Kapitel 10

Am Tag von Marys Beerdigung herrschte in unserer Hütte eine bedrückte Stimmung. Natürlich. Mary fehlte. Ihr fröhliches Kinderlachen, dass durch die Hütte schalte und ihre wenigen Spielsachen, die sie aber trotzdem immer in der gesamten Wohnstube verteilt hatte. Mit einem tiefen Seufzer, der mehr an einen Schluchzer erinnerte, flocht ich mir dir Haare zu einem Zopf und klemmte sie mit einer Spange zusammen. Mary hatte das immer an mit gemocht. Ich zupfte an meinem Kleid rum und betrachtete mich im Spiegel. Ich sah schlecht aus. Meine Augen hatten ihren Glanz verloren und ich sah aus wie eine lebende Leiche. Mary hätte das nie gewollt, das wusste ich. Aber ich konnte einfach nicht anders. "Nelly? Bist du fertig?" Mutter kam in unser...nein, jetzt mein Zimmer. Sie sah auch nicht besser aus, als ich. Eigentlich ehr noch schlechter. Ihre sonst blonden Haare, waren innerhalb einer Woche vollständig ergraut und sie wirkte eher wie 80, als 35. Ich nahm sie einfach wortlos in meine Arme. Es tat gut, sie zu drücken. Ich hatte mich in letzter Zeit immer zu alt dafür gefühlt. Aber jetzt hatte ich das Gefühl, dass sie es brauchte. Mutter drückte mich fest an sich. Vorsichtig löste ich mich wieder von ihr, als ich merkte, dass sie wieder kurz davor war zu weinen. "Du siehst so hübsch aus, Nelly." Eigentlich war das unpassend. Immerhin machte ich mich gerade für die Beerdigung meiner kleinen Schwester fertig, aber ich wusste wie sie es meinte. Ich folgte Mutter in die Wohnstube, in der mein Vater schon wartete. Auch ihn hatte Marys Tod sehr mitgenommen. Er wirkte kleiner und älter. "Meine zwei Frauen" sagte er nur und ging vor die Tür. Wir folgten wortlos.

An den genauen Ablauf der Beerdigung kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich durchlebte sie wie im Trance. Der Pfarrer predigte irgendwas und meinte, Gott hätte Mary viel zu früh aus unsere Mitte gerissen. Natürlich erwähnte er nicht, dass es diese Bestie war, die das eigentlich getan hatte. Nach der Trauerfeier schüttelte ich mechanisch Hände von Nachbarn, Freunden und den Dorfbewohnern, dir ihr Beileid aussprachen. Ich war froh, als die letzte Hand geschüttelt war und ich endlich mit meinen Eltern nach Hause konnte. Auch die paar Meter vom Friedhof zu unserer Hütte verliefen schweigend. In meinem Zimmer zog ich mir die Spange aus meinen Haaren und ließ sie einfach geflochten. Das schwarze Kleid zog ich auch aus und tauschte es gegen ein anderes. Ich wollte nicht den ganzen Tag die trauernde Schwester sein. Ich hatte in dieser Woche genug getrauert. "Mutter? Ich geh ein bisschen spazieren" sagte ich, als ich die Stube betrat. "Aber komm pünktlich vor Sonnenuntergang wieder, hast du gehört Nelly." Seit Marys Tod und die Umstände von selbigem achtete Mutter penibel darauf, dass ich nicht zu lange draußen blieb. "Ist gut." Ich zog die Tür hinter mir zu und nahm den Feldweg zum Wald. Der Wald war in den letzten Tagen mein Zufluchtsort gewesen, wenn ich die Trauerstimmung zuhause nicht mehr ausgehalten hatte. Außerdem hoffte ich insgeheim, Lucian wieder zu begegnen. Von ihm hatte ich seit dem Erntefest vor 6 Tagen nichts mehr gehört. Ich hörte Huf geklapper hinter mir und wich in weißer Voraussicht schon mal in das Gras neben dem Weg aus. Ich hatte keine Lust über den Haufen geritten zu werden. Erst als ich hörte, wie das Pferd neben mir zum Halten gebracht wurde sah ich auf und blickte genau in die leuchtend grünen Augen von Lucian. Mein Herz wurde wieder leichter und meine Magen schlug Purzelbäume. Gleichzeitig schämte ich mich dafür. Mary war vor nicht mal einer Woche gestorben und ich freute mich über den Besuch eines Mannes. War das überhaupt in Ordnung? Doch dann dachte ich an Mary und ich war mir sicher, dass sie gewollte hätte, dass ich weiterhin glücklich bin. "Du siehst schlecht aus, Nelly" sagte Lucian mit seiner dunklen und warmen Stimme, anstelle einer Begrüßung. "Dir auch einen schönen guten Tag. Dafür siehst du aus, wie das blühende Leben." Da! Meine spitzte Zunge war zurück. Immerhin. "Das mit deiner Schwester tut mir leid" sagte er unvermittelt. "Woher..." setzte ich an, doch ich kam nicht dazu den Satz zu vollenden, weil Lucian sich vor beugte, mich um die Mitte faste und auf sein Pferd zog. Ich kreischte leicht und musste dann gegen meinen Willen kichern. "Wo soll's denn hin gehen, die Dame?" fragte Lucian, gespielt höflich. "Zum Wald" sagte ich und errötete, als sein Blick über meine Lippen schweifte. Sie waren trocken und spröde vom vielen Weinen.

