Das Konzert des Grauens
Der Job bei der Feuerwehr ist alles andere als einfach. Doch schon von Kindesbeinen auf hat mich die Feuerwehr fasziniert: Die großen roten Fahrzeuge, das Blaulicht, die Sirenen, Uniformen, Kameradschaft... In meiner Jugend war ich schon sehr aktiv bei der freiwilligen Feuerwehr bei uns im Dorf und brachte mich ein, wo es nur ging. So war es wenig verwunderlich, dass ich nach der Schule auch bei der Berufsfeuerwehr in der nächstgelegenen Großstadt landete.
Manchmal hat der Beruf auch seine Vorzüge, das muss ich eingestehen! Bald war zufällig so eine seltene Gelegenheit, in der es sehr angenehm sein konnte, bei der Feuerwehr zu sein:
Auf den Residenzplatz fand ein Rockkonzert der Band „Toxic Children" statt. Das war eine weltbekannte Punkrockband aus den Vereinigten Staaten und derzeit echt angesagt.
Weil zu der Show auch eine aufwendige Show mit Feuereffekten dazugehörte, war ich mit der Feuerwehr vor Ort, nur zur Sicherheit natürlich. Dass hier wirklich etwas passieren würde, ahnte keiner von uns und so interpretierten wir diesen Einsatz eher als „VIP-Ticket", das uns ermöglichte beim natürlich restlos ausverkauften Konzert anwesend zu sein. Natürlich mussten wir unsere Berufskleidung tragen und achtsam bleiben, um im Notfall einsatzbereit zu sein, wenn aber nichts passierte, konnten wir genau wie die Zuschauer das Konzert genießen. Dass es Streitereien in unserer Truppe gab, wer hier teilnehmen darf und wer nicht, brauche ich dir gar nicht zu sagen, du kannst dir sicher denken, was das für ein Chaos war und was nicht alles für Diskussionen geführt werden mussten.
Tja, was soll ich sagen? Ich war dabei! Und neben mir und den anderen auch Tina.
Womit ich zur eigentlichen Motivation meiner Teilnahme an diesem Einsatz komme: Ich bin kein besonders großer Fan von den „Toxic Children" und hätte diese Veranstaltung auch auslassen können. Ich hatte mich allerdings schon einige Zeit in meine äußerst attraktive Kollegin Tina verguckt und ich sah hier die Gelegenheit ihr etwas näher kommen zu können.
Sie war noch nicht allzu lange unserer Wache zugeteilt und war etwas schüchtern. Ich hatte nur ein paar Mal mit ihr geredet, aber es waren angenehme Gespräche gewesen und sie war mir sofort sympathisch. Ich wusste nicht genau, wie sie von mir dachte, aber ich hatte sie auch schon zum Lachen gebracht. Es war nicht nur so ein zögerliches Kichern gewesen, sondern sie hatte einen regelrechten Lachkrampf bekommen.
Ihr wunderschönes Lachen sowie ihr traumhaft hübscher Körper, raubten mir fortan regelmäßig den Schlaf und ich musste ständig an sie denken.
Ich hatte von einem Kollegen erfahren, dass sie Single war - Jackpot!
Jetzt ist es natürlich eine schwierige Situation einer hübschen Frau im beruflichen Umfeld Avancen zu machen. Ich sah sie eigentlich nie ohne dass irgendwelche Kollegen anwesend waren und würde ich hier etwas falsch machen, wäre das Geläster natürlich vorprogrammiert. Eine Abmahnung wegen Belästigung wäre auch möglich, wenn ich es zu plump versuchte und sie nicht drauf eingehen würde.
Lange hatte ich gezögert und mit mir gehadert, sämtliche Möglichkeiten und Szenarien durchgedacht, aber wenn man für jemanden schwärmt, ist man ungeduldig und ganz besonders ungeduldig ist man, wenn der Schwarm so eine Bombe ist, die jederzeit weggeschnappt werden könnte.
