Der dritte Klamauk
Es wurde wieder Nacht und die Schattenschlange kroch weiter mit hungrigem Magen. Der Regen überraschte sie und auch von diesem Segen blieb sie nicht verschont.
„Wer immer diese Pisse auch als Segen bezeichnet hat..." und sie züngelte mit ihrer gespaltenen Zunge. „... verdient einen grausamen Tod! Viel grausiger, als jemals eine Schlange dazu in der Lage wäre!"
Sie kroch mit letzter Kraft in eine Höhle und legte sich schleppend in das Trockene. „Dreckswetter..." zischelte sie.
Im nächsten Moment lauschte sie aber auf. Da war doch etwas...
Ein leises Schluchzen.
Ihr Kopf schoss empor.
Wieder ein leises Schluchzen.
All die Müdigkeit und die Kälte wurde vergessen. Sie zischte auf das Geräusch zu. Tiefer in die Höhle hinein.
Das Schluchzen wurde lauter.
Die Schattenschlange wurde noch lebendiger und kroch umso schneller auf das Geräusch zu, beflügelt von ihrer Vorahnung und dem Glück, dass ihr endlich zu gekrochen kam.
Tief im Dunkeln der Höhle hockte ein kleines Häufchen Elend und weinte sich die kleinen Äuglein aus. Was für ein entzückender Anblick war das denn nun?
„Was hat denn das kleine Mädchen...?" fragte die Schlange bittersüß und mit gesäuseltem Leid in ihrer Stimme. Das Mädchen zuckte zusammen und horchte auf. Sie sah sich um und presste sich erschrocken stärker an die Wand. Noch zu klein war die Schlange, als von ihr im Schatten gesehen zu werden.
„Wer ist da?!" ihre dunklen Augen überflogen die Finsternis, konnten aber nichts erkennen. Die Schlange konnte ihren beängstigten Herzschlag hören.
„Sei unbesorgt, kleines Mädchen... Ich will dir ganz bestimmt nichts tun..." und es schlängelte sich behutsam in ihre Sichtweite und sah sie mit großen und besorgten Augen an, in das sich nur allzu gut der Hunger und die Gier widerspiegelten. Das Mädchen machte ihrerseits selbst große Augen, als sie die Schattenschlange bemerkte.
„Du... Du bist eine Schattenschlange..." entgegnete sie leise und schniefte dabei auf. Die Schlange grinste behutsam über diese Dumpfheit vor ihr.
„Hast du etwa Angst vor kleinen Schlangen...?" säuselte sie.
Sie schüttelte ihren braunen Schopf. „Gar nicht. Ich versteh auch nicht, was so furchterregend an euch sein soll. Ihr seid so winzig..." gab sie ehrlich zu, dabei wischte sie ihren Ärmel an ihrer Nase ab.
„Der Schein trügt öfter als man denkt... Scheinst du doch ein mutiges und intelligentes Mädchen zu sein..." grinste die Schlange in sich hinein.
„Ja, ich weiß. Das war ich schon immer. Aber ich bin kein kleines Mädchen mehr! Ich bin schon 17!" antwortete das Mädchen tumb.
„Und so hatte das Alter noch nie etwas über die Weisheit der Menschen verraten..." züngelte die kleine Schlange süffisant.
„Ja, finde ich auch." pflichtete das Mädchen ihr bei und beschwerte sich weiter: „Sie sehen nie, dass auch wir Halberwachsenen es faustdick hinter den Ohren haben! Immer zweifeln sie an uns! Immer belächeln sie uns!"
„Ist das etwa der Grund deiner Trauer...?" verstand die Schlange und huschte noch ein wenig näher an sie heran.
Das Mädchen atmete tief ein und aus. „Ich werde von hier verschwinden! Mir wird alles verboten! Ich darf nichts machen! Keiner gibt mir die Anerkennung und den Respekt, den ich verdiene! Und ich verdiene viel davon!" meinte das Mädchen hochmütig und stolz und spuckte die Worte nur so vor die Schlange hin.
„Lechzt das Mädchen nach Anerkennung... Weiß sie denn nicht, dass sie bloß durch Taten zu gewinnen ist..." entgegnete ihr die Schlange.
„Wie soll ich mich denn beweisen, wenn mich keiner lässt! Ich hasse meine Familie! Ich hasse mein ganzes Dorf! Ich hasse sie alle!" ihre Augen tränkten sich geradezu mit diesem Gefühl. Die Schlange war fasziniert und begeistert von ihnen. Sie zappelte ungeduldig mit ihrer Schwanzspitze, die leise im Dunkeln an Länge gewann...
