Kapitel 14
Hannah war noch nicht in Rasmus' Zimmer zurückgekehrt, als ich wiederkam. Deswegen sprach ich eine Problematik an, die mir seit dem Gespräch mit Kasimir durch den Kopf ging. "Wir lernten bereits, dass Feuer und Licht die effektivsten Waffen gegenüber den Schatten sind. Wie sollen sich dann Luft-, Erd- und Wasserbändiger gegen sie verteidigen?"
Rasmus lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte mich nachdenklich an.
"Eigenständig kaum, in Kombination mit Feuerbändigern oder Magier spielen sie jedoch eine entscheidende Rolle. Wasser fungiert als idealer Spiegel und löscht Brände, Luft verstärkt das Ausmaß des Feuers oder es erlischt dadurch, Erde wiederum ebnet den Weg durch Höhlen und grenzt Flammen territorial ein." Grübelnd bedachte ich seine Worte. Aus dieser Perspektive betrachtet, wäre es von Vorteil, jeweils zumindest einen Bändiger eines Elements in der Gruppe zu haben.
"Die Expedition in den Wald findet morgen statt!" Hannah platzte förmlich ins Zimmer. Manchmal fragte ich mich, ob sie wirklich die Tochter des Königs war.
"Je früher, desto besser", stellte Rasmus fest, "Die Anzahl an Opfern steigt täglich drastisch an."
Die Zeit rannte, auch wenn wir dies auf der Grenzmauer nicht bemerkten.
...
"Es fühlt sich surreal an." Hannah lehnte auf einer Zinne.
"Was genau meinst du?"
"Magnus berichtete mir von den Botschaften der Späher. In den Dörfern liegen überall verstreut leblose Körper, die Lager sind überfüllt, normalsterbliche Waisen trauern um ihre älteren Geschwister und Eltern mit magischen Kräften, weil sich diese für das Dorf in den Kampf begeben haben", Hannah blickte bestürzt ins finstere Tief des Schattenreichs, "Menschen ohne außergewöhnliche Fähigkeiten versorgen die Seelenlose und auch wenn sie noch nicht von Schatten angegriffen werden, so stellen sie ohne den Schutz der Fähigkeiten eine leichte Beute für Banditen und Räuber dar."
"Und hier merkt man von all dem Leid nichts?", hakte ich nach.
Die Königstochter nickte.
"Sobald die Expedition in den Wald abgeschlossen ist, sorgen wir dafür, dass Wächter auf den Wiesen vor dem Ewigen Wald patrouillieren, sodass die Schatten dort gestoppt werden", versprach ich ihr.
Dankbar lächelnd sah sie mich an, bevor ihr Blick erneut zum Schattenreich wanderte.
...
Mik
Bei angenehmer Stille aßen Helena und ich das Abendessen. Jedoch spürte ich die Unruhe der Drachen. Ihre Augen zuckten immer wieder hin und her und sie schnauften häufiger.
"Was ist mit ihnen?", fragte ich Helena, welche das Spektakel nicht zu merken schien oder schlichtweg ignorierte.
"Sie wittern herannahende Schatten", teilte sie mir mit, woraufhin ich erschrocken aufsprang. "Schatten? In dieser Gegend?" Panisch fing ich an, auf und ab zu laufen.
"Gelegentlich tauchen sie auch in der Nähe der Höhlen auf. In letzter Zeit immer öfter, womöglich weil einige Dörfer mittlerweile fast menschenleer sind. Aber sie meiden die Drachen, deswegen sind wir hier sicher", erklärte Helena.
Fast menschenleer, wiederholte ich ihre Worte in meinem Kopf.
"Die Forschung muss schneller vorangehen!", rief ich aus und eilte zum Höhlenausgang. Die ältere Frau folgte mir und sah sich draußen aufmerksam um. Ihr Blick verhärtete sich, als sie die Schatten im fahlen Mondlicht erspähte.
Verwundert studierte ich die Gestalt und Größe der dunklen Wesen. "Bilde ich mir das ein oder sind sie wirklich... verändert?", fragte ich Helena, woraufhin diese jedoch nicht reagierte.
"Wir müssen mit den Drachen in die Luft", murmelte sie nur.
"Aber du sagtest, wir seien hier -"
"Zu den Drachen, sofort. Alles weitere erkläre ich dir gleich", forderte sie mich auf.
