9. Kapitel

"Joy?", ertönte Taminas verzweifelte Stimme aus dem hinteren Teil der Kutsche. "Was sollen wir tun?" Joy sprang ohne zu zögern vom Kutschbock und versuchte, die Hunde von dem Geschirr, das sie an die Kutsche fesselte, zu befreien.

"Laufen", antwortete sie grimmig. Sie kam sich vor wie in einem Rausch. Ihr Instinkt befahl ihr, was sie zu tun hatte und verdrängte ihre Angst.

Sie schaffte es, die Gurte des ersten Hundes zu lösen und machte sich daran, den zweiten zu befreien. Tamina war aus der Kutsche geklettert und eilte nun auf sie zu. Mit einem Blick hatte sie erfasst, was Joy tat und begann ebenfalls, an einem Hundegurt herumzufingern. Innerhalb von Sekunden hatten sie alle vier Tiere befreit, die sich nun mit aufgestellten Ohren und wachsamen Blick umsahen.

"Ist es noch weit bis zur Brücke?", wollte Joy wissen. Tamina schüttelte den Kopf und blickte sich nervös um. "Okay. Komm." Sie packte Tamina am Handgelenk und zog sie mit. Die Mädchen rannten so schnell sie konnten den Weg entlang. Joy verfluchte ihren Rock, der sie beim Laufen behinderte und zog ihn so gut es ging mit einer Hand nach oben. Die Hunde sahen ihnen neugierig hinterher, blieben aber stehen.

Auf einmal stolperte Tamina. Im selben Moment zischte ein Pfeil auf sie zu. Joy riss sie instinktiv zur Seite. Doch die Spitze striff noch den Arm des Mädchens und zerfetzte den Ärmel ihres Kleides. Schmerz stand Tamina ins Gesicht geschrieben. Sie presste eine Hand auf ihren Oberarm und versuchte den Blutstrom zu stoppen, der augenblicklich einsetzte.

Joy warf einen Blick zurück über die Schulter. Eine dunkle, vermummte Gestalt stand neben der leeren Kutsche, den Bogen gehoben und einen weiteren Pfeil angelegt.

"Komm schon", Joy zog Tamina wieder auf die Füße. "Wir müssen weiter!"

Sie hasteten los. Endlich liefen sie um eine Ecke und Joy fühlte sich dadurch, dass sie nun nichtmehr auf der direkten Schussbahn des Schützen lagen, wenigstens etwas sicherer. Kurz darauf kam das Meer in Sicht. Tamina gab ein erleichtertes Seufzen von sich und die beiden beschleunigten ihre Tempo zu einem verzweifelten Endsprint. Kurz darauf hatten sie die Brücke erreicht. Sie war ein breites, langes Bauwerk aus Stein, das in einem weiten Bogen über das Wasser führte.

Als die Mädchen die Kluft überquerten, warf Joy einen letzten Blick über die Schulter. Der Wald hinter ihnen lag verlassen und dunkel da. Von den Schützen war keine Spur mehr zu sehen.

"Wir sind bald da", verkündete Tamina knapp. Ihre Stimme klang flach und gepresst. "Von der Brücke aus ist es meist nicht mehr allzu weit bis zum Dorf." Joy nickte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ihre Begleiterin sich mit verzerrter Miene eine Hand in die Seite presste. Ihr Atem ging schnell und sie würde den schnellen Lauf sicher nicht mehr lange durchhalten. Auch Joy selbst verließen langsam die Kräfte. Sie verlangsamte das Tempo. Tamina wechselte ebenfalls in einen langsameren Gang und sah sie unsicher an.

"Meinst du, wir haben sie abgehängt?", fragte sie. Joy zögerte.

"Ich denke schon."

Das Mädchen nickte erleichtert. Sie gingen nun wieder in normalem Tempo nebeneinander her.

"Passiert es öfter, dass ihr angegriffen werdet?", wollte Joy wissen. Sie sah Tamina fragend an, ahnte die Antwort aber bereits.