Ihr verging schon fast die gespaltene Zunge im Munde.
„Ja... Hassss... Was gibt es schöneres, als dieses Gefühl! Was schmeckt herrlicher am Menschen, als der Hasss..."
Das Mädchen warf ihr einen verwirrten Blick zu. „Meine Mutter... sagt immer, dass man niemanden hassen dürfe... Noch nicht mal dumme Tiere." gestand sie unsicher.
Die Schlange lächelte sie an. „Deine Mutter weiß, was der Hassss alles anrichten kann... Zu was er alles fähig ist. Jeder fürchtet den Hassss! Denn der Hasss ist stark und mächtig!"
Das Mädchen versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Die Schlange merkte, wie sehr ihr der Gedanke gefiel. Und das gefiel ihr. Sie schlängelte sich näher an sie heran. Fast konnte sie ihr Knie berühren. „Und ich sehe es in deinen finsteren Augen... Sie sind stark, intelligent und mächtig!" fuhr die Schlange fort. Die Schlange wusste, was sie mit diesen Worten in diesem Mädchen berührte. War denn nicht in jedem Menschen ein noch viel gefährlicheres Tier verborgen, als die Schlange selbst es war. Es musste lediglich erweckt werden und gefüttert. Und die Schlange wusste genau, was zu flüstern war, um eben jedes Monster zu erwecken. Und das Monster vor ihr war schon lange wach... Es musste nur noch gemästet werden. Speckig und fett schmeckten sie am besten!
„Du... Du bist so lieb. Danke." lächelte das Mädchen verlegen.
Die Schlange antwortete ehrlich: „Du bist so unschuldig... So naiv... Und weißt dich gar nicht zu wehren gegen die Arroganz und die Selbstverliebtheit."
Das Mädchen verstand nicht ganz, was die Schlange damit meinte und sie blinzelte einige Male auf: „Du redest seltsamen Quatsch... Tun das alle Schlangen?"
„... Jedes Wort verrät so viel für die, die es verstehen können... Nichts ist wirklich seltsam." antwortete die Schlange.
„Mein... Meinst du, ich soll sie wirklich verlassen?" fragte das Mädchen die Schlange darauf unsicher, den unverständlichen Beitrag ignorierend. Die Schlange rollte ihren Schwanz ein und seltsamerweise kam er dem Mädchen ein wenig größer vor. War die Schlange plötzlich so groß wie ihr Knie geworden? Sie ignorierte auch das.
„Was schlägt denn das Mädchen sonst vor?" entgegnete die Schlange.
„Am liebsten... Würde ich sie alle... Aber nein... So was darf man nicht sagen..." sie schüttelte ihren Kopf.
„Was darf das kleine Mädchen nicht sagen? Das kleine Mädchen ist viel zu gerissen, um sich etwas verbieten zu lassen..." bestärkte die Schlange sie.
„Ich würde sie alle qualvoll töten! Und kurz vor ihrem Tod sollen sie alle meinen Namen sagen! Und eingestehen, dass Ich die Beste und die Schlauste und die Intelligenteste unter ihnen bin... Und nicht diese kleine... dreckige... Rosalin... Die sich meinen Liebsten weggeschnappt hat!" kochte das Mädchen wieder auf und schien sich in ihren hass- und neidvollen Erinnerungen zu verlieren. Die Schlange genoss es und sie nährte sich von dieser Quelle. Ihre Schuppen wuchsen unmerklich und wurden breiter.
„Ist sie hübsch... Diese Rosalin...?" hakte die Schlange nach. Die Augen des Mädchens, sprühten Zornesfunken. „Potthässlich!" spuckte sie aus und ergänzte: „Tut immer so schamvoll mit ihren pudrigen dauerroten Wangen und ihrem widerwärtig hässlichen Schauspiel von Geniertheit!"
Die Schlange verzog ungewollt ihr Gesicht. Scham. Eines vieler Eigenschaften, die sie noch stärker verachtete, als Bescheidenheit und den Regen! Fast wäre ihr der Appetit an diesem Häppchen vergangen, aber der überschwängliche Blick von diesem Mädchen, gefüllt mit allem, was für die Schlange lieb und heilig war, ließ sie den Gedanken wieder vergessen. Ihre Augen funkelten. So ein leckeres Häppchen hatte sie lange schon nicht mehr verschlungen.
