11 - Im Äußersten
Kapitel 11 – Im Äußersten
Orihimes lautes Lachen schallte überschwänglich durch die WG. Sie saß mit Tasuki auf dem Boden in ihrem Zimmer und bewunderte die Gold-Medaille ihrer Freundin. Um die beiden herum lagen Fotos von dem Wettkampf, die Reste einer Tafel Schokolade und eine angebrochene Chipstüte. Die beiden Mädchen hielten sich gerade wieder in den Armen, als Grimmjow einen kurzen Blick ins Zimmer warf. Auch wenn er Tatsuki als Schlampe bezeichnet hatte, war der Blauschopf mehr als glücklich, dass diese endlich vorbei gekommen war.
Ulquiorra hatte Orihime zwar bereits an dem Samstag, an dem diese die Nerven verloren hatte, beweisen können, dass Tatsuki sie nicht angelogen hatte. Dazu hatte er die Teilnehmerlisten des Wettkampfs im Internet herausgesucht und ihr gezeigt. Dennoch musste Grimmjow seiner Prinzessin immer wieder sagen, dass er und auch Ulquiorra Verständnis für ihre Unsicherheit hatten. Was in seinem Fall auch stimmte und auch, dass es ihm nichts ausmachte Orihime immer wieder ihre positiven Seiten vor Augen zu halten, wenn diese wiedereinmal in Selbstmitleid versank.
Grimmjow fiel das tatsächlich überhaupt nicht schwer, wenn sie abends aneinander geschmiegt in seinem oder ihrem Bett lagen. Er hatte sich geschworen, ihr so lange gut zuzureden wie sie es brauchte um schließlich selbst davon überzeugt zu sein.
Das war der leichtere Teil. Viel schwerer war es für den Blauschopf, seine Finger von Orihime zu lassen und sie zu nichts zu drängen, das sie nicht tun wollte. Grimmjow wusste von ihrer Vergangenheit und dass die Berührungen eines Mannes bis heute mit wenig positiven Erfahrungen verbunden waren. Das war auch der Grund, warum er derart vorsichtig vorging und sie bisher nur geküsst und gestreichelt hatte, ganz besonders ihre herrlichen Brüste, ohne diese jedoch auszupacken. Was jedes Mal eine Tortur für ihn war, doch solange Orihime ihn nicht dazu aufforderte oder ihre Unterwäsche selber auszog, würde er diese nicht anfassen. Er hatte sich fest vorgenommen, das hier nicht zu versauen. Er wollte sich ein für alle Mal ändern. Ernsthaft ein besserer und vor allem verantwortungsvollerer Mensch werden.
Doch selbst beim bloßen Gedanken an Orihimes warmen weichen Körper und ihren vollen Busen wurde Grimmjow heiß. Entweder er stattete der Dusche jetzt einen Besuch ab oder verschwand für eine Weile, bis Tatsuki weg war und er Orihime wieder für sich alleine haben konnte.
Während er in seine Hose griff und da etwas aufräumte, schaute er aus dem Küchenfenster, dann herüber zu Ulquiorra. Der saß immer noch vor seinem Schreibtisch und knüllte gerade ein weiteres Blatt Papier zusammen, das er dann mit einer heftigen Bewegung in den Papierkorb warf. Der Kleine arbeitete an einem Aufsatz für Dr. Kuchiki über diese Philosophen, die er so bewunderte. Doch das laute Getue von Orihime und ihrer Freundin störten den blassen Jungen sichtbar bei seiner Arbeit. Das merkte selbst Grimmjow, ohne die auffallend große Menge an zusammengeknüllten Seiten in dem Papierkorb genauer betrachtet zu haben.
Ulquiorra war in der letzten Zeit sowieso deutlich schneller genervt. Einige Male hatte der blasse Junge, der bis vor kurzem seine Stimme nie erhoben hatte, so laut geflucht, dass Grimmjow es noch durch die geschlossene Tür seines Zimmers hatte hören können. Fast immer war der Auslöser etwas gewesen, das mit seiner Behinderung zu tun gehabt hatte. Etwas, bei dem Ulquiorra eigentlich Hilfe gebraucht, aber nicht danach gefragt hatte.
Orihime hatte versucht, mit ihm darüber zu reden, doch der hatte sich geweigert und sie fast aus dem Zimmer geworfen.
Grimmjow war so sauer gewesen, dass er dem Kleinen, trotz seiner guten Vorsätze, eine hatte verpassen wollen. Doch Orihime hatte ihn natürlich aufgehalten und ihm ins Gewissen geredet. Das konnte sie wirklich gut. So gut, dass er das, was er an dem Tag als er Ulquiorra aufs Bett geworfen hatte, gesehen hatte, ignorierte und tatsächlich Mitleid für den Jungen im Rollstuhl und dessen Situation empfand.
Außerdem musste er Orihime Recht geben, er glaubte auch nicht mehr daran, dass Ulquiorra jemals wieder würde gehen können. Ansonsten hätte irgendeine der ganzen Therapien und Yoruichis Pscho-Quatsch wenigstens einen kleinen Erfolg zeigen müssen. Egal wie clever der Kleine war, Grimmjow hielt es für ausgeschlossen, dass jemand Yoruichi austricksen konnte.
Grimmjow schüttelte den Kopf. Im Grunde war ihm besagter Pscho-Quatsch egal, auch ob Ulquiorra schuldig oder unschuldig war. Er wusste selber nur zu gut, dass gerade Schuld eine Sache der Perspektive war. Was zählte war, dass Ulquiorra sich an ihre Vereinbarung hielt. Was dieser auch tat und damit schnüffelte Grimmjow, wie vereinbart, ebenfalls nicht in Ulquiorras Angelegenheiten herum.
Wenn der Blauschopf jedoch ganz ehrlich war, stimmte dies nicht ganz. Doch das brauchte Ulquiorra nicht zu wissen. Die Informationen, die Grimmjow im Internet über dessen Eltern in Erfahrung gebracht hatte, waren dazu noch öffentlich und jedem zugänglich, somit konnte man das nicht als richtiges Schnüffeln bezeichnen. Wirklich interessante Dinge hatte er auch nicht gefunden. Allen Anschein nach waren die Schiffers das gewesen, was man gerne als eine Bilderbuchfamilie bezeichnete.
Der sympathisch wirkende Dr. Schiffer hatte zu den weltweit bekanntesten Spezialisten für Geisteskrankheiten und deren Behandlung gehört. Mit den von seiner Firma entwickelten Medikamenten hatte er Millionen verdient, die er zum größten Teil wieder in die Forschung gesteckt hatte. Frau Schiffer war eine durchaus schöne, etwas schüchtern wirkende Frau gewesen, die sich im Hintergrund gehalten hatte. Ulquiorra selber fand nur in Zusammenhang mit auf Publicity angelegten Auftritten in der Öffentlichkeit Erwähnung. Dort wurde er als klug, menschenscheu und höflich von den Medien beschrieben und auf dem einzigen Foto, auf dem er zu sehen war, stand Ulquiorra stocksteif zwischen seinen Eltern. Das Gesicht genauso ausdruckslos, wie Grimmjow es von ihm kannte. Nur sein Blick, den er direkt in die Kamera gerichtet hatte, hatte etwas Anklagendes an sich.