Ich entwickelte also einen Plan für meinen ersten Schritt in Sachen Tina und da kam mir der Einsatz beim Konzert gerade recht. Er war riskant, aber ich war so ungeduldig und wollte Tina unbedingt für mich gewinnen. Besser jetzt als gleich!
Ich war bei der Einsatzplanung dabei und auch als wir mit dem Veranstalter die Choreographie durchgegangen waren. Ich wusste, wann die Band einen ruhigen Hit spielen würde und das wäre die perfekte Gelegenheit! Ich würde Tina also fragen, ob wir zusammen auf das Dach unseres Einsatzfahrzeugs klettern würden um das Konzert zu verfolgen und dann bei diesem ruhigen Lied würde sie in romantische Stimmung kommen. Dann würde ich all meinen Mut zusammennehmen und den ersten Schritt machen. Wie der aussehen würde? Ja, da war der Plan noch nicht so ganz detailliert...
Sollte ich sie direkt küssen? Darf man eine Frau überhaupt ungefragt küssen? Vielleicht lieber den Arm um sie legen. Oder ihre Hand halten? Ich könnte auch etwas Romantisches sagen? Aber was? An dieser Stelle im Plan musste ich improvisieren, vielleicht gab sie mir ja auch Signale. Hoffentlich erkannte ich die dann auch.
Erste Zweifel kamen in mir auf.
Naja, nur nicht verunsichern lassen. Wie ging denn der Plan weiter? Eigentlich war der Plan damit auch schon vorbei. Eventuell würde sie sich darauf einlassen und wir würden einen wunderbaren romantischen Moment genießen, vielleicht würde sie auch meine Freundin werden. Während ich mir ausmalte, wie ich sie bei der nächsten Familienfeier meinen Eltern vorstellen würde, kam mir die zweite, weniger angenehme Entwicklungsperspektive in den Sinn: Sie könnte mich auch abweisen. Entweder richtig forsch oder auf diese höfliche, respektvolle Art, bei der sie sich irgendeine Ausrede einfallen lassen müsste. Was sie auch wählen würde, ich wäre wohl ziemlich am Boden zerstört. Das dürfte ich mir aber auf keinen Fall anmerken lassen. Ich müsste cool bleiben und positiv denken. Immerhin wüsste ich dann woran ich war und ich könnte mir Tina aus dem Kopf schlagen und wäre bereit für andere Frauen. Andere Mütter haben auch schöne Töchter, oder wie man das auch immer sagt! Hoffentlich würde es in diesem Fall nicht komisch zwischen ihnen werden und sie dürfte auch auf keinen Fall etwas davon zu den Kollegen sagen. Im Falle einer Abfuhr, müssten alle Beteiligten am besten schnellstens den Vorfall vergessen.
Mit jedem Tag rückte das Konzert näher und ich wurde immer aufgeregter. Die Nacht vor dem Einsatz war besonders schlimm und ich machte kein Auge zu. Sollte ich die Aktion besser abblasen? Den Plan, der eigentlich keiner war, einfach nicht realisieren?
Würde ich eine bessere Gelegenheit bekommen?
Ich rang lange mit mir und entschied bei dem Plan zu bleiben. Falls ich währenddessen ein schlechtes Gefühl bekommen sollte, konnte ich ja immer noch abbrechen. Irgendeinen Ausweg fand ich immer, selbst aus den schwierigsten Situationen.
Und dann war er da, der Einsatz! Während meine Kollegen allesamt sehr entspannt waren, war ich es ganz und gar nicht. Genau wie vorher abgesprochen beorderte der Brandmeister die meisten Kollegen in die Nähe der Bühne. Er selbst, Tina und ich würden uns im Einsatzfahrzeug aufhalten, welches einige Meter seitlich neben der Bühne stand. Der Blick auf die Bühne war von hier aus nur in einem sehr spitzen Winkel möglich, aber es war besser als nichts. Im Falle eines Notfalls müssten Tina und ich entscheiden welche Gerätschaften benötigt wurden und mussten sie aus dem Fahrzeug holen. Aber davon ging niemand aus.
