12. Kapitel: Verloren


Ich stand da, keinen Meter vor ihm und die Zeit schien still zu stehen. Der Vampir, dessen Hand tief in meinem Brustkorb vergraben war, Kort, der durch die Lautsprecher „STOPP!", brüllte und seine Hände, die meine Schultern umfassten. Damons Mund war zu einem markerschütternden Schrei geöffnet, doch kein Laut drang heraus. Seine Kraft war am Ende. Der Augenblick verlief in Zeitlupe, als würde er ihn verhöhnen; alles geschah auf einmal und dennoch passierte nichts. Mein Körper wurde schlaff und er hielt mich in seinen Armen. „Nein, bitte nicht", flüsterte er und stumme Tränen liefen über seine Wangen. Der Mann vor ihm hatte die Hand wieder aus mir herausgezogen und Damon stockte der Atem. Sie triefte vor Blut und Gewebe, die Hand war zur Faust geballt und der Vampir öffnete sie nur quälend langsam. Um mich herum war nur Dunkelheit. Kein Licht. Kein Gefühl. Kein Schmerz. Ich stand allein auf weiter Flur und sah mich um. Nichts, einfach Nichts. Eine weite unendliche Fläche voller Schwärze. Vielleicht ist es aber auch nur ein kleiner Raum, schoss es mir durch den Kopf und streckte die Hand aus. Keine Wand. Oder hatte ich überhaupt keine Hände, die ich ausstrecken konnte? Hatte ich die Augen überhaupt geöffnet? War ich tot – oder doch noch am Leben?

Damon saß über sie gebeugt da und hielt die Hand über das Loch in ihrer Brust, als wollte er es vor weiteren Schäden und Angriffen schützen. Er starrte unentwegt auf Ciaras Gesicht, die Meute von Vampiren hatte er völlig vergessen, doch sie griffen auch nicht mehr an. Niemand erhob die Hand gegen ihn oder die am Boden liegende Ciara. Es war nicht nur ihr Herz, das der Vampir hätte rausreißen sollen, sondern auch das von Damon. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er hatte sie nicht beschützen können, hatte sein Versprechen gebrochen und sie sterben lassen. Da war kein Puls, kein schlagendes Herz mehr, nur stille Verzweiflung, Trauer, Schmerz, Wut und der aufzehrende Gedanke nach Rache. Damon wollte sich rächen, an diesem Vampir, an Sara und Kort und am liebsten auch an der ganzen restlichen Welt. Wut und Trauer vermischten sich, in seine Augen trat ein wahnsinniges Funkeln. Da war keine Liebe mehr, nur noch der Wunsch nach Vergeltung.

Unruhe brach zwischen den anderen Vampiren aus und sie wichen langsam zurück als Damon seinen Blick hob. Einige schafften es, sich wieder in ihren Zellen zu verstecken, doch die Meisten überlebten die nächsten Minuten nicht. Damon war so voller Hass, einigen brach er das Genick, um sie außer Gefecht zu setzen und andere traten als herzlose Monster vor ihren Schöpfer, im wahrsten Sinne des Wortes. Es dauerte nicht lange und niemand war mehr übrig.

Und nur noch ein Gedanke war abgesehen von den Racheplänen in seinem Kopf zu finden und er würde ihn vermutlich niemals wieder loswerden: Es war meine Schuld! Sie hatte sich für mich geopfert und jetzt war sie tot, meinetwegen!

Erschöpft ließ er sich neben Ciara auf die Knie fallen, er nahm ihren schlaffen Körper und drückte ihn an sich. Nie wieder würde er ihre Nähe und Wärme spüren. Nie wieder mit ihr tanzen oder einfach nur daliegen und die Sterne beobachten können. Es war einfach vorbei. Er versteckte seine Tränen nicht, sondern starrte in das rotblinkende Licht der Überwachungskamera. „Sie sollten gehen, Kort, und Sara nehmen Sie am besten gleich mit, denn wenn ich Sie finde und ich werde Sie finden, werde ich Ihnen zeigen was es bedeutet Schmerz zu empfinden! Sie werden um ihr Leben flehen und mich anbetteln aufzuhören, aber wissen Sie was meine Antwort sein wird....", Stille, kein Knacken der Lautsprecher, nichts, „Meine Antwort wird ‚Nein' lauten. Es gibt keine Gnade für Sie, für niemanden der Ihnen nahe steht oder den Sie lieben! Haben Sie eine Frau – werde ich sie finden! Haben Sie eine Geliebte – werde ich sie finden! Haben Sie Kinder – ", das Licht der Kamera erstarb. „Lassen Sie uns gehen Kort, Sie haben verloren und das wissen Sie auch", rief Damon und im fast selben Moment erklang das mechanische Surren der Türöffner. Er ging zurück zu Ciaras Leichnam und hob sie hoch, sie fühlte sich so leicht an, immer noch stumm weinend trug er sie hinaus, es dauerte eine Weile bis er das Labyrinth aus Gängen durchquert hatte und endlich auf die Straße trat.

