7. Kapitel: Ohne Hoffnung
Ciaras/Kellys Sicht:
Seit Stunden starrte ich in die Dunkelheit, bewegte mich nicht. Nur meine Augen huschten hin und her, suchten einen Streifen Licht, einen Punkt oder einfach etwas weniger Dunkelheit. Nichts. Es blieb alles schwarz, nicht das schwarz eines Kleidungsstücks oder die Dunkelheit, wenn man die Augen Schloss. Nein, es war einfach undurchdringlich. Eine Suppe, die langsam anfing auf meine Lunge zu drücken. Ein Nichts.
Ich war mir nicht sicher, ob ich gestorben war, wie lange ich bewusstlos war, doch meine Wunden bluteten nicht mehr. Unter meinen Fingern spürte ich das Narbengewebe. *Narbengewebe?! Wie lange war ich weg? Das müssen Wochen gewesen sein.* Wieder stieg die Panik in mir auf, ich versuchte sie niederzukämpfen, doch dazu fehlte mir die Kraft. Die unbedachte Bewegung mit der ich versuchte eine Haarsträhne aus meinem Gesicht zu streifen, raschelten die Ketten. Ich betete, dass Kort mich nicht gehört hatte, doch so viel Glück hatte ich nicht. Die Tür öffnete sich fast augenblicklich, aber kein Licht fiel durch die Öffnung, das schwarz war noch so undurchdringlich wie zuvor. *Schritte!* Dachte ich und konzentrierte mich auf das immer lauter werdende Geräusch, dass mich wissen ließ, jemand kam auf mich zu.
Es blitzte. Plötzlich war alles in gleißendes Licht getaucht. Aus dem schwarzen Nichts wurde mit einem Schlag ein leuchtend weißer Vorhang, der meine Sicht verschleierte. Durch den plötzlichen Lichteinfall war mein Gehirn überfordert, das erste was ich sah waren nur Schemen und verschwommene Konturen. Ein Schatten beugte sich über mich, ich konnte nichts erkennen, da war kein Gesicht, nur eine schwarze Masse die meinem Gesicht immer näher kam. "Du bist also wieder zurück. Vermutlich weißt du nicht, was passiert ist.", die Stimme dröhnte in meinem Kopf und ich drehte ihn zur Seite. Neben mir war es nicht mehr so hell, ich konnte die Mauer auf meiner linken Seite sehen. *Die Lichtquelle ist also genau über mir.* Dachte ich und drehte den Kopf zur anderen Seite. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Licht, das den Raum flutete. Ich erkannte den Mann neben mir wieder. Sebastian Kort.
„Du warst tot und das sogar ziemlich lange, das hatte ich nicht erwartet. Aber ich habe natürlich auch eine gute Nachricht, der Dolch tut was er soll, deine Wunden haben erst nach Tagen angefangen zu heilen und man sieht sogar jetzt noch, wo das Messer steckte.", seine Stimme klang wie die eines kleinen Jungen, der gerade einen Haufen Süßigkeiten geschenkt bekam. *Was für wundervolle Neuigkeiten....* Der Sarkasmus wollte über meine Lippen dringen, doch ich hielt es für schlauer den Mund zu halten. *Ich muss hier unbedingt raus, bevor mich seine ‚guten Neuigkeiten' noch wirklich umbringen!* Schrie ich in Gedanken, doch bevor ich mir einen Fluchtplan überlegen konnte, redete Kort auch schon weiter. „So, da ich glaube, dass du von dir aus nicht allzu viel sagen wirst, habe ich beschlossen alleine herauszufinden, was du bist." Er zog sich Handschuhe über. *So kalt ist es hier doch überhaupt nicht.* Schoss es mir durch den Kopf. Mein Gehirn wollte nicht wahrhaben, was es tatsächlich gesehen hatte. Ein paar hellblaue Latexhandschuhe, wie sie sie auch in Krankenhäusern verwendeten. Auf dem Beistelltisch lagen einige Skalpelle und Klammern; erst jetzt übersetzte mein Kopf, was er wirklich vorhatte. *Er will mich aufschneiden!*
Lähmende Angst. Anders konnte ich es nicht beschreiben. Einfache, lähmende Angst, die Stück für Stück durch meinen Körper kroch. Meine Arme hatten aufgehört zu zittern, meine Kehle war wie zugeschnürt, doch meine Gedanken waren in steter Aufruhr. Es wäre egal gewesen, ob ich gefesselt war oder nicht, die Taubheit in meinen Beinen hätte es mir nicht erlaubt auch nur einen Schritt zu wagen. Sie breitete sich in meinem ganzen Körper aus, mein Oberkörper, dann die Arme und zuletzt der Kopf, alles war von einer umfassenden Taubheit erfüllt. Ich fühlte mich gefangen in meinem eigenen Körper, bei völligem Bewusstsein, doch unfähig etwas gegen Korts Taten zu tun. Unfähig sich zu wehren. Hilflos.