Die Mannschaft verteilte sich auf die zugewiesenen Positionen und die Show von „Toxic Children" begann.
Unter einer gewaltigen Lichtshow mit etlichen blitzenden Lichtern betrat die Punkrockband die überdimensionale Bühne: Schlagzeuger, Bassist, Gitarrist, Keyboarder und natürlich Leadsängerin Leana Reary, die mir sofort mit ihren Dreadlocks und den tätowierten Armen auffiel. Sie trug schwarze Stiefel, eine löchrige Strumpfhose unter einem Minirock und ein schwarzes Tanktop, welches ihre zierliche Figur betonte. Mit ihrer unnachahmlichen Stimme begrüßte sie das Publikum und dann begann sie auch schon das erste Lied zu singen.
„This modern world is full of zombies,
driven by greed,
enslaved by the system!"
Die Meute tobte direkt und die Stimmung kochte bereits jetzt. Das hatte nicht lange gedauert. Es folgten ein paar ihrer Klassiker, dann spielten sie ein neues Lied, das erst im Herbst auf ihrem neuen Album veröffentlicht werden würde. Hierzu war ein paar Feuer-Effekte eingeplant, die aber allesamt gut funktionierten und herrlich anzusehen waren. Ich merkte wie unser Brandmeister entspannter wurde.
„Das Schlimmste, hätten wir überstanden", sagte er und grinste uns dabei an.
Ahnte er etwas von meinem Plan? Hatte ich mich auffällig verhalten? Egal, der Plan musste jetzt durchgezogen werden. Es würde nur noch ein Lied gespielt werden, ehe das ruhige Lied kommen würde. Ich musste jetzt handeln!
„Gut, du kommst hier ja scheinbar zurecht. Hey Tina, hast du Lust aufs Dach zu klettern, oben sehen wir viel besser!"
Puh, ich hatte es ausgesprochen. Ich hatte mich getraut und meine Stimme hatte auch nicht zu zittrig und unsicher gewirkt.
Tina wirkte zögerlich und antwortete nicht.
„Ohja, ich komme zurecht. Geht nur und genießt den Rest des Konzerts", kam die Antwort des Brandmeisters.
„Oh, okay. Die Sicht ist bestimmt viel besser, da hast du recht!" Tina öffnete die Tür und erhob sich von ihrem Sitz. Ich folgte ihr und blickte beim Aussteigen nochmal zu unserem Brandmeister, der mir zuzwinkerte. Verdammt, er wusste es!
Ich ließ mich nicht beirren, jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Ich kletterte auf das Fahrzeug und reichte Tina die Hand. Ihre Hand fühlte sich so zart an und sie schien leicht wie eine Feder als ich sie nach oben zu mir auf das Dach zog. Wir setzten uns und blickten auf die Bühne. Die Sicht war hier schon deutlich besser als im Führerhaus, von der Akustik ganz zu schweigen. Die Menschenmasse glich einem sehr dichten Wald aus Musikfans. Vor der riesigen Bühne konnte ich in den ersten Reihen eine Lichtung im Menschenforst ausmachen. Dort sprangen ein paar besonders überschwängliche Fans wild umher und schubsten sich gegenseitig. Ich glaube, man nennt das einen Pogo und die Wahrscheinlichkeit sich hierbei zu verletzen ist wahnsinnig hoch.
Der letzte Ton der Elektro-Gitarre war verklungen und die Meute hatte sich wieder etwas beruhigt. Leana Reary hielt eine kurze Ansprache und kündigte den von mir heiß erwarteten ruhigen Song „Toxic Love" an. Von ihr unbemerkt rückte ich näher an Tina heran. Jetzt würde ich aufs Ganze gehen!