Sonst wirkte alles so perfekt, dass Grimmjow fast schlecht geworden war. Wenn alles so gewesen wäre, wie es nach Außen hin den Anschein gehabt hatte, dann würde Ulquiorra sich nicht so verhalten, wie er es tat. So viel wusste Grimmjow und dazu hatte er auch seine ganz eigene Theorie entwickelt. Die er Ulquiorra jedoch nicht unter die Nase reiben konnte, da er damit ja gegen ihre Vereinbarung verstoßen würde.
Ein weiteres Blatt Papier fand gerade wieder seinen Weg in den Mülleimer und Grimmjow kam eine Idee. Dann grinste er und rieb sich die Hände. Orihime hatte schon länger gewollt, dass sie etwas zusammen mit Ulquiorra unternahmen, um diesen auf andere Gedanken zu bringen. Bisher hatte Grimmjow sich darum gedrückt, weil er die Prinzessin lieber für sich alleine hatte haben wollen. Doch gerade jetzt hatte er nichts besseres zu tun und vielleicht würde er so ja noch etwas Interessantes über den Kleinen erfahren.
Er schlenderte zu Ulquiorras Zimmer. „Jo, Kleiner...“Lässig stütze er sich mit dem Arm an dem Türrahmen ab: „Ich weiß ja nicht, wie es Dir geht, aber ich fühl mich hier gerade ziemlich überflüssig.“
Ulquiorra reagierte sofort, rollte vom Tisch zurück und drehte sich zu Grimmjow um. Als sich ihre Blicke trafen, fuhr der Blauschopf fort: “Ich geb´ Dir ein Bier oben im Wohnheim-Café aus. Da gibt es auch einen Billardtisch. Denke, dass das für Dich gehen sollte, wegen der Höhe und so. Hast Du schon mal Billard gespielt?“ Er ließ den Türrahmen los und schlenderte weiter ins Zimmer.
Ulquiorra nickte und fuhr Grimmjow entgegen: “Gut, ich komme mit. Aber sagte Orihime nicht, dass Du dich, besonders am Wochenende, von dort fern halten sollst?“
Der Blauschopf schnappte sich die Griffe, kippte den Rollstuhl übermütig nach Hinten und brachte damit den Anderen dazu, mit einer hektischen Bewegung nach den Armlehnen zu greifen. Grimmjow lachte: “Für diesen möchtegern Macho Nnoitra ist es viel zu früh. Der taucht dort mit seinem Gefolge nicht auf, bevor es dunkel wird.“
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Yoruichi blickte von ihrem Laptop auf, rieb sich die Augen und sah aus dem Fenster in ihrem Büro. Sie hasste es, Beurteilungen zu schreiben, ganz Besonders die Abschlussberichte kosteten ihr den letzten Nerv. Selbst wenn diese so gut wie immer positiv ausfielen und sie ihre Schützlinge guten Gewissens gehen lassen konnte, empfand sie den ganzen Schreibkram als anstrengend. Doch er war notwendig. Nicht nur zu ihrer Entlastung, sondern besonders, um den von ihr behandelten jungen Menschen einen neuen Start zu ermöglichen. Sofern es keine besonderen Auflagen gab, war ihre Behandlung mit deren Volljährigkeit beendet. Auch wenn es den Meisten danach frei stand zu gehen, blieben viele länger, um ihre begonnene Ausbildung abzuschließen. Einige, wie Hanataro, hingen noch ein soziales Jahr an, das ihnen mehr Zeit gab, um sich neu zu orientieren.
Yoruichi streckte sich noch einmal, als sie sah, wie Grimmjow Ulquiorra aus der Tür schob. Interessiert stand sie auf und ging zum Fenster um den beiden nachzusehen. Grimmjow machte sich sehr gut und sie war mit der Entwicklung was ihn betraf äußerst zufrieden. Ulquiorra jedoch macht ihr nach wie vor Sorgen. Sie hatte immer noch keine zufriedenstellende Einsicht in seine Kindheit und er weigerte sich nach wie vor, ihr ein Gesamtbild von dem Tag des Mordes zu vermitteln.
Entweder wich er ihren Fragen geschickt aus oder erzählte ihr die Dinge aus einem so engen Blickwinkel, dass sie damit wenig anfangen konnte. Nach wie vor gab es keine Indizien, die ihn direkt belasteten, aber es gab auch keine Beweise, dass er nicht daran beteiligt war. In manchen Augenblicken traute sie ihm sogar zu, der Mörder zu sein.
Was damit zu tun hatte, dass die Morde zu ihm passten, zu der Art, wie er dachte und handelte. Dazu kam noch, dass er sich über die gängige Moral und Werte stellte. Er wusste genau, was die Gesellschaft von ihm erwartete, doch er war bereit, sich bei Bedarf darüber hinweg zusetzten. Dies würde er jedoch nicht ohne ein Motiv tun und genau das bekam sie nicht zu fassen, da er sich weigerte offen mit ihr zu reden.
Wie sie es Kisuke bereits erklärt hatte, spielte er mit ihr. Er machte dies so geschickt, dass sie ihn immer noch nicht durchschaut hatte. Durch seinen Vater schien er jede Methode, die sie an ihm ausprobierte, zu kennen. Je mehr sie darüber nachdachte, umso ungewöhnlicher kam ihr genau dies vor. Einige der Techniken, die sie mehr aus Verzweiflung angewendet hatte, fanden hauptsächlich bei der Behandlung von Geisteskrankheiten Anwendung. Sie hatte dadurch gehofft, zu Ulquiorras eigentlicher Persönlichkeit durchzudringen. Jedoch wieder einmal ohne Erfolg.
Sie beschloss, ihre Taktik ein weiteres Mal zu ändern und sich mehr auf das zu konzentrieren, was Ulquiorra ihr nicht sagte. Dazu würde sie zwar alle Protokolle ein weiteres Mal durchgehen müssen, aber etwas Besseres fiel ihr nicht mehr ein.
Yoruichi seufzte und ging ganz an das Fenster, um genauer zu sehen, wohin die beiden Jungen gingen. Wie vermutet schob Grimmjow Ulquiorra zum Wohnheim Café. Ihr letzter eigener Besuch dort war bereits eine ganze Weile her und mit Ulquiorra einmal außerhalb der Therapiestunden zu sprechen mochte eine gute Idee sein. Vielleicht würde er dort weniger aufmerksam sein und sie endlich etwas erfahren, mit dem sie arbeiten könnte. Dass dies mehr ein Wunschgedanke war, wusste sie. Doch was hatte sie zu verlieren? Nichts.
