9 - Kindergarten-Niveau

,,Wo gehst du hin?" Hermine schlug den Tagespropheten zu, legte ihn zur Seite und stand auf. Draco drehte sich um, sein Gesicht wurde vom Licht der vielen Kerzen im Raum erhellt. Sie bevorzugte das Kerzenlicht, es wirkte beruhigend auf sie. ,,Zur Nachtwache, wohin sonst?", erwiderte er und zog eine seiner perfekten Augenbrauen hoch. ,,Schon wieder? Du warst doch erst", kam es kühl von ihr. Er schnaubte: ,,Was soll das jetzt bedeuten?" Sie legte den Kopf schief: ,,Nichts. Nicht alles muss einen tieferen Sinn haben, Malfoy." Er wirkte genervt und amüsiert zugleich. Warum musste er immer negativ ihr gegenüber reagieren? Lag es wirklich nur am Blutstatus oder konnte er sie persönlich nicht leiden? ,,Ich dachte, in deiner Welt hat alles einen tieferen Sinn."

,,Träum du nur weiter. Wir leben in einer Welt gemeinsam, schon vergessen? Ich übernehme die Nachtwache." Mit diesen Worten schnappte sie sich die Taschenlampe, die auf dem Kaminsims lag und verließ den Turm. Ihre schnellen Schritte hallten an den Wänden wieder und das silbrige Mondlicht schien durch die Fenster. Sonst war alles ruhig. Dies war die perfekte Gelegenheit, um herauszufinden, was er im Wald vergraben hatte. Sie konnte nur hoffen, dass er ihr nicht folgte. Und dass er nichts geahnt hatte. Es war vielleicht unklug gewesen, ihm gewissermaßen die Nachtwache zu verbieten, doch nun war es zu spät, es war bereits geschehen und nichts konnte das ändern. Schnellen Schrittes stieg sie die Treppe hinunter und schritt auf das Tor zu, sie durfte keine Zeit verlieren. ,,Ich wusste gar nicht, dass wir auch die Ländereien kontrollieren sollen?"

Erschrocken drehte sie sich um. Draco stieg die Treppe hinab, noch immer mit einem fragenden, amüsierten Ausdruck. ,,Was suchst du hier?" Sie könnte sich selbst für diese dumme Frage ohrfeigen. Natürlich war er ihr gefolgt, sie hätte nicht direkt auf das Tor zu gehen sollen. ,,Ich halte Nachtwache." Sie schnaubte: ,,Das hab ich doch übernommen. Du kannst wieder ins Bett gehen." Sie gab sich alle Mühe, so abweisend und kühl wie möglich zu klingen, doch trotzdem noch glaubwürdig und unauffällig. ,,Nein, ich denke, dass du wieder ins Bett gehen kannst", antwortete er ausdruckslos und blieb einen Meter vor ihr stehen. ,,Ich bin aber nicht müde." Ohne eine Antwort abzuwarten lief sie an ihm vorbei und stieg die Treppe in die Bibliothek hinauf. Dies hier war immer noch ihr Lieblingsort. Sie schaltete die Taschenlampe ein, den Zauberstab hatte sie in ihrer Schultasche verstaut.

Hermine ging ein paar Schritte auf eines der großen Bücherregale zu, von denen sie wusste, das in ihm gewöhnliche Schulbücher standen. Wenn sie sich eines davon nahm und Draco ihr wieder folgte, würde er ihr nichts nachweisen können. Dankbar über die Dunkelheit, die sie schützen würde, setzte sie sich in einen Sessel. Irgendwie musste sie sich die Zeit vertreiben, auch wenn das nicht das Prinzip der Nachtwache war. Sie musste einen anderen Zeitpunkt für ihren Plan finden. Hermine schlug das Buch auf einer beliebigen Seite auf und fing an zu lesen, während sie jedem kleinen Geräusch lauschte.

oOoOoOo

,,Was war das gestern?" Sie sah von ihrem Aufsatz auf, als Draco sich ihr gegenüber setzte: ,,Was war was?" Er verdrehte die Augen: ,,Du wolltest unbedingt die Nachtwache übernehmen. Warum? Du hättest schlafen gehen können." Darauf wollte er also hinaus. ,,Ich konnte aber nicht schlafen", redete sie sich heraus, ,,du hättest doch schlafen können."

