Die Stadt Hyperion

Meine Lunge brannte und meine Füße schmerzten. Barfuß rannte ich durch die Verwinkelten Straßen Hyperions.
"Bleib stehen du dreckiger Abschaum!" schrie mir der Händler aus dem Fleischereigeschäft nach, aus dem ich gerade Lebensmittel gestohlen hatte. Fleisch war teure Ware auf Hyperion, da es hier keine Wälder mehr zum Jagen gab und es vom Festland mit Schiffen hierhergebracht werden musste. Es war also extrem leichtsinnig von mir zu denken mit meinem Vorhaben ungestraft davon zu kommen. Aber der ständige Hunger ließ einen manchmal unüberlegte Dinge tun und für das Überleben war es nötig auch mal Risiken einzugehen. Ich bog in dunkle, enge Gassen und kletterte so gut ich das mit meiner Beute konnte über niedrige Mauern um meine Verfolger los zu werden. Was mir nur wenig nützte, da meine Verfolger Lichtfeen waren und Flügel besaßen mit denen sie mit Leichtigkeit über die Mauern drüber fliegen konnten. Dennoch schaffte ich es kurz aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden.
Panisch stand ich auf einem Marktplatz und sah mich links und rechts nach einem Versteck um. Kurz glaubte ich im Kreis gelaufen zu sein, da für mich jeder Winkel des Arbeiterviertels gleich aussah. Überall sah ich nur mit Pflanzen überwucherte, Elfenbeinfarbene, Viktorianische Häuser die durch den Platzmangel eng beieinanderstanden. Rechts neben mir entdeckte ich ein paar Kisten hinter denen ich mich rasch versteckte.
Mit rasenden Herzen beobachtete ich wie meine Verfolger verwirrt auf der Stelle stehen blieben und sich umsahen. Sie hatten meine Spur verloren.
Ziemlich dumm für ach so perfekte Lichtfeen! Dachte ich mir und zog meine Stoffkapuze und meine Stoffmaske über um mich unbemerkt in der Menge zu verstecken.
Es dauerte nicht lange bis ich am Rand des Arbeiterviertels ankam, der unterschied war gravierend. Gerade befand ich mich noch in der Edlen Stadt der Lichtfeen und jetzt im schmutzigen Armenviertel wo Häuser nur aus Bauschutt und Müll bestanden. Trotzdem lächelte ich, denn das war mein zu Hause. Hier bin ich geboren und aufgewachsen, mitten unter Magielosen Feen, auch die Unbegabten genannt. Das Einzige was uns von normalen Menschen unterschied war, dass wir mit Feen verwandt waren.
Vorsichtig lief ich über den mit Müll bedeckten Weg, jeder schritt ließ den Boden unter meinen Füßen knacken und knirschen. Um mich herum sah ich die Feen die in denselben braunen Lumpen gekleidet waren wie ich und sich so gut wie möglich versuchten vor der Witterung zu schützen. Hyperion war eine gigantische Inselstadt mitten im Meer, schroffe Windböen und Regen waren hier keine Seltenheit. Ich hörte den Wind pfeifen, Babys wimmern und ältere Feen husten. Das war die normale Geräuschkulisse die ich seither gewohnt war und was anderes könnte ich mir auch nicht vorstellen. Je tiefer ich ins Armenviertel vordrang, um so kreativer sahen die selbstgebauten Häuser hier aus. Vor einem ganz besonderem blieb ich stehen. Es war etwas größer und vorwiegend aus Wellblech, rostigen Metallplatten und Pappe gebaut.

Lächelt ging ich in das Tür- und Fensterlose Haus und legte meinen Stoffbeutel dort auf einen alten Holztisch der mal ans Ufer angespült wurde. Spuren die bis heute sichtbar waren.
"Was hast du diesmal wieder angestellt?" fragte Evander mit einem schelmischen grinsen auf dem Gesicht, ich erwiderte es.
"Warum gehst du immer davon aus das ich was angestellt habe?" Sein lächeln verschwand.
"Ich habe den Tumult in der Stadt gehört Azura, du kannst mich nicht täuschen und das weißt du" ich zuckte mit den Schultern.
"Erwischt" sagte ich und leerte meinen Beutel auf dem Tisch aus.
"Aber warum sollten nur die Lichtfeen was Gutes zu essen bekommen? Wenn sie nicht wollen das sie beklaut werden, müssen sie uns eben was abgeben" rechtfertigte ich mich. Evander jedoch hörte mich kaum, sondern starrte nur mit großen Augen das Fleisch an, auch er hatte seit Tagen nichts richtiges mehr gegessen und Fleisch hat hier schon seit Jahren keiner mehr gesehen.
"Das war sehr leichtsinnig Azura. Du hättest ins Gefängnis kommen können!" mahnte er mich.
"Bin ich aber nicht und jetzt lass uns die anderen rufen. Das Fleisch muss weg bevor die Kriegerfeen auf Patrouille gehen" drängte ich.
Sofort machten wir uns an die Arbeit und sorgten dafür das jeder wenigstens ein kleines Stück Fleisch zu essen hatte. Somit war wenigstens ein Tag weniger Trostlos und dafür hatte sich der Aufwand mehr als gelohnt.

