Kapitel 8

Lucian zog mich weiter die Gänge entlang. Inzwischen konnte ich wirklich nicht mehr. Meine Füße schmerzten vom vielen Treppen steigen und in meinen Waden zog es unangenehm. "Ich...kann...nicht...mehr" keuchte ich. "Langsamer, bitte." Anstatt das Tempo zu drosseln, zog Lucian mir die Beine weg und trug mich. "Hey, so hab ich das nicht gemeint" maulte ich empört. Ich war durchaus noch in der Lage selber zu laufen. Nur eben nicht mehr so schnell. "Wo bringst du mich überhaupt hin?" "Auf mein Zimmer." Wie bitte? Zuerst rettet er mich vor seinen zudringlichen Bruder und dann wollte er dasselbe von mir? Eigentlich hätte mich der Gedanke empören oder sogar anekeln müssen. Das tat es seltsamer weiße aber nicht. Eine angenehme Wärme nahm von mir Besitz.

Ich musste gestehen, dass ich enttäuscht war als mich Lucian in seinem Zimmer absetzte und mit den Worten verschwand, er habe noch etwas zu erledigen. Ein scharfer Stich zog durch meinen Magen und mit leichtem Entsetzten musste ich feststellen, dass das Enttäuschung war. Enttäuschung darüber, dass er nicht die Nacht mit mir verbrachte. Hat man dir was in dein Wasser getan? Du willst doch nicht wirklich deine Unschuld an diesem Kerl verlieren keifte mein Unterbewusstsein. Ich ignoriert es und kniff mir einmal fest in die Wange um endlich an etwas anderes zu denken. Ich war müde und das große Himmelbett sah sehr einladend aus. Mit einem kleinen Seufzer löste ich die Bänder von meinem Kleid und ließ es zu Boden fallen. Dann legte ich es ordentlich zusammen und drapierte es auf der Holztruhe, die an der Wand stand. Dann löste ich meine Haare und kämmte sie notdürftig mit den Fingern durch. Einen Kamm gab es hier ja nicht. Dafür einen kleinen Waschtisch mit frischem und warmem Wasser. Ich wusch mir das Gesicht, die Arme und den Hals. Mit dem kleinen Leinentuch tupfte ich mich trocken und kroch im Unterkleid in die weichen Lacken.

Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Eine eigenartige Unruhe hatte von mir Besitz ergriffen und ich wälzte mich ruhelos im Bett herum. Schließlich gab ich es auf, schwang die Beine über den Bett Rand und wickelte mir die Decke um meinen Körper. Ich stand auf und suchte nach einer Beschäftigung, da an Schlaf ja gerade nicht zu denken war obwohl ich hundemüde war. An der Wand gegenüber vom Bett entdeckte ich ein Bücherregal mit einer beachtlichen Buchsammlung. Ich las die Titel bis mir ein Buch ins Auge stach, das mich ansprach. Ich tapste zurück zum Bett, klopfte mir das Kissen zurück und lehnte mich hinein. Ich begann zu lesen.

Ich schrak aus dem Buch hoch, als ich hörte, wie die Türklinke hinunter gedrückte wurde. Lucians Gestallt schob sich durch die die Tür. Er hatte mir den Rücken zugedreht trotzdem erkannte ich ihn an seinen geschmeidigen Bewegungen. Ich sah, wie er seine Weste aufknöpfte und achtlos auf den Boden fallen ließ. Ich wusste, dass es nicht schicklich war einem Mann beim Ausziehen zu zusehen. Doch ich konnte einfach nicht wiederstehen. Als er sich das Hemd über den Kopf zog musste ich mich zusammen reisen um nicht anfangen zu hecheln wie eine läufige Hündin. Fasziniert betrachtete ich das Spiel seiner Muskeln auf dem Rücken  während er zum Waschtisch ging und sich wusch. "Ich weiß genau, dass du mich anstarrst." Seine amüsierte Stimme riss mich aus meinem Schmachten. "Tu ich nicht" protestierte ich und spürte wie ich rot anlief. Ich hörte ihn leise Lachen. "Lass dich von mir nicht stören. Starr nur weiter." Mit einem Schnauben drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Einige Sekunden später spürte ich, wie sich das Bett bewegte als Lucian sich darauf setzte und sich Schuhe und Hose auszog. "Ähm...du wirst aber nicht mit mir hier drin schlafen." Zu spät wurde mir die Doppeldeutigkeit meiner Worte bewusst. Ihm schien es nicht aufzufallen und er ignoriert die Tatsche einfach. "Wo soll ich denn sonst schlafen." Er hatte Recht und da ich auch keine große Lust hatte auf dem Boden zu nächtigen blieb mir nichts anders übrig, als mit ihm in einem Bett zu schlafen. "Rutsch mal rüber, Nelly. Sonst pass ich nicht mehr rein." Ich musste plötzlich kichern, rutschte aber trotzdem ein Stück auf die andere Seite des Bettes. Lucian legte sich neben mich und stütze sich auf den Ellenbogen ab. Er betrachtete mich und tat dasselbe bei ihm. Mir wurde immer stärker bewusst, dass wir alleine waren. In seinem Zimmer. Und er war so schön. Ich streckte meine Hand aus und strich ihm über die Wange. Er schloss die Augen, genoss meine zarte Berührung. Ich fuhr mit dem Zeigefinger seine Augenbrauen nach und seine sanft geschwungen Lippen, die nicht wirklich in das kantige Gesicht zu passen schien. Ich fühlte, wie er mir einen Kuss auf meine Fingerkuppe hauchte. Dann zog ich meinen Finger zurück und drehte mich von ihm weg. Schloss die Augen. Ich merkte noch wie er mich in seine Arme zog, dann war ich eingeschlafen.

