Kapitel 19 - neue Welt, altes Leid
Trotz der vielen Gedanken war ich wohl eingeschlafen. Mit geschlossenen Augen dachte ich zurück an meinen Traum von einer Welt namens Gniea, bewohnt von verschiedenen magischen Wesen. Eine Frau, Elaria, hatte mir erklärt, dass ich Vela war; ein Vampir. Leise lachend über meine blühende Fantasie öffnete ich meine Augen und die Laute blieben mir erschrocken im Hals steckend. Hustend blickte ich mich in dem hellen Raum um und meine Augen wurden groß. Es war kein Traum gewesen?
Suchend blickte ich mich nach Elara um, doch sie war nicht zusehen. Stattdessen befand sich neben dem Bett auf der kleinen Kommode ein Glas. Dem Geruch zu urteilen war es erneut mit Blut gefüllt. Durstig nahm ich es in die Hand und seufzte bei meinen zwiespältigen Gedanken. Im Wald war ich zu dem Entschluss gekommen, dass der Konsum von Blut mich nicht zum Monster machte. Hatte meine neue Diät nach Wochen endlich gelernt, zunehmend zu akzeptieren.
Warum zögerte ich jetzt? Vielleicht weil mir nicht klar war, wessen Blut ich trank. Meiner dunklen Seite war das egal, sie forderte mich stumm zu trinken. Das Verlangen wurde immer größer und zögernd leerte ich das Glas in schnellen Schlucken. Einen Kontrollverlust konnte ich nicht riskieren. Bei ihrer Rückkehr würde Elaria mir meine Frage sicherlich beantworten. Wie zuvor war der Geschmack unglaublich, ich fühlte mich für einen Moment lebendiger denn je. Der Effekt wirkte länger als gestern, doch ich merkte, dass ich noch nicht völlig bei Kräften war.
Wie gerufen klopfte es kurz danach an der Tür und sie trat langsam mit ihrem scheinbar stets präsenten ruhigen Lächeln ein. Schnell wischte ich mir über den Mund um sicherzugehen, dass kein Blut an meinem Mund klebte. Ihre heutige Kleidung war ähnlich der gestrigen, lediglich die blaue Farbe ihres Kleides heller und die Muster leicht anders. In ihrer Hand hielt sie ein dickes Buch, welches sie auf die Kommode legte.
"Guten Morgen Viktoria" begrüßte sie mich freundlich und nahm auf demselben Stuhl wie gestern Platz. "Bitte entschuldige meinen hastigen Abschied gestern. Über meinen Solará zu sprechen fällt mir immer noch schwer. Hast du Fragen an mich? Gestern habe ich so viel geredet. Ich hoffe es war nicht zu viel" besorgt musterte sie mich und ich lächelte sie aufmunternd auf. "Zugegeben dachte ich beim Aufwachen kurz, das alles wäre ein Traum gewesen. Doch es ist alles wahr, oder?"
Seufzend nickte sie und ich senkte resigniert den Kopf. Es war weiterhin schwierig zu glauben, dass das alles wirklich stimmte. Doch im Inneren wusste ich, es war real. Entweder das, oder ich war endlich verrückt geworden. Die erste Variante gefiel mir weitaus besser. Also versuchte ich mein Bestes, mein neues Leben anzunehmen.
"Wessen Blut habe ich getrunken, Elaria?" fragte ich hastig. Ein Themenwechsel war bitter nötig, wenn ich nicht emotional werden wollte. "Vela haben unterschiedliche Möglichkeiten, wie sie Blut erhalten können. Eine davon sind Blutspenden. Andere Wesen geben einen Teil ihres Blutes im Gegenzug für Geld, welches sogenannte Blutbanken dann an Vela vertreiben. Hier haben wir für alle Spezies die passende Nahrung, damit sie sich möglichst schnell erholen. Du musst dich also nicht darum sorgen."
Erleichtert atmete ich aus. Dann dachte ich an den Geschmack des Blutes. "Warum ist der Geschmack so viel intensiver als alles, was ich auf der Erde getrunken habe?" "Magie" Mit einem verschmitzten Lächeln betrachtete sie meine verwirrte Miene. "Wie ich Dir gestern gesagt haben besitzen alle Wesen Gnieas Magie, was sich in ihrem Blut widerspiegelt. Auf der Erde existiert diese nicht, weshalb der Effekt nicht so intensiv war. Nicht nur stärkt dich das magische Blut mehr, sondern Du brauchst auch wesentlich weniger. Ein bis zwei Gläser pro Tag sind im Normalfall völlig ausreichend." Damit machte sie nachdenklich eine Handbewegung und das Glas füllte sich wieder.
"Doch in Extremsituationen, wenn Vela viel Blut verloren haben, benötigen sie mehr. Also trink Viktoria, danach kannst Du mir gerne weitere Fragen stellen"
Auf ihren fordernden Blick tat ich schnell wie befohlen und fühlte mich danach tatsächlich besser. Dann räusperte ich mich beschämt und stellte die eine Frage, die mich schon seit gestern plagte. "Elaria" begann ich zögernd.
