich an. „Ich hole dich nach dem Unterricht wieder hier ab, ja?", wandte ich mich nun an Maya, da wir angekommen waren. Diese nickte, schenkte mir ein Lächeln als Abschied und stieg aus. Einen Moment lang beobachtete ich noch, wie sie ihre Freundinnen begrüßte, bevor sie mit ihnen dann im Schulgebäude verschwand und es zum Unterrichtsbeginn klingelte. Erleichtert, dass wir es mal wieder rechtzeitig zur Schule geschafft hatten, ließ ich mich in den Sitz sinken und schloss kurz die Augen. Ich hatte noch genau eine viertel Stunde, bis mein Unterricht ebenfalls begann und ich musste wieder zurück an das andere Ende der Stadt, wo auch unser Haus stand. Um diese Zeit brauchte ich zurück etwas länger als hierher. Als ich meine Augen wieder öffnete, wanderte mein Blick in den Innenspiegel und ich schnappte nach Luft. Mist, ich musste mich ja noch schminken! Und dabei hatte ich gerade gedacht, dass ich es ausnahmsweise vielleicht mal doch pünktlich in Mathe schaffen würde. Das hatte sich jetzt aber wohl erledigt. Etwas mühsam fischte ich meine Tasche von der Rückbank und kramte in ihr nach dem Täschchen mit meinen Schminksachen, die ich immer dabei hatte, da ich mich meistens unterwegs schminken musste. Nach vielleicht zehn Minuten hatte ich es endlich geschafft meine Augenringe zu überdecken und mich vollständig zu schminken. Zufrieden betrachtete ich mein Ergebnis, bevor ich den Motor meines Autos erneut startete und mich auf den Weg in die Schule machte. Da ich nun so oder so zu spät kommen würde, machte ich mir erst gar nicht die Mühe mich zu beeilen.
Als ich schließlich mein Auto auf dem Parkplatz abstellte und den leeren Schulhof überquerte, hatte der Unterricht bereits seit zehn Minuten begonnen. Seufzend folgte ich dem Schulkorridor zu meinem Spint und dann zu meinem Klassenzimmer. Um auf eine miese Frage von meinem Mathelehrer vorbereitet zu sein, weil ich schon wieder zu spät kam, steckte ich unterwegs meine Nase in unser Mathebuch um mir das neue Thema anzusehen. Dummerweise bemerkte ich deshalb weder den Jungen noch das Mädchen, die mitten auf dem Gang stehen geblieben waren und sich suchend umsahen, sodass ich in die beiden reinlief. Ein kleiner Aufschrei entrann meiner Kehle, als mir das Buch aus der Hand fiel und ich rückwärts stolperte. „Kannst du nicht aufpassen?", herrschte mich sogleich der Junge an und half dann dem Mädchen, das wegen mir auf den Boden gestürzt war, aufzustehen. „Alles in Ordnung?", fragte er sie sanft. Diese antwortete ihm nur mit einem Nicken, während sie sich den Hintern rieb. Einen Moment lang stand ich einfach nur da und beobachtete die beiden in dem Versuch zu verstehen, was gerade passiert war. Warum standen sie mitten auf dem Weg? Warum waren sie überhaupt noch auf dem Korridor, wenn der Unterricht doch schon begonnen hatte? „Was glotzt du so?", riss mich der Junge harsch aus meinen Gedanken. Verwirrt blinzelte ich, bevor ich mich wieder gefasst hatte: „Entschuldigung." Mehr schaffte ich momentan nicht zu sagen. Oh Gott, ich hatte heute Morgen echt eine lahme Reaktionszeit. Ich glaub, ich bin einfach noch zu müde. Warum musste die Schule auch immer so früh anfangen? Der Junge schnaubte entrüstet: „Mehr fällt dir nicht ein? Du hast meine Schwester umgerannt!" „Lass doch gut sein Jack, sie hat das doch nicht mit Absicht gemacht und es ist ja nichts passiert", nahm mich nun das Mädchen in Schutz. Vorsichtig schenkte sie mir ein leichtes Lächeln, das ich sofort erwiderte. Der Junge – Jack – öffnete bereits den Mund um etwas zu erwidern, aber seine Schwester schenkte ihm einen mahnenden Blick, der ihn verstummen ließ. „Also, wo musst du hin?", ergriff das Mädchen wieder das Wort und schaute – wie ich jetzt bemerkte – auf einen Plan unserer Schule. „Ähm", fing Jack an und schaute auf seinen Stundenplan, „ich hab jetzt Englisch." „Ok, also das ist dann...", das Mädchen legte den Kopf schief und drehte den Plan in ihren Händen. „...den Gang runter, auf den Hof raus und dann das erste Gebäude auf der linken Seite, dort einfach immer geradeaus, dann kommst du genau zu den Englischräume", vervollständigte ich wie automatisch den Satz des Mädchens. Dieses schenkte mir ein Lächeln, bevor sie sich wieder an ihren Bruder wandte. „Genau, also du musst den Gang hier runter, auf den Hof und in das erste Gebäude auf der linken Seite, dann einfach immer geradeaus, bis du bei deinem Klassenzimmer bist", wiederholte sie meine Erklärung und verabschiedete sich dann von ihrem Bruder, „Wir sehen uns dann in der Pause." Jack sah seine Schwester ungläubig an, verabschiedete sich dann aber ebenfalls von ihr und ging an mir vorbei den Gang in Richtung Hof. Dabei konnte er es jedoch nicht lassen mir noch ein paar Worte ins Ohr zu zischen: „Glaub ja nicht, dass du mit so einer einfachen Entschuldigung davon kommst." Fassungslos starrte ich ihm noch einen Augenblick hinterher, bis er schließlich aus meinem Blickfeld verschwunden war. Kopfschüttelnd drehte ich mich zurück zu dem Mädchen. „Vergiss es einfach. Er meint es nicht immer so, wie er sagt", das Mädchen zuckte mit den Schultern, „Er spielt einfach gern großer Bruder, dabei bin fünf Minuten älter." Grinsend streckte sie mir ihre Hand entgegen: „Ich bin übrigens Mia und das da war mein manchmal ziemlich bescheuerter Zwillingsbruder Jack." „Gaya", erwiderte ich mit einem freundlichen Lächeln und nahm ihre Hand entgegen. Als Mia ihren Blick wieder auf den Plan sinken ließ und frustriert aufseufzte konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen: „Ihr seid neu hier, nicht wahr?" „Ist das so offensichtlich?" „Was hast du denn jetzt?", fragte ich sie hilfsbereit, anstatt ihr auf ihre Frage zu antworten. „Mathe, bei Mr. Campbell", antwortete sie. „Na dann komm mal mit, da muss ich auch hin", sagte ich, während ich mich nach meinem Mathebuch bückte und sie am Arm mit mir mitzog.
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