"Nein. Das passiert nicht so oft", antwortete das Mädchen, das nun langsam wieder zu Atem kam. Joy war nicht sehr überrascht.

"Hast du eine Idee, wer das war?", wollte sie wissen.

Tamina schüttelte den Kopf. "Nein. Die Königin hat eigentlich keine Feinde. Das Volk akzeptiert und mag sie. Und Konkurrenz kann sie auch keine haben, da ich außer ihr die einzige Person bin, der der Thron zusteht." Sie sah Joy an und stockte. "Und ... du hast auch ein Recht darauf. Aber von jeder anderen Person wäre es dumm, auch nur zu versuchen, der Königin den Thron streitig zu machen."

In Joys Kopf arbeitete es. Sie kniff die Augen zusammen und sah Tamina an. "Wenn die Königin – wenn du keine Feinde hast. Dann waren das vielleicht meine Feinde." Sie biss sich nervös auf die Lippe. Wer sollte versuchen sie umzubringen? Und warum?

"Du hast doch gesagt, die Königin hätte keine Feinde. Ihre einzige mögliche Konkurrenz wären du und ich", überlegte sie laut und sah Tamina dabei an. Diese zögerte und nickte langsam.

"Das habe ich gesagt."

"Was, wenn jemand eine Gefahr in mir sieht?", fragte Joy. 

Tamina schüttelte langsam und ungläubig den Kopf. "Du denkst doch nicht etwa, jemand vom Hof hätte uns angegriffen?" 

"Denkst du, das wäre möglich?", entgegnete Joy und musste an Marinas Worte denken. Vertraue niemandem. Tamina wandte ausweichend den Blick ab und starrte auf den Weg vor ihnen. "Was ist mit ... Joas? Oder Ina? Beide scheinen mich offensichtlich zu hassen. Sie hätten ein Motiv. Beide wollen nicht, dass ich statt dir den Thron besteige", beharrte Joy.

Tamina schluckte. "Das ist eine schwere Anschuldigung", stellte sie leise fest.

Joy biss sich auf die Lippe. Das stimmte. Und sie hatte diese Vermutung ausgerechnet Joas' eigener Tochter offenbart. Doch sie vertraute Tamina. Auch wenn diese nun endgültig schwieg.

Joy starrte auf den breiten Waldpfad, der vor ihnen lag. Sie runzelte die Stirn. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie kam sich beobachtet vor. Wachsam und angespannt sah sie sich um. Der Weg vor ihnen wurde schmaler, dichte Tannen reihten sich am Wegesrand aneinander. Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich ein Augenpaar zwischen den Nadelzweigen entdeckte. Ein leuchtendes, menschliches Augenpaar, das sie verschreckt musterte. Joy blinzelte verblüfft, als sie an der Gestalt hinabblickte. Das Wesen hatte zwar die Augen und den Oberkörper eines Menschen, aber den Unterleib eines Pferdes. Es hatte mittelblonde Haare, einen schrägen Kiefer, breite Schultern und dunkel gebräunte Haut. An seinem Kinn zog sich eine dünne Narbe entlang. Der junge Mann trabte ein paar Schritte auf die Mädchen zu. Joy versteifte sich unwillkürlich und sah ihm misstrauisch entgegen. Auch er schien sehr nervös.

"Joy?", fragte er zaghaft.

Die Angesprochene starrte ihn perplex an. Hatte dieses Wesen gerade wirklich ihren Namen gesagt?

"Joy, ich bin so erleichtert dich zu sehen", redete der Halbmensch weiter. Immer wieder sah er sich nervös um.

"Wir müssen dringend reden. Ich ... ich glaube, du bist in Gefahr. Du..."

Ein Knall ertönte aus den Tiefen des Waldes und der junge Mann zuckte zusammen. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen.

"Wir müssen uns treffen", stotterte er und sah Joy dringlich an. "Bitte. Ich muss mit dir..."

Ein erneutes, nun noch lauteres Knallen ertönte. Das Wesen tänzelte verschreckt zurück.

