06 | Sprung ins kalte Wasser

Emilio sprang zuerst und hielt mich dabei noch immer fest. Reflexartig und ohne darüber nachzudenken, folgte ich ihm auf dem Weg nach unten.

Ein paar Sekunden lang fielen wir in die Tiefe, bis wir die Wasseroberfläche durchbrachen und in die Wellen eintauchten. Kaltes Nass umfing mich und ich kniff instinktiv die Augen zusammen. Ich kämpfte gegen den Drang an, gleich wieder aufsteigen zu wollen und ließ mich weiter fallen. Langsam verschwand das aufgewirbelte Wasser um uns herum und ich öffnete meine Augen.

Wir hatten das Loch getroffen, doch es wurde mir auch bewusst, wie viel Glück wir gehabt haben mussten. Einen Meter vor mir sah ich nur Felsen und auch rechts und links von mir, konnte ich nur graue Fläche ausmachen. Doch bevor ich in Panik verfallen konnte, zog Emi mich an meiner Hand nach hinten und ich erinnerte mich an die Öffnung, die er erwähnt hatte. Tatsächlich war hinter uns ein dunkles Loch, das sich leider auch ein Stückchen tiefer befand als wir.

Emilio ließ meine Hand los und war mit ein paar kräftigen Zügen in dem Loch verschwunden. Als ich merkte, dass ich mich durch den Auftrieb wieder auf dem Weg nach oben befand, musste ich mich entscheiden. Ganz allein bei der Strömung und den Wellen den Weg zum Strand zurückfinden, oder jetzt all meinen Mut zusammennehmen und Emilio folgen.

Ich brauchte mehr als fünf Züge um das Loch zu erreichen, weitere drei, um es zu durchqueren und als ich auf der anderen Seite ein schwaches Licht sehen konnte, war meine Luft bereits fast aufgebraucht. Und über mir waren bestimmt noch vier Meter Wasser, was auch den enormen Druck auf meinen Ohren erklären würde.

Panisch stieg ich nach oben und war mir auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich oben war. Mein Kopf dröhnte, meine Lungen verlangten nach Luft und ich war immer noch nicht an der Oberfläche angekommen. Reflexartig öffnete ich meinen Mund und ein paar Blasen quollen daraus hervor und wiesen mir beim Aufsteigen die richtige Richtung. Doch ich hatte kaum noch Kraft. Ein letztes Mal zwang ich meinen Körper zur Vorwärtsbewegung. Ich spürte wie ich neuen Antrieb erhielt und innerhalb von Sekunden die Wasseroberfläche durchbrach.

Gierig sog ich die kalte Luft in meine Lungen und atmete dabei so heftig, dass ich befürchtete der hier angesammelte Sauerstoff würde gleich wieder leer sein. „Ganz ruhig atmen", hörte ich Emi sagen und realisierte erst jetzt, da mein Kopf ein bisschen klarer wurde und dass er es gewesen war, der mich das letzte Stück zur Wasseroberfläche gebracht hatte. Er hielt seinen Arm um mich geschlungen und begann, mich durch das Wasser zu ziehen. Ich war so erschöpft, dass ich den Kopf nach hinten fallen ließ und versuchte tief und ruhig zu atmen. Und auch wenn er es war, der mich in diese missliche Lage gebracht hatte, vertraute ich darauf, dass er mich auch wieder hier herausbringen konnte. Ich vertraute ihm.

Am Ufer angekommen, half Emi mir aus dem Wasser und einen Felsen hinauf. Erleichtert nahm ich den Rucksack ab, ließ mich auf den harten Boden sinken und schloss kurz die Augen. „Warte hier, ich bin gleich da." Ich hörte Emi sich ein Stück entfernen und kurz darauf wieder kommen. Erwartungsvoll öffnete ich die Augen, konnte Emi aber nicht sehen. Dann spürte ich, wie sich ein Handtuch über meinen Rücken legte und wie Emi meine Arme trocken rubbelte. Angespannt schloss die Augen wieder und atmete tief durch. Aber nicht, weil ich noch immer Angst hatte. Ein ganz anderes Gefühl macht sich in mir breit. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich wurde ein bisschen nervös.

„Alles gut, Jamie?", fragte Emi nun fast ängstlich und mit so viel Sorge in der Stimme, dass ich schnell nickte und murmelte, dass mir kalt sei. Emi räusperte sich auffällig und schluckte dann, als wollte er was sagen, aber es sich nicht trauen. Schließlich setzte er sich hinter mich auf den Boden und legte seine Hände auf meine Arme.