Was in den nächsten Stunden und Tagen, vielleicht sogar Wochen oder Monaten, geschah war grausam. Zwar verlor ich immer wieder das Bewusstsein, aber in den restlichen Wachphasen war ich unentwegt am Schreien. Die Stimmbänder flehten schon nach einigen Stunden um eine Pause, jedoch waren die unzähligen Schnitte auf meinem Körper, der beste Grund weiter meine Schmerzen hinauszubrüllen. Ich spürte seine eiskalten Hände in meinem Körper, wie er darin herumwühlte, als wäre mein Körper ein Wühltisch beim Schlussverkauf. Ich spürte, wie er jedes Mal ein anderes Organ entfernte und es untersuchte, während ich zum gefühlt tausendsten Mal starb. Doch sobald ich wieder aufwachte fing es wieder von vorne an, ich hatte keine Zeit zum Ausruhen oder Zeit mich zu erholen. War ich wach, wurde ich aufgeschnitten. War ich tot, vermutlich auch, doch in meinem Kopf sah ich immer wieder diese belustigten Augen, wenn er mich bei vollem Bewusstsein und ohne lokale Betäubung aufschnitt und sich an meinen Angst- und Schmerzschreien weidete. Die Unentschlossenheit quälte mich. *Sollte ich vielleicht doch nachgeben und Kort erzählen, was ich bin? Nur damit meine unendlichen Schmerzen endlich aufhörten? Aber, würden sie denn wirklich aufhören? Würde dieser kranke Psychopath mich gehen lassen, oder zumindest aufhören zu foltern, wenn er wusste, wozu mein Blut in der Lage war? Nein. Seine Neugier würde geweckt werden, er würde weitere ‚Untersuchungen', wie er es nannte, anstellen, um herauszufinden, wie es möglich ist. Der Wissenschaftler lebt von der Neugier und dem Drang zu wissen, wie etwas funktioniert, hatte er ihr einmal erklärt, während er ihr unter bestialischen Schmerzen, den Bauch aufschnitt und ihre Nieren entfernte. Ich muss stark bleiben! Ich darf ihm nicht sagen, was ich bin! Irgendwann wird er aufhören, oder irgendjemand wird mich hier finden.* Meine größte Hoffnung. Jemand würde kommen und mich retten. Vergeblich hatte ich mich monatelang an diesen winzigen Strohhalm geklammert, ohne zu wissen wie viel Zeit in Wirklichkeit schon vergangen ist.
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„Kelly, ich möchte dir jemanden vorstellen. Das ist Selina, sie arbeitet jetzt schon eine geraume Zeit mit mir zusammen und hat sich mein Vertrauen erworben, deswegen darf sie dich jetzt kennenlernen. Wer weiß, vielleicht wird sie sogar irgendwann mal meine Arbeit fortsetzen und an den Operationen teilnehmen." Kort stand in meiner Zelle. Ich lag auf meinem Metalltisch und starrte in die Dunkelheit über mir. Das Licht war immer aus, nur zu den ‚Operationen' wurde die Zahnarztleuchte eingeschaltet. Ich wollte sterben! Mein Lebenswille lag vermutlich zerstückelt irgendwo, in einer von Korts unendlich vielen Nierenschalen. Es gab nichts mehr an das ich hätte glauben können, keinen Funken Hoffnung, der mich weiter antrieb. Es war als hätte er nicht nur meine Organe genommen und zerstückelt, sondern mein ganzes Bewusstsein endgültig zerstört. Doch ich konnte nicht sterben! Sebastian Kort hatte Recht, was seine ‚Gäste' betrifft, sie kommen immer wieder zurück, ob sie wollen oder nicht. Innerlich flehte ich jede Nacht, er würde mir doch endlich auch das Herz rausreißen, denn welches Lebewesen kann ohne sein Herz schon existieren? Aber er tat es nie, er untersuchte es, während es in meiner Brust schlug, doch er beschädigte es nie so viel, dass es für immer aufgehört hätte zu schlagen.