Einsam und verlassen, die Straße und Damons Inneres waren ein und dasselbe, leer. Der Wind peitschte durch die Bäume am Straßenrand und ließ die Blätter über den rauen Asphalt gleiten. Die Wolken waren grau, der Himmel verhangen, doch es regnete nicht, eigentlich sollte heute ein schöner Tag werden mit Sonnenschein und blauem Himmel und es würde auch noch so kommen, das wusste Damon. In Shadowliver war es morgens immer trüb, doch im Sommer konnte man die Mittagshitze kaum ertragen. Sein Wagen stand bloß wenige Meter entfernt, so vertraut aber auf einmal so fremd. Es war nicht mehr dasselbe, als er in den Wagen stieg, den Motor startete und durch die grauen Straßen fuhr, denn sie war fort. Damon hatte aufgehört zu weinen, er konnte nicht mehr und auf diese Weise tat es noch mehr weh. Ein Blick auf den leeren Beifahrersitz und er sah den Inhalt seines Lebens. Ciara. Geschlossene Augen, mattes Haar. Tot und kalt. Und überall war Blut. In ihren Haaren, auf ihrer Kleidung und an ihm, er war behaftet mit dem Blut von Vampiren. Vampire, die ihm sein Leben gestohlen hatten, die ihm Ciara genommen hatten und doch wünschte er sich, es wäre sein eigenes gewesen. Sein Kopf sank auf das Lenkrad, den Blick nach unten gerichtet und keine Kraft mehr. Die Frau, die er hatte beschützen wollen, für die er hätte sterben wollen, war tot, aus dem Leben gerissen und das für immer. Der Wind zerzauste sein Haar und die dunklen Augen brachen auf. Sonne durchströmte die Welt, wie ein goldener Fluss der sich über den Himmel und bis hinunter zur Erde zog und kurz darauf begann auch der Regen. Dicke Tropfen fielen auf die Erde, auf sein Auto und durch das offene Dach auch auf ihn, aber er bemerkte es nicht einmal. Es war ihm alles egal. Blut vermischte sich mit Wasser und wurde zu einer lebendigen Flüssigkeit, die den Tod verkörperte und sich wie giftige Schlangen um seine Arme wanden. Etliche Minuten später – oder waren es Stunden? – stand Damon auf, sein Haar klebte an seinem Kopf und der Tod lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er brauchte eine gefühlte Ewigkeit bis er Ciara aus dem Wagen hob und zur Tür trug. Die blutverschmierten Ledersitze seines Cabriolets kümmerten in nicht. Doch als er die Haustür hinter sich schloss brach er zusammen. Langsam rutschte er mit Ciara in den Armen an der Tür herunter und er schrie. Er brüllte seine ganze Wut und Trauer in das alte Haus, das sich nach all den Jahren, jetzt ohne Ciara, nicht mehr nach einem Zuhause anfühlte.

