6 - Zu Ungenau

Kapitel 6 – Zu Ungenau

Yoruichi stellte ihr Diktiergerät aus und schob es zur Seite: „Danke, dass war sehr detailliert. Ich denke, dass das Kommissar Urahara auch interessieren wird.“ Sie musterte Ulquiorra ein weiteres Mal eingehend, doch der Junge zeigte weiterhin keine Anzeichen von Stress. Ungewöhnlich, bei dem was er ihr gerade erzählt hatte. Nachdem Hanataro den blassen Jungen, vor etwa einer guten Stunde, in ihr Büro gebracht hatte, saß er vollkommen ruhig mit locker ineinander verschränkten Händen da.

Bei seiner Ankunft hatte Yoruichi ihn zuerst nur harmlose Fragen gestellt. Ob er mit seinem Zimmer zufrieden sei, wie ihm die Wohnung gefallen würde und wie er von Orihime und Grimmjow behandelt worden war. Er hatte ohne Zögern und auf den Punkt geantwortet. War dabei jedoch so neutral geblieben, dass es für sie unmöglich war, zu erkennen, was er dabei empfand.

Schließlich hatte sie ihn gerade heraus gefragt, ob er ihr erzählen könnte, wie seine Eltern gestorben waren.

Zu ihrem Erstaunen, hatte er sofort genickt und auch keine Einwände gehabt, das Ganze von ihr aufnehmen zu lassen. Dann hatte er begonnen, mit weiterhin ausdruckslosem Gesicht und unbewegter Stimme, ihr einen Bericht, anders konnte man es nicht nennen, darüber zu geben wie seine Eltern langsam vor seinen Augen verblutet waren. Zu Überrascht davon, dass Ulquiorra im Gegensatz zu dem was ihr erzählt worden war, so einfach darüber sprach und ihm das scheinbar auch nichts ausmachte, hatte sie ihn nicht unterbrochen.

Doch als er fertig war, hakte sie nach: „Warum hast Du das der Polizei nicht sofort erzählt? Warum hast du keine ihrer Fragen beantwortet, sondern bis jetzt geschwiegen?“

Ulquiorra blickte ihr geradewegs in die Augen: „Weil mich niemand danach gefragt hat, was ich gesehen habe. Alle haben nur nutzlose Fragen, darüber gestellt, wie ich mich fühle“, war seine unterkühlte Antwort.

Yoruichi stutzte, zog die Augenbrauen hoch und beugte sich vor, ihn eingehend musternd. Er hielt ihrem Blick mit einer Leichtigkeit stand, die sie wiederum in Erstaunen versetzte: „Dann war ich die Erste, die überhaupt von Dir wissen wollte, was passiert ist?“

Er nickte wieder und sie lehnte sich zurück. Das erklärte, warum die Polizei gedacht hatte, dass er nicht hatte reden wollen oder besser, dass er nicht in der Lage dazu war. Sie waren selbstverständlich davon ausgegangen, dass jemand, der so etwas schreckliches erlebt hatte, nicht einfach Schweigen würde. Jedenfalls nicht, wenn ihm das Geschehen, nicht im wahrsten Sinne des Wortes, die Sprache geraubt hätte.

Darüber hinaus waren alle viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Mitleid mit Ulquiorra zu haben. Ihn mit Samthandschuhen an zu fassen, da sie befürchteten, dass die Gefahr bestand, dass der arme blasse und dazu noch gehbehinderte Junge komplett zusammenbrechen und den Verstand verlieren würde.

Diese Gefahr schien es jedoch nicht zu geben. Ganz im Gegenteil. Das Geschehen schien ihn kalt zu lassen. Was aber nur schwer vorstellbar war. Auch wenn die beiden nur seine Adoptiveltern gewesen waren, so musste er sie gut gekannt haben. Selbst den Tod von vollkommen Fremden in dieser Art miterleben zu müssen, hätte eine Auswirkung auf ihn haben müssen.

Er ignorierte nicht was geschehen war, er schien es auch nicht zu verdrängen, aber er beschäftigte sich anscheinend auch nicht weiter damit. Eine geistige Störung, die dies ungewöhnliche Verhalten verursachte, konnte sie fast ausschließen, auch wenn sie die Unterlagen von Dr. Unohana noch nicht bekommen hatte. Ihre Kollegin hatte nur erwähnt, dass Ulquiorra schon immer sehr verschlossen gewesen war. Was seine allgemeine Zurückhaltung und Gefühlskälte erklärte. Das fast vollkommene Unterdrücken aller Gefühle jedoch nicht.