Sobald sie also mit der Arbeit fertig sein würde, würde sie auf einen Tee ebenfalls ins Café gehen. Wegen der ausstehenden Berichte hatte sie ihr übliches Treffen mit Kisuke bereits abgesagt und damit genug Zeit.
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„Scheiße Kleiner, wenn ich gewusst hätte, wie gut Du bist, hätte ich nie angefangen mit Dir zu spielen“, Grimmjow stützte sich auf seinem Queue ab und sah grinsend zu, wie Ulquiorra ein weiteres Mal die letzte Kugel versenkte. Dieser wirkte jedoch alles andere als erfreut darüber.
„Grimmjow, es besteht keine Notwendigkeit, mich gewinnen zu lassen. Also noch einmal und bei dieser Runde nimmst Du keine Rücksicht mehr.“ Ulquiorra legte seinen Queue über die Armlehnen und machte dem Blauschopf Platz, damit dieser die Kugeln neu platzieren konnte.
Wirklich überrascht wirkte der Andere nicht, machte nur kurz ein gespielt empörtes Gesicht bevor er laut auflachte, das Billard-Dreieck holte und begann, die Kugeln in dem Rahmen anzuordnen.
Ulquiorra nahm einen Schluck von seinem Radler, zu dem er sich von Grimmjow hatte überreden lassen. Während er trank, wanderte sein Blick durch den Raum. Das Café war nur mäßig besucht. Mit der Gruppe, die am Tresen stand, hatte Grimmjow beim reinkommen ein paar Worte gewechselt. In einer Ecke saßen noch die zwei Mädchen, die bei ihrem unschönen Zusammentreffen mit Nnoitra Gilga damals dabei gewesen waren, sowie ein sehr junger Kerl mit kurzen schwarzen Haaren, den er nicht kannte. Die Blonde warf ihnen immer wieder kurze Blicke zu und tippte dabei hektisch auf ihrem Handy herum.
Ulquiorra fixierte sie, worauf sie aufhörte zu tippen, ihn angrinste und die beiden Anderen auf ihn aufmerksam machte, worauf alle Drei anfingen laut und eindeutig schadenfroh zu lachen. Da braute sich Ärger zusammen und Ärger war etwas, was Ulquiorra ganz und gar nicht gebrauchen konnte.
„Grimmjow, wir sollten gehen.“ Er hatte seine Flasche weggestellt und war zurück zum Billardtisch gefahren. Dieses Mal blickten ihn stahlblaue Augen erstaunt an.
„Wie jetzt, Du ziehst den Schwanz ein? Nichts da. Luppi, das Arschloch da am Tresen, schuldet mir noch mindestens ein Bier und Du hast mich schließlich gerade herausgefordert. Das Spiel ziehen wir jetzt durch.“ Der Blauschopf reichte Ulquiorra die Kreide und machte sich bereit anzustoßen.
Der blasse Junge erwiderte nichts und rieb die Spitze seines Queues ebenfalls mit Kreide ein.
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Yoruichi schaltete den Drucker aus und klappte ihren Laptop zu. Für heute hatte sie ihr Soll wirklich erfüllt. Den letzten Bericht abzuschließen hatte dann doch länger gedauert, als sie erwartet hatte. Ulquiorra war ihr einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Sie kannte nur eine andere Person, die genauso dickköpfig wie der blasse Junge war und die genauso widerwillig persönliche Dinge von sich preis gab.
Bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Nicht nur darin waren die beiden sich ähnlich. Das erklärte möglicherweise auch ihre ausgeprägte Sympathie für Ulquiorra. Gerade weil er es einem nicht leicht machte, ihn zu mögen. Der blasse Junge und Byakuya teilten nicht nur mehr als einen Charakterzug, sondern waren sich auch Äußerlich so ähnlich, dass man Ulquiorra leicht für Byakuyas Sohn halten könnte. Hätten Hisana und Byakuya Ulquiorra anstelle der Schiffers adoptiert, dann wäre dieser jetzt sicher nicht hier.
Sie seufzte, solche Gedanken waren Zeitverschwendung und führten zu nichts, außer, dass sie damit ihr schlechtes Gewissen geweckt hatte. Schon seit längerem hatte sie eigentlich mit Byakuya sprechen wollen. Ihr bester Freund war gerade in der letzten Zeit noch stiller als sonst und hatte alle nicht absolut notwendigen Besprechungen in der Schule abgesagt. Zu dem schon lange geplanten privaten Treffen war es bisher ebenfalls noch nicht gekommen. Ein paar Mal hatte Yoruichi zwar vorsichtig nachgefragt, doch Byakuya hatte sich immer wieder damit entschuldigt, dass gerade kein guter Zeitpunkt sei.
Kurzentschlossen griff sie zum Telefon und wählte seine Nummer. Das Café konnte auch noch einen Augenblick warten. Yoruichi nahm sich vor, sich dieses Mal nicht von Byakuya abwimmeln zu lassen und auf ein Treffen zu bestehen. Bei Ulquiorra mochten ihre Methoden keinen Erfolg haben, doch Byakuya kannte sie viel länger und gut genug um zu wissen, wo sie Ansetzen musste, um zu erreichen, was sie wollte.
Doch ihr Freund nahm nicht ab und je länger es klingelte, umso unruhiger wurde Yoruichi. Bald stand sie auf und lief mit einem ungutem Gefühl in ihrem Büro auf und ab. Als sie dabei an dem Fenster vorbei kam, sah sie, wie Nnoitra mit weit ausholenden Schritten hoch in Richtung Wohnheim Café ging, Tesra hinter ihm her eilend.
Sie legte auf. Jeder wusste, dass Nnoitra und Grimmjow sich nicht ausstehen konnten und beide in der Vergangenheit immer wieder versucht hatten, den Anderen zu diskreditieren, wobei Nnoitra der Schlimmere der beiden war. Yoruichi zögerte und überlegte, ob sie doch lieber sofort zum Café gehen sollte, um die beiden Hitzköpfe vor sich selbst zu schützen.
Doch die Sorge um Byakuya ließ sie nicht los. Yoruichi nahm noch einmal den Telefonhörer in die Hand. Diesmal probierte sie es auf seiner privaten Mobilnummer, die sie sonst nur in dringenden Fällen benutzte.
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Die Tür des Cafés wurde aufgeschleudert und sofort verstummten alle Gespräche. Alle Augen richteten sich auf die Gestalt, die sich beim Eintreten bücken musste, da sie deutlich größer als die zwei Meter hohe Tür war. Alle Augen, bis auf ein Paar stahlblaue, die über den Queue hinweg weiterhin konzentriert die weiße Billard Kugel fixierten.