"Wir treffen uns am Vitam!", rief es im Gehen. "Bei Sonnenaufgang am Wald bei der Brücke."

Ungläubig beobachtete Joy, wie der junge Mann durch den Wald davon preschte. Langsam drehte sie sich zu Tamina um.

"Was ... was war das?" Tamina sah sie mit großen, ungläubigen Augen an.

"Das wollte ich dich gerade fragen. Das war ein Zentaur, ein Wesen das zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Pferd ist. Diese Wesen sind normalerweise unglaublich scheu. Ich habe noch nie eines aus solcher Nähe gesehen. Und schon gar nicht sprechen gehört."

"Er schien mich zu kennen", stellte Joy fest. 

Tamina runzelte die Stirn. "Das ist wirklich sehr seltsam."

"Vielleicht weiß er, wer ich war, bevor ich mein Gedächtnis verloren habe." Joy spürte Hoffnung in sich aufkeimen und sah Tamina erregt an. Diese zögerte.

"Ich weiß nicht. Es ist wie gesagt sehr ungewöhnlich, dass Zentauren so ... zutraulich sind. Und ich weiß nicht, ob wir ihm trauen können."

Joy kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe und sah zurück an die Stelle, an der der Zentaur im Wald verschwunden war.

"Kannst du dich an ihn erinnern?", fragte Tamina zaghaft.

Joy schüttelte den Kopf. Langsam sank ihre Stimmung wieder und schwang in Niedergeschlagenheit um. Das rothaarige Mädchen kräuselte in Gedanken versunken die Lippen. "Wir sollten weitergehen", sagte sie. Joy nickte schwach. Sie setzten ihren Weg fort.

"Was war das für ein Geräusch im Wald?", fragte Joy nach einer Weile nachdenklichen Schweigens leise. "Das, vor dem der Zentaur so eine Angst zu haben schien?" 

Tamina runzelte die Stirn. "Keine Ahnung."

Schweigend liefen sie den Pfad entlang. Nach einer Weile war das friedliche Plätschern von Wasser zu hören und kurz darauf tauchte ein Fluss, über den eine kleine Brücke führte vor ihnen auf.

"Der Goldstrom", erklärte Tamina. "Der größte Fluss Yalmas. Er zieht sich..."

"In der Form eines S über die Insel."

Tamina blickte überrascht auf. Joy grinste schwach.

"Ja, ich habe Rayllyns Erzählungen tatsächlich zugehört", sagte sie.

Tamina lächelte ebenfalls zaghaft. Sie überquerten die Brücke. Joy blickte auf das Wasser hinab. Klar und verspielt sprudelte es über den steinigen Boden. Frei und friedlich. Ihr entwich ein leises, wehmütiges Seufzen. Tamina sah sie von der Seite an. "Wir sind gleich da", versprach sie.

Der Wald lichtete sich langsam. Kurz darauf eröffnete sich vor ihnen ein Meer aus roten, braunen und grauen Dächern.

"Willkommen in Yalmas Dorf." Tamina lächelte Joy zu. Diese starrte auf die Reihen der kleinen, gemütlichen Hütten hinab, zwischen denen sich belebte Gassen entlangzogen.

"Komm." Tamina lief auf das niedrig gelegene Städtchen zu. "Ein wenig näher können wir noch ran."

Sie liefen am Waldrand entlang und blickten nach unten.

"Weißt du..." begann Tamina plötzlich. "Ich denke, du tust Recht darin, Joas und Ina zu misstrauen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass einer der beiden für deinen Gedächtnisverlust verantwortlich ist, aber sie sind dir sicher auch nicht sonderlich wohlgesonnen. Beide sind Feuermagier. Und sie wollen unbedingt feuriges Blut auf dem Thron sehen. Rionas Mutter war ebenfalls Wassermagierin. Und falls du den Thron besteigen solltest, wäre die dritte Wassergeneration in Folge an der Macht. Feuer- und Wassermagier sind sehr stolz, was ihr Blut angeht. Insbesondere Joas und Ina sind sehr ehrgeizig. Sie werden dafür kämpfen, dass ich das Amt der Königin übernehme.