Alec saß noch immer am Wohnzimmertisch und starrte auf das Handy vor sich. Wie lange brauchte Sara denn? Er wollte Damon und Ciara zurück! Ein Motor wurde abgestellt, Alec hielt die Luft an und horchte. Keine Tür öffnete sich, keine Schritte näherten sich dem Haus. Vermutlich nur ein Nachbar, dachte er und wartete auf das vertraute Klingeln seines Mobiltelefons. Dann nach drei Stunden des elenden Wartens erschütterte ein gequälter Schrei das Haus und Alec erstarrte. NEIN! Das war nicht möglich! Bitte, lass es nicht wahr sein! Unendlich viele Gebete und dergleichen erfüllten seinen Kopf und ließen ihn kaum einen klaren gedanken fassen. So schnell es seine gebrochenen Rippen zuließen lief er in den Flur. Das erste das er sah war Damon, der am Boden saß, es dauerte eine Weile bis Alec begriff, was er dort auf seinem Schoß liegen hatte und er sackte auf die Knie, ungeachtet der Schmerzen und den sich verschiebenden Rippen. Dieser psychische Schmerz war viel schlimmer, etwas das ewig andauern würde, solange bis er sterben würde. Unglauben, Entsetzen und grenzenlose Verzweiflung spiegleten sich auf Damons und Alecs Gesichtern wider. Damon erkannte Alec und in diesem Moment kehrte die Wut zurück. In Vampirgeschwindigkeit stand er vor Alec und hielt ihm am Hals gepackt fest. „wo ist sie?!", knurrte er und das alte Feuer in seinem Inneren loderte wieder auf. „Damon", keuchte Alec, seine Stimme klang gepresst und seine Füße suchten vergeblich nach einem Halt. „Hast du es gewusst?", erst jetzt verstand Alec wovon sein Freund sprach. „Ich weiß nicht.....", Damon verstärkte den Griff um seinen Hals und Alec bekam keine Luft mehr. „Wo ist Sara, Alec?! Wo ist diese Verräterin, dieses Miststück von Heuchelei?!", er war wütend, doch Alec versuchte ruhig zu bleiben. Sein Körper schrie nach Sauerstoff, und das Adrenalin das durch seinen Körper gepumpt wurde ließ ihn auch einen Moment die Schmerzen vergessen. Er ließ die Hände sinken, die zuvor versucht hatte Damons Griff um seinen Hals zu lockern und ließ auch die Schultern hängen. „Ich wusste es nicht, Damon! Ich hätte das niemals zugelassen!", seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, „Ich.......ich hab sie auch geliebt, Damon....", Alecs Augen wurden rot und glasig, nur Sekunden verstrichen, ehe die ersten Tränen sein Gesicht benetzten. Der Griff lockerte sich ein wenig und Alec schnappte nach Luft. Gierig sogen seine Lungenflügel den Sauerstoff ein und versuchten den vorherigen Sauerstoffmangel auszugleichen. „Sara hatte angerufen und nach dir gefragt, sie meinte du seist Zuhause, sie wusste nicht, dass Kort dich gefangen hielt", versuchte er seine Schwester zu rechtfertigen, doch er glaubte sich ja nicht einmal selbst, wie sollte er dann seinen Freund davon überzeugen? „Mir ist völlig egal, was sie wusste und was nicht! Sie war meine Freundin, sie kannte meine Geheinisse und sie war so ziemlich die einzige Familie, mal abgesehen von dir, die ich über all die Jahre hatte und sie hat mich verraten! Sie ist der Grund warum Ciara sterben musste!" Damon deutete auf ihre Leiche und eine Gänsehaut überzog Alec während er in die Augen seines besten Freundes schaute. „Glaub mir, Damon, ich weiß es erst seit ein paar Stunden und ich hasse Sara für das, was sie getan hat, aber ich weiß nicht wo sie ist oder was sie tut." Alec schien jetzt zu ihm durchgedrungen zu sein, denn er löste den Griff um seinen Hals. Hustend beugte er sich vorn über und hielt sich seine Seite. „Was ist los mit dir?", fragte Damon, er war immer noch wütend, doch langsam setzte sein Verstand wieder ein. Alec winkte ab, „Nicht so wichtig.." Er schüttelte den Kopf und ging auf Alec zu, seien Hand streifte seine Seite und Alec zuckte schmerzerfüllt zurück. „Deine Rippen sind gebrochen", stellte er fest. „Unwichtig", murmelte er und zog sich an die Wand zurück. Damon nahm ein Glas und füllte sein Blut hinein. „Trink, für Ciara können wir....." Alec starrte auf das Glas, das Damon ihm hinhielt und war für einen Moment zurück in der Küche. Zusammen mit Ciara saß er am Küchentisch während sie ihm ihr Blut gab um die Kopfverletzung zu heilen, ihr Lachen hallte durch seinen Kopf und für einen Moment hatte er alles um sich herum vergessen.