Die Nacht brach herein und alle verkrochen sich in ihren Provisorischen Häusern, denn in Hyperion herrschte nach Einbruch der Dunkelheit Ausgangssperre. Keine Fee durfte dann noch das Haus verlassen und dafür sorgten die Kriegerfeen, die zusammen mit den Werwölfen durch die Straßen zogen. Warum das nötig war? Lichtfeen bekommen ihre Energie von der Sonne und in der Nacht sind sie schwächer als am Tag. Für die Unbegabten wiederum war es egal ob Nacht oder Tag, dennoch mussten sie sich an diese Regeln halten. Allerdings kam es uns so vor als wollten die Kriegerfeen nur einen Grund haben um jemanden zu verhaften, da die meisten von uns kein Dach über den Kopf hatten.
Mit verschiedenen Stofffetzen kuschelte ich mich in die Ecke in der am wenigsten Zugluft herrschte, Evander bestand darauf. Er war nicht mehr der Jüngste, seine Haare waren Grau und seine Haut Faltig. Ich wusste das er nicht mein leiblicher Vater war, trotzdem war er sowas wie ein Ziehvater für mich.

"Gute Nacht Azura, versuche ein wenig zu schlafen und komm nicht wieder auf dumme Ideen"
"Das mache ich nur wenn du es genauso versuchst" scherzte ich, was ihn kurz zum Lächeln brachte, dann legte auch er sich hin. Es dauerte nicht lange bis ich die klappernde Rüstung der Kriegerfeen und das dumpfe knurren der Werwölfe hörte. Sie bemühten sich nicht einmal leise zu sein und es kümmerte sie auch nicht, wenn sie uns aus dem Schlaf rissen. In manchen Nächten hörten wir wie sie jemanden wegen der Verstöße der Regeln anschrie und anschließend verhafteten, doch heute Nacht war es einigermaßen ruhig. Die Kriegerfeen waren aber nicht die einzigen Gefahren der Nacht. Es gab noch die Vampire. Lautlos bewegten sich diese unheilvollen Kreaturen durch das Armenviertel und hofften auf leichte Beute. Die Lichtfeen mieden sie aufgrund ihrer Fähigkeiten und weil sie das Sonnenlicht nicht vertrugen. Aber die Unbegabten hatten weder Zugang zur Lichtmagie nicht genügend Kraft um sich gegen die Vampire zur Wehr zu setzen. Jede Nacht war ein Kampf ums Überleben, meist schlimmer als am Tag. Man hatte eine 50%ige Chance die Feen mit denen man am Vortag noch gesprochen hatte auch am nächsten Tag wieder zu sehen. Das Evander schon so lange hier lebte war beeindruckend. Er lebte schon mehr als 40 Jahre hier und hat schon einige Vampirangriffe überlebt, man könnte auch sagen das Evander das Oberhaupt im Armenviertel war, denn bei Fragen kam jeder zu ihm. An seinem Hals sah man noch die Narben der Angriffe, aber er prahlte nie mit seinem Erfolg. Ich hörte in dieser Nacht nichts Auffälliges aber das Meer war rau und der Wind war kalt. Zitternd rollte ich mich in der Ecke zusammen und versuchte trotz der Kälte etwas zu schlafen.

