Kapitel 27 - mehr Fragen als Antworten
Der Raum war leer. Resigniert blickte ich mich um und fand eine Tür an der rechten Wand. Dahinter befand sich ein elegant eingerichtetes Schlafzimmer. Das dunkle Holz des großen Bettes komplimentierte die roten Laken. Ein Kleiderschrank befand sich in der linken Seite des Raums, daneben ein hoher Spiegel aufgestellt. Frustriert blickte ich mich in dem Raum um. Das Bett sah nicht benutzt aus, keinerlei persönliche Gegenstände zierten das Zimmer. Mit einer dunklen Vorahnung öffnete ich den Kleiderschrank und schrie daraufhin wütend auf. Ihre Kleidung war verschwunden, Zirelle war weg.
Niedergeschlagen rannte ich zurück zu Lexus und fand ihn an der Wand gelehnt sitzend, den Kopf mit geschlossenen Augen nach hinten gelegt vor. Was machte er weiterhin vor der Bücherei? Die Schuldgefühle schlichen sich wieder an und ein entrüstetes Seufzen entkam mir. "Lexus?" fragte ich leise und seine Augen öffneten sich ruckartig. "Viktoria. Wo warst du?" Seine Stimme klang müde, während er mich besorgt musterte. "Es tut mir Leid..." begann ich, doch er lächelte nur leicht und schüttelte den Kopf. "Du musst dich nicht entschuldigen. Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?". Erschöpft schüttelte ich den Kopf und ließ mich an der gegenüberliegenden Wand nieder. "Sie ist weg". Überrascht rissen seine Augen auf. "Zirelle?" Bei meinem Nicken zogen sich seine Augenbrauen nachdenklich zusammen. "Warum hast du nach ihr gesucht? Du hattest ihren Namen gesagt, als du die herausgerissene Seite begutachtetest."
"Elaria hatte mich zu ihr gebracht, als ich sie nach meinen Kräften fragte" begann ich zögerlich. "Zirelle erzählte mir, dass es einen Trank zur Erkennung meiner Gaben gäbe". Sein Kopf legte sich grübelnd schief, während er langsam nickte. "Deshalb hast du mich danach gefragt. Und als die Seite herausgerissen war, hast du Zirelle verdächtigt?" Seufzend nickte ich und mein Blick senkte sich entrüstet auf den Boden. "Sie ist weg.". Lexus erhob sich und ging langsam auf mich zu, um sich mit etwas Abstand vor mir hinzuknien. "Elaria ist eine der ältesten Helá des Landes, vielleicht kann sie helfen?". Mein Blick traf seine ruhigen Augen und tief durchatmend stimmte ich zu. Es war einen Versuch wert. Schnell aufstehend blickte ich auf den erschöpften Helá nieder. "Ich werde sie suchen. Du solltest schlafen Lexus". Damit drehte ich mich um und lief langsam los.. "Danke für deine Hilfe"
"Warte" seine Stimme ließ mich innehalten und seufzend drehte ich mich um. "Weißt du überhaupt, wo du sie finden kannst? Ich kann dir helfen". Mit schief gelegtem Kopf musterte ich Lexus. "Warum hilfst du mir? Du kennst mich doch gar nicht?"
Er lachte nur leise und schüttelte lächelnd den Kopf. "Elaria ist morgens zumeist in ihrem Büro. Komm". Damit lief er los und verwirrt folge ich ihm. Während wir unzählige Flure passierten, liefen wir einige Minuten schweigend nebeneinander her. Mich räuspernd durchbrach ich die Stille und sein freundlicher Blick glitt kurz fragend zu mir, bevor er wieder nach vorne ging. "Warum hilfst du mir?" versuchte ich erneut, doch er schüttelte nur den Kopf. Mein Mund öffnete sich zu einer weiteren Frage, doch dann schloss er sich bei seiner Antwort wieder "Viktoria ich weiß nicht wie deine Welt funktioniert, aber in meiner Kultur ist das Leben heilig. Wir sind die Heiler und Seher Gnieas. Es liegt in unserer Natur zu helfen".
Beschämt ging mein Blick nach vorne. Altruismus wurde in meiner Welt nicht wirklich gelebt. Jeder schien sich ständig zu fragen, welchen Vorteil ihre Hilfe ihnen in der Zukunft bringen würde. Die sozialen Kreise meiner Eltern bestanden zumeist aus oberflächlich freundlichen und unterstützenden Personen, doch hinter dem Rücken wurden sie schlagartig ganz anders. Mutter hatte stets gesagt, dass das Auftreten alles war. Die Welt bestünde aus hungrigen Wölfen, welche glücklich über den kleinsten Anschein von Schwäche herfallen würden. Doch ich war nicht mehr auf der Erde, vielleicht könnte ich Lexus also ein wenig mehr vertrauen, seinen Intentionen fürs erste trauen.
Eine Welt ohne Freunde war eine einsame, das hatte ich bereits gemerkt. Und eine neue, unbekannte Welt ohne Freunde? Ich hatte die dunkle Vorahnung, dass Einsamkeit mein kleinstes Problem sein würde.