Das Ulquiorra Emotionen empfand, stand außer Frage. Warum er sie verdrängte, musste sie noch heraus finden. Genauso warum er plötzlich, das Gefühl in seinen Beinen verloren hatte. Eine mentale Blockade, vermutete Dr. Unohana. Doch Yoruichi war sich da nicht so sicher.

Das schien nicht zu ihm zu passen. Insgesamt passten da so einige Dinge nicht. Dazu gehörte auch, dass sie das Gefühl nicht los wurde, dass er ihr etwas verheimlichen wollte, auch wenn er bisher jede ihrer Fragen beantwortet hatte.

Yoruichi seufzte, sie hatte einfach noch zu wenige Informationen. Ihr Bild von ihm war noch viel zu ungenau. Auch was in der Zeit, bevor er an den Stuhl gefesselt worden war, passiert war, blieb noch zu klären. Sicher war nur, dass er nichts erzählen würde, außer man fragte ihn danach.

Nachdenklich, nahm sie den Kugelschreiber, der auf dem Block vor ihr lag, in die Hand. „Konntest Du das Gesicht des Täters sehen?“ Sie ließ Ulquiorra keine Sekunde aus den Augen, auf der Suche nach einem Hinweis, das ihr Misstrauen gerechtfertigt war.
„Nein“, er zuckte nicht einmal mit der Wimper, kein verräterisches Blinzeln oder nervöses Kratzen im Gesicht, wie es beim Lügen oft vorkam. Seine Hände blieben ruhig in seinem Schoß liegen. Er gab ihr keinen Grund, ihm nicht zu Glauben.

„Konntest Du sonst etwas von dem Täter sehen?“, ihre Stimme war streng, sie wollte ihn verunsichern, ihm zeigen, dass sie seine Antwort dennoch in Frage stellte.

„Seine Hände. Er trug Handschuhe.“

„Er?“ Yoruichi unterdrückte ein triumphierendes Lächeln, da sie glaubte ihn dabei erwischt zu haben, dass er doch mehr wusste als er preisgeben wollte. Doch sie musste dann feststellen, dass sie die Unaufmerksame gewesen war.

„Sie waren es, die von dem Täter gesprochen hat. Ich habe mich nur, Ihrer Wortwahl angepasst“, erklärte Ulquiorra, in dem nichtssagenden Tonfall, der anfing an ihren Nerven zu zehren. Genauso wie seine fast überheblich ruhige Art.

Es war offensichtlich, dass er mit ihr spielte. Dr. Unohana hatte Recht gehabt, er war verdammt intelligent und er wusste es.

Sie entschied sich, noch etwas weiter zu bohren: „Nun gut. Hast Du versucht, später nachdem der Täter weg war, irgendetwas zu tun, um auf Dich aufmerksam zu machen? In irgendeiner Form versucht Deinen Eltern zu helfen?“

Seine Mundwinkel zuckten und im ersten Augenblick, dachte Yoruichi er würde gleich lächeln doch nichts passierte, außer das er die Augen verdrehte und sich etwas vorlehnte: „Frau Shihōin, ich bitte sie, was glauben sie, hätte ich tun sollen. Ich war mit beiden Füßen und Händen an einen soliden Stuhl gefesselt, den ich mit Gewalt nicht hätte zerbrechen können. Alle Fenster im Haus sind dreifach-verglast und extra schallisoliert. Rufen wäre daher aussichtslos gewesen. Also habe ich es gar nicht erst versucht. Wie sonst hätte ich meinen Adoptiveltern helfen sollen? In dem ich wie ein Verrückter an meinen Fesseln gezerrt hätte, um mich dabei nur unnötig selber zu verletzten? Ohne Hilfe hätte ich mich nie befreien können. Daher habe ich das getan, was am logischsten war. Ich habe gewartet“, am Ende seines Vortrags wurde seine Stimme etwas lauter, doch sofort als er dies merkte, senkte er sie wieder.

Jetzt sah er sie mit unverhohlener Verachtung in den Augen an.

