Das Familientreffen mit Drohungen
~Iván~
Ich laufe gestresst die Gassen entlang. Gestern Abend hatten sie es verschoben, doch heute muss ich pünktlich kommen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Ich frage mich zusätzlich, wann Giannas Vater herausbekommt, wer ich wirklich bin.
Geschmeidig schlängle ich mich durch die Menschenmenge. Die meisten machen sich nichts draus. Sie starren fest auf ihre Handys. Wenige unterhalten sich glücklich über irgendetwas. Anscheinend hat eine kleine Gruppe bald eine Geburtstagsfeier. Wie schön, dass es selbst unter diesen mafiösen Umständen etwas Freude gibt. Jedoch hält auch diese sich in Grenzen. Einige Personen blicken mich empört an und schimpfen über mich. Ich sollte vorsichtiger sein. Was sollen sich auch wissen, dass ich gerade etwas in Eile bin.
Endlich finde ich mich in einer Gasse wieder. „Da bist du endlich, Iván. Was fällt dir ein, dich so zu verspäten? Wir haben es extra auf heute verschoben! Du weißt wie wichtig das hier ist, oder?", höre ich Polo schimpfen. Er ist so etwas wie mein Chef.
„Ich bitte um Verzeihung", entschuldige ich mich zurückhaltend. Ich darf mir keine Fehltritte erlauben, sonst werden sie nicht auf mich hören.
„Können wir ihm verzeihen? Er führt uns an der Nase herum!", mischt sich nun auch Vera ein. Sie hat ihre Schwierigkeiten mit mir. Naja, wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mit ihr Schluss gemacht hatte und sie seither nicht drüber hinweg gekommen ist. Vera ist eine tolle Person. Ihre hüftlangen blonden Haare fallen glatt über ihren Rücken. Dadurch stechen ihre braunen Augen hervor. Dennoch fühlte es sich irgendwann falsch an. Sie war perfekt. Ich führte eine traumhafte Beziehung mit ihr. Doch irgendwann waren meine Gefühle verschwunden. Ich weiß nicht wie so, aber ab da konnte ich sie nicht mehr durch die selben Augen sehen. Ihre freundliche Art war nicht das, was mich beglückte. Auch ihre sanften Küsse und Liebkosungen waren nur noch anstrengend. Ich hatte es ihr ehrlich gesagt. Da sie jedoch noch an der Beziehung gehangen hat, war es für sie ein schwerer Schlag. Und dieser Schmerz scheint weiterhin anzudauern.
Einen Monat später hatte ich Gianna getroffen. Ich war damals auf die Party gegangen, um mich etwas abzulenken. Plötzlich sah ich diese braunen Augen zu mir blicken. Es hatte etwas gedauert, um zu begreifen, wer sie war, doch ihre Ausstrahlung hatte mich sofort festgehalten. Ich wusste damals nicht, was genau mich bei ihr so faszinierte. Mittlerweile weiß ich auch nicht so ganz, was genau es war, doch ich weiß, dass meine Gefühle für Vera ihretwegen verschwunden waren. Das war vorherbestimmt.
„Vera. Du weißt, ich toleriere es nicht. Aber wir sollten uns anhören, was er zu sagen hat. Schließlich ist keiner von uns so nah an Gianna herangekommen", reißt mich Polos Stimme in die Realität zurück. Endlich sehe ich auch die anderen der Clique auftauchen. Mittlerweile befinden sich zwanzig Leute hier. Endlich.
Ich blicke zu Vera herüber. In ihren Augen liegt Trotz, aber auch etwas Sehnsucht.
„Es tut mir unfassbar leid, das ich nicht ganz pünktlich bin. Aber ihr kennt mich. Es ist nunmal meine Art", hebe ich meine Stimme. Ich versuche sich fest klingen zu lassen. „Nun gut. Wie lautet dein Anliegen, Iván?", wendet sich Polo mir zu.
„Gianna bringt euch rein gar nichts. Sie ist nicht die, die ihr braucht. Sie bedeutet ihrem Vater überhaupt nichts", präsentiere ich meine Gedanken. Sofort ertönen die ersten entsetzten Worte. „Was? Wer sollte es sonst sein?", entgegnet mir Polo skeptisch. „Falls ihr wirklich euren Plan durchziehen wollt, holt ihr euch am besten Alessio, ihren Bruder", schlage ich vor. Mein Ton wirkt nicht sonderlich sicher. Warum auch? Schließlich werden sie sich wahrscheinlich nicht umstimmen lassen.
