8.

"Na klar, warum nicht?" fragte Alice und lehnte sich zurück. Elena nickte zustimmend. Lenny zog sich das T-Shirt über den Kopf. 

Mit deutlich zitternden Fingern deutete sie auf den Rubin auf ihrer Brust. Sie konnte erkennen, dass Alice etwas sagen wollte und begann schnell zu sprechen. 

"Dieser Rubin ist magisch. In ihm befindet sich eine Welt mit einer riesigen Bibliothek. Und er verleiht mir Fähigkeiten. Ich kann viel besser hören und riechen als sonst. Naja, bis Boneseeker es irgendwie abgeschaltet hat." 

Lenny merkte, wie absurd und dumm ihre eigenen Worte klangen. Sie erwartete das schlimmste, als Alice den Mund öffnete, doch stattdessen fragte sie nur: "Wer ist Boneseeker?" Elenas Gesichtsausdruck war unlesbar. 

"Sie ist ein Vogel. Ein Rabe. Sie kann sprechen und hilft mir mit meinen Fähigkeiten klarzukommen. Letztes Mal als ich im Herz war, war sie nicht da." 

Kurz herrschte Stille. Alice blickte Lenny ernst an und reichte ihr das T-Shirt. 

"Verarschst du uns?" fragte sie. Lenny spürte wie ein winziger Teil ihrer Anspannung von ihr abfiel. Sie schlüpfte in das T-Shirt und räusperte sich um den restlichen Kloß in ihrem Hals zu entfernen. 

"Nein." murmelte sie. Alice nickte ernst. 

"Angenommen ich glaube dir. Was bedeutet das für dich. Willst du es wieder loswerden? Wird es dein restliches Leben eher negativ oder positiv beeinflussen?" 

Lenny musste beeindruckt feststellen, dass diese Fragen genau die nötigen Informationen an Alice und Elena, die immer noch nichts gesagt hatte, liefern würde, sofern sie sie beantwortete. Wollte sie das Herz loswerden? Lenny dachte an Boneseeker und die vielen Bücher. Doch auch an die Schmerzen, die sie empfunden hatte und die Kälte, die begann, sie sogar außerhalb des Herzens heimzusuchen. 

"Ich glaube nicht, dass ich es wieder loswerden will." sagte sie leise. "Aber ich weiß nicht wie es mein Leben beeinflussen wird. Vermutlich kaum, abgesehen von der Tatsache, dass ich besser hören kann und so." hoffnungsvoll Blickte sie Elena an. 

"Glaubst du mir?" 

"Nein." 

Lenny zuckte zusammen. Elenas Tonfall schwankte zwischen Lachen und eiskaltem Fauchen. 

"Warum zur verdammten scheiß Hölle sollte ich dir glauben? Willst du mehr Aufmerksamkeit? Das kannst du vergessen. Jeder weiß doch, dass du verrückt bist. Neo hat mir alles über dich erzählt. Du bist eine Zehnjährige im Körper einer Fünfzehnjährigen. Werd Endlich erwachsen. Glaubst du wirklich ich kaufe dir diesen Scheiß ab?"

Lenny spürte wie sich kalte Wut in ihrem Bauch mit Trauer vermischte." Was weißt du schon? "fauchte sie. "Du hast nicht diesen Schmerz gespürt und du warst auch nicht im Herz!" sie wusste, dass sie die falschen Argumente brachte, doch es kümmerte sie nicht. "Warum hast du mich besucht? Weil deine Mutter es wollte? Ich-" 

"Sei still!" zischte Elena. "Du lebst in deiner erfundenen Traumwelt. Das ist verrückt! Du bist verrückt!" ihre Stimme wurde ruhiger. "Vielleicht solltest du, ich weiß nicht, zu einem Psychologen gehen oder so." 

All die Wut die sich in Lenny aufgetaut hatte, und all die Beleidigungen die sie Elena entgegenschleudern wollte machten tiefer Ungläubigkeit Platz. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen wie Alice empört Luft holte. 

"Wie kannst du es wagen, du verdammte-" 

"Lass sie." fiel Lenny Alice ins Wort. Sie wandte sich an Elena. 

"Kannst du bitte gehen Elena?" bat sie, ihre Stimme begann zu zittern als ihr das Ausmaß der harmlos wirkenden Beleidigungen mit denen Elena sie bedacht hatte klar wurde. "Ich glaube nicht, dass du mit einer Verrückten gesehen werden möchtest." 

Elena öffnete den Mund um noch etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Ohne ein weiteres Wort rauschte sie aus dem Zimmer. Lenny setzte sich wieder auf das Bett. Warme Tränen begannen Lennys Gesicht herunterzulaufen. Alice legte ihr eine Hand auf die Schulter. 

"Warum hast du mir geglaubt?" fragte Lenny leise. 

"Du sahst sehr überzeugend aus." lächelte Alice. "Ich habe gesehen dass du zu hundert Prozent daran glaubst. Also ist es entweder wahr, oder du bist wirklich verrückt." 

Das entlockte Lenny zumindest ein kleines Lächeln. "Du verdammte Empathin." sagte sie und lehnte sich an Alice Schulter. Eine Weile saßen sie einfach nur da und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Lenny schalt sich innerlich für ihre Dummheit. Sie hätte Elena richtig einschätzen müssen. Ihre Kinheitsfreundin hatte sich auch verändert. Nur eben nicht so merklich wie Lenny. 

"Brauchst du ein Taschentuch?" Alice Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Lenny nickte. Alice reichte ihr eine Packung, die sie irgendwie aus den Tiefen ihrer Hosentasche gezogen hatte. Lenny Schniefte. 

"So hatte ich mir das eindeutig nicht vorgestellt." murmelte sie mehr zu sich selbst als zu Alice. 

"Eine wichtige Frage hätte ich noch." sagte Alice. "Woher kommt der Rubin?" 

Lenny zögerte. Technisch gesehen hatte sie Diebstahl begangen. Doch Alice hatte auch schon tausendmal Süßigkeiten gestohlen, also ging das wohl klar. 

"Aus der Villa neben dem Schloss. Mit dem Typen der zwei Monate nach dem Einzug in der Badewanne ertrunken ist." Alice setzte ihr fiesestes Piratengrinsen auf. 

"Ich bin für eine weitere Untersuchung dieses Ortes." erklärte sie. "Es könnte die Mysterien deines... wie heißt das Ding noch mal?" 

"Herz." half Lenny ihr weiter. 

"Ja, genau. Es könnte dir dabei helfen die Mysterien deines Herzens zu entschlüsseln. Obwohl ich natürlich längst weiß dass du mich liebst, küssen aber unangenehm findest." 

Lenny wurde rot. "Lass das." zischte sie. "Und bitte, verspricht mir dass du niemandem davon erzählst." 

Alice ließ sich davon wenig beeindrucken. "Natürlich. Kleiner Finger Schwur." Sie streckte ihre Hand aus und Lenny schlug mit ein." 

"Rot lackierte Nägel stehen dir." lächelte Lenny. 

"Danke, das weiß ich sehr zu schätzen." Alice deutete eine Verbeugung an. "Und jetzt: Auf gehts, Kameradin!" rief Alice und zog Lenny auf die Füße. "Das Abenteuer ruft!" 

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