Es war ein Teufelskreis in dem ich gefangen war. Leben, konnte man es überhaupt als Leben bezeichnen? Nein. Dahinvegetieren, trifft es wohl besser.
Also, mein persönlicher Teufelskreis: Dahinvegetieren, gefoltert werden, sterben und dann wieder in den Zustand des Daseins zurückkehren.
Das ist es, das ist mein Leben, mein Zustand, meine Situation. Nennen Sie es wie Sie wollen, doch nichts davon wird meine Qualen auch nur annähernd miteinbeziehen können.
„Na dann, wollen wir mal loslegen. Selina, willst du heute den Anfang machen?", Sebastian Korts Stimme drang wieder in meinen Kopf ein. Die Deckenleuchte über mir wurde eingeschaltet und es begann wieder und ich wusste, es würde niemals enden. Nachdem meine Augen sich wieder an das absurd grelle Licht gewöhnt hatten, konnte ich das Gesicht der Fremden erkennen. Ich hatte mit einer Frau gerechnet, vielleicht im selben Alter wie Kort, den ich mittlerweile etwa auf 60 schätzte, doch ich irrte mich. Über mich gebeugt stand ein Mädchen, vielleicht auch schon junge Frau, höchstens 22 Jahre alt und setzte gerade den Dolch an meinem Bauchnabel an, um meinen Bauch aufzuschneiden. Doch bevor sie den Schnitt durchführen konnte, trafen ihre Augen die meinen und sie zögerte. Tränen mussten sich in meinen Augen gebildet haben, denn sie wischte sie mit einer Bewegung ihres Daumens weg und stieß dann den Dolch tief in mich hinein. *Grausam. Sadistisch. Brutal. Bestialisch. Kaltblütig.* So viele Begriffe gingen mir in diesem Moment durch den Kopf. *Wie konnte eine vielleicht 22- jährige Frau, nur so gefühllos sein und einem anderen, an einen Tisch gefesselten Lebewesen, so etwas antun? Ich hatte die Furcht in ihren Augen gesehen, vielleicht war es aber auch nur eine Täuschung und ich sah nicht in ihre Augen sondern in meine eigenen, denn ich hatte Angst. Angst vor dem unbekannten, Angst davor, nicht nur einem Monster begegnet zu sein, sondern auch noch einem Zweiten.* Mir wurde aber schnell klar, dass ich mehr Pech hatte, als alle anderen Menschen auf der Welt. Ich blickte in Selinas kalte Augen, die erwartungsvoll funkelten. Kort lachte, ich würgte. Die Klinge hatte genau meine Milz getroffen und ich spürte, wie das Blut austrat, wie mir schwindelig wurde und langsam begann weg zu dämmern. Aber ich blieb wach. *Wieso bin ich weiterhin wach? Normalerweise ist das die Zeit, in der ich bewusstlos werde und sterbe! Sie hatte beim Aufschneiden ein Organ getroffen, ich müsste verbluten, wieso tue ich das nicht?* Statt dem Gefühl der Erleichterung, das mich eigentlich hätte überkommen müssen, kam die Angst zurück. Die Panik. *Wieso sterbe ich nicht? Ich kann noch immer den Dolch in meinem Bauch spüren und die Finger, die in meinem Darm herumirren. Viel kleiner, als die von Kort, aber auch sehr viel unvorsichtiger und gewaltsamer. Ich will das nicht spüren!* „Es funktioniert!", Kort klatschte in die Hände und klopfte anschließend Selina anerkennend auf die Schulter und sie lächelte. „Sie hat eine Flüssigkeit entwickelt, die es uns ermöglicht, dich dauerhaft am Leben zu erhalten.", erklärte er mir. „Ist das nicht wunderbar?" *Mich dauerhaft am Leben erhalten? Nein, das war alles andere als wunderbar! Das ist furchtbar. Es bedeutet mehr Schmerzen, mehr Hoffnungslosigkeit.