20.

Lenny umklammerte fest die Träger ihres Rucksacks. Neben ihr standen Layla, Timo und Elena, die gerade erst dazugestoßen war. Es hatte mehrere Demonstrationen von Lennys Fähigkeiten gebraucht, bis sie ihr überhaupt geglaubt hatte. Und danach noch eine Stunde Überzeugungsarbeit, damit sie sich in Lebensgefahr begab. Lenny konnte es ihr nicht verübeln. 

Immer noch herrschte eine unangenehme Stimmung zwischen ihr und Elena, die kaum redete und nachdenklich auf den Boden starrte. Timo überprüfte zum hundertsten Mal, ob er sein Taschenmesser auch wirklich eingepackt hatte. 

Lenny war überrascht, dass sie überhaupt alle mitgekommen waren. Sie hatte eindeutig gesagt, dass sie sich in Lebensgefahr begeben würden. Vielleicht hielten sie es alle für irgendein Spiel. Lenny bereute es, je um Hilfe gefragt zu haben. Wenn irgendeiner von ihren Freunden starb, war es ihre Schuld. 

"Lasst uns losgehen." sagte sie mit fester Stimme. Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Wenn ihre eigene Schwäche das Problem war, musste Lenny eben an sich selbst arbeiten. 'Es ist nicht deine Schuld, dass Eras versucht dich zu töten.' flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf. 

Lenny ignorierte sie. Wenn sie dem Summen widerstanden, und die Kette einfach liegen gelassen hätte, wäre nie etwas von alledem passiert. 

Um sich von ihren Gedanken abzulenken, lauschte sie dem Gespräch zwischen Layla und Timo. "Natürlich haben Enten Ohren!" zischte ihre Schwester. "Dagegen habe ich nie etwas gesagt!" beruhigte Timo sie. "Wie kommst du überhaupt auf dieses Thema?" Layla stöhnte. "Du hast doch damit angefangen." 

Elena, die bisher ganz hinten gelaufen war, schloss zu Lenny auf. "Die beiden sind ganz schön verrückt." murmelte sie. Lenny lächelte leicht. "Sie sind mit mir unterwegs." antwortete sie. Elena blickte zu Boden. 

"Hör mal." begann sie. Ich bin immer noch nicht ganz von diesem Herz überzeugt. Ich bin eigentlich nur mitgekommen, weil ich mich bei dir entschuldigen wollte. Ich war einfach nur dumm und dachte dass alles so sein würde wie früher. Ich kann es einfach nicht haben, wenn andere Menschen sich verändern." 

"Du hast dich auch verändert." antwortete Lenny schlicht. "Aber das ist okay. Jeder tut das." 

Plötzlich packte Timo sie an der Schulter. "Dieses Haus muss ja mal richtig groß gewesen sein!" rief er aus. Lenny schüttelte ihn ab und spürte, wie ein Stich der Wehmut durch sie fuhr. Es war ihr immer noch unklar, wie die Bibliothek im Herz und die Villa verbunden gewesen waren. Aber bei dem Brand war viel Wissen verloren gegangen. 

Zögernd blieb Lenny am Gartentor stehen. Sie hatte vermutlich selbst noch nicht richtig realisiert, dass sie sterben würde. Sonst wäre sie nie mit ihrer Schwester und zwei Freunden hergekommen. 

"Los, geh weiter." drängte Layla. "So spät möchte ich nun auch wieder nicht zur Schule kommen." Lenny nickte und drückte das rostige Tor auf. Ein schrilles Quietschen ertönte, als es sich in den alten Angeln drehte. 

Lenny trat mit klopfendem Herzen auf das Gelände der ehemaligen Villa. Rot-weiße Absperrbänder markierten den verbrannten Bereich. Lenny zögerte kurz, duckte sich dann aber doch darunter durch. Hinter ihr raschelte es leicht, als Timo sich in den Bändern verhedderte. 

Eras hatte nicht geschrieben, wo genau sie sich treffen sollten, deshalb stellte Lenny sich an die Stelle, an der die Eingangstür gestanden hatte. Das Feuer hatte erstaunlich gut gearbeitet. Nur noch wenige Mauern ragten verkohlt aus der weiß-grauen Asche heraus. 

"Wie lange müssen wir hier noch stehen?" fragte Timo nach einer Weile. Lenny zuckte mit den Schultern. Mittlerweile hatten sich kleine Schweißtropfen auf ihrer Stirn gebildet. Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, sie wegzuwischen. 

Plötzlich hörte sie Schritte. Über das Aschefeld kamen drei Personen auf sie zugelaufen. Eine davon hinkte, und wurde von einer anderen Person am Arm festgehalten. "Das ist Alice!" keuchte Elena. 

"Natürlich." zischte Lenny. "Ich habe dir doch alles erzählt." Sie fragte sich ob Elena nicht mitgekommen war, weil sie ihr geglaubt hatte, sondern weil sie sich bei Lenny entschuldigen wollte. 

Elena wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Eras grüßend den Arm hob. 'So als wären wir Freunde.' fuhr es Lenny durch den Kopf. Die Frau, die neben Eras herging hatte einen starren Gesichtsausdruck aufgesetzt und musterte Lenny mit kritischem Blick. 

Alice Augen weiteten sich, als sie Lenny, Timo und Elena erkannte. Stumm schüttelte sie den Kopf. Auf den ersten Blick schien sie unversehrt, aber schrecklich verängstigt. Eras sprach genau in diesem Moment die Gedanken aus, die schon die ganze Zeit an Lenny genagt hatten. 

"Du solltest deine Freunde nicht in Gefahr bringen." sagte er kalt. Lenny versuchte ruhig zu bleiben und reckte das Kinn vor. 

"Was willst du?" fragte sie. Es schien ihr der einfachste Weg, gleich zum Punkt zu kommen und sich nicht auf unnötige Gespräche einzulassen. 

"Dein Herz natürlich." Die Stimme der Frau war kalt und schneidend. Lenny lief ein kalter Schauer über den Rücken. "Ich kann es nicht abnehmen." sagte sie und spürte Panik in sich aufsteigen. Wie sollte sie Alice retten, wenn die Bedingungen unerfüllbar waren?

"Natürlich kannst du das. Du armes, hilfloses Ding hast nur nie daran gedacht, es jemand anderem zu geben. Oder es dir aus der Brust schneiden zu lassen." Eras rechte Hand zuckte. 

Lenny warf einen kurzen Blick über die Schulter. Elena hielt sich die Hand vor den Mund. Timo und Layla starrten beide ängstlich die zwei Menschen vor ihnen an. Lenny drehte sich wieder um und schob sich die Brille zurecht. 

"Was muss ich tun?" fragte sie schließlich mit zitternder Stimme. "Berühre es mit deiner linken Hand und halte die rechte an meine Stirn" die Stimme der Frau klang plötzlich angespannt. "Natürlich wirst du einige deiner Fähigkeiten behalten." versicherte sie, als Lenny sich nicht bewegte. 

Entsetzt starrte Lenny Eras an, auf dessen Gesicht sich ein Schatten gelegt hatte. Grob stieß er Alice zu Boden und trat vor. "Es hat nie zur Abmachung gehört, dass du das Herz bekommst, Jasmin."







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