Ich erwachte schweißgebadet. Wieder dieses langegezogen Heulen und wieder ein lauter Schrei, der in einem Wimmern unterging. Ich schluchzte trocken war unfähig mich zu bewegen. Mein Atem kam abgehackt. Wieder dieses Heulen. Langezogen und fast schon qualvoll. Der nächste Schrei folgte unmittelbar. Diesmal mischte er sich mit meinem. Lucian regte sich neben mir. "Sch, schh" macht er. "Es ist alles gut, Nelly. Dir passiert nichts" murmelte Lucian verschlafen und zog mich näher zu sich. Sofort hörte ich auf zu zittern und ich konnte wieder frei atmen. Lucian legte seinen Arm um meine Taille und ich spürte seine warme Brust an meinem Rücken. Nach ein paar tiefen Atemzügen schlief ich wieder ein

Am nächsten Morgen wurde ich wach, weil unten im Hof einen Tumult gab. Stimmen schrien durcheinander und hier und da hörte ich das hohe Kreischen einer Frau. Ich spürte Lucian hinter mir Atmen und drehte mich um. Er schlief noch tief und fest und sah dabei so jung aus. Mir viel auf, dass ich auch nicht wusste, wie alt er eigentlich war. Ich schüttelte ihn leicht an der Schulter. "Lucian" hauchte ich. "Wach auf." Er regte sich langsam und stöhnte. "Was?" murmelte er verschlafen. "Da draußen ist irgendwas passiert. Ich will nachsehen, was." Er murmelte irgendwas und drehte sich wieder um. Ich schmunzelte und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann wickelte ich mich aus der Decke und suchte nach meinem Kleid. Ich fand das Kleid auf der Truhe, auf die ich es gestern Nacht gelegt hatte. Ich zog es über, band die Schnüre. Meine Haare kämmte ich wieder mit den Finger durch und steckte sie mit meiner Klammer zusammen. Dann schlich ich auf leisen Sohlen aus dem Zimmer.

Nach einigem Hin und Her hatte ich endlich den Ausgang gefunden und ging auf den Hof. Auf dem Weg schnappte ich mir einen Apfel von einem der vielen Kären, die auf dem Hof standen. Die Menschentraube war nicht zu übersehen. Ich ging in die Richtung und entdeckte drei Damen, die ohnmächtig auf dem Boden lagen und von drei Herren umsorgt wurden. Ich ging näher heran. sofort viel mit wieder der metallische Geruch nach Blut auf. Nein dachte ich im Stillen. Nicht schon wieder. Je näher ich kam, desto stärker wurde der Geruch. Ein Mann stolperte würgend aus der Menge. Ein zweiter folgte. Ich kämpfte mich nach vorne. Was ich da sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Zwei Leichen. Wieder von der Kehle aufgeschlitzt, wieder waren die Organe auf dem Boden verteilt. Der Gestank war inzwischen so intensiv, dass meine Augen tränten und ich auch würgen musste. Ich taumelte rückwärts und stieß mit dem Rücken gegen eine harte Männerbrust. "Lucian" hauchte ich. "Ich glaub, es ist besser, wenn ich dich jetzt heim bringe" sagte er rau und schob mich vor sich her in Richtung Stallungen. Dort stand bereits ein gesatteltes Pferd bereit und Lucian hob mich auf den Rücken, als würde ich nicht mehr wiegen, als ein Kätzchen. Sofort schwang er sich hinter mich, griff um meine Taille nach den Zügeln und zog mich an seine Brust. "Fest halten" sagte er knapp. Dann trieb er den Rappen an und wir rasten in einem Höllentempo aus dem Hof.

In Niema drosselte Lucian das Tempo und ließ sein Pferd in einem schnell Schritt durch die Gassen gehen. "Warum, Nelly? Warum bist du immer in der Nähe, wenn diese...Bestie kommt?" fragte Lucian. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich konnte es ihm nicht sagen, verstand es selber nicht. Mir kam ein Verdacht. "Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich..." brauste ich auf, doch Lucian unterbrach mich. „Nein, das denk ich nicht. Aber es muss irgendeine Verbindung zwischen diesem Monster und dir geben." Ich dachte nach. "Und wenn es Zufall ist? Ich meine es war Vollmond. Vielleicht hat es auch damit was zu tun." Lucian überlegte kurz. "An Vollmond passieren viele seltsame Dinge. Wir müssen das auf jeden Fall im Auge behalten." "Wir?" fragte ich. "Nein, ich. Das ist zu gefährlich für dich und wenn dieses Monster wirklich eine Verbindung zu dir hat, dann noch mehr." Ich schmollte. Warum waren Abenteuer immer nur was für Männer? Und warum meinten sie immer, sie müssten die Welt retten? Lucian lachte leise. "Du bist die sturste Frau, die mir je über den Weg gelaufen ist." Darauf sagte ich nichts und so schwiegen wir, bis wir das Tor von Niema hinter uns gelassen hatten. Dann viel mir was ein. "Wie alt bist du eigentlich?" Er seufzte. "Entschieden zu alt, um mit dir in einem Bett zu liegen. Eigentlich." Ich schnaubte. Danke für diese erhellende Antwort. "Ich bin 17." Schnappte ich störrisch. "Und ich 25. Eindeutig zu alt." Damit war das Gespräch für ihn beendet.




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