* In diesem Moment wollte ich nichts sehnlicher als sterben. Allein der Gedanke, diese Qualen auf Dauer aushalten zu müssen, ließ mir einen Schauer über den Rücken jagen und mich hyperventilieren. Meine Lunge schrie nach Luft, doch je mehr und heftiger ich einatmete, desto weniger Luft strömte in meine Lungen, glaubte ich jedenfalls. Meine Atmung wurde schneller, unkontrollierter. Kalter Schweiß trat auf meine Stirn und es war das erste Mal, dass mein Körper sich versuchte aufzubäumen, obwohl es eher ein Reflex als eine bewusste Entscheidung gewesen war. Die Ketten hielten mich zurück, doch die plötzliche Bewegung hatten Lina und offenbar auch Kort irritiert, sodass er mir schnell etwas zur Beruhigung gab. Ich wollte mich dagegen wehren, wollte nicht einschlafen, obwohl es die einzige Möglichkeit war diesem Irrsinn zu entfliehen. *Ich will nicht schlafen, ich will sterben!* Das waren meine letzten Gedanken bevor mir die Augen zufielen.
In dieser Nacht sah ich sie zum ersten Mal. Die eisgrauen Augen in der Dunkelheit. Damons Augen! Sie spendeten mir Trost, ich spürte wie meine Angst verschwand und eine angenehme Ruhe meinen Körper durchströmte und zum ersten Mal seit Jahren lächelte ich sogar.
Doch so schnell seine Augen aufgetaucht waren, sind sie auch wieder verschwunden und ließen mich allein in dem Entsetzen zurück, dass ich kurz mein Leben nannte.
Damons Sicht:
Ich lag noch immer neben ihr und redete auf sie ein, doch ihre Schreie wollten nicht leiser werden. Abgelöst wurden sie immer mal wieder von lautem Wimmern oder Schluchzern. Tränen rannen ihr über die Wangen. *Was kann ich tun? Es ist 4 Uhr morgens und sie leidet schon seit Stunden diese Höllenqualen!* Meine Nerven drohten sich zu verabschieden. Ihre Schreie setzten vielleicht nicht physisch zu, aber seelisch war ich total am Ende. Selina saß noch immer auf ihrem Ledersessel und starrte auf das Bett, obwohl ich eher das Gefühl hatte, sie würde durch uns hindurch sehen; und wieder fragte ich mich, wie sie so ruhig dasitzen konnte. Im Wohnzimmer hatte sie so unglaublich besorgt gewirkt, doch jetzt schien es, als würde sie sich an dem gequälten Gesicht meiner Freundin ergötzen. Wieder wurde mir übel und ich verscheuchte den Gedanken schnell wieder. Das Risiko war zu groß, dass ich ihr noch weniger vertraute als sowieso schon und das würde schlimme Konsequenzen für sie haben. Ihren Tod.
*Wie hatte ich nur so verantwortungslos sein können, sie allein zu lassen? Merkt sie überhaupt, dass ich bei ihr bin? Dass ich sie festhalte und nicht mehr loslassen möchte?* Die Kratzspuren, die sie hinterlassen hatte waren bereits wieder verheilt und schon nicht mehr zu erkennen. Plötzlich trat eine Veränderung auf, Ciaras Körper entspannte sich, sie hörte auf wie eine Irre um sich zu schlagen und lag ganz friedlich in meinen Armen. In diesem Moment kam die Panik zurück. *Was ist los mit ihr? Ist sie tot?! Nein, das kann nicht sein, sie liegt hier bei mir. Ihr kann nichts geschehen!* Ich drehte durch, doch dann fing Ciara wieder an zu schreien.
[nicht überarbeitet]
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