Joy schüttelte den Kopf, verzichtete aber darauf, erneut umsonst zu beteuern, dass sie den Thron nicht wolle.

"Tamina!", schallte plötzlich ein fröhlicher Ruf zu ihnen her. Beide Mädchen sahen sich augenblicklich um. Eine Gruppe Jugendlicher kam aus dem Unterholz auf sie zu. Zwei Jungs, zwei Mädchen, alle vier im selben Alter wie Tamina und Joy. Ein zierliches Mädchen rannte vorneweg auf sie zu. Ihre langen, blonden Locken hüpften um ihr rundes, rosiges Gesicht herum, ihre grünen Augen leuchteten freundlich. In die pausbäckigen Wangen gruben sich niedliche Grübchen, als sie die Lippen zu einem breiten Grinsen verzog. "Wir haben dich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr hier gesehen!", rief sie und fiel Tamina ohne zu zögern um den Hals. Diese erstarrte und blinzelte überrumpelt.

Das zweite Mädchen blieb ebenfalls stehen und verschränkte steif die Arme vor der Brust. Joy starrte die Fremde an. Sie hatte makellose, glatte Haut, perfekte, gerade Augenbrauen, dunkelrote Lippen, ausdrucksstarke Augen und lange, dunkle Haare.

Ihre markante Miene verzog sich genervt, als sie das stürmische Verhalten ihrer Kameradin beobachtete. Sie tippte ungeduldig mit einem Fuß auf den Boden. Einer der Jungs, ein gut gebauter Typ mit mittellangen, braunen Haaren, bronzefarbener Haut, langen Wimpern und blauen Augen stieß dem Mädchen einen Ellenbogen in die Seite und grinste sie belustigt an. "Zieh nicht so ein Gesicht. Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter." Das Mädchen drehte mit schmalen Augen den Kopf zu ihm um. Ihr Blick war messerscharf, als sie ihn böse musterte.

Die Blondine hatte sich von Tamina gelöst und starrte nun mit aufgerissenen Augen auf die Wunde an ihrem Arm. Das Kleid hatte sich mit dunklem, roten Blut vollgesogen, das bereits begann zu trocknen.

"Was ist passiert?", wollte das Mädchen mit besorgter Miene wissen. "Warum blutest du?"

Tamina verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln. "Unsere Kutsche wurde auf dem Weg zum Dorf angegriffen. Mich hat ein Pfeil gestriffen."

Der braunhaarige Junge zog scharf die Luft ein. "Ihr wurdet angegriffen? Von wem?"

Tamina zuckte die Schultern. "Wir haben keine Ahnung. Unsichtbare Angreifer haben uns auf dem Weg hierher im Wald mit Pfeilen beschossen. Unsere Kutsche mussten wir zurücklassen. Wir haben wirklich Glück, dass wir noch leben." Bei dem Wort wir richtete der Junge seinen Blick neugierig auf Joy. Seine dunkelblauen Augen bohrten sich in ihre. Joy lächelte verlegen, verunsichert von dem intensiven Blick. Taminas Blick wanderte zwischen ihnen hin und her. Für einen winzigen Moment presste sie die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Dann erklärte sie knapp: "Das ist Joy. Sie ist eine Besucherin am Palast." 

Der Junge legte neugierig den Kopf schief, ohne den Blick von Joy zu lösen. "Ich habe dich noch nie hier gesehen, Joy." Er stockte und kniff die Augen ein wenig zusammen. Ungläubig musterte er Joys Augen. "Bist du etwa eine Wassermagierin?"

Joy warf Tamina einen fragenden Blick zu. Diese zögerte. "Nein. Natürlich ist sie keine Wassermagierin", sagte sie schließlich. "Sie ist eine ganz normale Dörflerin. Hast du sie wirklich noch nie hier gesehen?"