Yoruichi beschloss, dass sie für heute genug von seinen Spielchen hatte. Sie hatte mehr erfahren, als sie zuerst gehofft hatte: „Ich verstehe“, sagte sie daher kurz angebunden: „Ich werde mich am Wochenende mit Kommissar Urahara treffen und mir zusammen mit ihm den Tatort und Dein Zimmer ansehen. Du kannst mir hier aufschreiben“, sie reichte ihm den Block und Kugelschreiber: „Was Du von Deinen Sachen mitgebracht haben möchtest.“

Wieder zögerte Ulquiorra keinen Augenblick. Seine Handschrift war gleichmäßig, akkurat, sodass die Buchstaben fast wie gedruckt wirkten. Die Liste selber bestand aus nur drei Zeilen.

Nachdem er ihr den Block zurück gegeben hatte, griff sie zum Telefon und drückte die Oberste der Kurzwahl-Tasten: „Soifon... ja ich bin fertig mit Ihm. Du kannst Ihn abholen - Ab jetzt gehört er Dir.“

Danach erklärte sie ihm: „Soifon ist meine Stellvertreterin. Wenn ich nicht da bin, kannst Du Dich vertrauensvoll an sie wenden. Außerdem ist sie Deine Physiotherapeutin. Sie wird verhindern, das sich die Muskeln in Deinen Beinen degenerieren. Weiterhin wird sie versuchen, Deine Mithilfe vorausgesetzt, dass Du diese bald wirst wieder benutzen können.“

Dieses Mal nickte Ulquiorra nicht und sie erinnerte sich daran, dass da noch etwas war, was sie überprüfen wollte. Sie stand auf und ging um den Schreibtisch herum: „Laut Dr. Unohana gibt es keinen medizinischen Grund, warum Du kein Gefühl darin hast,“ stellte sie fest, zog ihn ein Stück zurück und versetzte ihm einen leichten Schlag mit der Faust unterhalb eines Knies. Doch der Patellarsehnenreflex blieb, wie es bei einer Verletzung der unteren Wirbelsäule der Fall gewesen wäre, aus.

Ihre Augen trafen sich wieder und auch wenn er es nicht sagte, so wusste sie genau was er dachte: Ich vertraue Dir genauso wenig wie du mir vertraust. Und damit hatte er recht.

Es klopfte und Soifon trat ein, um Ulquiorra abzuholen.

„Ab nächsten Montag wirst Du dann, wie alle, am Unterricht teilnehmen. Wir haben eine eigene Schule hier auf dem Gelände. Hanataro wird Dir Deinen Stundenplan geben“, mit diesen Worten verabschiedete sich Yoruichi von ihm.

Danach wählte sie Uraharas Nummer: „Hallo Kisuke, ja er hat tatsächlich geredet, ich habe alles aufgenommen aber es war nichts dabei, was Dir weiterhelfen...“

„Nein, er sagt er hat das Gesicht des Täters nicht gesehen. Es ist schwer, überhaupt eine konkrete Antwort von ihm zu bekommen...“

„Wieso? Das erkläre ich Dir, wenn wir uns treffen...“

„Samstag, 16.00 Uhr. Ja, kein Problem, ich werde da sein...“

„Essen danach - Kisuke, Du weißt doch genau, wie dass wieder enden wird...“

„Gut, ich überlege es mir, aber ich verspreche nichts“, damit legte sie auf und ließ das Band im Diktiergerät zurück laufen, um sich noch einmal Ulquiorras Bericht anzuhören.

+o+o+

Am späten Nachmittag kam Orihime in die WG zurück. Die Tür von Ulquiorras Zimmer stand weit offen und er saß vorn über gebeugt vor dem Schreibtisch, die Arme darauf verschränkt. Neben seinem Kopf, der auf den Armen ruhte, befand sich ein Stapel Bücher und Hefte.

Also würde er auch die Schule besuchen, dachte Orihime bevor sie ihn ansprach: „Hallo Ulquiorra, ich bin wieder da und würde jetzt was zu essen für mich und Grimmjow machen. Wenn Du auch was willst, sag Bescheid“, dann ging sie erst einmal in ihr Zimmer, um ihre Tasche weg zubringen und sich etwas bequemeres, als die enge Bluse, anzuziehen.

Ulquiorra rührte sich und setzte sich abrupt auf. Dann drehte er den Kopf zur Seite, bis er aus den Augenwinkeln die Tür sehen konnte. Als er sicher war, dass die Frau nicht mehr dort stand, rieb er sich müde über das Gesicht. Für einen Moment stoppte er und bedeckte seine Augen mit beiden Händen. Dann zuckten seine Schultern ein paar Mal verdächtig, bevor er sie wieder strafte und er sich mit forschen Bewegungen über die Lider fuhr.