,,Ich war ebenfalls wach."

Hermine senkte den Blick wieder auf ihren Aufsatz und schreib weiter über die Verwandlung des halben Körpers in ein Tier. Er musste morgen fertig sein, sonst hätte sie eine schlechte Note, die sie wenig gebrauchen konnte. Sie spürte seinen Blick auf ihr, doch sie gab sich alle Mühe, ihn zu ignorieren. Im Gemeinschaftsraum war es still, nur das Kratzen ihrer Feder war zu vernehmen. Doch plötzlich klopfte es an der Fensterscheibe, sodass sie sich verwundert umdrehte. Eine braune Eule hockte auf dem Fenstersims und sah sie flehend an. ,,Du erhälst ziemlich oft Briefe", stellte sie fest, als sie das Tier wiedererkannte. Er zuckte mit den Schultern: ,,Kann sein." Er hatte sie an diesem Tag nicht einmal beleidigt, wie ihr gerade auffiel. Ein Fortschritt. Draco nahm den Brief entgegen, ehe die Eule wieder der Sonne entgegen flog.

Diesmal öffnete er nicht den Brief, sondern steckte ihn nur in seine Hosentasche. ,,Willst du ihn nicht öffnen?" Er schüttelte den Kopf, seine Augen waren kalt: ,,Nein, ich habe nicht das Bedürfnis, mir die Ermahnungen meiner Mutter anzuhören." Sie horchte auf: ,,Ermahnungen? Warum sollte dich deine Mutter ermahnen?" Er hatte ihr nicht in die Augen gesehen und daran hatte sie erkannt, dass er gelogen hatte. Der Blonde setzte sich wieder und verdrehte die Augen: ,,Haben dich deine Eltern noch nie ermahnt, dass du dich in der Schule anstrengen sollst? - Oh, stimmt ja: Deine Eltern sind ja Muggel, sie wissen nichts von Eulenpost." Jetzt hatte er sie beleidigt.

,,Musst du mich immer auf diesem Kindergarten-Niveau beleidigen?", fragte sie mit hochgezogener Augenbraue, während er seine zusammen zog: ,,Kindergarten? Was ist das?" Hermine konnte sich nicht zurückhalten und brach in schallendes Gelächter aus: ,,Du weißt nicht was ein Kindergarten ist?" Er wirkte beleidigt: ,,Im Gegensatz zu dir bin ich von edler Abstammung." Da war er wieder. Der Blutstatus. Ihr Gelächter ebbte ab, doch sie beschloss nicht darauf einzugehen: ,,In einem Kindergarten werden Kleinkinder betreut, wenn die Eltern keine Zeit haben. Verstanden?" Er verdrehte die Augen und nickte erschlagen.

oOoOoOo

,,Ehrlich, Hermine, er ist nur noch mit dem Buch beschäftigt, er schläft quasi darauf", beschwerte Ron sich und aß einen Löffel seines Spiegelei's. Harry sah vom Zaubertrank-Buch auf: ,,Hey, ich habe nicht nur Augen dafür! Und ich schlafe nicht darauf!" Sie musste kichern bei der Vorstellung daran, wie Harry auf dem Buch einschlief. ,,Was ist so lustig?", beschwerte sich nun der Brillenträger. ,,Nichts, nichts", winkte sie ab, ,,was ist denn an dem Buch so interessant?" Sie konnte sich nicht vorstellen, warum ihr bester Freund sich für ein Schulbuch seines Hass-Fachs begeisterte, das war doch sonst nicht seine Art.