Der Junge schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nein. Daran könnte ich mich erinnern."

Tamina überhörte den zweiten Satz gekonnt, auch wenn ihr Lächeln von Sekunde zu Sekunde steifer wurde.

"Das ist jedenfalls Kiran, Joy", stellte sie den Jungen vor. "Der blonde Wirbelwind hier heißt Nika, die Dunkelhaarige ist Larea. Und das ist Philip." Sie deutete auf einen dicklichen Jungen mit blassem, pausbäckigem Gesicht, der Joy grüßend zunickte. "Die Vier wohnen im Dorf. Sie sind ... Bekannte von mir." 

Die blonde Nika verzog schmollend den Mund. "Freunde trifft es wohl nicht?", fragte sie in vorwurfsvollem Ton. Taminas blasse Wangen liefen rosig an und sie lächelte verlegen.

"Doch ... doch, ich denke schon."

Nika grinste zufrieden und drehte sich zu Philip um.

"Phips, du hast nicht zufällig ein Stück Kreppbinde dabei?" Der dickliche Junge runzelte nachdenklich die Stirn.

"Doch, hab ich", sagte er und kramte eine weiße Rolle Stoff aus seiner Weste. Nika schnappte sie ihm aus der Hand und warf sie Kiran zu.

"Hier. Am besten verbindest du Taminas Wunde, du kannst das von uns vieren am besten."

Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern, nickte und trat näher an Tamina heran. Diese schlug verlegen den Blick nieder.

"Darf ich?", fragte Kiran. Tamina nickte, ohne ihn anzusehen. Der Junge krempelte den weiten Ärmel ihres Kleides hoch und knotete ihn geschickt an der Schulter fest. Dann betrachtete er kritisch die offene Wunde. Sie sah nicht allzu tief aus, Tamina hatte aber dennoch einiges an Blut verloren.

"Hast du auch eine Flasche Wasser?", fragte Kiran an Philip gewandt. Sein Kumpel nickte bloß und reichte ihm einen kleinen Schlauch.

Kiran säuberte die Wunde sorgfältig und gab Tamina den Rest des Wassers zu Trinken. Dann verband er den Oberarm fachmännisch und ließ wieder den Ärmel darüber fallen.

"Du scheinst dich mit dem Verarzten auszukennen", stellte Joy fest. Kiran nickte und hob stolz das Kinn.

"Mein Vater ist Arzt und meine Mutter Wahrsagerin. Die beiden kennen sich mit sowas aus."

"Wahrsagerin?", hakte Joy neugierig nach. Kiran nickte.

"Ja. Sie nutzt die Magie Yalmas um in die Zukunft zu sehen." 

Joy warf Tamina einen fragenden Blick zu. "Und das funktioniert?" Das rothaarige Mädchen nickte bestätigend, Bewunderung huschte über ihre Miene. 

"Seine Mutter ist die beste Wahrsagerin der Stadt. Sie ist sehr klug und mächtig."

Kiran warf Tamina einen überraschten Blick zu. Er grinste verlegen.

"Naja ... nicht so mächtig wie die Feuer- und Wassermagier."

Tamina lächelte ebenfalls unsicher. Sie zögerte. "Könnt ihr uns helfen?", fragte sie leise. "Wir müssen irgendwie zurück zum Palast kommen. Zu Fuß würden wir ewig brauchen ... und es wäre ziemlich gefährlich."

Nika verzog nachdenklich das Gesicht. "Larea, dein Onkel besitzt doch zwei Großhunde, oder? Vielleicht könnten Tamina und Joy sich die ausleihen."

Tamina und Joy drehten sich zu dem dunkelhaarigen Mädchen um. Dieses kniff die schönen, dunklen Augen zusammen und musterte Nika verärgert.

"Mein Onkel liebt seine Hunde über alles. Ich weiß nicht, ob er sie hergeben wurde."