Diese Gefühle legten einen dicken, undurchsichtigen Schleier um die Augen des Mädchens und sie merkte gar nicht, wie dick die Schlange vor ihr wurde.
Die Schlange lachte leise in sich hinein. Es war so einfach diese dummen Menschen zu manipulieren! So einfach, sie um den Finger zu wickeln und ihnen giftigen Honig um ihre kleinen dummen Mäuler zu schmieren. Die Schlange hasste sie! So wie dieses dumme, hässliche Mädchen aus ihrer dumpfen Hässlichkeit ihre Rosalin hasste, so hasste sie dieses Mädchen! Abgrundtief und aus tiefster Seele! Der Hass floss durch seinen Körper und zog ihn immer länger und breiter.
„Verstand ich nie, was diese Menschen so mögen an dieser Art von Schauspiel... Ekelerregend..." sprach die Schlange ehrlich und schlich sich langsam um das Mädchen herum.
„Ich verstehs auch nicht!" nickte ihr das Mädchen zu. „Sie hat sich damit meinen Liebsten einfach weggeschnappt! Er war Meins! Meins alleine! Mir sollte er für immer gehören!!" auf diese Worte brach sie in Tränen aus und vergrub ihr Gesicht in ihren Hände. Herzzerreißendes Schluchzen erfüllten die dunklen Wände der Höhle. Hätte die Schlange ein Herz, hätte sie vielleicht etwas gespürt. Aber da war nicht mehr, als das, was dieses Mädchen in ihrer Brust hatte: ein schwarzes Nichts.
„Ich habe Angst, Schlange... Manchmal ist dieses Gefühl in mir so groß... Es macht mir Angst, Schlange..." wimmerte sie leise. Die Schlange stoppte in ihrer Bewegung. War da doch noch ein Funken Hoffnung in ihr? Sie schlängelte zittrig und angewidert mit ihrem Kopf. „Warum denn Angst...? Sollen sie sich vor dir fürchten!" zischelte sie dem Mädchen leise in ihr Ohr und fuhr noch einmal schneller um ihren Körper. Das Mädchen bemerkte nicht den dicken, schweren Körper der Schlange, dass sich immer schneller um sie wickelte.
„Ich verstehe es nicht... Ich sehe das Leuchten in ihrem Gesicht... Es kommt tief aus ihrem Herzen... Ich spüre es... In jedem ihrer Lächeln... Es berührt mein Herz... Aber ich...? Wenn ich in den Spiegel sehe... Und lache... Sehe ich kein Licht in mir..." sie schüttelte mit ihrem Kopf.
„Na na, kleines Mädchen... Wer braucht denn Licht, wenn er die Dunkelheit hat?" und die Schlange bäumte sich vor ihrem Kopf auf und fuhr fort:
„Schh! Schh! Kleines Mädchen... Es ist eh schon zu spät... Viel zu spät..." Das Mädchen nahm ihr Gesicht aus ihren Hände und sah die Schlange mit tränenüberströmtem Gesicht an. Ihr Augen funkelten betrübt hinter diesen Zähren auf.
„Warum... Warum denn zu spät?" flüsterte sie leise und schwächlich. Die Schlange fuhr ihr sanft mit ihrer Schwanzspitze über die Wange und wischte ihr einige Tränen weg. Sie sah nichts, denn ihr Blick war betrübt von dem Schleier ihres Hasses und Neides.
„Scchhhh... Ist es nicht süß... Ist es nicht saftig...? Wie frisch und voller Versuchung... Zittert es in ihrer kleinen Hülle... Zu schwach um sich selbst zu beschützen... Es hat niemanden... Es ist ganz alleine... Ja, das ist es... Es wartet nur darauf... Das ich mein Maul weit öffne... UND ES HINUNTERSCHLUCKE!!" Sie schmatzte auf und riss im nächsten Moment ihren Maul weit auf. Das Mädchen hörte noch, wie der Kiefer der Schattenschlange aufknackte, sah noch wie sich zwei Giftzähne und weitere Reihen spitzer und scharfer Zähne ihr entgegen schossen, und schloss voller Schock und in tiefster Reue ihre Augen. Erst jetzt spürte sie den engen Griff seines Körpers und wie es sich nur fester um sie zuschnürte.
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