,,Äh... dort stehen Notitzen vom Vorbesitzer drin und die haben mir in der ersten Zaubertrankstunde geholfen." Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Ei: ,,Was? Du hast geschummelt?" Hermine verstand selbst nicht, warum sie so schockiert war, es hatte auf der Hand gelegen, dass er Hilfe gehabt hatte. Doch er hatte sich auf eine unfaire Art den Ruf als Klassenbester und eine Phiole Felix Felicis eingebracht, das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. ,,Ja, habe ich. Aber die Tipps in diesem Buch sind wirklich gut, Hermine." Sie schüttelte ungläubig den Kopf: ,,Trotzdem. Wenn das raus kommt hast du einen brandneuen Ruf als Schummler, willst du das etwa?"

,,Ja, und niemand würde dir etwas glauben", fügte Ron grinsend hinzu. ,,Ihr interpretiert das falsch. Mit dem Buch kann ich meine Noten ein wenig aufbessern und so werde ich auch die Prüfungen bestehen." Sie verengte die Augen: ,,Du weißt schon, dass das Betrug ist. Und in der Prüfunk kannst du das nicht machen, du musst den Stoff aus dem Kopf wissen." Er nickte: ,,Ja, ich weiß, aber mit dem Buch kann ich einen guten Notenschnitt erhalten und das ist wichtig." Sie neigte den Kopf: , Trotzdem." Es hatte jetzt keinen Sinn mehr zu diskutieren, er würde sich nicht davon abhalten lassen, die hilfreichen Tipps weiter zu befolgen.

Hermine aß ihr Spiegelei auf, ehe sie aufstand und ihre Tasche schnappte: ,,Ich muss noch mal kurz..." Weiter kam sie nicht, denn die beiden Jungs unterbrachen sie: ,,...in die Bibliothek, wir wissen es." Sie lächelte den beiden noch einmal zu und machte sich auf den Weg zu ihrem Lieblingsort. Sie wollte gerade in einen Gang abbiegen, als sie Stimmen vernahm. Sie blieb stehen und drückfe sich an die Wand, um besser lauschen zu können. Auch wenn sie jetzt ein schlechtes Gewissen hatte. ,,Sein sie nicht so leichtsinnig!", zischte eine kalte Stimme, die ihr eine Gänsehaut bereitete. ,,Ich bin nicht leichtsinnig, ich passe schon auf!", kam die Antwort von einer wohkbekannten Stimme: Draco. Mit wem redete er?

,,Indem sie das sagen, offenbaren sie ihren Leichtsinn! Sie müssen vorsichtiger sein, besonders Miss Granger gegenüber!" Warum wurde über sie gesprochen, Draco interessierte sich doch nicht für sie? Er hatte keinen Grund, sie in seinen Privatgesprächen zu erwähnen, nicht den geringsten. ,,Sie ist scharfsinnig", fuhr die Stimme fort, ,,sie kann eins und eins zusammen zählen, ihr gegenüber müssen sie besondere Vorsicht walten lassen!" Vorsicht vor was? Draco wurde immer mysteriöser, sie würde ihn nicht in Ruhe lassen können, wie Ron es sich wünschte. ,,Ich weiß, das müssen sie mir nicht erzählen! Ich bin vorsichtig, keine Sorge, sie ahnt nichts." Eine kurze Stille folgte, bevor die Stimme wieder antwortete: ,,Ich hoffe es. Und nun gehen sie wieder zum Unterricht." Schritte ertönten, die sich entfernten.

Schweigend stand sie dort und ließ das Gehörte verarbeiten. Draco verheimlichte etwas vor ihr und ein anderer wusste davon. Sie würde sich nicht von ihm fernhalten können, sie musste herausfinden, was er verheimlichte. Mit einem letzten tiefen Atemzug nahm sie ihren Mut zusammen und bog um die Ecke.

Draco stand in der Mitte des Gangs, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Kopf gesenkt. Als ihre Schritte von den Wänden wiederhallten sah er erschrocken auf. In seinem Blick spiegelte sich Schockiertheit und die Angst davor, sie könne das Gespräch belauscht haben. Was sie ja auch hatte. Sie setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf und nickte ihm zu, als sie an ihm vorbei ging. Er durfte nichts ahnen, um keinen Preis. Sie musste so tun, als ob sie nichts wüsste, als ob sie nichts ahnte, als ob sie keinen Verdacht hätte. Sie musste einfach.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top