Leana war jetzt meine wichtigste Verbündete und erzeugte die gewünschte kuschelige Atmosphäre mit nur wenigen Zeilen. Die Massen wogen ruhig hin und her. Feuerzeuge wurden entfacht und nach oben gehalten. Andere Besucher taten es ihnen mit den eingebauten Taschenlampen ihrer Smartphones gleich. Es entstand ein wunderschönes Lichtermeer.
Ich blickte zu Tina. Die Lichter schmeichelten ihrem hübschen Gesicht, auf dem sich ein zärtliches Lächeln auftat. Es funktionierte.
Jetzt kam die riskante und nicht völlig durchdachte Stelle des Plans. Ich nahm all meinen Mut zusammen, hörte auf mein Bauchgefühl und entschied mich für eine nicht ganz so gewagte Option und nahm ihre Hand. Sie zog sie nicht weg. Wahnsinn! Ich hielt ihre zarte Hand nun schon seit über zehn Sekunden und sie ließ es zu! Wie weit sollte ich es jetzt noch wagen?
Sie drehte den Kopf zu mir und sah mir tief in die Augen. War das ein Signal? Und falls ja für was?
Ich wusste gar nicht, von wem es ausging oder wie es überhaupt dazu kam, aber auf einmal küssten wir uns. Wir küssten uns während „Toxic Love" gespielt wurde.
„I'm falling with you,
I'm falling with you,
I'm falling so in love with you!
Even if you are my downfall,
I'm falling so in love with you!"
Mein Plan war aufgegangen! Würde sie nun meine Freundin werden? Ich versuchte jetzt nicht nachzudenken und mich nur auf Tina zu konzentrieren, mit der jetzt eine wilde Knutscherei entfachte. Tausende Menschen hätten uns jetzt sehen können, blickten sie nur nach links, doch für uns interessierte sich gerade niemand. Während alle wie gebannt auf das Geschehen auf der Bühne blickten, interessierte uns beide davon gar nichts mehr. Wir hatten nur noch Augen für den jeweils anderen. Alles um uns herum war jetzt unwichtig geworden.
Ich bekam fast gar nicht mehr mit, wie ein Lied ins andere überging und das Publikum jedes einzelne frenetisch abfeierte.
Irgendwann gaben die Nebelmaschinen Vollgas und hüllten die ersten Zuschauerreihen in eine dichte Nebelwolke. Ein unnachgiebiges und prägnantes Gitarrenriff ertönte und die Menge begann erneut zu pogen. Man vernahm Gekreische. Vor Erregung, aus Ekstase oder weil jemand von einem Ellenbogen im Gesicht getroffen worden war? Was kümmerte mich das?! Ich war doch total beschäftigt mit der Frau meiner Träume, die ich endlich in meinen Armen hielt. Ich hatte alles aufs Spiel gesetzt und den Hauptgewinn erzielt!
Auf dem Höhepunkt des Lieds blickte ich wieder zur Bühne und sah wie sich Leadsängerin Leana mit einem großen Anlauf in das Publikum warf. Stagediving wie ein Rockstar.
Die Menge fing sie auf und die zahlreichen Hände zerrten an ihr. Ich denke als Rockstar darf man keine Berührungsängste haben, aber die Zuschauer verloren jedes Maß, so grob packten sie Leana. Sie schrie vor Schmerzen laut auf, ich konnte es deutlich vernehmen, auch ganz ohne Mikrofon. Was war nur in sie gefahren? Waren sie auf irgendeiner Droge? Dann sah ich Blut spritzen. Ihre Schreie waren unerträglich! Was ich in diesem Moment sah, verstörte mich zutiefst! Sie aßen ihr blankes Fleisch! Fragend sah ich zu Tina herüber, doch sie blickte genauso fragend zurück. Ihr Gesicht war kreidebleich. Passierte das gerade wirklich?
Die Musik hörte auf zu spielen. Auch die übrigen Bandmitglieder sahen geschockt zu ihrer Sängerin, die gerade von Menschen, die eben noch vergnügt gefeiert hatten, regelrecht zerfleischt wurde! Ein paar Securities versuchten Leana zu Hilfe zu eilen, aber auch sie wurden von den wundersamen Konzertbesuchern attackiert.