Grimmjow versenkte mit seinem Stoß gleich zwei Kugeln auf einmal. Nnoitra weiterhin ignorierend, ging er um den Tisch herum, griff nach der Kreide und bearbeitete damit in aller Ruhe seinen Queue, während er die Lage der übrigen Kugeln analysierte.
Loly, Menoly und der schwarzhaarige Junge Ggio waren in der Zwischenzeit aufgestanden und zu Nnoitra und Tesra herübergegangen. Ulquiorra beobachtete das Geschehen mit wachsender Besorgnis.
Schließlich trat Nnoitra breit grinsend an den Billardtisch, schubste mit den Händen die letzten Kugeln von ihrem Platz, bevor er sich aufstützte, damit er Grimmjow direkt ins Gesicht starren konnte. “Hab gehört, dass Du statt dem Krüppel hier jetzt die kleine Karotte mit den dicken Möpsen fickst.“
Grimmjow ignorierte ihn. Rieb stattdessen weiter die Spitze seines Queues mit Kreide ein. Innerlich hatte der Blauschopf schon zu brodeln begonnen, als Nnoitra in das Café gekommen war, doch er versuchte, sich zu beherrschen.
Ulquiorra runzelte alarmiert die Stirn, als er den Kreideregen sah, der von Grimmjows viel zu starkem Reiben hervorgerufen wurde.
Nnoitra bewegte eine Hand näher zu Grimmjow. Dann zog er die andere nach, sodass er sich, tief über den Tisch gebeugt, dem Blauschopf langsam näherte. Dabei übertrieb der dürre Riese jede Bewegung, wodurch es aussah, als wenn er sich, einer großen Schlange gleich, gemächlich auf sein Opfer zu bewegte. Als er nah genug war, schnellte eine Hand vor, packte Grimmjows Queue und wand ihn dem Blauschopf aus der Hand: “Tesra hat die rothaarige Schlampe schon lange vor Dir für sich beansprucht. Wenn sie uns das nächste Mal über den Weg läuft, ist sie endgültig fällig.“ Nnoitra richtete sich auf und tippte Grimmjow mit dem Queue auf die Brust. Im Hintergrund lachten Loly und Menoly dreckig und Ggio klopfte Tesra kumpelhaft auf den Rücken.
Grimmjow brodelte nicht mehr nur, er kochte. Schon früher hatte er jedem, der es gewagt hatte seine dreckigen Hände an die Prinzessin zu legen eine Lehre erteilt. Doch jetzt, wo Orihime mit ihm zusammen war, durfte keiner auch nur schlecht von ihr reden oder sie blöd anmachen. Wer das versuchte, würde es bereuen. Besonders, wenn dieser jemand Nnoitra hieß.
Mit einer schnellen Bewegung holte Grimmjow sich den Queue zurück. „Wenn einer von euch perversen Arschlöchern auch nur in die Nähe der Prinzessin kommt, dann mach ich euch fertig. Alle nacheinander. Und Du, Gilga, Du bist als Erster dran!“ Grimmjow bemühte sich so sehr, nicht zu schreien, dass die zwischen seinen Zähnen hindurchgepressten Worte wie ein Knurren klangen. Der Blauschopf umklammerte den Queue so fest, dass seine Knöchel beängstigend weiß hervortraten und Ulquiorra befürchtete, der massive Holzstab würde gleich durchbrechen.
Nnoitra lachte laut auf, dann presste er sich in gespielter Empörung die Hände auf die Wangen und wackelte übertrieben mit dem Kopf: “Die Prinzessin, ach herrje herrje, ich wusste gar nicht, wie romantisch Du bist“, sagte er mit triefender Ironie in der Stimme. Dann packte er den Queue erneut und zog heftig daran. Grimmjow, der nicht los ließ wurde nach vorne gezogen und musste sich mit der Hand auf dem Billardtisch abfangen. Nnoitra beugte sich ebenfalls wieder so weit über den Tisch, dass sich ihre Nasen fast berührten: „Romantik ist was für Schwächlinge. Ich werde Deiner Prinzessin mal zeigen, was es heißt von einem richtigen Mann gefickt zu werden und wenn ich mit ihr fertig bin, dann besorgt Tesra es ihr nochmal richtig von Vorne.“
Grimmjow presste die Zähne so fest zusammen, dass seine Kieferknochen knackten. Seine Nasenflügel bebten und er war bereit Nnoitra an die Kehle zu gehen. Dazu zog er mit aller Gewalt an dem Queue, um Nnoitras Kopf gegen den seinen prallen zu lassen. Doch der Andere ließ überraschend los und schlenderte gemächlich Richtung Tür: „Denke, wir sollten das in aller Ruhe draußen weiter besprechen, wo wir ungestört sind.“
Grimmjow, der beinahe nach hinten übergefallen war, fluchte. Warf den Queue zu Boden und stapfte hinter Nnoitra her. Ulquiorra wollte ebenfalls folgen, als er sah, wie Tesra mit etwas Abstand hinter dem wütenden Blauschopf herging. Doch er kam nicht weit.
“Du bleibst schön hier. Die brauchen da draußen keinen Zeugen.“ Ggio hatte seinen Platz zwischen Loly und Menoly verlassen und hielt den Rollstuhl mit beiden Händen fest.
Ulquiorra sagte nichts, sondern senkte geschlagen den Kopf.
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Draußen marschierte Grimmjow zielstrebig hinter Nnoitra her, bis zum Hintereingang des Cafés. Während er ging, ballte er seine Hände immer wieder zu Fäusten. Diesmal würde er es diesem Arschloch zeigen. Der würde es sich danach zweimal überlegen, überhaupt nur an Orihime zu denken. Vor ihm verschwand Nnoitra hinter einem der großen Müllcontainer.
Prima, schoss es dem Blauschopf grimmig durch den Kopf, da brauchte er sich um Beobachter keine Sorgen zu machen und sich auch nicht zurückzuhalten. Sollte die lange Missgeburt sehen, wie sie die blauen Flecken und Blutergüsse erklären wollte, die Grimmjow ihm gleich verpassen würde. Im Kopf ging er bereits die Kombination an Schlägen durch, mit denen er den Anderen attackieren wollte.
Grimmjows Aufmerksamkeit richtete sich ganz allein auf den Gegner vor ihm. Tesra, der sich direkt hinter ihm befand, bemerkte er nicht. Hinter dem Container erwartete Nnoitra ihn, forderte ihn mit seinem üblichen überheblichen Grinsen und einem lässigen Wink auf, näher zu kommen.
Grimmjow ließ sich nicht zweimal bitten und grinste siegessicher. Doch als er nah genug war und sofort ohne Vorwarnung zuschlagen wollte, packte Tesra seine Arme und drehte sie gekonnt nach hinten. Sofort schlug Nnoitra zu.