Doch als er nach den Rädern griff, den Rollstuhl herum drehte und sich Richtung Tür rollte, glitzerte es immer noch verräterisch in seinen Augen. Er musste ein paar Mal heftig blinzeln, bis er wieder klar sehen konnte. Von daher war er dankbar, dass die Küche immer noch leer war.

Die anstrengenden Übungen, zuerst mit dem Pfleger, dann mit der rabiaten Physiotherapeutin und dazu noch die Sitzung bei der verschlagenen Psychologin, hatten ihm weit mehr zugesetzt als er geglaubt hatte.

Es Grimmjow gestern Abend zu erzählen war eine gute Übung gewesen. Es heute noch einmal zu tun und dabei vollkommen ruhig zu bleiben, hatte ihn dann doch an seine Grenzen gebracht. Nach ein paar tiefen, stockenden Atemzügen, schaffte er es aber sich soweit wieder unter Kontrolle zu bekommen, dass sein Gesicht nichts anderes, als das gewünschte unbeteiligte Desinteresse preisgab.

Orihime kam, vor sich hin murmelnd aus ihrem Zimmer gestolpert und darin vertieft ihre Haare zu einem Zopf zu flechten. Sie war bereits zwei Schritte an Ulquiorra vorbei, als sie ihn bemerkte und so überrascht war, dass ihr vor Schreck das Haargummi aus dem Mund fiel.

„Upps...“, sie drehte sich auf der Stelle um und beugte sich direkt neben ihm herunter, um das Gummi aufzuheben. Das weit ausgeschnittene Shirt, dass sie jetzt trug, rutschte dabei nach vorn, sodass er ohne Schwierigkeiten durch ihren Ausschnitt auf ihre Brüste mit dem pinkfarbenen Hello-Kitty BH schauen konnte. Orihime bemerkte davon nichts und als sie sich aufrichtete, war Ihr Gesicht nur Zentimeter von Ulquiorras entfernt, der sie zuerst nur ansah, dann eine Augenbraue hob und seinen Blick etwas senkte.

Ihre Augen folgten seinen und sie schielte direkt auf ihr ausladendes Dekolletee,“ Upps... Hehe...“ ,stotterte sie und wurde rot. Richtete sich rasch auf, zog das Shirt gerade und drehte das Haargummi um ihren Zopf.

„Mal schauen, was überhaupt noch da ist“, den Kopf mit den immer noch geröteten Wangen, hatte sie tief in den hohen Wandschrank, mit den Vorräten gesteckt. Mit einer Packung Nudeln, zwei Dosen, sowie mehreren Zwiebeln im Arm tauchte sie dann wieder auf: „Tja, da bleiben mal wieder nur Spagetti mit Tomatensoße übrig. Aber morgen geh ich ja einkaufen. Nudeln mit Soße sind auch für Dich okay?“, Orihime hatte sich zu Ulquiorra umgedreht und sah ihn fragend an.

Dieser nickte, was ein glückliches breites Lachen auf ihr Gesicht zauberte: „Prima... aber erstmal spülen und Du könntest ja währenddessen schon mal die Zwiebeln schneiden. Ich glaub Knoblauch ist auch noch da“, sie angelte eine, leicht verschrumpelte Knolle aus einem Tontopf, der auf der Fensterbank stand.

Diese legte sie dann vor Ulquiorra auf den Tisch, zusammen mit einem Brett, den Zwiebeln und einem ziemlich riesigen Messer: „Sorry“, sagte sie, als sie bemerkte wie sich Ulquiorras Augen deutlich weiteten, als er das Messer sah. „Das kleine Messer hat Grimmjow abgebrochen als er versucht hat damit eine Bierflasche auf zu machen. Mach einfach langsam damit Du dich nicht schneidest. Es dauert eh noch eine Weile bis Grimm da ist.“

Sie begann mit dem Abwasch, “Nach seiner letzten Prügelei mit Nnoitra, hat Yoruichi Grimm dazu verdonnert, ehrenamtlich im Sportverein auf der anderen Seite vom Berg zu helfen, um seine anscheinend überschüssige Energie abzubauen“, sie lachte: „Jeden Freitagnachmitag, nachdem Unterricht, scheucht er jetzt eine Gruppe Jungens über den Fußballplatz. Ich glaub, dass ihm das eigentlich auch Spaß macht, auch wenn er dauernd nur über die kleinen Nervensägen schimpft. Aber so ist Grimm eben“, wieder lachte sie.

