Kapitel 36 - Perspektivenwechsel

Lexus Helaru

Wir liefen durch den Wald, während die Soldaten ständig Ausschau nach Gefahren in der Umgebung suchten. Ambroz war tief in Konversation mit dem Oberhaupt seiner Garde. Es störte mich, dass er jetzt doch mit uns reiste. Ich kannte und vertraute ihm. Und im Nachhinein wusste ich, dass ich ihm nicht von unseren Plänen hätte erzählen sollen. Ambroz hatte schon immer nach Abenteuern gesucht, war von dem höfischen Leben gelangweilt. Doch ich wusste, nach was er eigentlich suchte. Etwas, was er weder in den zahlreichen Frauen fand, noch am Boden einer Flasche Fela Wein. Tief im Inneren sehnte er sich nach seiner Solará und der Gedanke, jemand anderes zu heiraten, plagte ihn tief. Seine Eltern waren Solará gewesen, doch seine Mutter starb und das änderte vieles.

Sein Vater verlor den Glauben an das Schicksal und heiratete neu. Die Tatsache, dass Ambroz nie ein Solará Tattoo erhalten hatte, schien seinen Glauben zu festigen. Er dachte, das Schicksal hätte es auf seine Familie abgesehen und redete seinem Sohn zunehmend ein, er würde niemals eine Solará haben. Jetzt war es wohl offiziell geworden und er sollte heiraten.

Doch die Geschichte, er sei betrunken in den Wald gelaufen, schien mir unwahrscheinlich. Malynera befand sich im Süden des Kontinents, rechts neben dem Königreich Vinela. Wir befanden uns weiterhin in Hallar, im Westen gelegen. Wie war er dorthin gelangt? Ambroz war immer gut darin gewesen, zu lügen. Es kam mit dem Territorium. Als Prinz musste er ein gewisses Bild präsentieren. Und als Prinz Malyneras? Es war umso mehr wahr. Mela tendierten dazu, arrogant zu sein. Schönheit bedeutete Macht, welche sie durch Manipulation und Lügen ausnutzten.

Doch nach Jahren mit Ambroz konnte ich zunehmend sehen, wenn er nicht die Wahrheit sagte. Und seine Geschichte? Sie war klar gelogen gewesen und das stellte eine potenzielle Gefahr für Viktoria dar. Wenn ich seine Intentionen nicht kannte, wie konnte ich sie beschützen? Sie lief neben mir, wie so oft tief in Gedanken versunken. Ihr Blick glitt immer wieder unsicher über die Soldaten, während sie abwesend auf ihre Unterlippe biss. Ihre langen blonden Haare wehten im Wind und wirkten im Sonnenlicht fast golden. Sie war wunderschön und ich dachte nicht, dass ihr das bewusst war. Sie war ein Mysterium. Mal war sie selbstbewusst, dann unsicher. Sie schien ein allgemeines Misstrauen gegenüber Männern zu haben, die kleinste Berührung löste Angst in ihr aus.

Es machte mich traurig darüber nachzudenken, was ihr wohl passiert war. Mir war ihr Ring aufgefallen, hier standen sie für außerhalb des Solará Bundes geschlossene Ehen. War das auch in ihrer Fall so? Fühlte sie sich unwohl in der Nähe anderer Männer, da sie verheiratet war? Doch das erklärte die Angst nicht und es machte mich unerklärlich wütend zu denken, jemand hätte diese Gefühle in ihr verankert.

Sie schien beim laufen fast zu schweben, so elegant bewegte sie sich. Es war wohl der Vela in ihr zu verdanken. Ihre Kleidung akzentuierte ihre Figur. Doch so gerne ich sie beobachtete, versuchte ich meine Gedanken platonisch zu halten. Alles andere wäre mehr als unangebracht und sicherlich einseitig. Sie hatte mich gefragt, warum ich ihr half und ich war mir sicher, dass sie mir weiterhin nicht komplett vertraute. Doch die Wahrheit war, ich wusste es nicht. Sie zog mich an, ich wollte ihr helfen. Die Schicksalsgöttinnen hatten mich mit einer Vision beschenkt und ich war mir sicher, dass das etwas bedeutete. Sie vergaben Visionen nicht ohne Grund und als ich Viktoria das erste mal sah, wusste ich, sie würde bedeutend für mich sein. Es war seltsam, so etwas zu denken und ich verstand es nicht.

