Zumindest muss ich nicht mehr kriechen.
Es geht mir am Tag nach meiner Bestrafung gar nicht so schlecht, wie ich befürchtet habe. Zwar schickt jeder Atemzug einen brennenden Schmerz durch meine Brust, als ob Feuer in meinen Lungen lodern würde. Aber ich habe keine gebrochenen Knochen, außer die zwei äußeren Finger der linken Hand, die in einem grotesken Winkel abstehen. Meine Zähne sind alle noch da und ich kann meine Augen trotz Schwellung öffnen, auch wenn es sich anfühlt, als würden meine Augenlider aus Sandpapier bestehen, so rau und schwer sind sie. Der Schmerz ist immer noch allgegenwärtig, aber nicht überwältigend. Ein leises Aufatmen entweicht meinen Lippen. Vielleicht ist es gut, dass Kaz der Ausführende war. Die letzten von den Meistern zur Strafe verprügelten Schattentänzer hatten nicht annähernd so viel Glück. Odo hatte Esteras Zorn auf sich gezogen und musste nach der Heilung der Knochenbrüche, die sie ihm zugefügt hatte, erst eine Rehabilitationstherapie machen, um wieder richtig laufen zu können. Kaz musste vor zwei Jahren sein komplettes Gebiss neu wachsen lassen, nachdem Severin mit ihm fertig war. Ich erinnere mich an das grausige Bild seines blutüberströmten Gesichts, als er aus der Arena geschleppt wurde. Das ständige Gefühl von Zähnen, die durch sein Zahnfleisch brechen, muss die Hölle gewesen sein. Ich schaudere und wimmere direkt vor Schmerz wegen der minimalen Bewegung.
Das heißt nicht, dass es mir gut geht. Im Gegenteil. Jede Bewegung schickt scharfe, stechende Schmerzen durch meinen Körper, als ob tausend Nadeln meine Muskeln durchbohren würden. Atmen ist eine Qual, jeder Luftzug fühlt sich an, als würde ein Messer in meine Seite stoßen. Essen und trinken sind Torturen, da meine Lippen aufgerissen und blutig sind. Leandra versorgt mich mit Lebensmitteln, aber selbst die einfachsten Bissen schmerzen wie Feuer in meinem Mund. Der Geschmack von Blut vermischt sich mit der Nahrung, ein ständiger bitterer Beweis meines Versagens. Es ist also gar nicht schwer, die Nahrungsaufnahme auf ein Minimum zu beschränken, um mich seltener auf Toilette schleppen zu müssen.
Doch es ist unvermeidbar. Obwohl es sich anfühlt, als hätte ich Stahlgewichte an meinen Gliedern, schiebe ich mich also zur Bettkante. Jeder Muskel protestiert bei der kleinsten Bewegung. Ich musste mich buchstäblich aus dem Bett quälen und auf allen Vieren ins Badezimmer kriechen. Die kalten Fliesen schicken eisige Schauer durch meinen Körper, aber der Schmerz, der durch meine gebrochenen Finger und meine geprellten Knie schießt, überwältigt jedes andere Gefühl. Ich greife nach dem Waschbecken, um mich hochzuziehen, aber meine Arme geben unter meinem Gewicht nach, und ich falle zurück auf den Boden. Die Verzweiflung übermannt mich. Ich suche in meinem Inneren nach einem weniger trostlosen Gefühl und finde meinen Zorn. Die Zähne zusammenbeißend, um nicht laut aufzuschreien, schaffe ich es schließlich zur Toilette.
Kaz' Freiwilligkeit, meine Bestrafung zu übernehmen, lässt mich nicht los. Warum hat er das getan? Hat es ihn so sehr in seinem Stolz gekränkt, dass ich ihn besiegt habe? Oder war es eine gezielte Demonstration seiner Macht, eine Möglichkeit, mich zu demütigen und seine Dominanz zu festigen? Oder wollte er wirklich üben, wie er in Zukunft Novizen bestraft? Die Frage nagt an mir, jeder Gedanke an ihn entfacht meine Wut neu. Kaz war schon immer ehrgeizig, aber dieses Verhalten geht über einfachen Ehrgeiz hinaus. Ich male mir aus, dass er Freude daran gefunden hat, mich leiden zu sehen. Es kann nicht nur Pflichtbewusstsein gewesen sein, es war persönlicher Genuss. Ich werde ihm das heimzahlen, sobald ich wieder stark genug bin. Dieser Gedanke gibt mir Kraft, durch den Schmerz hindurchzuatmen und ich schaffe es zurück in mein Bett. Sogar Liegen schmerzt.
