Kapitel 2 - ein ungewollter Besucher
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, öffnete ich schläfrig meine Augen und schaute konzentriert an die Decke. Irgendwas hatte mich geweckt. Was war...
„Viktoria wach auf. Ich erwarte dich in 10 Minuten im Salon" hallte die Stimme meiner Mutter durch die Tür. Natürlich, wer sonst hätte mich wecken sollen. Seufzend richtete ich mich auf und schlug meine Decke weg, als ich ruckartig inhielt. „Verdammt" flüsterte ich, wütend über meine Vergesslichkeit.
Wie konnte ich nur vergessen, was gestern geschehen war. Wobei ich zugeben musste, dass diese wenigen Momente des Vergessens sehr gewesen willkommen waren.
„Scheiße" fluchte ich leise, während ich mich schnell fertigmachte. Pünktlichkeit war eine der vielen Tugenden meiner Mutter und ich wollte sie nicht weiter verärgern.
Also lief ich schnell die Treppen runter und machte mich auf den Salon, wobei ich merkte wie meine Schritte zunehmend langsamer wurden. Aus dem Raum vernahm ich Stimmen. Mutter, Vater und noch jemand. Ich zog konzentriert die Augenbrauen zusammen, um die dritte Stimme zu identifizieren, als es mir schlagartig bewusst wurde. Es war Willfried Eckerhard. Wie erstarrt blieb ich stehen, Hand erhoben um die Tür zu öffnen. 'Tief durchatmen' sagte ich mir 'Das wird schon'. Damit öffnete ich zögernd die Tür und trat in den Salon.
Mutter saß mit Vater und Willfried in der Sitzgruppe am Fenster, tief im Gespräch versunken. Schnell schloss ich die Tür hinter mir und räusperte mich höflich. Willfried richtete seine Augen auf mich und sein Mund verzog sich zu einem 'charmanten' Lächeln. Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken als ich seinen Blick sah, mit dem er mich von oben bis unten schamlos musterte. Seine Augen blieben kurz an meinem Ausschnitt hängen, bevor sie sich rasch wieder auf mein Gesicht fokussierten.
„Viktoria" Mutters Stimme war uncharakteristisch fröhlich, als sie auf mich zulief und sich neben mich stellte. „Schau nur wer uns mit seiner Anwesenheit beehrt. Welch erfreuliche Überraschung. Komm, setzt dich zu uns und begrüße unseren Gast".
Ich schluckte schwer und nickte stumm, bevor ich mich in Bewegung setzte. Der Weg zur Sitzgelegenheit wirkte plötzlich unglaublich lang. Bevor ich mein Ziel erreichte zog mich Mutter unauffällig zu sich und flüsterte in mein Ohr. „Benimm dich. Du weißt, was sonst passiert." Ihre Stimme war kalt, als sie die Worte sagte und mich mit einem kurzen warnenden Blick ansah, bevor sie wieder die Rolle der perfekten Gastgeberin einnahm und ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte. Sie setzte sich wieder auf ihren Platz und wies mich mit einer Handbewegung an, wo ich zu sitzen hatte. Selbstverständlich neben Willfried, bemerkte ich deprimiert.
Langsam lief ich zu ihm und blickte ihn mit einem zittrigen Lächeln an, bevor ich ihn begrüßte. „Guten Tag. Es freut mich sehr Sie wiederzusehen Herr Eckerhard". Daraufhin setzte ich mich mit so viel Abstand wie möglich links neben ihn und blickte zögernd auf, als ich seine Antwort vernahm. „Viktoria, solche Formalitäten sind doch nicht nötig. Wir werden schließlich heiraten. Nenn mich Willfried liebes".
Während seine Worte freundlich waren, sahen seine Augen tot aus. Ich nickte schnell und sah aus dem Augenwinkel, wie Mutter begeistert zu Vater blickte. „Viktoria" räusperte sich Letzer und ich blickte schnell zu ihm. Er sah im Gegensatz zu Mutter weniger begeistert aus. Nach außen hin sah er ruhig aus, doch ich sah den Konflikt in ihm.