Doch ihr zu helfen, zum Baum des Lebens zu gelangen? Es bestand keine Frage für mich. Es war irrational, doch ich folgte meiner Intuition. Und die Tatsache, dass sie nicht wusste, welche Gaben sie besaß? Zu Beginn hatte ich gedacht, sie würde vielleicht keine besitzen. Dass sie eine der vielen Wesen ohne besondere Fähigkeiten war. Doch ich half ihr trotzdem, um ihr Gewissheit zu verschaffen. Und dann war die Seite herausgerissen, es war verdächtig. Die Bücher waren heilig, magisch geschützt. Es bräuchte starke Magie, um so etwas zu vollbringen. Und es gab keinen Grund dazu, einen so simplen und eigentlich harmlosen Trank verschwinden zu lassen.

Doch es war passiert, kurz nachdem Viktoria in diese Welt kam und ich konnte mir nicht vorstellen, dass das ein Zufall war. Dass wir jetzt auf dem Weg zum Baum des Lebens waren, hatte mich ebenfalls beschäftigt. Der Baum verband die Fela mit der Natur, gab ihnen ihre elementaren Kräfte. Vela besaßen solche Kräfte nicht. Doch durch meine ausgiebige Recherche über die Geschichte Gnieas wusste ich etwas, was die meisten nicht wussten. Es gab ein fünftes Element, Geist. Die Göttin des Krieges war so mächtig gewesen, da sie die Gedanken der Wesen manipulierte. Sie flüsterte ihnen Zweifel ein, erschaffte Zwiespalte zwischen den Wesen. Dann entstanden erst die Vela, als die Göttin des Krieges mit den wenigen Auseinandersetzungen nicht zufrieden war.

Auch wenn der Großteil dieser Welt eines anderen überzeugt war, die Vela waren ebenso mit den Elementen verbunden. Und als die Götter verschwanden, sank ihr Einfluss auf die Gedanken anderer. Damals konnten sie ganze Menschenmengen beeinflussen und kontrollieren. Die Welt dachte, Vela hätten keine Macht verloren, doch das war eine Lüge. Und ich war davon überzeugt, dass Viktoria durch den Baum des Lebens ihre Fähigkeiten aktivieren würde. Ihre Augen leuchteten voller magischer Kräfte, sie konnte nicht ohne besondere Gaben sein.

"Wir schlagen hier das Lager auf" ertönte die Stimme des Oberhaupts der Garde, während er auf eine große Lichtung vor uns zeigte. Ambroz grinste uns an, bevor er mit Salarus auf die Lichtung lief. Ich wusste, er ließ uns absichtlich alleine. So oberflächlich und arrogant er teilweise tat, er war ein gutes Wesen. Und Ambroz wusste, dass es Viktoria nicht gut ging. Sie blickte sich unruhig im zunehmend dunkler werdenden Wald um, beobachtete konzentriert die wachsenden Schatten. Die Erfahrung hatte sie verängstigt, sie war fast gestorben.

Ich hatte es ihr zuvor nicht gesagt, doch sie hatte es nun selber gesehen. Von Schattenwandlern zugefügte Wunden konnten tödlich enden, wenn zu viele Schatten in sie drangen. Sie verdunkelten das Wesen, konnten es selber zu einem Schattenwandler machen. Denn diese Kreaturen? Sie waren alle mal Wesen gewesen. Es war unklar, woher sie ursprünglich kamen, doch sie waren gefährlich.

Viktoria war in eine neue Welt gekommen, fast gestorben. Ich wusste nicht, was ihr passiert war. Doch es hatte sich schnell rumgesprochen, dass die Weltenwanderin schwer verletzt zu Elaria gebracht wurde. Ich hoffte, dass sie sich durch den Selbstverteidigungsunterricht sicherer fühlen würde. Sie lernte schnell. war flink und intelligent. Es machte mich traurig, wie wenig sie von sich zu halten schien. Ich würde dabei helfen zu verstehen, wie stark sie war. Sie dachte sie wäre schwach, doch ich sah nichts davon, wenn ich sie anschaute.