Also stimmte ich mit einem Lächeln zu und wir verfielen wieder in eine Stille. "Da sind wir" Lexus Stimme riss mich aus meinen Gedanken und erwartungsvoll huschte mein Blick zu der hohen Tür vor mir. Zögernd klopfte ich an und kurze Zeit später stand Elaria vor uns. "Viktoria" begrüßte sie erleichtert und ihr Blick schoss kurz fragend zu meiner Begleitung. "Ich habe dich schon gesucht. Kommt rein". Damit nahmen wir auf den Stühlen vor ihrem großen Schreibtisch Platz, während sie mich erwartungsvoll anblickte. "Elaria" begann ich langsam. "Warum bist du gestern gegangen?". Ihr Blick wurde kurz verwirrt, bevor sie lächelnd antwortete. "Ich musste mich um etwas kümmern. Bitte entschuldige, hat dir Zirelle helfen können?". Langsam nickte ich, das bestätigte die Gedankenkontrolle endgültig. Grübelnd blickte ich mich in dem großen, lichtdurchfluteten Raum um, bevor er wieder zu ihr glitt. "Elaria, was weißt du über Tränke?". Überrascht blickten ihre hellen Augen zu mir.
"Was möchtest du wissen?" "Zirelle erklärte mir, dass es einen Trank zur Erkennung meiner Gaben gäbe" fuhr ich fort und beobachtete fasziniert, wie ihre Augen groß wurden. "Ich weiß nicht, wovon du redest. so ein Trank ist mir neu". Mein Blick schoss verwirrt zu Lexus, welcher meine Emotionen zu teilen schien. "Elaria, als eine der ältesten Helá Hallars dachte ich, du würdest am ehesten Wissen darüber haben" brachte Lexus ein und senkte schnell seinen Blick, als ihr Blick zu ihm schoss. "Lexus Damarus" lächelte sie, doch es wirkte gezwungen. Dann suchten ihre Augen wieder meine. "Viktoria, ich kann dir leider nicht helfen. Von so einem Trank habe ich nie gehört". Nun ein wenig misstrauisch blickte ich die zuvor immer hilfsbereite Helá an. Warum hatte ich das Gefühl sie würde mich anlügen? Ihr Auftreten projizierte weiterhin Ruhe und Ehrlichkeit, doch ihr Herzschlag war schneller geworden. "Vielleicht kann eines der Bücher unserer Bücherei dir die Antwort geben" schlug sie vor.
"Ich kann dich gerne dorthin führen" fügte sie freundlich lächelnd hinzu, doch ich schüttelte nur den Kopf. "Wir waren bereits dort, die Seite war herausgerissen". Echte Verwirrung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab, während ihr Herz weiter wild pochte. "Wie seltsam" kommentierte sie und lächelte mich dann entschuldigend an. "Ich habe gleich einen wichtigen Termin. Kann ich dich zu deinem Zimmer führen? Dort habe ich mehrere Kleiderstücke für dich hingelegt. Darunter auch mehrere Hosen". Ich nickte und beobachtete fixiert, wie sie sich erhob und weiter lächelnd aufstand. "Na dann folge mir bitte. Lexus wird seinen Weg schon zurückfinden". Damit öffnete sie die Tür zu ihrem Büro und wies mir, zu folgen. Mit einem letzten Blick zu Lexus erhoben wir uns und ich flüsterte ihm zu, dass wir uns am Abend wieder im Garten treffen würden. Er nickte unauffällig, weiterhin ein verwirrter Ausdruck in seinem Gesicht und verschwand in die andere Richtung.
Ich folgte Elaria, dieses Mal darauf bedacht mir den Weg zu merken. Wir liefen ein paar Flure lang, bogen zweimal links, sowie dreimal rechts ab und stoppten schließlich vor einer bekannten Tür. Mit einem weiteren Lächeln öffnete sie sie und wies mir mit einer weiteren Handbewegung einzutreten. Zögernd folgte ich ihrer Anweisung und mit einem weiteren Lächeln verabschiedete sie sich. "Ich muss jetzt leider zurück Viktoria. Aber es freut mich, dass du bereits neue Wesen kennenlernen konntest. Sollte ich dir irgendwie helfen können, sag Bescheid. Blut habe ich dir auf der Kommode bereitgestellt. Ich habe jemanden angewiesen, dir jeden Morgen neues zu bringen. Bis bald Viktoria". Damit verschwand sie schnell und verwirrt, schloss ich die Tür hinter mir. Das war seltsam gewesen. Kopfschüttelnd blickte ich auf den Kleiderhaufen auf meinem Bett und begutachtete die Kleidungsartikel mit einem kleinen Lächeln. Ich hatte wieder Hosen.
Weiterhin über die vergangenen Stunden philosophierend wechselte ich mein weißes Kleid zu einer dunkelbraunen Lederhose und weißem Leinenoberteil mit wunderschönen silbernen Verzierungen. Meine Schuhe wechselte ich ebenfalls zu einem Paar geschlossener Lederstiefel, welche wie der Rest meiner Kleidung perfekt passten. Magie, dachte ich lächelnd, bevor es wieder verschwand. Diese Welt war voller Magie, wunderschön und mysteriös. Und es wurde mir wieder einmal bewusst, wie kompliziert mein Leben geworden war. Immerhin war ich frei, dachte ich seufzend. Schnell leerte ich das blutgefüllte Glas und setzte mich grübelnd auf mein Bett. Es war Zeit herauszufinden, was hier vor sich ging.
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