6 - Draco
Erschöpft ließ Hermine sich in einen roten Sessel fallen und stellte ihre Schultasche daneben ab. Der Tag war anstrengend gewesen, McGonagall hatte nicht übertrieben und die Freistunde hatte sie dafür genutzt, um in der Bibliothek ihre Kenntnisse aufzufrischen. Sie war aus der Puste vom vielen Treppensteigen, das war sie nicht mehr gewohnt und so lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Ron hatte Harry und ihr in Kräuterkunde von Dumbledores Rede erzählt. Sie beinhaltete wohl eine Warnung vor den dunklen Zeiten, die unweigerlich über die magische Gemeinschaft Britanniens hereingebrochen waren. Außerdem hatte Snape nach Jahren, in denen er sich um den Posten beworben hatte und stets immer wieder abgelehnt wurde, die Stelle des Lehrers für Verteidigung gegen die dunklen Künste bekommen und stattdessen wurde ein pummeliger Mann namens Horace Slughorn der neue Meister der Zaubertränke. Sie hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, seinen Unterricht und ihn kennen zu lernen, dafür aber Snapes. Er hatte sie mit einer Erklärung der dunklen Künste und ein paar schaurigen Bildern begrüßt, die seinem Stil entsprachen. Zu Anfang hatte er gleich die Vorhänge zugezogen und ihnen ein paar der Bilder erklärt, die Menschen zeigten, die entweder höllische Schmerzen litten oder von der dunklen Magie zerstört worden waren.
Verwandlung hatte sie zusammen mit Draco gehabt, doch sie hatte ihn keines Blickes gewürdigt und so auch nichts von seiner Verhaltensweise mitbekommen. Sie wusste, dass das stur war und sie hasste diesen Charakterzug an ihr, doch ändern konnte sie es auch nicht und so musste sie es hinnehmen, ob sie es wollte oder nicht. Sie kramte ein Pergamentblatt und eine Feder aus ihrer Tasche hervor, nahm ihr Schulbuch über die Verteidigung der dunklen Künste und begann mit ihrem Aufsatz, den sie bis zum morgigen Tag fertig haben musste. Gerade als sie die ersten Sätze zu Papier gebracht hatte hörte sie, wie sich die Tür öffnete und Draco eintrat. Sie schenkte ihm jedoch keine Beachtung und schrieb unbeirrt weiter.
,,Willst du mich nicht begrüßen, Granger?", fragte er spöttisch und ließ sich auf einen grünen Sessel sinken. ,,Ach, jetzt willst du plötzlich doch, dass ich mit dir rede", gab sie nur zurück und schaute auf eine Textstelle im Buch. ,,Natürlich will ich, dass du mit mir redest", kam von ihm und er holte ebenfalls Pergament, Schreibzeug und ein Buch hervor. ,,Interessant. Gestern klang es noch ganz anders." Sie hörte eine Feder kratzen, bevor er eine Antwort formulierte: ,,Ich habe nur gesagt, dass ich es nicht schätze, wenn du mehr über mich herausfinden willst. Ist natürlich deine Sache, wie du das auffasst." Genau das war ihr Plan gewesen. Mehr über ihn und die Sache mit dem dunklen Mal herauszufinden. Sie schluckte schwer, ließ sich jedoch nichts anmerken: ,,Ich habe es aber so interpretiert, dass du mich für wertlos hältst." Er zuckte nur kurz mit den Schultern: ,,Kann sein." Sie zwang sich, sich normal und unbeeindruckt zu geben und schrieb weiter. Doch in ihrem Inneren fragte sie sich, was Draco Malfoy wirklich von ihr hielt, was in ihm vorging. Denn seine Worte widersprachen sich; gestern meinte er noch, dass sie wertlos sei und heute stritt er es ab. Oder es war ihm zumindest egal. Wieder schluckte sie und riskierte einen raschen Blick auf ihn. ,,Ich weiß, dass ich gut aussehe", sagte er grinsend. Hastig sah sie wieder weg und schrieb schweigend den Aufsatz über Flüche und ihre Gegenzauber.