Es entstand rasend schnell ein gewaltiges Chaos: Vor der Bühne kam es zu einer Massenpanik, die Leute versuchten zu fliehen und sich irgendwo in Sicherheit zu bringen. Doch die Leute, die weiter hinten standen hatten von diesem Vorfall nichts mitbekommen und wunderten sich wieso die Band aufgehört hatte zu spielen. Mit Pfiffen und lauten Rufen forderten sie die Fortsetzung des Events, für das sie viel Geld auf den Tisch gelegt hatten. Sie wussten es ja auch einfach nicht besser.
Ich rief lautstark in die Menge, dass sich jeder geordnet auf die nächstgelegenen Fluchtwege begeben sollte aber niemand hörte mir zu. Die Leute drängten und schoben sich hin und her, stürzten und fielen übereinander. Tina hielt mir ein Megafon entgegen. Ich ergriff es, hielt es vor meinen Mund und wiederholte meine Anweisungen. Aber meine Worte schienen in der Panik zu verpuffen.
Man denkt immer, Menschen hätten ein Gefühl für Solidarität, aber in Extremsituationen wie dieser hier wird sichtbar, dass der Mensch egoistisch veranlagt ist. Ich sah, wie Erwachsene über am Boden liegende Kinder stiegen, um sich zu retten. Jeder war sich selbst der Nächste! Während sich die Menschen im Zentrum der Unruhe gegenseitig zerfleischten, Traten und Quetschten sie sich gegenseitig an den Rändern des Konzertgeländes. Doch die Notausgänge waren noch geschlossen. Wieso wurden sie nicht geöffnet?!
Ich zückte das Funkgerät und hörte in die Funksprüche hinein. Kein Anzeichen von Funkdisziplin! Jeder versuchte etwas Dringendes zu sagen und unterbrach den anderen. Das führte natürlich dazu, dass man absolut nichts verstand außer Stimmengewirr.
Im Moment war ich froh, dass Tina und ich hier oben waren und wir nicht in der Massenpanik zugrunde gingen.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun konnte, um Tina und mich aus dieser lebensgefährlichen Situation zu retten, doch mir fiel nichts ein.
Uns blieb vorerst nichts anderes über als hier auf dem Dach zu verweilen und die schlimmen Einblicke in menschliche Abgründe zu ertragen.
Ich beobachtete, wie einige Zuschauer die Sicherheitszäune überwunden und die dort positionierten und total überfordert wirkenden Sicherheitsleute angriffen. Dann sprangen sie wie wildgeworden auf die Bühne und bedrohten die verbliebenen Bandmitglieder, die noch immer wie angewurzelt auf der Bühne standen. Der Gitarrist hielt sein Instrument über seinen Kopf und drohte damit zuzuschlagen. Seine Körpersprache zeigte eindeutig, dass er Todesängste durchlitt, aber bereit war sich zu verteidigen. Als ihm einer der Angreifer zu nahekam, schlug er auch tatsächlich mit voller Wucht zu! Er erwischte ihn am Kopf. Die Gitarre splitterte und der Schädel des Getroffenen verformte sich in eine äußerst unnatürliche Form. Er stürzte zu Boden, verweilte aber nur einen Augenblick, dann stand er wieder auf und schritt weiter auf den Musiker zu. Während die anderen Bandmitglieder jetzt die Beine in die Hand nahmen und sich im Backstagebereich in Sicherheit zu bringen versuchten, stürzte der Verwundete in Begleitung dreier weiterer Angreifer auf den Musiker.
Der Anblick war unerträglich! Es war eine Ungerechtigkeit und wer auch immer hierfür verantwortlich war, sollte gefälligst dafür büßen! Diese Wildgewordenen wurden immer mehr und ihr gewalttätiges Verhalten ähnelte immer weniger an das logische und relationale Handeln von Menschen. Sie waren wie Raubtiere in einem Blutrausch. Sie waren keine Menschen mehr, sie waren brutale Kreaturen. Wie Zombies fielen sie über alle her, die sich nicht in Sicherheit bringen konnten. Und für sie es gab keinen sicheren Ort, da die Notausgänge noch immer verschlossen waren. Wie konnte das sein?!
