2.

Mit der Ausrede noch einmal kurz zum Supermarkt zu fahren, hatten Lenny und Elena sich von den mittlerweile Langweiligen Abendessensgesprächen loseisen können. Durch den Regen am Nachmittag hatten sich auf der Straße große braune Pfützen gebildet. In nicht wenigen schwamm Müll herum. Vorsichtig wich Lenny einer Coladose aus. "Ich frage mich wie der ganze Müll hier in den Park kommt." murmelte sie leise. Elena antwortete nicht. Sie starrte mit einer Mischung aus Neugier und Angst zu den kahlen Baumkronen hinauf. Kein einziges Blatt zierte die kränklich grauen Äste. Obwohl es Sommer war, war der Boden von rotbraun verfärbten Blättern bedeckt. Flechten waren die Baumstämme hochgekrochen und das Moos am Boden längst vertrocknet. 

Endlich tauchte die Villa zwischen den nackten Bäumen auf. Efeu umrankte das Dach über dem Eingang. Die unteren Fenster waren mit Brettern vernagelt worden und die weißen Wände hatten sich an manchen Stellen gelb verfärbt. Trotzdem strahlte der Bau eine Stille Würde aus, die von seiner früheren Pracht zeugte. 

Elena knipst ihre Taschenlampe an, da es begann langsam dunkel zu werden. "Du hast gesagt, das Haus steht erst seit kurzem leer." sagte sie. "Es sieht so aus als wären es Jahre gewesen." 

"Der frühere Besitzer war nicht oft zu Hause. Er hatte einen Mieter, der aber zwei Monate nach dem er eingezogen war tot im Badezimmer aufgefunden wurde. Er hatte einen Krampf und ist ertrunken. Danach stand es einfach leer." Elena blickte sich beunruhigt um. 

"Glaubst du an Geister?" flüsterte sie. Lenny schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich." Ein breites Grinsen breitete sich auf Elenas Gesicht aus. "Gut. Ich gehe nicht mit Lappen in ein eventuelles Spukhaus." Lenny rollte genervt mit den Augen. "Ich kann auch vorgehen, wenn du zu viel Angst hast." schnappte sie. Elena schüttelte schnell den Kopf und rüttelte an dem rostigen Vorhängeschloss, mit dem die Eingangstüren verschlossen waren. Mit entschlossener Miene klaubte sie einen Stein vom Boden und rammte ihn auf das korrodierte Metall. Lenny suchte bei dem Lauten Geräusch besorgt mit ihren Blicken den Garten ab. 

Ein leises klirren ertönte hinter ihr. "Wow! Ich habe es geschafft." raunte Elena feierlich. "Nenn mich ab jetzt nur noch Stahlbeißer. Nein, warte. Wie wäre es mit: Stahlbeißerin, Schrecken der Schlösser." 

"Ja, schon klar, Stahlbeißer." murmelte Lenny. Mit dem Fuß stieß sie die Tür auf. Abgestandene, kalte, nach Moder riechende Luft schlug ihnen entgegen. In der durch ihre Taschenlampen erhellte Eingangshalle lagen vertrocknete Blätter und Äste, die durch ein beschädigtes Fenster hereingefallen sein mussten. Eine große Treppe führte mittig in eine weitere Etage. Als Lenny vorsichtig einen Fuß auf den gefliesten Steinboden setzte, ertönte ein leises Summen. Elena leuchtete vor ihr die Halle systematisch ab. 

"Hörst du das?" flüsterte Lenny. Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein ängstlicher Unterton in ihre Stimme schlich. "Was?" fragte Elena. Ihre Stimme hallte viel zu laut durch den Saal. Das Summen schwoll zu einem lauten Rauschen an. Lenny biss sich auf die Unterlippe. "Nichts. Ich dachte nur, ich hätte etwas gehört." 

Im Erdgeschoss waren viele Räume abgeschlossen oder völlig Zerfallen. Unordentliche Haufen aus vergilbtem Papier lagen auf Tischen, mit Vasen voller toter Blumen. Ihre Schritte halten unheilvoll durch die Gänge. Der Besitzer schien ein begeisterter Sammler gewesen sein. Überall hingen Bilder oder Schmuckstücke an den Wänden. 

Das Summen war abgeklungen und Ertönte erst wieder, als Lenny die Treppe hochging. Die Stufen knarzten leise unter ihrem Gewicht und Staub wirbelte von dem ausgeblichenen Teppich. Lennys Blick wanderte über die unzähligen Ölgemälde, die an den roten Wänden hingen. Sie zeigten alte Männer und Frauen, allesamt in die selbe dunkelblaue Robe gehüllt. Wie in Trance stolperte Lenny den Flur entlang. Als ob  hunderte Moskitos um sie herumschwirren würden, hallte das unwillkommene, störende Surren nun in ihrem Kopf wieder. Im Moment war der einzige Wunsch des Mädchens ihm zu entkommen. Sie hörte nicht mehr, wie Elena nach ihr rief. Sie nahm keine Details mehr war, nur noch verschwommene Farbflecken. Halb blind stürzte Lenny in den nächsten Raum. 

Ihre tränenden Augen nahmen gerade noch so das Sockel war, auf dem etwas kleines, glänzendes lag. Zitternd taumelte sie näher. Ihre Hand streckte sich nach dem Gegenstand aus, die Tatsache dass es eine Falle sein könnte scherte sie herzlich wenig. 

Sobald sich Lennys zitternde Finger um den Gegenstand geschlossen hatten hörte das Summen auf. Ein blutroter Stein, eingefasst in einen schwarzen Rahmen, hing an einer goldenen, feingliedrigen Kette. Sie war gerade so lang, dass der Anhänger kurz über dem Ansatz ihrer Brüste hängen würde, sollte sie ihn sich umlegen. Lenny öffnete zögernd den Verschluss. Was sie hier tat war Diebstahl. Und die Kette schien wertvoll zu sein. Doch dann schob sie alle Zweifel beiseite. Nur einmal. Und nur kurz. 

Kaum hatte sich der Anhänger an ihre weiche Haut geschmiegt, zuckte Lenny zusammen. Ein leises Ziehen war in ihrer Brust entstanden, das schnell zu einem schmerzhaften Brennen wurde. 

Mit einer schnellen Bewegung wollte sie sich die Kette vom Hals reißen, doch zu ihrem Entsetzen blieb der Anhänger kleben. Lenny versuchte es noch einmal, mit dem Ergebnis, dass ihre Haut noch mehr brannte. Ein leises Wimmern entfloh ihren Lippen. 

Plötzlich hörte sie Schritte vor der Tür. "Alles Okay?" fragte Elena. "Du warst einfach weg, man. Niemand lässt Stahlbeißer im Stich." Lenny biss die Zähne zusammen und versteckte die Kette unter ihrer Jacke. "Mir geht es gut." erklärte sie. "Aber mir ist schwindlig. Ich will nach Hause." sie hatte nicht beabsichtigt, dass ihre Stimme beim letzten Satz so weinerlich klang, aber es verfehlte seine Wirkung bei Elena nicht. "Keine Sorge. Wir können an einem anderen Tag wiederkommen." 

Mit Tränen in den Augen folge Lenny Elena. 





Was ist euer erster Eindruck von der Kette? 

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