"Wenn ich aus einer anderen Welt komme, wie kann ich Vela sein? Wie Du sagst, in meiner Welt existiert keine Magie"
Gespannt die Luft anhaltend wartete ich auf ihre Antwort. Sie schaute mich nachdenklich an und schien zu überlegen, wie sie am besten antworten sollte. "Viktoria wie zu Beginn gesagt, Du bist mir ein Enigma. Dass Du Vela bist erklärt, wie Du das Portal öffnen konntest. Doch wie Du von der Erde stammen kannst..." Sie unterbrach ihren Satz, eine Idee schien ihr zu kommen. "Bist Du adoptiert?" Bei meinem Kopfschütteln seufzte sie frustriert. "Das verkompliziert die Situation. Lass uns das Thema vielleicht von einer anderen Seite angehen. Wie wurdest Du zur Vela? Waren Deine Augen schon immer rot?"
Kopfschüttelnd gab ich ihr eine kurzgefasste Version der Ereignisse. "Ich war im Wald spazieren und ein Jäger überraschte mich. Er..." forschend betrachtete ich Elarias erwartenden Blick. Konnte ich ihr vertrauen? Sollte ich ihr das erzählen? Sie war bisher so, wie ich es beurteilen konnte, bisher ehrlich gewesen und schien wirklich bemüht, mir zu helfen. Seufzend fuhr ich fort, genau den Gesichtsausdruck Elarias beobachtend.
"Er hielt ein Messer an meine Kehle und drohte mein Leben zu beenden, würde ich versuchen wegzurennen. Dann fasste er mich an und drückte seinen Mund auf meinen. Ich war geschockt gewesen und er nutzte die Gelegenheit, um seine Zunge in meinen Hals zu schieben. Ich wusste, was als nächstes passieren würde un entschied mich zu kämpfen. Also biss ich ihm auf die Zunge und schluckte unabsichtlich ein wenig Blut runter. Danach..." In ihrem Gesichts sah ich nichts als Mitgefühl und so fuhr ich fort.
"Dann verlor ich die Kontrolle und als ich wieder zu Bewusstsein kam, war er blutleer an mich gelehnt. Tot" Meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser, bis sie zum Ende nur noch ein Flüstern war.
Diese Worte hatte ich noch nie ausgesprochen, hatte mit niemandem darüber reden können. "Oh Viktoria" begann sie traurig.
"Schau mich bitte nicht so an. Ich verurteile Dich nicht für Deine Aktion. Normalerweise werden Vela ihre Jugend über darauf vorbereitet, wie sie die Blutlust unter Kontrolle bringen können. Bis sie 18 sind, dürfen sie gar kein Blut zu sich nehmen. Vela haben strenge Gesetze dafür und wenn sie ihren ersten Schluck nehmen, geschieht das stets in einer stressfreien Umgebung. Dein Erwachen war von starken Gefühlen begleitet, Deine Instinkte zwangen Dich zu handeln. Bitte nimm diese Schuld nicht an, ich kann sehen wie sie Dich herunterzieht. Er wollte sich an Dir vergehen, Viktoria, ein sehr ernstes Vergehen in dieser Welt. Dieser Mann hatte nicht das Recht, Dich ohne Deine explizite Erlaubnis zu berühren. Wenn Du mich fragst war sein Ableben mehr als gerecht. Wer weiß, was Dir hätte passieren können, Liebes."
Tränen liefen mir unkontrolliert das Gesicht runter und ihr letztes Wort ließ mich ungewollt zusammenzucken. "Bitte nenn mich nicht Liebes" schluchzte ich verzweifel, als die bekannte Panik drohte, wiederzukehren.
"Liebes, du kannst dich nicht befreien. Ich entscheide, was mit dir passiert. Das ist mein Recht als dein Ehemann und daran solltest du dich erinnern. Aktionen haben Konsequenzen und die werde ich dir aufzeigen."
Willfrieds Stimme hallte in meinem Kopf wieder und mit einem Mal kamen alle Erinnerungen an ihn wieder auf. Hysterisch schluchzend versuchte ich panisch zu atmen, doch mein Brustkorb schnürte sich immer mehr zu. Entfernt nahm ich Elarias Stimme wahr, wie sie versuchte, mich zu beruhigen, doch ich verstand sie nicht. Wieder war ich in dem Bett, gefesselt und verängstigt. Hastig fasste ich mir an den Hals, doch er war unverletzt. Der rationale Teil in mir wusste das, doch in meiner Panik schnürte sich meine Kehle trotzdem zu.'Wer weiß, was hätte passieren können, Liebes' Ich wusste genau, was passiert wäre. Es war oft genug geschehen.
Warum brach ich jetzt zusammen? Ich dachte ein neues Leben zu beginnen, meinem alten zu entfliehen, würde die Erinnerungen weniger zerstörend machen. Doch es war Wunschdenken gewesen.
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