Ich bückte mich in Richtung des Führerhauses und blickte hinein zum Brandmeister. Der Schock stand ihm ebenfalls ins Gesicht geschrieben. Man konnte noch so viele Lehrgänge und Ausbildungen absolvieren. Auf eine Zombie-Apokalypse wurde man auf keinen Fall vorbereitet. Er war total überfordert mit der Situation und versuchte vergebens Ordnung in den Funkverkehr zu bringen. Aus dem Funkgerät waren schreckliche Schreie zu vernehmen. Diese Bestien hatten nun wohl auch schon unsere Kollegen erwischt!
„Was sollen wir nur tun, Brandmeister", rief ich ihm entgegen aber er reagierte nicht. Dann erreichte die Menge unser Fahrzeug. Die Windschutzscheibe berstete und Unmengen an Scherben landeten im Führerhaus. Von zahllosen unnatürlich starken Armen wurde unser Brandmeister gepackt, aus dem Führerhaus gerissen und vor unseren Augen nur einen Meter von uns entfernt gefressen. Von diesen finsteren Gestalten, die noch vor wenigen Augenblicken Menschen gewesen sein mussten. Mit leeren Augen gingen sie maßlos ihren unmenschlichen Schandtaten nach. In der Menschheitsgeschichte waren schon etliche grauenhafte Dinge passiert, die Menschen anderen Menschen angetan hatten. Ich dachte dabei an Folter, Kriege, Genozide. Aber noch niemals zuvor war etwas derart Bestialisches geschehen, da war ich mir sicher. Wieso war ausgerechnet ich nun an diesem schrecklichen Ort?
Achja, wegen Tina! Ich blickte zu ihr. Sie saß zusammengekauert neben mir und weinte bitterlich. So schön der Moment mit ihr noch vor einigen Minuten war, so schrecklich war er nun geworden. Was für eine Ironie!
Ich sah wie einer der Notausgänge nun geöffnet war. Endlich! Hatten die Sicherheitsleute ihn geöffnet, oder hatten den panischen Massen das Tor gesprengt? Ich sah wie vor dem Festivalgelände Menschen in Richtung Altstadt rannten. Unter ihnen jedoch auch etliche, die ihnen mit unnatürlichen Bewegungen folgten. Das waren Zombies und sie würden jetzt die gesamte Stadt überfallen. Niemand konnte damit rechnen! Noch viel mehr Unschuldige würden ihnen zum Opfer fallen!
Die Untoten ließen nun vom Brandmeister ab und waren auf Tina und mich aufmerksam geworden. Manche versuchten zu uns hinaufzuklettern, aber schafften es nicht. Andere rüttelten an unserem Fahrzeug, worauf es heftig zu schaukeln begann.
„Tina, steh auf und hilf mir, diese Monster abzuwehren", forderte ich meinen Schatz auf und schüttelte sie kräftig durch, um Tina aus ihrem Schockzustand zu holen. Sie stand auf und nahm meine Hand.
„Los jetzt, wir müssen sie daran hindern, hoch zu klettern!" Ich machte es ihr vor, indem ich einem Zombie, der im Begriff war sich nach oben zu ziehen, einen kräftigen Tritt ins Gesicht gab, worauf er wieder nach unten in die Menge stürzte.
„Tina, du übernimmst die andere Seite", wies ich sie an und sie ging darauf ein. Ich hörte wie sie hinter meinem Rücken weitere Untote abwehrte.