Plötzlich klopfte etwas am Fenster und sie sah gemeinsam mit dem Blonden auf. Eine, ihr unbekannte, Eule flog vor dem Fenster und wollte herein, im Schnabel hatte sie einen Brief. Sie wollte sich gerade erheben, um das Fenster für das schöne Wesen zu öffnen, doch er kam ihr zuvor und ließ sie herein. Sie flatterte auf den Tisch und kuckte Hermine mit großen Augen an, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zuwendete. Er nahm ihr den Brief ab und strich ihr sanft über das Gefieder. Während er den Brief öffnete und das darin enthaltene Pergament entrollte, um die Worte darauf zu lesen, verfinsterte sich seine Miene, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er wirkte ziemlich ernst. Da die Eule sich nicht sofort wieder in die Lüfte erhob und stattdessen sie bittend ansah stand sie auf, um aus ihrem Zimmer Eulenkekse und ein Gefäß zu holen. Die Eulenkekse hatte sie sich gekauft, um vorbereitet zu sein, wenn sie Eulenpost bekommen würde, auch wenn sie keine Eule ihr eigen nennen durfte. Würde sie sowieso nicht dürfen, da diese wunderschönen und weisen Geschöpfe nur sich selbst gehörten und sonst niemand anderem.
,,Aguamenti", flüsterte sie und aus ihrer Zauberstabspitze schoss Wasser in das Gefäß. Sie gab es ihr und die Eule trank gierig, während sie ihr über das Gefieder streichelte und ihr einen Eulenkeks anbot, den sie dankbar annahm, als sie getrunken hatte. ,,Würdest du auch so liebevoll mit ihr umgehen, wenn du wissen würdest, dass diese Eule meiner Familie gehört?", unterbrach Draco die Stille, die nur vom Schmatzen der Eule und ihrem leisen Gurren unterbrochen wurde. Sie nickte: ,,Eule ist Eule, sie kann nichts dafür, dass sie so einer Familie dienen muss." Seine Mine wurde noch ernster: ,,Willst du damit andeuten, dass meine Familie verabscheuungswürdig ist?"
,,So kann man es auch nennen", gab sie nur zurück und gab dem braunen Vogel noch einen Keks. ,,Und wie würdest du es nennen?" Sie sah auf und ihr Blick traf direkt auf eisgraue Augen: ,,Ich dachte, dir ist meine Meinung egal?" Sie sah ihn herausfordernd an und legte den Kopf ein wenig schief. ,,Das habe ich nie gesagt, Granger. Hör doch mal zu." Wenn sie eines nicht leiden konnte, dann waren das Lügen und die Beleidigung, dass sie dumm sei. Mit ihrem Blutstatus hatte sie sich schon lange abgefunden, doch wieder stieg die Wut in ihr hoch: ,,Ich meinte damit, dass deine Familie verdorben ist. Durch und durch, vom Reinblutwahn und dem Wahnsinn der Lestranges. Ihr seit nichts weiter als die Schoßhündchen Voldemorts." Hermine wusste, dass sie zu weit gegangen war, doch jetzt war es zu spät, sie hatte die Worte bereits ausgesprochen. Doch im Grunde genommen stimmten sie, denn seit die Malfoy-Familie letztes Jahr nach dem Kampf in der Misteriumsabteilung in Ungnade gefallen war, waren sie nicht mehr als die Schoßhündchen eines Irren. Außerdem wurden sie durch den Wahnsinn der Lestranges, vor allem dem der Bellatrix Lestrange, verdorben und vom Reinblutwahn geprägt. Sie wusste zwar nicht, wie weit das auf Draco zu traf, doch wenn ihr Plan aufging, den sie sich noch überlegen musste, würde sie es bald wissen. Hoffte sie.
,,Pass auf", zischte er leise, seine Augen funkelten bedrohlich. In diesem Moment ähnelte er mehr denn je einer Schlange und ihr lief ein Schauder über den Rücken, so wenig sie es auch zugeben wollte. Sie erhob sich und nahm die Eule auf den Arm, die ihr brav gehorchte. Ohne abzuwarten, ob er noch eine Antwort senden wollte oder nicht, ging sie zum Fenster, welches noch immer offen stand und ließ die Eule heraus, die in die Abenddämmerung flog. ,,Wo willst du hin?", fragte er, als sie ihre Sachen einpackte. ,,Geht dich nichts an", fauchte sie zurück und verließ den Turm, um in der Bibliothek ihre Hausaufgaben fortzusetzen.
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Sie hatte einen Fehler begangen, das wusste sie nur zu gut. Sie hatte Dracos Familie beleidigt und somit auch ihn. Es war eine Sache, wenn ein Reinblüter eine Muggelstämmige wegen ihres Blutstatus beleidigte, jedoch war es eine vollkommen andere, wenn eine Muggelstämmige das selbe mit einem Reinblüter tat. Und genau das hatte sie vor gut einer Stunde getan. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können für diese Dummheit, denn sicher würde er sich rächen. Das war eigentlich schon vorprogrammiert. Die leise Drohung, die er ihr zugezischt hatte, hatte gereicht, um ihr eine Gänsehaut zu bereiten, auch wenn er davon nichts mitbekommen hatte. Die Tatsache, dass sie wegen ihm Angst bekam, zählte. Nun wurde ihr Vorhaben, so viel wie möglich über ihn herauszubekommen, noch komplizierter, als es ohnehin schon war, denn er würde ihr misstrauen und sie nicht an sich heranlassen.