Am Tisch hatte Ulquiorra eine der Zwiebeln geschält und begonnen, diese sehr langsam, fast schon feierlich in sehr kleine, gleichmäßige Stücke zu schneiden.

„Du hast uns beiden heute morgen echt einen Schrecken eingejagt. Ich bin richtig froh gewesen, das Grimm sofort gekommen ist. Ich glaub, ich hätte Dir gar nicht helfen können. Grimm ist ja so stark. Wie er Dich so einfach hoch gehoben hat. Das war echt beeindruckend“, verträumt hatte Orihime aufgehört den Becher in ihrer Hand abzutrocknen. Dann spürte sie, wie sie wieder rot wurde: „Da erzähl ich die ganze Zeit nur von Grimmjow. Sag mal, was hast Du den heute so gemacht?“

Doch Ulquiorra gab keine Antwort. Überhaupt war es ganz still und ihr wurde bewusst, dass sie schon seit einiger Zeit keine Geräusche mehr vom Tisch gehört hatte. Mit einem unguten Gefühl im Magen, drehte sie sich um.

Ulquiorras saß erstarrt am Tisch. Dass riesige Messer hatte er immer noch in der Hand, seine Andere lag auf dem Brett und er starrte auf einen Schnitt in seinem Finger, aus dem etwas Blut tropfte. Das Zwiebelstück, das er damit immer noch fest hielt, färbte sich langsam rot.

„Was ist denn...“, hauchte Orihime, doch sprach nicht zu Ende, da sie plötzlich wusste, dass er nicht antworten würde.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich fast nicht verändert, aber sein Blick war leer. Nur eine winzige Falte hatte sich oberhalb seiner Nasenwurzel gebildet und in den Winkeln seiner Augen glitzerte es ungewöhnlich feucht. Das auffälligste war noch, dass er das Messer so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten, dabei zitterte seine Hand deutlich. Auch wenn er kaum Preis gab, was da an Emotionen in ihm tobten, brauchte Orihime nicht mehr als das zu sehen, um zu wissen, was gerade mit ihm passierte.

Er kämpfte. Kämpfte, gegen seine Erinnerungen, gegen eine Vergangenheit, die ihn, aus welchem Grund auch immer, gerade mit erschreckender Gewalt eingeholt hatte und dabei war ihn zu erdrücken. Sie wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass dies immer wieder passieren würde. Das es keinen Sinn machte davor wegzulaufen oder versuchte es zu verdrängen. Denn am Ende holte die Erinnerung einen immer ein. Man konnte nur versuchen damit zu leben und das es half, wenn man wusste, dass man dabei nicht alleine war.

Sie warf das Abtrockentuch auf die Spüle, ging zu Ulquiorra herüber und schlang ihre Arme von hinten um ihn. Zuerst spannte er seine Muskeln noch stärker an, lehnte sich vor als wollte er versuchen ihrer Berührung zu entkommen, doch Orihime lies nicht los. Sie hielt ihn fest und streichelte sanft mit ihren Daumen über seine Brust: „Du bist hier sicher. Es kann Dir nichts passieren. Alles wird gut“, ihre Stimme war leise. Beschwörend wiederholte sie die Worte, wieder und wieder bis sie spürte, wie er sich etwas entspannte und wieder zurücklehnte.

Orihime hielt ihn eine ganze Zeit einfach nur weiter fest umschlungen, während Ulquiorra den Kopf so tief gesenkt hatte, dass sein schwarzes Haar sein Gesicht verdeckte. Er gab keinen Ton von sich, nur seine Schultern zuckten hin und wieder und sie spürte etwas warmes, feuchtes auf ihren Handrücken tropfen.

Dann bemerkte sie, wie Ulquiorra vorsichtig das Messer abgenommen wurde, das dieser immer noch fest umklammerte hatte. Grimmjow war, ohne dass es einer von beiden bemerkt hatte, in die Wohnung zurück gekommen.

Lautlos legte er das Messer auf der Arbeitsplatte ab und zog dann das Brett mit dem Blut getränktem Zwiebelstück unter Ulquiorras anderer Hand weg. Danach reichte er ihr ein Stück Küchenrolle.