Einmal, zweimal, dreimal direkt hart und brutal mitten in Grimmjows Magen. Dem blieb die Luft weg und er krümmte sich vor Schmerzen zusammen. Tesra ließ los und Grimmjow fiel, immer noch zusammengekrümmt, zu Boden.
Er wusste, dass er aufstehen musste. Doch er konnte nicht. Vor Schmerzen konnte er kaum atmen und vor seinen geschlossenen Augen tanzten Sterne. Er war und blieb ein Idiot. Statt sich dem Unvermeidbaren zu stellen und sich sofort auf Nnoitras Schläge vorzubereiten, hatte er wertvolle Zeit verschenkt, indem er sich gegen Tesras Griff gewehrt hatte.
Langsam bekam er wieder etwas mehr Luft und versuchte sofort, sich aufzurappeln. Doch im gleichen Augenblick beugte Nnoitra sich herunter und riss seinen Kopf an den blauen Haaren hoch: „Daran wirst Du noch lange zu knabbern haben, das verspreche ich Dir und dass Du Deinen Schwanz so schnell nicht mehr hochkriegst.“
Grimmjow wurde zurück zu Boden geworfen. Ein paar Steine bohrten sich schmerzhaft in seinen Rücken. Er erinnerte sich, wie er Ulquiorra auf das Bett geworfen hatte. Genauso hilflos wie der Kleine damals fühlte Grimmjow sich gerade. Nnoitras Drohung brachte ihn dazu, seine Hände instinktiv schützend vor seinen Schritt zu halten und die Beine soweit anzuziehen, wie der Schmerz in seinem Magen es zuließ.
Innerlich stieß er heftige Verwünschungen aus. Statt Nnoitra war er es, der sich Gedanken um eine gute Ausrede wegen der Verletzungen machen musste. Sofern er sich überhaupt noch alleine würde bewegen können, sobald Nnoitra mit ihm fertig war. Sein Gegner kannte keine Gnade und würde diese Gelegenheit, ihn am Boden zu haben, ohne Gewissensbisse ausnutzen. Ulquiorra hatte Recht, er war wirklich nichts anderes als ein dämlicher Idiot.
Nnoitra fluchte, zielte und trat zu. Er traf Grimmjows Brustkorb mit voller Wucht. Es knackte gefährlich. Grimmjow keuchte, verbiss sich aber einen Schmerzensschrei. Diese Genugtuung würde er Nnoitra auf gar keinen Fall geben.
„Verdammt Tesra, roll diesen Mistkäfer auf, damit ich der Pussy seinen Schwanz nach Innen Prügeln kann, da wo er hingehört!“
Tesra stieg eilig über dem am Boden liegenden Jungen hinweg und versuchte Grimmjow, die Arme erneut auf den Rücken zu drehen. Der Blauschopf wehrte sich mit wenig Erfolg gegen den Griff des Anderen.
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Yoruichis Hände zitterten, als sie das Telefon zurück in die Station steckte. Zuerst war Byakuya auch nicht an sein Mobiltelefon gegangen. Daraufhin hatte sie bereits ihre Jacke angezogen, um zum Café hochzugehen. Dann hatte er jedoch unerwartet zurückgerufen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Als Psychologin wusste sie, dass sie den Schock, den sie gerade erlebt hatte, dadurch zu verarbeiten versuchte, dass sie das Gehörte zuerst verleugnete. Doch sie wusste auch, dass dies an den Tatsachen nichts änderte und sie sich damit abfinden musste.
Byakuya hatte sie aus dem Krankenhaus angerufen, in dem Hisana jetzt schon bereits seit einigen Wochen lag. Es ging ihr mittlerweile sehr schlecht. Natürlich hatte er nichts gesagt, aber seine auf das Allernotwendigste reduzierte Zeit an der Schule hätte sie aufmerksam werden lassen müssen.
Sie stützte die Arme auf und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Er hatte ihr alles sehr ruhig und gefasst erzählt. So wie es seine Art war. Dass es nicht mehr viel gab, was man für Hisana tun konnte und dann, wie es genau um sie stand. Davor hatte er eine kurze Pause gemacht, um sich zu räuspern, dabei war ihr fast das Herz gebrochen. Byakuya zeigte niemals seine Gefühle. Doch sie hatte die stille Verzweiflung gehört, als er um eine Beurlaubung bat, damit er Hisana für die letzten Wochen nach Hause holen und sich um sie kümmern konnte.
Vier Wochen -maximal- hatten die Ärzte ihr noch gegeben. Yoruichi schluckte. Vier Wochen, wenn sie im Krankenhaus blieb. Doch Hisana wollte nach Hause. Zu ihren Blumen und den Volieren mit Vögeln in dem großen Wintergarten, den Byakuya für sie gebaut hatte. Und wie immer würde Byakuya seiner geliebten Frau auch diesen Wunsch nicht abschlagen. Selbst wenn dieser ihr Leben nicht verlängern würde.
Yoruichi versuchte tief einzuatmen, doch es gelang ihr nicht. Die Sorge um ihren besten Freund und die Trauer um Hisana, die sie immer sehr gemocht hatte, presste ihr die Brust zusammen. In ihren Gedanken sah sie wieder Byakuya vor sich, zu der Zeit, als er Hisana kennen gelernt hatte. Das stille Strahlen in seinem Blick und das sanfte Lächeln, dass von da an auf seinem Gesicht gelegen hatte. Von Anfang an hatte er der schüchternen Hisana, die selten direkt sagte, was ihr auf dem Herzen lag, jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Zu ihrer Hochzeit hatte er eine besondere Kirschbaumart direkt aus Japan importieren lassen und ihr später dann den sündhaft teuren Wintergarten gebaut, als ihre Gesundheit bereits angeschlagen war und sie kaum mehr rausgehen konnte. Wenige verstanden, warum Byakuya so viel Geld und Zeit investierte, und schüttelten darüber nur verständnislos den Kopf. Doch sie verstand ihn und die tiefe Liebe, die die beiden für einander empfanden.
Yoruichi nahm die Hände von den Augen und spürte, wie Tränen ihr langsam über die Wangen liefen. Ihr fiel das Zitat von Nietzsche ein: „Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.“ Sie hatte sich mit dem Philosophen und dessen Lehre, aufgrund von Ulquiorras Büchern und um dessen Weltbild und Moralvorstellung besser zu verstehen, noch einmal genauer beschäftigt. Liebe konnte eine große Triebfeder sein und der Verlust eines geliebten Menschen, egal ob es der Partner, Bruder oder ein Freund war, konnte einen brechen und zur Verzweiflung, bis hin zur Selbstaufgabe, treiben.