"Wir würden sie ja wieder zurückbringen lassen." Tamina sah das Mädchen hoffnungsvoll an. "Und dein Onkel würde Entschädigungsgeld bekommen." Larea zuckte knapp die Schultern.

"Also schön. Ich werde ihn fragen. Er wohnt nicht weit von hier am Rande des Dorfes, wenn wir durch den Wald laufen, erreichen wir ihn in knapp zwanzig Minuten, würde ich sagen." Tamina nickte erleichtert.

"Gut. Danke."

Larea drehte sich um und machte sich auf den Weg in den Wald. Auch der Rest der Gruppe setzte sich in Bewegung.

Kiran lief neben Joy her und blickte sie neugierig aus dunklen, blauen Augen an.

"Du wohnst also zurzeit im Palast?", fragte er. Joy nickte. "Warum? Was machst du dort?", hakte der Junge nach. Joy warf Tamina einen hilfesuchenden Seitenblick zu. Doch das zierliche Mädchen war gerade damit beschäftigt, mit ihrem Blick Löcher in den Boden zu starren und das Gespräch der beiden zu ignorieren.

"Das kann ich nicht sagen", erklärte Joy unsicher. 

"Nicht?" Eine Falte grub sich zwischen Kirans Augenbrauen, als er die Stirn runzelte. Joy wandte verlegen den Blick ab und starrte geradeaus. 

"Nein. Tut mir leid." 

Kiran lächelte sie freundlich an. 

"Und wo wohnst du normalerweise?", versuchte er das Gespräch aufrecht zu erhalten. Joy stöhnte innerlich. In ihren Gedanken sammelte sie alles, was sie bisher über diese Welt wusste und steckte es in ihre nächste Antwort.

"Ich wohne im Dorf. Ich bin eine ganz gewöhnliche ... Dörflerin. Mein Vater ist Handwerker."

Kiran nickte langsam. 

"Wirklich seltsam, dass ich dich noch nie gesehen habe", sagte er, halb zu sich selbst. Wieder warf er Joy einen intensiven Seitenblick zu. Joy fühlte sich immer unwohler in ihrer Haut und lief ein wenig schneller. Kiran schien verstanden zu haben, dass sie das Gespräch beenden wollte und ließ sich enttäuscht zu Philip zurückfallen. 

Joy entspannte sich ein wenig und beobachtete Tamina, die mit schmerzverzerrtem Gesicht vor ihr her hinkte. Ihre vornehmen, schmalen Schuhe schienen ihr Probleme zu bereiten. Ein Anflug von Schadenfreude überkam Joy, als sie den Blick auf ihre eigenen, bequemen Stiefel senkte. Im nächsten Moment jedoch ärgerte sie sich über sich selbst und starrte wieder in den grünen, friedlichen Wald hinein. Bäume bogen sich in dem leichten Wind und Blätter segelten durch die Luft. Das Zwitschern von Vögeln schallte durch den Wald und der Geruch von feuchter Erde, Harz und Frühblühern lag in der Luft. 

Joy stapfte über den weichen, lehmigen Waldboden und schob sich durch Gestrüpp. Plötzlich prallte sie gegen einen Körper und blickte erschrocken auf. Larea blickte sich gereizt zu ihr um. Joy bemerkte überrascht, dass die Gruppe stehen geblieben war.

"Verflucht!" Kiran war vorgetreten und starrte verärgert auf eine freie, von Efeu bewucherte Fläche, die vor ihnen lag. 

"Larea, kommen wir da durch?", fragte er angespannt und betrachtete die bläulich schimmernden Pflanzen voller Argwohn. Larea spitzte die Lippen und schüttelte den Kopf.

"Ausgeschlossen. Keine Chance."


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Ein neues Kapitel ist da!

Ich hoffe es hat euch gefallen :) Na, was denkt ihr, welches Hindernis stellt sich Joy und ihren Begleitern nun schon wieder in den Weg?

Lasst wie immer gerne eure Meinung in den Kommentaren da, ich würde mich sehr darüber freuen! 

LG Vanessa

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