„Pah! Du willst nicht, dass Gianna etwas geschieht, oder?", provoziert mich Vera. Sie kann wirklich bösartig sein. Leider übernimmt mein Unterbewusstsein die Kontrolle. Ich bleibe still. Das ist leider auch eine Antwort, und zusätzlich keine undeutliche.
„Du magst sie? Natürlich willst du nicht, dass ihr etwas angetan werden kann", Veras Stimme wirkt verbittert, doch ich kann einen verzweifelten Unterton ausmachen. „Sie hat recht", meint einer meiner Kameraden. Prima.
„Ja, es stimmt. Gianna bedeutet mir etwas. Aber das heißt nicht, dass ich unsere Aufgabe vergessen habe. Jedoch, um die Mafia zu zerstören, brauchen wir eine andere Strategie. Jetzt mal ganz im Ernst. Eine Geiselnahme ist sowieso albern. Wir reden schließlich über die Mafia", gebe ich meine Gedanken preis. Es war vermutlich ein Fehler, aber auch meine einzige Chance.
Die Meute wird still. Immer mehr Stimmen werden leiser und verstummen. Es ist nur noch ein leises Murmeln zu hören.
„Du hast recht. Wir sollten uns nicht auf so eine alberne Idee stützen. Wir haben eine extrem gute systematisierte Organisation als Gegner. Wir sollten sie nicht unterschätzen. Aber was schlägst du vor?", meint Polo nach kurzem Schweigen.
Mein Blick fällt auf den Boden. Nur meckern wird mich hier nicht weiterbringen. Ja, die Idee ist schwachsinnig, aber ich habe auch nicht so schnell eine andere Möglichkeit parat.
„Und? Heute noch?", drängt Vera ungeduldig. Sie hat wahrscheinlich nur ein Ziel. Sie will Gianna zerstören. Auch wenn sie sich dadurch nicht besser fühlen würde, aber es ist nun mal eine Eigenschaft der Menschen. Der Glaube daran siegt meist über den Verstand.
„Ich überlege doch schon!", gebe ich genervt zurück. „Dann überlege schneller!", bekomme ich eine schadenfrohe Reaktion zurück. „Ich versuche es. Du kannst ja helfen", langsam wird es auch mir zu blöd. „Ach nein. Das schaffst du schon alleine."
„Ich habe eine Idee", Polo mischt sich nun auch ein. „Ach ja? Und was soll das sein?", erwidere ich genervt. Leider bemerke ich erst zu spät meine Tonlage. Polo blickt mich erbarmungslos an. „Nicht in diesem Ton!", höre ich seine dunkle Stimme in meinen Ohren. Ich nicke niedergeschlagen. Ich muss mich hier von meiner besten Seite zeigen.
„Wie lautet dein Vorschlag?", meine ich nach kurzem Zögern. In diesem kurzen Moment hatte mich sein Blick deutlich zurechtgewiesen. Ja, mein Platz ist nicht an der Spitze. Ich bin nur ein kleiner Teil. Ich habe mich also auch nicht wie etwas besonderes aufzuführen.
Polos Blick entspannt sich etwas. „Wir könnten sie für uns arbeiten lassen", schlägt er lässig vor. Mein Blick wandert zu Vera. Ihre Miene erhellt sich. Ein Funken von Abneigung vermischt mit Schadenfreude blitzt in ihren Augen auf. Ein Lächeln schleicht sich in ihr Gesicht.
In mir steigt Wut auf. Ein brodeln entsteht in meinem Magen. Nein, ich werde sie auf keinen Fall ausnutzen.
„Kommt nicht in Frage!", erwidere ich bösartig. Mein Blick schneidet Polos, welcher darauf hin erzürnt zu mir sieht. Auch Vera verdreht genervt die Augen. Gut so.
„Was ist das Problem? Die kann uns helfen. Du musst nur über deinen Schatten springen und-" „Ich sagte nein! Ich werde sie nicht ausnutzen!", fahre ich Vera an. „Iván. Wir dürfen keine Rücksicht auf Gefühle nehmen", meint Polo ruhig. „Ich werde mich dagegen stämmen! Wehe ihr kommt in ihre Nähe!", erwidere ich. In mir brodelt pure Wut.