Sie wählte Kisukes Nummer. Heute Nacht wollte sie nicht alleine sein. Jeder hatte seine Grenze und sie fürchtete, dass mit Hisanas Tod Byakuyas erreicht sein würde. „Kisuke, ja ich bin es. Ich bin in einer Stunde bei Dir. Ich habe etwas Furchtbares erfahren. Es geht um Hisana... Ja, ich fahre vorsichtig. Bis gleich.“ Sie legte auf und ging zum Spiegel.
Bevor sie die Feuchtigkeit von ihrem Gesicht wischte, fuhr sie mit den Fingern die Tränenspuren auf ihren Wangen nach. Sie erinnerte sich an Ulquiorras Narben und dass dieser natürlich auch darüber kein einziges Wort verloren hatte. Doch ihre tiefe Sorge um Byakuya und die Hilflosigkeit, die sie dabei empfand, verdrängten alles andere.
So verließ Yoruichi ihr Büro und eilte zu ihrem Wagen, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an Ulquiorra, Grimmjow oder Nnoitra zu verschwenden.
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Im Café war Ggio sichtbar unglücklich darüber, Ulquiorra bewachen zu müssen. Nachdem der Junge im Rollstuhl keinen weiteren Versuch unternommen hatte, ihm zu entkommen, sondern einfach ruhig dasaß, hielt er nur noch einen der Griffe fest und wanderte langsam Zentimeter um Zentimeter an der Seite des Rollstuhls vorbei, Richtung Tür. Getrieben von der Neugierde, was jetzt draußen vor sich ging. Weshalb er auch seine Aufmerksamkeit auf die Tür richtete und nicht auf Ulquiorra.
Ulquiorra, der Ggio mit leicht gesenkten Kopf aus den Augenwinkeln beobachtete, wartete nur auf den richtigen Moment. Er hatte die Unaufmerksamkeit des Anderen bereits genutzt, um eine der versenkten Billardkugeln aus der Tasche im Tisch direkt neben ihm zu angeln. Diese hielt er mittlerweile in der Hand auf der Seite auf der Ggio neben ihm stand. Der Junge schob gerade wieder einmal einen seiner in Sandalen steckenden Füße ein Stück vor. Ulquiorras Mundwinkel hoben sich leicht. Darauf hatte er gewartet. Gezielt ließ er die massive Billardkugel fallen. Genau auf die ungeschützten Zehen von Ggio. Der schrie gepeinigt auf, zog seinen schmerzenden Fuß hoch und versuchte ihn gleichzeitig mit beiden Händen zu packen, woraufhin er das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel.
Sobald Ggio den Rollstuhl ganz losgelassen hatte, setzte Ulquiorra sich in Bewegung. Einer aus der Gruppe um Luppi sprintete ebenfalls los und öffnete die Tür. Draußen blickte Ulquiorra sich sofort um. Sehen konnte er die Andern nicht, doch als er langsam lauschend weiter fuhr, hörte er Nnoitras Fluchen von hinter den Containern, die am Ende des Gebäudes standen. So schnell er konnte fuhr er dorthin. Nnoitra Gilga kannte keine Gnade und würde vor nichts zurückschrecken, um Grimmjow zu beweisen, wer der Stärkere ist.
Als er um den Container herum rollte und einen guten Meter hinter dem langen Jungen zum stehen kam, lag Grimmjow bereits zusammengekrümmt auf dem Boden und versuchte, Tesra abzuwehren.
„Vielleicht solltest Du dich mit jemandem anlegen, der in Deiner Liga spielt, Gilga“, sagte Ulquiorra laut aber sehr ruhig.
Erschrocken sprang Tesra auf, während Nnoitra auf dem Absatz herumwirbelte und den schmächtigen Jungen im Rollstuhl verdutzt ansah. Dann begann er, laut zu lachen. Grimmjow nutzte die Gelegenheit, um bis auf die Knie hochzukommen. Er presste seine Arme gegen die schmerzende Brust, die jeden Atemzug zu einer Tortur machte.
Nnoitra hatte aufgehört zu lachen. Stattdessen sah er Ulquiorra jetzt verärgert an: “Deine Liga, Krüppel! Was soll das denn heißen? Wer will schon in Deiner Liga spielen?“ Er brauchte nur einen Schritt zu machen, um direkt vor Ulquiorra zu stehen. Dann beugte er sich tief herunter und bohrte seinen langen Finger in die Brust des blassen Jungen: “Für was hältst Du Schmeißfliege Dich eigentlich? Oder glaubst Du, ich nehme Rücksicht, nur weil Du in dem Ding da sitzt?“ Wieder schnellte sein Finger bedrohlich vor.
Doch diesmal kam er nicht soweit um die Brust des Anderen zu berühren. Ulquiorra fing Nnoitras Finger vorher mit seiner Hand und drehte ihn herum. Womit er den langen Jungen vor sich in die Knie zwang. Nnoitras Kopf landete dabei fast in seinem Schoß. Woraufhin Ulquiorra den Finger losließ und stattdessen den Kopf des anderen mit beiden Händen umfasste und einen Daumen auf Nnoitras einziges Auge presste. Der daraufhin sofort jede Gegenwehr einstellte. „Eine falsche Bewegung und Du verlierst auch noch dieses Auge“, warnte Ulquiorra mit eisiger Stimme.
Tesra nahm den immer noch knienden Grimmjow in einen Würgegriff.
„Das gilt auch für deinen Handlanger. Er soll Grimmjow loslassen. Sonst...“ Ulquiorra verstärkte den Druck auf das Auge, woraufhin Nnoitra aufheulte und die Fingernägel in den Asphalt bohrte.
„Tesra, tu was er sagt!“, befahl er mit schriller Stimme. Grimmjow wurde losgelassen und kämpfte sich auf die Füße.
„Ab sofort wirst Du Grimmjow und Orihime in Ruhe lassen. Sonst verspreche ich Dir, dass Du mehr als nur dieses Auge verlieren wirst“, sagte Ulquiorra, dann beugte er sich vor und flüsterte Nnoitra etwas ins Ohr, was den langen Junge sichtbar zusammenzuckten ließ. Eine Sekunde später schrie er laut auf, als Ulquiorra kurz aber fest auf das Auge drückte. Dann stieß er Nnoitra mit so viel Kraft von sich weg, dass er selber dabei zurück rollte. „Du solltest das Auge schnell kühlen, sonst wirst Du mehr als nur einen Tag nicht klar sehen können.“
Nnoitra, der auf dem Rücken gelandet war, rief zuerst hysterisch nach Tesra. Eine Hand hielt er schützend vor dem malträtierten Auge, während er sich mit dem anderen Arm versuchte unter Flüchen und Verwünschungen in eine aufrechte Position zu bringen.