Orihime lockerte ihre Umarmung: „Ulquiorra, Grimmjow ist da“, sagte sie mit leiser Stimme, richtete sich dann auf und rieb kurz beruhigend über seine Arme bevor sie Grimmjow das Papier abnahm. Damit wischte sie Ulquiorras Finger sauber und band auch ein Stück um den Schnitt, der bereits so gut wie nicht mehr blutete.

Der Blauschopf berührte sie mit ernstem Gesicht am Arm und signalisierte ihr, das er ihr etwas sagen wollte, was nur für ihre Ohren bestimmt war.

„Ich bin sofort zurück,“ sie drückte Ulquiorra einen winzigen Kuss auf den immer noch gesenkten Kopf und trat zu Grimmjow, der ein paar Schritte vom Tisch weg gegangen war. Dort fasste er flüsternd, in wenigen kurzen Sätzen zusammen, was Ulquiorra ihm gestern Nacht über den Tod seiner Eltern erzählt hatte.

Orihimes Hände flogen vor ihren Mund während sich in ihren Augen der absolute Horror widerspiegelte. Als sie dann noch an die blutrote Tomatensoße denken musste, die sie hatte kochen wollen, drehte sich ihr der Magen um.

Rasch flüsterte sie etwas zurück, woraufhin Grimmjow seine Geldbörse aus der hinteren Hosentasche zog und einen Blick hinein warf. Dann nickte er zustimmend, nahm das Telefon aus der Halterung an der Wand und ging damit in Richtung seines Zimmers.

„Ich mach jetzt einen Tee und Grimmjow bestellt uns eine Pizza“, sie hatte sich neben Ulquiorra hingekniet. Der blickte weiterhin nach unten, seine Hand mit dem Papier umwickelten Finger hatte sich nicht bewegt. Doch als Orihime ihre darauf legen wollte, zog er sie weg und steckte sie zu seiner Anderen unter den Tisch.

Schweigend kehrte sie zur Spüle zurück und holte die Teekanne aus dem Hängeschrank.

Als der Tee fertig war und Orihime alles andere weggeräumt hatte, hatte auch Ulquiorra sich wieder gefangen und wirkte so, als wenn nichts gewesen wäre. Dennoch aß er von der Pizza nur ein sehr kleines Stück. Doch er war nicht mehr so schweigsam, sondern hatte zwischenzeitlich seinen Stundenplan geholt und angefangen Fragen darüber zustellen. Dabei kam heraus, das Grimmjow und er beide siebzehn waren. Auch wenn der Andere deutlich jünger aussah, und das die Jungen einen großen Teil an gemeinsamen Stunden hatten.

Ulquiorra wollte daher von Grimmjow wissen, welche Themen gerade in den einzelnen Fächern durch genommen wurden. Doch das, was er von dem Anderen zu hören bekam, stellte ihn kaum zufrieden und bald konnte Orihime, so etwas wie Ungeduld gemischt mit Verärgerung über die wenig spezifischen, flapsigen Antworten erkennen.

Schließlich schnaubte er sichtlich genervt,“Dieses idiotische Gestammel ist nicht zu ertragen. Ich werde besser schlafen gehen und mir morgen Deine hoffentlich aussagekräftigeren Mitschriften und Hausaufgaben ansehen.“

Als Orihime sich anbot Hanataro anzurufen, erklärte er jedoch, dass er alleine zurecht kommen würde, da sowohl der schmächtige Pfleger, als auch diese Soifon ihn heute mehre Stunden lang hatten, entsprechende Übungen machen lassen.

Nun wunderte es Orihime auch nicht mehr, ihn schlafend vorgefunden zu haben, als sie nach Hause gekommen war. So etwas musste ziemlich anstrengend sein und er wirkte nicht besonders kräftig, jedenfalls nicht im Vergleich zu Grimmjow. Wieder spürte sie wie ihr heiß wurde.

„Du brauchst Dir also keine Sorgen mehr darum zu machen, dass Du in die Verlegenheit kommst, mir den Arsch abwischen zu müssen“, sagte Ulquiorra mit triefender Ironie in der Stimme zu Grimmjow, als er den Rollstuhl, auf dem Weg von seinem Zimmer ins Bad, noch einmal kurz am Tisch stoppte.