Völlig durchgefroren und zitternd wachte ich bei Sonnenaufgang wieder auf. Sobald man die ersten Sonnenstrahlen erblickte, durfte man die Häuser wieder verlassen ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Kurz blieb ich noch sitzen und sah das Evander mir seine Decke auch noch gegeben hatte.
"Guten Morgen. Konntest du ein wenig schlafen?" fragte er als er wieder reinkam und merkte das ich wach war. Mir war noch viel zu kalt um zu antworten, also nickte ich nur.
"Na komm, die anderen haben schon ein Feuer gemacht, da kannst du dich aufwärmen" teilte er mit einem lächelt mit und ging wieder nach draußen. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. In Evanders Decke eingekuschelt lief ich nach draußen wo mich die anderen schon zu sich winkten. Sie standen im Kreis um eine Mülltonne aus Metall in der knisternd ein Feuer brannte. Ich wollte gar nicht wissen was sie dort verbrannten aber ich wollte die Wärme des Feuers auf meiner Haut spüren egal wie komisch es roch.
"Und hast du heute wieder Pläne für ein Abenteuer Azura?" wurde ich gleich gefragt.
"Nicht... erfrieren... wäre für den Anfang nicht schlecht" stotterte ich mit klappernden Zähnen.
"Du Armes Ding, du hast auch nichts auf den Knochen" kam es besorgt von einer etwas älteren Frau, die mich an sich ran zog und meinen Oberarm mit ihrer Hand warm rubbelte. Von der Mülltonne aus konnten wir rauf zum Arbeiterviertel sehen das oberhalb der fünf Meter hohen Steinmauer lag. Die Mauer war das einzig schöne hier, da sie genauso Elfenbeinfarben war wie die Häuser der Stadt. Außerdem wuchs dort Moos, was unserem Viertel wenigstens etwas Grüne Farbe verlieh. In der Mauer war eine große Metall Lucke eingebaut durch die der Müll der Lichtfeen zu uns transportiert wurde. Die Lampe die daneben hing fing an Rot zu leuchten.
"Oh seht mal, neuer Müll von der Adelsgesellschafft" spottete der erste.
"Sei doch froh das sie uns mittlerweile Warnen. Denk mal an die Zeit zurück als wir unter den Müllbergen verschüttet wurden. Ich habe immer noch Angst einen von ihnen zu finden, wenn wir die Müllberge durchsuchen" kommentierte ich seine Aussage.
"Das haben sie nur gemacht, weil sie den Gestank der Leichen nicht mehr ertragen haben" konterte Evander genervt und wandte sich wieder dem Feuer zu. Ich konnte seinen Ärger verstehen, er hat schon viele seiner Kameraden und Freunde auf diese Weise verloren. Als ob die Kriegerfeen und die Vampire nicht schon reichten! Langsam hörte das Zittern auf und ich machte mich zusammen mit den anderen auf die Suche nach nützlichen Teilen um unser zu Hause weiter auszubauen.

Der größte Erfolg des Tages waren einige weitere Stofffetzen und Holzplatten mit denen meine Ecke bei Evander in der nächsten Nacht vielleicht etwas weniger zugig wurde. Die Stoffe habe ich im Meer gewaschen und in der Nähe der brennenden Tonne über ein altes Seil gehängt um sie dort trocknen zu lassen.
"Heute hast du ein paar gute Funde gemacht" lobte mich Evander.
"Ja, ich hoffe nur dass sie Stoffe rechtzeitig trocknen" sagte ich nachdenklich und Evander legte mir eine Hand auf die Schulter.
"Das wird schon alles" dann ging er wieder selbst auf die Suche. Das Leben im Armenviertel war hart aber echt. Wir hielten uns zwar an die Gesetze des Königs aber ansonsten scherte es uns nicht was oberhalb unserer kleinen Welt geschah. Wir versuchten zu überleben, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Jeder Tag glich dem vorherigen, nämlich der Suche nach Nahrung und Baumaterial. Nachts hofften wir nicht ins Visier der Kriegerfeen, Werwölfen oder Vampiren zu geraten und doch wollte ich nirgendwo sonst lieber sein als hier. Mit den Versnobten Lichtfeen konnte ich nichts Anfangen und selbst ihre kleinen Elfen nervten mich an manchen Tagen, da sie mich bei meinen Raubzügen immer verrieten.
Ohne sie hätte mich der Händler nie erwischt. Wir lebten einfach unser Leben und versuchten uns aus allem raus zu halten.

Doch eines Nachts war alles anders. Die Kriegerfeen mischten das ganze Armenviertel auf, ganz egal ob wir die Regeln befolgten oder nicht. Das war eine Nacht die ich so schnell nicht wieder vergessen würde...

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