Wenige Augenblicke später erhoben sich die Drachen in die Luft. Helena saß neben mir, die dunklen Wesen unter uns beobachtend.
"Die Schatten entwickeln sich weiter. Ich weiß nicht, ob dies mit der Zeit oder mit der Anzahl geraubter Seelen geschieht. Was ich ebenso hier draußen beobachten konnte, ist, dass die Schatten, sofern sie eine höhere Entwicklung aufweisen, sich in Wesen der vorherigen Generation teilen."
Mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. "Das bedeutet, dass aus einem Schatten der dritten Stufe zwei Schatten der zweiten Generation werden?", hakte ich nach.
Helena nickte. "Das Mondlicht setzt ihnen übrigens auch zu. Je höher die Entwicklung, desto resistenter werden sie jedoch dagegen."
"Deswegen habe ich gerade nur größere und scheinbar stärkere Schatten gesehen! Wesen der ersten Generation würden den Weg vom Schattenreich bis zu den Höhlen aufgrund des Mondlichts nicht schaffen!", stellte ich schockiert fest.
"Der heutige Besuch müsste bereits der dritten Generation angehören. Ich habe solche Schatten hier noch nie zuvor gesehen", erwiderte Helena.
Dritte Entwicklungsstufe...
"Wir müssen sie bekämpfen", sprach ich entschlossen.
"Hast du mir gerade überhaupt zugehört?! Ich hatte hier noch nicht mit ihnen zu schaffen, du offensichtlich auch, wir wissen dementsprechend nichts über sie! Es wäre purer Wahnsinn, die Schatten jetzt anzugreifen!", wies die Frau mich zurecht.
"Ich gehöre der Gruppe zur Erforschung der Schatten an. Dafür muss man durchaus Wahnsinn mitbringen", stellte ich trocken klar.
Helena erwiderte darauf nichts mehr und gab den Drachen lediglich das Zeichen, sich zum Boden zu bewegen.
"Bleib in meiner Nähe, drehe deinen Rücken nur in meine Richtung und zögere niemals, das Feuer einzusetzen, selbst wenn du deine gesamte Umgebung in Brand setzt", schärfte sie mir ein.
"Und wenn ich dich treffe?", hakte ich nach.
"Du machst dir um jemanden sorgen, der seit Jahrzehnten mit Drachen zusammenlebt?" Helena lachte belustigt.
"Klingt plausibel."
Wenige Augenblicke später standen wir Rücken an Rücken auf festem Grund. Die Drachen kreisten wachsam über unseren Köpfen.
Als Helena die ersten Bewegungen der dunklen Wesen wahrnahm, eröffnete sich eine Stichflamme aus ihren Handflächen. Die Schatten kreischten ohrenbetäubend, wichen blitzschnell den Flammen aus.
"Sie reagieren schneller als ihre vorherigen Entwicklungen", stellte ich fest und ließ mehrere Feuerbällle los.
Helena stimmte mir zu und erhitzte ihre Handflächen, bevor sie sich hinhockte und wie beim Jagen Zündschnüre entsendete.
Solange hielt ich ihr den Rücken frei, während ich die Drachen anwies, die Schatten zwischen die Lunten zu halten. Plötzlich gingen die Flammen hoch, woraufhin die dunklen Wesen schreiend verbrannten.
"Mögen die befreiten Seelen in ihren Körper zurückfinden", hauchte Helena, als das Feuer erloschen und wieder die nächtliche Ruhe eingekehrt waren.
"Marik, du bist verletzt", sprach sie, als ihr Blick auf mich fiel.
Verwundert sah ich auf die Stelle. Blut tropfte regelmäßig aus einer Wunde an meiner Schulter - genau zwischen Brustplatte und Schulterteil meiner feuerfesten Lederrüstung.
"Ich hab es nicht einmal bemerkt", erwiderte ich ruhig. "Ein Schatten muss mir wohl zu nahe gekommen sein, bevor er verbrannt ist."
Wir liefen zusammen mit den Drachen die wenigen Meter zurück zu den Höhlen, wo sich Helena um meine Wunde kümmerte.
"Hattest du trainiert?", fragte mich die ältere Frau.
"Was meinst du?", antwortete ich.
"Dein Feuer war stärker und präziser als sonst."
Ich nickte nur, woraufhin Helena schmunzelte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top