Ich erschrak, als unser Brandmeister versuchte sich hochzuziehen. Hatte er den Angriff überlebt? Ich zögerte damit ihn hochzuziehen und als er es fast selbständig geschafft hatte, erblickte ich sein entstelltes Gesicht. Die rechte Gesichtshälfte war abgefressen und er hatte keine Augen mehr. Er war zweifelsfrei zu ebenjener Bestie geworden, derer er zum Opfer gefallen war. Ich war schockiert und mitfühlend angesichts seines Schicksals, aber ich tat was ich tun musste und beförderte ihn mit einem kraftvollen Tritt gegen den Schädel wieder nach unten. Er stöhnte laut auf, als er auf dem Boden aufschlug.
Die Zombies schaukelten plötzlich noch kräftiger an unserem Fahrzeug und es fiel mir sehr schwer, die Balance zu halten. Tina hatte dasselbe Problem. Sie verlor allerdings das Gleichgewicht und stürzte. Ich drehte mich zu ihr um und griff sie bei der Hand.
Ein Untoter ergriff sie an einem Fuß und zog an ihr. Ich hielt dagegen.
„Lass bitte nicht los, hilf mir!" Ihre Augen waren vor Panik weit aufgerissen und sie flehte mich an. Ich zog an ihr so fest ich konnte. Doch an ihren Beinen zogen nun schon mehrere Zombies.
Sie schrie vor Schmerzen, dann entglitt sie meinen Händen.
Ich fiel auf mein Hinterteil und wäre fast auf der anderen Seite des Feuerwehrfahrzeugs hinuntergefallen, doch ich konnte mich noch gerade so auf dem Dach halten.
Jetzt musste ich zu meinem Entsetzten beobachten, wie Tina von diesen wildgewordenen Kreaturen zerrissen und zerfleischt wurde. Sie blickte mir direkt in die Augen, als unzählige Bestien ihren wunderschönen Körper öffneten und sich an ihren inneren Organen bedienten. Sie kreischte ohrenbetäubend laut und schrill. So groß waren ihre Qualen! Oh meine süße Tina, vergib mir! Ich konnte dich nicht retten!
Ich sank in mich zusammen und war nun total am Ende. Körperlich, mental – nichts ging mehr!
Erinnerst du dich daran als ich sagte, ich fände immer irgendeinen Ausweg, selbst aus den schwierigsten Situationen? Das war gelogen, oder hättest du jetzt noch eine vernünftige Idee für einen Ausweg gehabt?
Ich sah mich noch einmal um: Eine riesige Menge an völlig durchgeknallten Kreaturen, die sich gegenseitig zerfleischten und mich als ihren Leckerbissen ausgemacht hatten. Wer wusste wie lange ich noch auf diesem Fahrzeug in Sicherheit sein könnte? Ich konnte sie nicht ewig abwehren, ich war ja jetzt schon total außer Puste! Ich wählte die einzige Möglichkeit, die ich jetzt noch sah und entschied mich für den Freitod.
Ich dachte noch kurz an den einen kurzen Moment voller Glückseligkeit mit Tina zurück, dann stand ich auf, stellte mich mit dem Rücken zum Rand des Fahrzeugs, breitete die Arme aus und ließ mich rücklings wie ein echter Rockstar in die tobende Menge fallen.
Ruckzuck hatten mich hunderte Hände gepackt und zerrten an mir, dann schnappten dutzende kräftige Kiefer zu und rissen Fleisch aus meinem Körper. Es waren höllische Schmerzen, aber es ging recht schnell. Mein letzter Gedanke war, dass ich jetzt mit meiner Tina vereint sein würde.
Heute durchstreifen wir gemeinsam die verlassenen Straßen und Gassen der Stadt auf der Suche nach dem köstlichen Fleisch der Überlebenden.
Information:
Mit dieser Kurzgeschichte nahm ich am 31.10.2022 an der „Halloween'schen Schreibchallenge" von KuhleKathiisten teil. Die Vorgabe hierzu war Prompt 10: „Write an incredibly light happy story with an extremely dark tiwst". Es war meine erste Teilnahme an solch einem Wettbewerb hier auf Wattpad und ich konnte einen tollen dritten Platz erreichen.
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