„Wie wäre es, wenn ich eine Art Freundschaft zu ihr aufbaue. So können wir sie manipulieren", schlägt Vera vor. Ihre Abscheu würde dadurch nur genährt. „Spinnst du? Fass sie an und stirb!", schreie ich. Anscheinend geht von mir extreme Wut aus, denn sie weicht einen Schritt zurück und sieht mich geschockt an. Ja, sie wusste, dass meine Drohungen nicht leer waren. Ich drohte nur in absolut seltenen Fällen, doch wenn ich drohte, meinte ich es tot ernst. Ich will Vera nicht weh tun, aber ich weiß, dass sie mir keine andere Wahl lässt.
„Ist ja gut! Meine Güte! Reg dich ab", bekomme ich Veras lässige Antwort zu hören. Dennoch merke ich, dass sie ganz genau gemerkt habe, dass ich jetzt keine Witze reiße.
„Okay, schön. Aber Iván, was schlägst du stattdessen vor?", erkundigt sich Polo, der das ganze Spektakel amüsiert beobachtet hatte. Ich überlege. Der Plan ist gut, nur ertrage ich den Gedanken nicht, Gianna als Marionette zu benutzen. Falls etwas schief geht, würde sie büßen müssen. Außerdem kann ich nicht von ihr Verlangen, ihr familiäres System zu verraten. Sie würde es wahrscheinlich amüsant finden, ihrem Vater etwas auszuwischen, aber kann sie ihren Bruder hintergehen? Er brennt für die Mafia. Das habe ich bereits beim Essen sehen können. Sie würde ihm sicherlich niemals so etwas antun.
„Ich weiß es nicht", gebe ich geknickt zu. „Na also! Dann haben wir doch unseren Plan", verkündet Vera triumphierend. Sie wendet sich an unsere anderen Mitglieder, die bis jetzt nur zugesehen haben. Jetzt schalten sie sich ein. Ich höre zustimmendes Gemurmel und einige nicken.
„Von mir aus. Aber ich werde mich darum kümmern. Vera wird nicht gehen", rufe ich in das Getümmel. „Warum solltest du?", Vera wirft mir einen verächtlichen Blick zu. „Überlege es dir. Willst du wirklich mich zum Feind?", flüstere ich ihr ins Ohr. Ich fange ihren schmollenden Blick auf. Perfekt.
Es bricht mir zwar das Herz, zu wissen, dass ich Gianna ausnutzen muss, aber ich gebe sie ganz sicher nicht in andere Hände, und erst recht nicht in Veras.
„Dann ist es entschieden", verkündet Polo und wendet sich nun mir zu. „Und Iván, wehe du verbockst es. Ich werde keine Rücksicht auf dich nehmen. Du bist ein niederes Mitglied. Falls du dich als Verräter entarten solltest, werde ich keines Wegs zögern, das Problem zu beseitigen." Ein Schauer überläuft mich. Er würde mich kurzerhand vierteilen. Wie schön, diesen eiskalten Blick im Nacken zu spüren.
Ich nicke fast unmerklich. Polo mustert mich ein letztes Mal und sieht mich danach zufrieden an.
„Eine einzige Bitte hätte ich da noch", gebe ich meine Gedanken preis. „Du hast nicht den Status, um Bitten zu stellen", weißt mich Polos dunkle Stimme zurecht. Ich ignoriere ihn und spreche weiter. „Ihr kommt nicht in Giannas Nähe!" Polos Miene verfinstert sich. Auch Vera wirkt genervt, denn ich höre ihr gelangweiltes Stöhnen hinter mir.
Eine kurze Zeit messen Polo und ich uns mit Blicken. Ich werde nicht nachgeben, denn es wäre seine Chance, Giannas Sicherheit in Frage zu stellen. Aber auch er gibt nicht nach.
Nach kurzer Stille wendet er schließlich den Blick ab. „Einverstanden", kommt es nur kurz zurück. Er knirscht leise die Zähne, doch schließlich nickt er. Mein Ausdruck lockert sich und ich erwidere die Geste. Zufrieden wende ich mich ab und sehe ein letztes Mal zu meinen Verbündeten. Es ist meine Familie. Ich darf sie nicht enttäuschen. Aber Gianna könnte ich ebenfalls niemals das Herz brechen.
Ich nicke und trete aus der Versammlung aus. Mein nächstes Ziel, ist den Ort zu finden, an dem sich die wunderbarste Person der Welt sich jetzt schon wieder befindet.
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