Grimmjow war an Nnoitra und Tesra vorbei zu Ulquiorra gestolpert. Jetzt stützte er sich schwer auf den Griffen des Rollstuhls ab. Ulquiorra drehte den Kopf herum und sagte leise zu ihm: “Ich will, dass Du dich ganz aufrichtest. Keiner darf sehen, dass Du Schmerzen hast oder verletzt bist. Halt Dich einfach an den Griffen fest, den Rest mach ich schon. Schaffst Du das?“
Grimmjow nickte, biss die Zähne zusammen und streckte seinen Oberkörper. Es knackte noch einmal. Er packte die Griffe fester als der Schmerz ihm ein weiteres Mal den Atem raubte und ihm kurz schwindlig wurde. Dann zwang er ein Grinsen auf seine Lippen und setzte einen Fuß vor den anderen. Ulquiorra fuhr langsam vorwärts. Nachdem Grimmjows Schritte sicherer wurden, beschleunigte er etwas und brachte sie auf direktem Weg zurück zu dem Gebäude, in dem sich ihre WG befand.
Als sie ihr Apartment betraten, kam ihnen Orihime sofort entgegen und verkündete, dass sie Tatsuki gerade um ein paar Minuten verpasst hatten. In dem Augenblick als er das hörte, ging Grimmjow in die Knie, fluchte als die Bewegung und die daraus resultierenden Schmerzen ihm die Tränen in die Augen trieben.
„Oh Gott, Grimm, was ist passiert?“ Orihime kniete sich sofort neben ihn und versuchte ihn, in den Arm zu nehmen.
„Nicht, lass ihn“, wies Ulquiorra sie an. Als Orihime ihn verwirrt anblickte, erklärte er ihr mit kurzen Worten, dass Nnoitra Grimmjow zusammengeschlagen hatte. Dann bat er sie, Grimmjow auf einen Stuhl zu helfen und ihm dann das Shirt auszuziehen. Grimmjow tat einfach, was man ihm sagte. Bis Ulquiorra näher kam und Anstalten machte, ihn anzufassen.
„Ich weiß, was ich tue. Ich will nur sehen ob eine Rippe gebrochen ist oder Du nur eine Brustkorbprellung hast, was zu hoffen ist“, erklärte der blasse Junge ruhig.
Grimmjow zögerte. Schließlich nahm er die Arme, die er vor der Brust verschränkt hatte, herunter. Ulquiorras Hände waren kühl, als er gezielt Grimmjows Oberkörper abtastete. Dabei stellte er ihm Fragen, wo genau er Schmerzen hatte. Als seine Hände mit dem Bauch Grimmjows fertig waren und er tiefer fassen wollte, schüttelte der Blauschopf energisch den Kopf: „Da nicht.“
Ulquiorra erwiderte nichts, sondern fuhr zur anderen Seite des Tisches. Auf dem Zettel, den Orihime für ihn geholt hatte, schrieb er etwas auf. „Hier, diese Sachen besorgst du. Die oberen zwei Medikamente in einer Apotheke und die darunter in einer Anderen. Du darfst auf keinen Fall alles zusammen kaufen.“ Ulquiorra gab Orihime den Zettel. Danach griff er in seine Gürteltasche und holte seine Geldbörse raus, aus der er ihr eine Karte reichte: „Der Betrag auf der Geldkarte ist hoch genug für alles, was Du besorgen sollst. Wenn Du gefragt wirst für was Du die Sachen brauchst, sagst Du, dass es sich um eine Sportverletzung handelt.“
„Ich beeile mich.“ Orihime steckte beide Sachen ohne weitere Fragen ein und rannte aus der WG.
„Du solltest Dich solange bis sie wieder da ist hinlegen und den Brustkorb kühlen.“ Ulquiorra seufzte: “Leg Dich auf mein Bett. Sowohl in Deinem Zimmer, wie auch, in dem von Orihime, ist ja wieder einmal für mich kein Durchkommen. Ich kümmere mich um eine Kältekompresse.“
Grimmjow stand langsam auf und schlurfte in Ulquiorras Zimmer, das wie immer tadellos aufgeräumt war. Was bei den wenigen Sachen, die der Kleine besaß, auch nicht schwer war, dachte er. Als er sich vorsichtig auf das Bett setzte, rief ihm Ulquiorra zu: “ Wenn Dir übel wird, benutze den Mülleimer.“
Er legte sich auf den Rücken. Jede Bewegung war die Hölle, doch wie der Kleine darauf kam, dass er würde kotzen müssen, war Grimmjow ein Rätsel. Dennoch, er lag kaum einige Zeit aus gestreckt da und bildete sich ein, dass der Druck auf seinem Brustkorb weniger wurde, da spürte er, wie sein Magen einen Flipflop schlug und sich zusammenkrampfte. Er schaffte es gerade noch sich zur Seite zu rollen und den Mülleimer ranzuziehen. Die Bewegung machte alles nur noch schlimmer und er war froh, als er sich wieder auf den Rücken legen und die Augen schließen konnte
„Hier, trink.“
Grimmjow sah Ulquiorra an und nahm das Glas mit dem sprudelnden Wasser entgegen. Trank aber nicht.
„Das ist nur eine Aspirin. Die Schmerzmittel, die Orihime gerade besorgt, sind stärker. Du wirst nicht drumherum kommen die zu schlucken und mir zu vertrauen. Ohne Schmerzmittel wirst Du dich in den nächsten Tagen sonst kaum bewegen können. An Sport ist nicht zu denken. Da müssen wir uns noch eine Ausrede einfallen lassen.“
Grimmjow trank. Dann ließ er sich wieder vorsichtig zurücksinken und Ulquiorra legte ihm ein Handtuch, in das er ein Kühlpack gewickelt hatte, auf die Brust. Sie schwiegen eine Weile. In der Stille rauschte das ganze Geschehen noch einmal bruchstückhaft durch Grimmjows Kopf. Dass der Kleine so rücksichtslos mit Nnoitra umgesprungen war, überraschte ihn nicht wirklich. Gut, vielleicht ein wenig. Das Erschreckendste war die Zielstrebigkeit, mit der Ulquiorra vorgegangen war. Er hatte nicht gezögert und die Drohung, Nnoitra das Auge mit den bloßen Fingern auszudrücken, nahm Grimmjow ihm ebenfalls ab. Ulquiorra machte keine leeren Drohungen.
Da war aber noch etwas Anderes, das ihn beschäftigte. „Was hast Du Nnoitra ins Ohr geflüstert?“, fragte er ohne sich zu bewegen. Das leise Geräusch, das von Ulquiorra kam, sorgte dann aber doch dafür, dass er den Kopf drehte so weit wie es ging ohne den Rest seines schmerzenden Körpers bewegen zu müssen. Das, was er gehört hatte, hatte sich fast wie ein Lachen angehört. Doch Ulquiorras Gesicht gab wie immer nichts preis.
„Dass ich mit meinem Mobiltelefon Fotos von ihm gemacht habe, wie er auf Dich eintritt, während Du am Boden liegst.“ Trotz des neutralen Gesichtsausdrucks klang Ulquiorras Stimme amüsiert.