„Darf ich...?" So schüchtern und zurückhaltend kannte ich ihn gar nicht.
„Hmm...", nickte ich, ohne genau zu wissen, was er eigentlich vorhatte. Dann spürte ich, wie er ganz dicht an mich rückte und sein warmer Bauch an meinem Rücken lag. Er legte seine Arme von hinten über meine und drückte mich an sich. Sein Kopf lag dabei an meiner Schulter. Mein Herz fing an noch heftiger zu klopfen und ich war sicher, dass es zersprungen wäre, wäre das Handtuch nicht zwischen uns gewesen.

„Es tut mir leid, Jamie. Ich dachte, alles wird gut gehen." In den letzten zwei Minuten hatte keiner von uns etwas gesagt. Wir hatten einfach nur dagesessen - eng umschlungen und mit klopfenden Herzen - und ich wettete insgeheim, dass wir beide versuchten, nicht zu laut und erregt zu atmen. Nicht, dass es noch einen Unterschied gemacht hätte. Schon in den letzten Tagen war mir immer wieder diese eine Frage durch den Kopf gegangen: ‚Was ist es, was du fühlst, wenn Emilio bei dir ist?' Jetzt wusste ich es bestimmt. Und ich war mir fast sicher, dass Emi es auch fühlte. Wahrscheinlich fühlte er es auch schon viel länger, als es mir bewusst gewesen war.

„Mir tut es nicht leid", antwortete ich schließlich und ließ die Worte kurz wirken, ehe ich fortfuhr. „Wer weiß, ob wir hier sitzen würden, wenn alles gleich funktioniert hätte." Einen Augenblick herrschte Stille und ich hatte schon Angst, mich vielleicht doch zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. Vielleicht war Emilio einfach so, wie er war und ich bildete mir nur ein, er könnte das Gleiche fühlen wie ich. Vielleicht war er nur hilfsbereit und menschlich und fühlte sich jetzt vor den Kopf gestoßen. ‚Wie kann man nur so blöd sein', schallt ich mich.

Als ich grade wieder Panik bekam und die Situation abbrechen wollte, spürte ich, dass Emilio sich bewegte. Er hatte seinen Kopf gehoben und ich fühlte seinen warmen Atem an meinen Hals. „Ich mag dich auch, Jamie", flüsterte er in mein Ohr und berührte es dabei mit seinen Lippen. Ein Schauer überkam mich und ich ließ meinen Kopf leicht nach hinten kippen. Emilio lächelte hörbar und begann vorsichtig und zärtlich mein Ohr zu küssen. Ich fühlte wie mein Ohr zu glühen begann und atmete deutlich vernehmbar aus. Mein Puls wurde schon wieder schneller und auch Emilios Herz spürte ich durch das Handtuch schlagen. Langsam wanderten seine Küsse meinen Hals abwärts und seine Hände meine Arme unter dem Handtuch aufwärts.

Das Tuch rutschte schließlich von meinen Schultern und blieb in Emilios Schoß liegen.
Weiche Finger ertasteten meine Schultern und bahnten sich langsam den Weg zu meinem Schlüsselbein. Ich spürte wie die Küsse zunächst wieder meinen Hals hinaufkrochen und dann den Weg zu meiner Wange fanden.

Emilios zarte Finger legten sich auf meine Brust und drückten mich an ihn heran. Nun spürte ich seine harten Nippel an meinem Rücken und meine Erregung bahnte sich ihren Weg. Ein Stöhnen entwich mir und hinter mir hörte ich auch Emilio laut atmen. Seine Küsse wurden fordernder und auch ich hielt es nicht mehr aus. Bestimmt drehte ich mich um und erschreckte Emi wohl ein bisschen, denn er wich zurück und schaute mich kreidebleich an.

Keine Ahnung, woher ich plötzlich all diese Energie hernahm, doch ich fühlte mich so stark und stolz, wie lange nicht. Auf Händen und Knien bewegte ich mich die letzten Zentimeter auf Emi zu. Der wusste wohl nicht so genau, was er machen sollte, und war in eine Art Schockstarre verfallen. „Alles gut", flüsterte ich. „Ich mag dich doch auch, Emi!"