Die Soldaten bauten das Lager auf und ich blieb neben Viktoria am Rand der Lichtung stehen. "Wie geht es dir" fragte ich schwach lächelnd. Mir war klar, dass es ihr nicht gut ging. Ihre angespannte Haltung alleine sagte das aus. "Gut" antwortete sie abwesend und beobachtete die Soldaten misstrauisch. "Dir wird hier nichts passieren" versicherte ich ihr und ein kleines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. "Danke" flüsterte sie und blickte mich an. Ihre rubinroten Augen funkelten mich an und ich lächelte. "Möchtest du weiter an der Selbstverteidigung arbeiten?" "Gerne" antwortete sie und schaute unsicher zu den Soldaten und Ambroz, welcher ihr grinsend zuwinkte.

"Lass uns etwas weiter weg gehen. Dann können wir in Ruhe trainieren" bot ich an und sie nickte erleichtert. Ich sah wie Ambroz auf uns zukam und schüttelte unauffällig den Kopf. Er nickte ernst und sprach stattdessen mit ein paar Soldaten.

Wir liefen ein paar Schritte in den Wald und ich blickte nachdenklich zurück zum Camp. Es war weiterhin zu sehen und wir waren nah genug, um bei Gefahren schnell dort zu sein. Gleichzeitig waren wir durch die Bäume sichtgeschützt und konnten unbeobachtet trainieren. Das war der perfekte Ort. Wir hatten genügend Platz, und Viktoria würde sich nicht unwohl fühlen.

"Also, kennst du noch die korrekte Haltung eines Messers?" fragte ich und gab ihr eine Klinge. Sie nickte konzentriert und begab sich in die richtige Position. "Sehr gut, denk dran deine Haltung flexibel zu halten. Du musst sicher stehen, um auch für Tritte und Schläge bereit zu sein. Messerkampf ist vielseitig." Damit begannen wir mit den selben Bewegungen wie gestern und mir viel eine große Sache auf, Viktoria wusste nichts über allgemeine Selbstverteidigung. "Viktoria" begann ich langsam, ihre Mimik vorsichtig analysierend. "Was hältst du davon, allgemeine Selbstverteidigung zu üben?" Sie nickte verwirrt und ging wieder in Position, doch ich schüttelte lächelnd den Kopf.

"Ich meine ohne Waffen. Du solltest wissen, dich in jeder Situation verteidigen zu können. Im Normalfall wird ein Training so begonnen, damit du erstmal die Grundkenntnisse erlernst. Waffen werden nachher hinzugenommen." "In Ordnung" sagte sie und hielt mir das Messer hin. Ich schüttelte den Kopf und nahm das Messer. "Viktoria, das würde Berührungen bedeuten und ich weiß, dass diese Unwohlsein bei dir auslösen" erklärte ich und ihr Blick senkte sich beschämt. "Ich" fing sie an und schüttelte dann mit zusammengekniffenen Augenbrauen den Kopf.

"Du musst mir nicht sagen, was der Grund dafür ist. Aber wenn du mir sagst, worin das Problem liegt, kann ich dir vielleicht helfen" bot ich an und sie blickte unsicher zu mir. Ihre Augen schossen nervös durch den Wald, während sie konzentriert auf ihre Unterlippe biss. Dann seufzte sie frustriert und blickte mir unsicher in die Augen. "Ich habe negative Erfahrungen mit Männern gemacht. Die Reaktionen sind instinktiv, ich kann sie nicht kontrollieren" murmelte sie und schaute beschämt weg.

Ihre Hand ging zu ihrem Hals und sie zuckte leicht. Es bestätigte nur meine dunkle Vorahnung und ließ mich denken, dass die volle Wahrheit weitaus schlimmer war. Ich würde bei unserem Training darauf achten, dass sie sich möglichst wohl fühlt. Sie sollte nicht in Angst leben müssen.

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