Aber trotzdem bin ich froh. Ich lebe. Und ich darf erst einmal am Leben bleiben, obwohl noch nicht geklärt ist, wie. Ich muss schließlich etwas beitragen und kann nun nicht mehr das Haus verlassen. Ich weiß, dass ich jetzt keine andere Wahl habe, als mich an alle Regeln zu halten und zu zeigen, was für ein folgsames Mädchen ich sein kann. Jeder Tag wird ein Kampf sein, meine Wut und meinen Frust herunterzuschlucken. Ich werde mir Mühe geben, nur Dankbarkeit nach außen zu zeigen, selbst wenn mein Inneres vor Zorn brennt. Es ist eine Gratwanderung, das Gleichgewicht zwischen Demut und Rachegelüsten zu halten. Aber ich werde es tun, ich muss es tun, um zu überleben. Jede meiner Bewegungen wird von Schmerz begleitet, aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde mich durchbeißen, still und gehorsam, bis ich stark genug bin, um zurückzuschlagen.
Vielleicht finde ich eine Möglichkeit, meine DNA aus der Datenbank zu löschen, auch wenn das noch keinem endgültig gelungen ist, da zu viele Sicherungskopien erstellt werden. Aber vor allem muss ich jetzt heilen und dafür brauche ich viel Schlaf, weshalb ich der Müdigkeit, die mich wieder überwältigt, nachgebe und in einen traumlosen Schlaf dämmere. Eine dunkle, ruhige Leere, die mich für eine Weile von meinem Schmerz befreit.
Ein Klopfen an meiner Tür weckt mich wieder und Leandra kommt mit einem Tablett herein. Draußen ist es noch hell, aber die Sonne steht schon tief.
„Bevor ich zur Mission aufbreche, wollte ich dir noch etwas zu essen reinbringen", sagt sie und stellt das Tablett mit seinen kurzen Beinen auf beiden Seiten meines Körpers ab. Ich murmele ein kleines „Danke", wobei ich versuche den Mund nicht allzu viel zu bewegen. Mit einem kurzen Lächeln geht sie wieder hinaus. Ich hebe den neben der nach Kräutern duftenden Suppe liegenden Löffel an, um mich zu mustern. Mein Gesicht ist immer noch purpurn und meine Augen geschwollen, aber an den Rändern wird es langsam eher blau. Jeder Muskel meines Arms protestiert, als ich den Löffel vorsichtig zur dampfenden Suppe bewege und ihn langsam zum Mund führe. Jeder Schluck ist eine Qual, die heiße Flüssigkeit brennt auf meinen aufgerissenen Lippen und schmerzt in meinem geschwollenen Rachen. Trotzdem zwinge ich mich, weiter zu essen. Jeder Löffel ist ein Kampf, jeder Schluck ein kleiner Sieg über den Schmerz.
Mit meiner AR-Brille sehe ich mir die aktuellen Nachrichten an, um zu sehen, ob etwas über meinen Einbruch berichtet wird. Doch es geht um die Wiederwahl des Präsidenten. Ich höre seiner verlogenen Rede über die großartigen Sicherheitsstatistiken von Colonia Nord zu, bis ich wieder wegdämmere und bis morgens durchschlafe.
Am nächsten Morgen ist es nicht Leandra, die mir einen Teller Grießbrei zum Frühstück ins Zimmer bringt, sondern Severin. Ich bin überrascht und ein bisschen misstrauisch, weil das sonst nicht seine Art ist. Er überprüft meine Verletzungen mit geübten Griffen und professionellem Blick. Jede seiner Berührungen sendet Schmerzwellen durch meinen Körper, aber ich atme durch die Qual und lasse mir nichts anmerken. Er säubert hier und da eine Wunde und sagt schließlich: „Du hattest Glück." Seine Stimme ist neutral, fast klinisch, und ich frage mich, was er wirklich denkt. Meint er, ich hatte Glück, weil ich leben darf? Oder weil meine Verletzungen nicht so drastisch sind, wie sie hätten sein können? Bevor ich eine Antwort finden kann, hat er sich schon umgedreht und den Raum verlassen, mich mit meinen Gedanken allein lassend. Ich habe nach dem Frühstück jedoch dringendere Bedürfnisse, als darüber ewig nachzudenken und schleppe mich ins Badezimmer. Die Schmerzen sind immer noch stark, aber nicht mehr so schlimm wie gestern. Zumindest muss ich nicht mehr kriechen.
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