Meine Hand berührte seine Wange unter seinem blauen Auge und ich sah ihm an, dass sein Herz für einen kurzen Moment ausgesetzt haben musste. Dann schluckte er hörbar und schloss die Augen. Er überließ mir die Führung. Mutig strich ich, wie schon am Morgen eine Strähne aus seinem Gesicht und sah ihn kurz an. Er war so schön. Das wusste ich von Anfang an, aber wollte es nicht wahrhaben. Aber dafür war ich mir jetzt sicher, dass ich ihn wollte. Dass ich ihn brauchte. Er konnte nicht mehr länger warten und küsste mich.

Es war viel schöner, als ich mir immer vorgestellt hatte. Mal abgesehen davon, dass bis zu diesem Tag immer Mädchen die Rolle eingenommen hatten, die Emilio jetzt zuteilwurde, war es doch so, dass seine Lippen und seine Zunge so liebevoll meinen Mund liebkosten, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass irgendein Mädchen es ihm gleichtun könnte. Auch ich versuchte, so vorsichtig wie möglich zu sein, schon allein wegen der dicken Lippe Emilios.

Aus unserem Kuss entwickelte sich schnell mehr, denn auch wenn Emi vorsichtig küsste, so war er doch umso fordernder in seinen Berührungen. So sehr ich es auch genoss, dass seine Finger über meinen nackten Oberkörper fuhren, meine Lust steigerte sich so rapide, dass ich Angst hatte vor dem, was da vielleicht noch kommen könnte.

Mein Gedankenkarussel raste. Das alles war neu für mich und ich hatte noch nie eine Beziehung gehabt. Ja nicht einmal etwas, was nah ran käme. Mein Zögern blieb von Emilio nicht unbemerkt. „Was ist los?", fragte er lächelnd, doch Unsicherheit schwang in seiner Frage mit. „Habe ich etwas falsch gemacht?" Ich setzte mich auf und strich mein Haar nach hinten.

„Nein, nein. Es ist wunderschön", beteuerte ich. Nun setzte auch er sich auf und blickte mich fragend an. „Ich...", mir fehlten kurz die Worte, dann sprach ich weiter. „Ich wusste es bis heute nicht sicher. Ich meine... was machen wir jetzt?"

Emilio lächelte sein schönstes und vertrauensvollstes Lächeln. „Jamie," begann er, „das ist okay. Wir machen nur, was du willst."

Unendlich dankbar für diesen Zuspruch küsste ich ihn. Er nahm mich in den Arm und streichelte mich. „Ich kenne dich schon lange", flüsterte er. „Schon seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, weiß ich, dass du besonders bist."

Tausend Fragen explodierten in meinem Kopf. Wie konnte er es schon wissen, bevor ich es wusste? Konnte jemand wie wir, andere wie uns erkennen? Seit wann wusste er, dass er so war? Hatte er sich schon mit anderen Jungen ausprobiert? War ich nur einer, den er verführen wollte? War Armin deshalb eifersüchtig, weil er Emilio wollte? Wie viele gab es von uns?

„Was denkst du, Jamie", unterbrach er meine wirren Gedanken und ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte. Vielleicht konnte er mir tatsächlich Klarheit verschaffen. Ich nahm also meinen Mut zusammen und fragte, die wichtigste der Fragen.

„Glaubst du, dass ich... du weißt schon was... bin?" Er schob mich ein bisschen von sich weg, um mir in die Augen sehen zu können. Sein Mund machte eine komische Verrenkung, so als müsste er gleich loslachen.

„Jamie," versuchte er es ernsthaft, „du fragst mich, ob du schwul bist?" Als er das Wort aussprach erschrak ich. Bis jetzt hatte ich erfolgreich verhindert, dass dieser eine Gedanke in meinem Kopf aufgetaucht war.

„Ich...", stammelte ich nicht sehr überzeugend. „Ich bin doch nicht..." Emilio zog eine Augenbraue hoch.
„Schwul?", vollendete er den Satz. „Doch Jamie, ich denke du bist schwul."
Als ich mit hochrotem Kopf zu Boden blickte, fing Emi laut an zu lachen. Doch er lachte mich nicht aus, er lachte, wie mir in diesem Moment bewusstwurde, über das Wort, das mir nicht über die Lippen kommen wollte, obwohl ich bei der Fummelei mit einem Jungen ganz eindeutig einen Ständer bekommen hatte.

Als mir die Absurdität der Situation bewusstwurde, musste auch ich grinsen. Es war trotz allem nur ein Wort. Und wenn schwul zu sein bedeutete, solche Gefühle mit einem anderen Menschen teilen zu können, dann hatte Emi recht.
„Ich glaube ich bin tatsächlich schwul."

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