Das lies mich für einen Moment besser fühlen, bis er weitersprach. „Willfried ist hier, um die Hochzeit zu besprechen und wie es sein wird, sobald ihr verheiratet seid. Heute ist der vierte Mai, wir haben uns auf den zwanzigsten Mai verständigt. Danach wirst du zu deinem Ehemann ziehen und er wird dein Familienoberhaupt."
16 Tage. Ich wollte gerade widersprechen, als mich der kalte Blick meiner Mutter stoppte. Sie hatte gesagt in einem Monat, das waren nicht einmal drei Wochen. In knapp zwei Wochen würde mein Leben Willfried gehören. Benommen nickte ich und richtete meinen Blick stur auf den Teppich.
Um mich von meinen zunehmend negativer werdenden Gefühlen abzulenken konzentrierte ich mich auf das detaillierte Muster des Teppichs. Das dunkle Rot stellte einen ausgezeichneten Kontrast zu dem goldenen Schnörkeln dar. „Hermann" Willfrieds Stimme brachte mich widerwillig zurück in die Gegenwart.
„Wäre es mir möglich, mich für einen Moment alleine mit meiner zukünftigen Frau zu unterhalten?" Ich sah an seinem Blick wie Vater gerade widersprechen wollte, als Mutter die Initiative ergriff und eifrig zustimmte. „Komm Hermann, lassen wir den beiden ein wenig Zeit, um sich kennenzulernen." Vater nickte stumm und so verließen sie rasch den Salon.
Mein Herzschlag pochte laut in meiner Brust, wir waren alleine. Gerade als ich den Mund öffnete, um etwas zu sagen, hörte ich Willfried aufstehen und wenig später setzte er sich direkt neben mich. „Viktoria" raunte er verschmitzt. „Ich denke wir sollten ein paar Dinge besprechen, jetzt da wir heiraten werden. Es gibt gewisse Regeln..." führte er fort, bevor er ruckartig nach meinem Kinn griff und es nach rechts bewegte.
Ich zog einen erschrockenen Atem ein, während ich meinen Blick stur auf sein Oberteil richtete. „Viktoria" tadelte er spielerisch. „Sieh mich an wenn ich mit dir rede" seine Stimme verlor beim letzten Teil den Humor und sein Griff um mein Kinn verfestigte sich. Langsam lies ich meine Augen nach oben wandern und endete schließlich an seiner etwas krummen Nase, bevor ich zögernd in seine harten Augen blickte.
Willfried Eckerhard war zwar stets elegant gekleidet, doch das glich weder seinen leichten Wohlstandsbauch, noch seine leicht zu nah aneinander geratenen schlammbraunen Augen und noch viel weniger seinen schrecklichen Charakter aus. Er tat alles, um nach außen hin den respektierten, guten Mann zu präsentieren. Doch im inneren sah ich nichts als Dunkelheit und das machte mir mehr Angst, als ich es zugeben wollte.
„Gutes Mädchen" raunte er wieder. Seine tiefe Stimme jagte mir Schauder über den Rücken. Ich wollte nichts lieber tun, als aufzustehen und mich in meinem Bett zu verstecken. „Also, wie ich bereits sagte, wird es Regeln geben. Wie in jeder Ehe muss es schließlich Ordnung geben. Deine Aufgaben werden es sein für mich zu kochen und natürlich möglichst bald meine Kinder auszutragen und sie danach anständig zu erziehen.
Deine Mutter hat dir hoffentlich beigebracht, was es heißt eine Ehefrau zu sein. Ich bin ein guter Mann. Erfülle deinen Teil und du wirst ein gutes Leben haben. Sei schwierig, und..." damit verstärkte er den Griff um mein Kinn erneut und ich biss die Zähne zusammen, um ihm nicht zu zeigen, dass er mir damit wehtat.
Mein Herz pochte wild und ich merkte, wie meine Hände anfangen zu zittern. Willfrieds Augen strahlten sadistische Freude aus, als er fortfuhr. „...du wirst die Konsequenzen spüren. Teste mich nicht liebes, du wirst die Folgen nicht mögen. Es macht für mich keinen Unterschied, ob du vor Freude oder Schmerzen stöhnst. Aber wie gesagt, erfülle deine Aufgaben zu meiner Zufriedenheit und dir wird es gut gehen. Ich bin schließlich ein fairer Mann, schon bald Dein fairer Mann. Und gute Männer wie ich verdienen eine gute Frau an ihrer Seite".