Seufzend stützte sie den Kopf auf ihren Händen ab und starrte auf die Tischplatte. Der erste Schultag war gerade erst um und schon wusste sie nicht mehr weiter. Das Schuljahr würde definitiv nicht vielversprechend werden. Da sie mit ihrem Aufsatz fertig war packte sie ihn ein und verließ den Tisch, um sich stattdessen in die hinterste Ecke der Bibliothek zu begeben. Nur wenige kannten diesen bezaubernden Platz und so würde man sie nicht so leicht finden, verborgen zwischen Bücherregalen. Ein Sessel stand am Fenster und seufzend sank sie in seinen weichen Stoff. Die Bibliothek war nun leer, da es höchstens nur noch zehn Minuten bis zur Sperrstunde dauern konnte. Hermine griff sich ein Buch über Zentauren und vertiefte sich darin, den Zauberstab benutze sie als Taschenlampe.
Doch schon nach einer Viertelstunde stellte sie es wieder ins Regal zurück. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, ihre Gedanken schweiften immer wieder zu Draco, auch wenn sie sowieso nichts mehr machen konnte. Eine Entschuldigung würde er nicht annehmen. Nicht, dass sie sich bei ihm für die Wahrheit entschuldigen würde. Denn Wahrheit konnte wehtun und doch war sie besser, als eine Lüge, die die Situation vereinfachte. Und schon wieder kam dieser Charakterzug in ihr zum Vorschein: Sturheit. Genervt von sich selbst erhob sie sich und beschloss, die Gänge zu kontrollieren. Zwar würde sich am ersten Tag noch niemand raus schleichen, doch sie musste den Kopf freikriegen. Sie löschte das Licht ihres Zauberstabs und ging ihre Runde durch die Regale, bis sie etwas golden schimmern sah. Vorsichtig ging sie weiter auf die Lichtquelle zu, ihre Schritte hallten von den steinernden Wänden wieder und kündigten sie ungewollt an.
,,Miss Granger?", hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich und zuckte zusammen. Erschrocken drehte sie sich zur Seite und entdeckte Madam Pince, die Bibliothekarin: ,,Madam Pince!", rief sie geschockt und tat einen Schritt zurück. ,,Ich nehme an, sie wollten gerade ihre nächtliche Kontrolle ausführen?", fragte die Frau und ging zur Lichtquelle, die nur wenige Meter entfernt war. Nun erkannte sie, dass es eine Lampe auf dem Schreibtisch der strengen Frau mit der Brille war, die das Licht ausstrahlte. ,,Ja, Madam." Die Frau nickte: ,,Sehr verantwortungsbewusst." Dass sie einmal ein Lob von ihr bekommen würde, hatte sie sich nur erträumt. Vielleicht war der Tag doch nicht so schlimm gewesen, wie bereits angenommen. ,,In der Bibliothek gibt es keinen nächtlichen Besucher, ich habe das selbst überprüft." Diesmal nickte Hermine: ,,Gut, dann werde ich jetzt wohl die anderen Gänge durchsuchen."
,,Viel Glück und seien sie vorsichtig." Mit einem Nicken und einem knappen Lächeln verabschiedete sie sich und verließ die Bibliothek. Nun stand sie alleine im Gang und atmete tief ein und aus, umgeben von der beruhigenden Schwärze der Nacht. Unter ihrer Fassade konnte Pince also doch ganz nett sein, wenn sie nur wollte. Sie musste schlucken. Ihr Gedankengang führte sie zu Draco, denn auch er versteckte sich hinter seiner Eisprinzen-Maske. Nur die wenigsten wussten dies, alle anderen akzeptierten ihn einfach so und nahmen seine abweisende Art und seine Kälte kommentarlos hin. Energisch schüttelte sie den Kopf, denn es war unrealistisch, sich die ganze Zeit Gedanken über den blonden Schönling zu machen, es brachte doch eh nichts. Als erstes musste sie einen Plan aushecken, ihm näher zu kommen, erst dann blieb Zeit für weiteres.
Schwungvoll stieß sie sich von der Tür ab und begann mit ihrer nächtlichen Kontrolle.
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,,Du sitzt ja immer noch hier."