Als Antwort schoss Grimmjows ausgestreckter Mittelfinger hoch, während seine Lippen ein deutliches, aber tonloses Fuck you formten. Aber Orihime musste trotzdem lächeln, da sich beide Jungen danach kaum sichtbar, mit einem anerkennenden Ausdruck in den Augen, zunickten.

Grimmjow und sie blieben am Tisch sitzen und lauschten schweigend, mit steigender Anspannung auf die Geräusche aus dem Badezimmer. Es dauerte eine ganze Zeit bis sich die Tür wieder öffnete und Ulquiorra langsam und nicht ohne Schwierigkeiten aus dem Bad kam. Seine Kleider, die er ausgezogen und gegen die schwarze Sweathose und das weiße T-Shirt getauscht hatte, drohten immer wieder von seinen Oberschenkeln zu rutschen, wenn er sie nicht mit einer Hand fest hielt. Doch um den Rollstuhl zu bewegen benötigte er beide Hände. Orihime war bereits aufgesprungen, wurde jedoch von Grimmjow festgehalten, der den Kopf schüttelte.

Schließlich gab Ulquiorra seine Bemühungen auf und sagte erschöpft, “Könnte einer von euch mir die Sachen abnehmen und in mein Zimmer bringen... bitte.“

Grimmjow lies Orihime los und stand ebenfalls auf. Während sie die Kleider nahm, packte er die Griffe des Rollstuhls und fuhr Ulquiorra in sein Zimmer. Dort angekommen hob er den Anderen ungefragt hoch und setzte ihn auf dem Bett ab. Doch dann schob er Orihime zurück in die Küche und schloss die Tür, bevor diese der Versuchung erlag, den blassen Jungen auch noch zu zudecken. Das konnte dieser leicht selber erledigen.

Später, als Grimmjow das Licht in der Küche aus machen wollte, das Orihime angelassen hatte bemerkte er, dass die Tür ihres Zimmers leicht aufstand. Das machte sie immer wenn sie sich fürchtete. Vermutlich ging ihr die Geschichte mit Ulquiorras Eltern nicht aus dem Kopf.

Er klopfte: „Alles klar bei Dir Prinzessin? Soll ich das Licht in der Küche heute Nacht wieder anlassen?“

„Mmh, Grimm... weiß nicht… vielleicht...“

Er steckte seinen Kopf durch die Tür und grinste aufmunternd zu ihr herüber. Sie hatte ihre Bettdecke fest um sich gewickelt und kuschelte mit der großen Variante des weißen Panthers, den sie Ulquiorra in sein Bett gelegt hatte. Grimmjow hatte beide Stofftiere auf der Kirmes geschossen. Eigentlich, hatte er es damals auf ein PC-Spiel abgesehen gehabt, aber dafür hatte es dann doch nicht gereicht. Unschlüssig was er mit dem unnützen, fast einen Meter großen Staubfänger und dessen Mini-Version machen sollte, hatte er beides Orihime in die Hand gedrückt. Sie war vollkommen außer sich vor Freude gewesen, hatte ihn stürmisch umarmt und gesagt, dass ihr noch niemand ein so schönes Geschenk gemacht hätte. Seid dem kaufte sie unaufgefordert immer ein paar Flaschen Bier für ihn mit ein.

„Grimm, kannst Du vielleicht, noch ein paar Minuten zu mir rüber kommen“, murmelte sie in die Bettdecke, die sie sich bis zum Kinn gezogen hatte. In diesem Augenblick war sie Nel wieder einmal so ähnlich, das es ihm das Herz zusammen zog. Bei seiner Schwester hatte er auf ganzer Linie versagt. Hatte weggesehen, als es ihr schlecht ging, sie für schwach gehalten, sie sogar ausgelacht bis es zu spät gewesen war. Diesen Fehler wollte er nicht noch einmal machen, nicht bei jemanden, der ihm etwas bedeutete.

„Klar Prinzessin, mach mal etwas Platz“, er trat an ihr Bett und nahm ihr den Panther ab, den er dann als Kopfkissen benutzte. Sofort kuschelte sie sich an ihn und es dauerte nicht lange bis sie eingeschlafen war.

Grimmjow blieb länger liegen als nötig war. Er lauschte einfach nur auf Orihimes gleichmäßiges Atmen und genoss, die seltene Zufriedenheit mit sich und der Welt in Einklang zu sein, die er nur in Augenblicken, wie diesem verspürte.

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