Grimmjow runzelte überrascht die Stirn:“Du hast gar kein Handy. Du hast gelogen.“
Ulquiorras Mundwinkel zuckten: “Sagen wir, ich habe geblufft. Ich werde später noch seine Facebookseite manipulieren, um der Drohung etwas mehr Substanz zu verleihen.“
Der Blauschopf glaubte Ulquiorra unbesehen, dass dieser das konnte. Er hatte ihn oft genug seltsame Dinge auf seinem Laptop machen sehen. Gemäß ihrer Vereinbarung hatte er nie gefragt, was Ulquiorra da genau tat. Dieser hätte es ihm sowieso nicht gesagt. Der Kleine steckte voller Überraschungen, was Grimmjow immer wieder Unbehagen bereitete.
Eine weitere Überraschung war, wie sanft Ulquiorra ihn abgetastet hatte. Hier hatte er nicht gelogen, er schien wirklich zu wissen, was er tat. Genauso wie jetzt, als er die Kühlkompresse auf eine besonders schmerzende Stelle verschob. Einem Impuls folgend hielt Grimmjow die blasse Hand fest: “Dass Du Ahnung von Medikamenten hast, wundert mich bei Deinem Vater nicht, aber dass Du dich so gut mit solchen Verletzungen auskennst schon.“
„Die Schiffers waren meine Adoptiveltern, und was weißt Du schon über Dr. Schiffer?“, Ulquiorras Antwort war kalt, fast schon abweisend.
Grimmjow ließ die Hand des Anderen nicht los: “Google kann selbst ein Idiot wie ich bedienen und lesen kann ich auch. Lass mich raten, der gute Doktor war nur in der Öffentlichkeit der perfekte Vater und Arzt, von dem überall zu lesen ist. Doch Zuhause hat er die Sau rausgelassen. Hat er Dich geschlagen? Oder sogar gefickt? Hat Deine Schlampe von Mutter dabei zugesehen? Hast Du sie deswegen umgebracht?“, ungewollt hatte Grimmjow ausgesprochen, was ihm die ganze Zeit schon durch den Kopf ging.
Ulquiorra wich seinem Blick nicht aus. Er strahlte wieder diese beherrschte, eisige Ruhe aus und seine Stimme hatte einen fast unheimlichen Unterton, als er antwortete:“ Man kann viele Dinge über meine Pflegemutter sagen, aber eine Schlampe war sie nicht. Sie war ihrem Mann hörig bis zu ihrem Tod. Und mit Deinen Vermutungen über meinen Pflegevater liegst Du ebenfalls komplett falsch. Mich hat er nie geschlagen, das hätte er sich nicht leisten können. Mit mir hatte er auch so schon genug Schwierigkeiten. Die Folge von Schlägen lassen sich, wie Du bald merken wirst, nicht so einfach verheimlichen.“
Ulquiorra stoppte und schien seine nächsten Worte genau zu überdenken. Grimmjow hielt unbewusst den Atem an. So viel wie in diesem Augenblick hatte der Kleine noch nie über seine Adoptiveltern erzählt. Von dem ersten Abend einmal abgesehen. Dann wand Ulquiorra sein Handgelenk aus Grimmjows Griff und lehnte sich in dem Rollstuhl zurück. Der Blauschopf dachte schon, dass nun nichts mehr kommen würde, doch plötzlich sprach der Andere weiter. Immer noch sehr beherrscht, doch die eisige Kälte war verschwunden, dafür klang seine Stimme jetzt rau und traurig: “Die Obsession meines Pflegevaters war nicht sexueller Natur. Er wollte den menschlichen Geist beherrschen. Er war von seinem Beruf besessen. Von der Idee den Schlüssel zu finden, mit dem man in jeden Geist eindringen kann. Diesen steuern und damit krankhafte Veranlagungen ausmerzen.“
Es folgte eine weitere lange Pause. Grimmjow schluckte. Eine Ahnung beschlich ihn. Ulquiorra hatte den Kopf gesenkt und die Hände im Schoß verschränkt. Doch der Blauschopf traute sich nicht zu fragen.
Schließlich hob Ulquiorra seinen Kopf und sah Grimmjow erneut an. Tränen hatten sich einsam ihren Weg aus seinen Augen gebahnt und waren entlang der Narben, die sich für immer gut sichtbar auf seinen Wangen befinden würden, herunter geflossen. Grimmjow konnte nur noch die Feuchtigkeit sehen, die sie auf ihrem Weg hinterlassen hatten. Der Blick des Anderen war leer und er schien etwas anderes, als Grimmjow vor sich zu sehen, als er mit gedämpfter Stimme weiter sprach: “Ich war nur der Empfänger, bei dem er Emotionen messen konnte, bei dem alles gefiltert wurde. Doch ich habe ihm die Sache so schwer gemacht, wie ich nur konnte.“
Ulquiorra stockte, sein Gesicht mittlerweile genauso leer wie sein Blick: „ Wie ich konnte, ohne ihn zu gefährden. Was hätte ich sonst tun können? Wir waren Kinder und er verstand so wenig, war so hilflos...“
Ulquiorras Stimme brach und in dem Schweigen bewegte Grimmjow sich. Ignorierte die Schmerzen und setzte sich langsam auf. Vorsichtig, weil jede Bewegung ihm das Äußerste abverlangte und weil er den Kleinen nicht erschrecken wollte. Er legte die Hände an Ulquiorras Schultern, dann zog er den zitternden Jungen an seine Brust und legte seine Arme um ihn. Ulquiorras Hände krallten sich in das Shirt des Blauschopfts und Grimmjow spürte den Kampf, den der Andere mit sich ausfocht. Bis Ulquiorra aufgab.
Grimmjow kämpfte selber mit den Tränen, die jedoch von den Schmerzen kamen, den der Druck auf seine verletzte Brust verursachte. Doch äußere Schmerzen zu ignorieren war ihm schon immer leichter gefallen als Innere. Das, was der Kleine gerade gesagt hatte, ergab für ihn noch keinen richtigen Sinn. Seine Intuition sagte Grimmjow jedoch, dass der Tod von Ulquiorras Pflegeeltern nur die Spitze des Eisbergs war und dass Ulquiorra möglicherweise schlimmere Dinge als Orihime und er zusammen erlebt hatte.
Beruhigend strich Grimmjow über das schwarze Haar und drückte den Kleinen fester an sich. Die Prinzessin hätte ihm jetzt sicher noch gesagt, dass alles gut werden würde. Doch Grimmjow brachte diese leeren Worte einfach nicht über seine Lippen. Denn mehr als leere Worte waren das nicht. Nichts würde gut werden, für keinen von ihnen. Die Dinge, die geschehen waren konnte man nicht ungeschehen machen, man konnte nur versuchen, mit ihnen zu leben.
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