Willfried Eckerhard war vieles, aber gewiss kein guter Mann. Von dem war ich spätestens nach dieser Konversation fest überzeugt. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich wusste nicht, ob es wegen des festen Griffs seiner Hand, oder meinem inneren Gefühlschaos geschuldet war. Doch Männern wie Willfried war die Meinung einer Frau egal.
Männer wie er liebten Kontrolle und genossen es, dem 'schwächeren Geschlecht' zu zeigen, wie viel stärker und besser sie waren. Ich konnte nichts tun. Nicken war wegen seinem Griff nicht möglich und als ich den Mund öffnete, hielt mich der Kloß in meinem Hals vom Sprechen ab.
„Da wir das geklärt haben... Du sprichst mich vor allem in der Öffentlichkeit nicht an, sondern wartest, bis ich dich adressiere. Du wirst dich ordentlich kleiden und die stille kleine Maus sein, die du gerade bist. Du wirst das Haus nicht verlassen, außer ich erlaube es dir. Du wirst den ehelichen Pflichten ohne Widerworte nachkommen. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, erwarte ich fertiges Essen. Wir werden später über meine Präferenzen sprechen, damit die genauen Erwartungen klar sind. Das Einkaufen und Putzen übernimmt das Personal. Du wirst sie nicht ansprechen, wenn du Zutaten brauchst, schreibst du ihnen einen Zettel. Verstanden?"
„Ja" flüsterte ich, während mir eine Träne widerwillen die Wange runterlief. Die Emotionen, die mir bis gerade so unkontrolliert hochkamen, sackten abrupt ab und stattdessen bildete sich eine Leere in mir aus.
„Sehr gut. Jetzt geh auf dein Zimmer. Ich habe mit deinen Eltern weiteres zu besprechen und da musst du nicht dabei sein. Ruh dich aus, denk über unser Gespräch nach und wenn dich deine Eltern fragen worüber wir gesprochen haben... Du wirst nichts von dem sagen, was hier besprochen wurde. Du wirst sagen wir hatten eine angenehme Konversation und dann hast du dich entschuldigt, da du dich erschöpft fühltest. Verstanden Viktoria?" Alles was ich konnte war benommen zu nicken, woraufhin ich mich langsam erhob und auf den Weg zur Tür machte.
Bevor ich den Raum verlassen konnte räusperte er sich und ich verabschiedete mich schnell. „Ich erwarte Höflichkeit Viktoria. Das sollte dir nach unserer Konversation klar sein. Du hast dich zu verabschieden. Gott sei Dank scheinst du nicht komplett intelligenzbefreit zu sein und hast es noch gemerkt. Das nächste mal denk direkt dran. Bis bald Verlobte, wir sehen uns bei der Hochzeit".
Damit verließ ich schnell den Salon und rannte förmlich die Treppe hoch. Erst als ich sicher in meinem Zimmer angekommen war und die Tür zuging, konnte ich endlich atmen. Tränen liefen mir nun das Gesicht runter und es dauerte nicht lange, bis ich bitterlich zu weinen begann. Ich fühlte mich so klein, so unglaublich machtlos.
Mutters Worte kamen mir wieder in den Kopf 'Du denkst du wärst schlau. Aber du hast keine Ahnung, wie die Welt funktioniert. Kein Interesse daran dich der Weltordnung unterzuordnen, wie der Rest von uns es tut.' Sie hatte recht und es tat unglaublich weh, das zu denken. Die Zukunft, die ich mir idealistisch ausgedacht hatte, würde niemals Realität werden.
Mein Schicksal war festgelegt. Damit setzte ich mich ausgelaugt auf mein Bett und weinte um meine Träume, um meine Freiheit. Weinte um all das, was niemals geschehen würde und das, was dank Willfried auf mich zukommen würde.
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