Er trieb die Stute an und in einem flotten Trab brachte er mich zum Waldrand. Er stieg ab und half  mir vom Pferd. Ich wandte mich schnell von ihm ab und ging in den Wald hinein. Ich hörte wie er mir folgte und war ihm dankbar, dass er keine Anstalten machte mich irgendwie einzuholen oder mich mir Fragen zu bombardieren. Ich war schließlich diejenige, die das Schweigen brach. "Wir müssen was tun." Lucian hob eine Augenbraue. "Wir? Waren wir uns nicht einig, dass es für dich zu gefährlich ist?" Ich funkelte ihn zornig an. "Falsch. Du warst der Ansicht, dass es für mich zu gefährlich ist. Lucian, bitte. Ich bin selber betroffen. Ich will, nein, ich muss wissen wer meiner Schwester das angetan hat." Lucian dachte nach. Ich sah förmlich wie es in seinem Kopf ratterte. "Nelly, wir wissen nicht was das für ein Wesen ist. Und wir wissen auch nicht ob es tatsächlich eine Verbindung zu dir hat. Vielleicht war das Taktik. Ich meine es bringt Mary um, um dich auf seine Spur zu bringen." Einerseits klang das logisch, was Lucian sagte. Aber andererseits wussten wir eben nicht, ob dieses Wesen wirklich eine Verbindung zu mir hatte. Wir schwiegen beide. Ich setzte mich auf den weichen Waldboden und Lucian tat es mir gleich. "Ich habe dich vermisst" sagte er schließlich völlig Zusammenhang los. Ich blinzelte und sah ihn an. "Wie bitte?" fragte ich. "Mein ganzes Bett riecht nach dir und ich muss immer daran denken, wie du schlafend da liegst. So unschuldig." Sein Blick wurde zärtlich, gleichzeitig aber auch glasig und irgendwie brannte ein Feuer in ihm. Ich konnte nicht widerstehen und setzte mich rittlings auf ihn. Bevor er protestieren konnte hatte ich schon meine Lippen auf seine gedrückt und verlangte mit meiner Zunge Einlass. Danach hatte ich mich gesehnt. Trotz meiner Trauer um Mary musste ich ständig an seine Lippen denken, die mich küssten. Nach einer kurzen Starre erwiderte er meinen Kuss leidenschaftlich und seine Hände gingen auf Wanderschaft. Wenn er mit jetzt meine Unschuld raubt ist es mir auch egal dachte ich und gab mich seinen Händen hin.

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