„.....nicht ohne Strafe entkommen", vollendete Damon seinen Satz und sah wieder zu seinem Freund. „Was hast du gesagt?", fragte Alec, der plötzlich wieder aus seiner Gedankenwelt aufgetaucht war und erst jetzt das Glas genommen hatte. „Ist alles in Ordnung mit dir?", Alec nickte. „Ich sagte, wir können für Ciara vielleicht nichts mehr tun, aber ich werde Kort und Sara nicht einfach so davon kommen lassen. Ich werde sie jagen" Alec trank das Glas, musste jedoch schlucken, als Damon seinen Satz beendet hatte. „Bring sie bitte nicht um!", murmelte er. „Wieso?! Sie haben den Tod verdient! Sie haben meine Freundin auf dem Gewissen! Du hast sie doch auch geliebt, Alec!" Er schluckte wieder, „Du musst verstehen, Damon, Sara ist nach all dem immer noch meine Schwester... Ich.....ich kann sie nicht einfach sterben lassen......... Auch wenn ich ohne Ciara am Ende bin, genauso wie du, ist sie immer noch ein Teil meiner Familie. Es gefällt mir nicht und ich hasse sie für das was sie uns angetan hat, wie noch nie zuvor irgendjemandem, aber ich kann nichts daran ändern." Damon dachte einen Moment über Alecs Worte nach, er dachte an Ciaras versuch ihn von Simon abzulenken und es hatte geholfen, aber dennoch hatten ihn die Schuldgefühle wegen dem Tod seines Bruders niemals aufgehört zu verfolgen, sie waren nur etwas in den Hintergrund gerückt. Wollte er das seinem einzigen Freund wirklich auch antun? Widerwillig nickte er, „Einverstanden, ich werde Sara nicht töten, aber sie wird auch nicht einfach so davonkommen" „Natürlich nicht", sagte Alec entrüstet und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick schweifte zu Ciaras leblosen Körper und ging zu ihr. Langsam kniete er sich neben sie und strich ihr über das glanzlose Haar. „Wie ist sie gestorben?", es war nur ein Flüstern, doch für Damon klang es wie ein Schrei, ein Vorwurf, eine Verurteilung. „Kort hat eine Horde Vampire auf uns gehetzt, er meinte, er wolle wissen, wer von uns Beiden länger durchhalten würde. Es hätte mich treffen sollen, Alec!", seine Stimme, durchzogen von stiller Verzweiflung und purem Schmerz, drang nur langsam an Alecs Ohr. „Du darfst so gar nicht erst denken, sonst wird es..." „Du verstehst nicht Alec, sie hat sich vor mich gestellt, der Vampir hätte mein Herz herausgerissen und nicht ihres! Ich hätte sterben müssen! Ciara hat mir das Leben gerettet!", unterbrach Damon ihn, doch er weinte nicht mehr, da war keine Kraft mehr dazu, es war alles irgendwie taub. „Warst du bei ihr?" Er nickte, „Ich konnte sie im Arm halten als sie starb, die Vampire hatten auf Befehl von Kort aufgehört anzugreifen, aber erst nachdem der Vampir ihr das Herz herausgerissen hatte" Alles schien in die Ferne zu rücken, Alec, das Wohnzimmer in dem sie standen, alles war plötzlich so weit weg und er war wieder in den Zellen des Gebäudes. „Was hast du getan, Damon?", fragte Alec und sah zu ihm hoch. „Na was schon, ich hab sie umgebracht, ich habe jedem einzelnen verdammten Vampir das Herz herausgerissen und sie liegen lassen, denn mehr haben sie nicht verdient", knurrte er und setzte sich auf die Couch, direkt neben seine Geliebte. Ein kurzer Blick und ein sanfter Fingerstrich über ihre Wange. Auf eine bedrohliche Weise sah sie wunderschön aus, selbst im Tod war sie einfach bezaubernd.

Ich konnte ihn spüren, ich war in seinen Gedanken, im Stillen rief er mich zu sich. Seine eisgrauen Augen funkelten wie ein Leuchtfeuer in dunkelster Nacht. Er war hier, überall um mich herum, aber dennoch nirgendwo. Ich spürte seine Nähe und schrie seinen Namen. DAMON!

„Ciara?!", ein entsetzter Blick zu ihrer Leiche, Damons Herz raste. „Alles okay?", fragte Alec verwirrt und sah zu seinem Freund. „Ich....ich dachte, ich hätte sie gehört", murmelte er etwas abwesend. Alec beugte sich über sie und fühlte ihren Puls, „Tut mir leid, Damon da müssen dir deine Sinne einen Streich gespielt haben", er klang niedergeschlagen.

Wer kann ohne Herz schon existieren?, spottete Damons innere Stimme, so mächtig ist niemand.

DAMON! Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, seine Augen verschwanden immer weiter in der Ferne. Meine Beine trugen mich so schnell sie konnten und dennoch hatte ich das Gefühl mich von meinem Ziel immer mehr zu entfernen.

„Hörst du das denn nicht?", Damon war aufgestanden und blickte sich im Zimmer um. „Sie ruft mich, Alec!" Es war als suche er nach einem Geist, eine Erscheinung wie aus alten Filmen, blass und nicht wirklich da. „Damon, sie ist tot! Niemand ruft nach dir! Keiner hat irgendetwas gesagt", Alec sah ihn eindringlich an. Wurde er verrückt? Würde er jetzt immer mit Ciaras Stimme in seinem Kopf leben müssen, die nach ihm rief, die aber niemals real sein würde und in dem Wissen, sie niemals wieder zu sehen?!

„Ich bi mir sicher, Alec!", beharrt er, doch Alecs Blick blieb hart. „Ich habe nichts gehört", sagte er und starrte Damon an, der angestrengt versuchte noch eine Nachricht von ihr zu erhaschen, doch da war nichts.


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