Hermine ließ ihre Tasche auf einen Sessel fallen und sah Draco fragend an, der noch immer im Sessel saß, den Brief in der Hand. Er sah auf: ,,Anscheinend." Innerlich seufzend verdrehte sie die Augen: ,,Warum?" In den Gängen hatte sich kein Schüler mehr herumgetrieben, sie war einzig und allein auf den blutigen Baron gestoßen, der auf dem Weg zum Astronomieturm gewesen war. ,,Ich wüsste nicht, was dich das angeht", gab er nur zurück und wirkte wieder so kühl und abweisend wie eh und je. ,,Wie du willst, Malfoy." Schnaubend drehte sie sich um und ging ins Badezimmer, das sie sich wohl oder übel teilen mussten. Es war einfach wundervoll.
Die Wände waren aus weißen Fliesen mit goldenen und silbernen Verzierungen, in einer Ecke stand eine große Badewanne und etwa einen Meter daneben befand sich eine große, verglaste Dusche. Das Waschbecken war direkt gegenüber angebracht und die Toilette befand sich gut zwei Meter neben der Dusche. Über dem Waschbecken hing ein großer Spiegel, daneben befand sich ein Ganzkörperspiegel, in dem Hermine ihren gesamten Körper betrachten konnte. Sofort stieg sie unter die Dusche und ließ das warme Wasser auf sich herabprasseln. Draco hatte noch immer sehr ernst ausgesehen und unwillkürlich fragte sie sich, was in diesem Brief gestanden hatte. Sie hatte ihn selten so gesehen, sonst hatte er immer seine Maske aufgesetzte. Ob er es wohl für unnötig hielt, sie im Turm aufzusetzen, da die anderen Slytherins, die ihn verehrten und vergötterten, nicht da waren? Es wunderte sie, dass keiner der anderen diese Fassade von ihm bemerkt hatte, sie mussten alle blind sein. In einigen Momenten, in denen er sich unbeobachtet gefühlt hatte, war die Schwere seiner Gesichtszüge zurückgekommen. Nur kurz hatte sie einen Blick darauf erhaschen können, doch dass hatte ihr alles gesagt, was sie wissen musste: Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, verstellte sich.
Nach einigen Minuten stieg sie tropfend aus der Dusche, trocknete sich und ihre Haare ab und wickelte sich ein Handtuch um den Körper. Sie sah in den Spiegel, bereits am ersten Tag hatte sie Augenringe. Musste wohl an der Nachtwache liegen, anders konnte sie es nicht erklären. Seufzend fuhr sie sich durch die Haare, denn dieser eine Tag war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Dementsprechend schien es ihr auch lächerlich und dumm, dass sie immer noch keine Lösung gefunden hatte. Sie musste hinter seine Fassade blicken und das am besten so schnell wie möglich. Hermine wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser ab und kam endlich zur Besinnung. Es würde zu auffällig wirken und sein Misstrauen anregen, wenn sie bereits nach einigen Tagen versuchte, ihn zu verstehen. Oder jedenfalls so tat. Es war zum Verzweifeln: Sie konnte ihn nicht ignorieren, allein schon wegen ihrer Pflichten als Schulsprecherin nicht, und doch würde er ihr nur mit Ablehnung und Arroganz begegnen. Sie wusste einfach nicht, wie sei ihren Plan in die Tat umsetzen sollte.
Erneut seufzte Hermine, nahm ihre Sachen und verließ das Bad. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nur ihr Handtuch anhatte und unwillkürlich wurde sie rot. Doch zu ihrem Glück hatte Draco sich vorgebeugt, eine Hand hielt den Brief und die andere fuhr sich verzweifelt durch die Haare. Er drückte aus, wie sie sich gerade fühlte, nur dass ihre Verzweiflung sich gegen ihn wendete. Eillig huschte sie an ihm vorbei in ihr Zimmer, froh darüber, dass er keinen sarkastischen und anstößigen Kommentar von sich gegeben hatte. Das würde ihr Selbstwertgefühl nur noch mehr sinken lassen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Innerlich seufzend räumte sie ihre Kleidung ein und zog sich für die Nacht an. Es war tiefste Nacht und ein Blick auf ihren blauen Wecker verriet ihr, dass es kurz nach Ein Uhr morgens war. Nach ihren Berechnungen würde sie gut fünf Stunden schlafen könne, falls sie sofort einschlafen würde.
Hermine öffnete das Fenster, sie brauchte Frischluft. Als sie sich ins Bett legte stellte sie noch ihren Wecker, während sanftes Mondlicht den Raum erhellte. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, lehnte sich in die Kissen, schloss die Augen und gab sich der nächtlichen Entspannung hin, die nicht lange auf sich warten ließ und sie sanft mit sich ins Land der Träume und der Geborgenheit führte.
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