Kapitel 15

,,Also es ist seit Jahren schon ein Ritual bei uns, dass wir an Heiligabend Hähnchen mit Bratkartoffeln essen und als Dessert Mousse au Chocolat. Ich hoffe jetzt mal, dass du es magst''

Ich nickte nur leicht lächelnd und ließ mir von Maria einen Teller reichen. Dankend nahm ich ihn an und stellte ihn erst mal vor mich.

Ich saß auf dem selben Platz wie das letzte mal, so wie auch die anderen. Wahrscheinlich hatte jeder seinen bestimmten Platz, was wahrscheinlich üblich in einer Familie war.

Vito neben mir rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her und wartete ungeduldig auf seinen Teller. Viktor saß wieder still da und ließ sich von Valentin die Ohren ab quatschen. Peter zog Vitus, welcher vorhin wahrscheinlich geschlafen hatte das Lätzchen an und setzte ihn in seinen Babystuhl, wo der kleine auch gleich wieder freudig los brabbelte.

Nach dem jeder seinen Teller bekommen hatte und wir uns Guten Appetit gewünscht hatten, fingen wir an zu essen und ich musste sagen, dass das Essen fantastisch schmeckte. Maria war wahrscheinlich allgemein eine gute Köchin.


Die Gespräche fingen an, doch wieder hielt ich mich raus und lauschte einfach nur den Stimmen. Es war wieder schön zu hören, wie viel sie zu besprechen hatten, wie gut sie sich verstanden und einfach mit zu erleben, was für eine tolle Familie sie waren.

Vincent konnte sich so glücklich schätzen, wirklich glücklich schätzen. Wie sehr wünschte ich mir so eine Familie, doch alles was ich bekam war eine Ruhm süchtige Mutter, einen körperlich kranken Vater und eine egozentrische und böse Cousine.

Ich gehörte hier einfach nicht hin, besonders heute nicht.

Nicht am Fest der Familie und Liebe.


Unwohl fühlend und total überflüssig aß ich das leckere Essen und lauschte einfach weiter den Gesprächen. Vito neben mir quatschte mittlerweile Viktor die Ohren voll mit irgendeinem Fußball Spiel aber wirklich interessiert sah Viktor nicht aus, eher genervt.

Er war ein Rätsel in sich, aber er interessierte mich. Schon alleine wegen der Angst, dass es ihm schlecht ging, das ihn irgendetwas belastete.
Er sollte nicht traurig sein, er sollte glücklich sein. Er war doch erst 15 Jahre alt.

,,Man kannst du mal die Klappe halten. Du nervst!'' Viktors laute Stimme ließ mich kurz aufschrecken ehe ich meinen Blick auf ihn richtete. Die anderen taten es mir nach und die Gespräche waren mit einem Mal verstummt.

Vito neben mir sah traurig seinen großen Bruder an und seine Unterlippe fing leicht an zu zittern.

Nicht weinen, bitte nicht weinen. Ich konnte kleine Kinder nicht weinen sehen oder all gemein Menschen. Ich hatte immer das Bedürfnis dann selber mit zu weinen.

,,Viktor'' Marias strenge Stimme erklang.

,,Was?'' genervt sah er seine Mutter an.

,,Was sollte das?''

,,Er nervt mit seinem ewigen Gelabere''  Vito neben mir fing jetzt an zu weinen und ich musste mich beherrschen nicht auch den Tränen freien Lauf zu lassen.

Kurzer Hand hob ich ihn auf meinen Schoß und drückte ihn sanft an mich.

Sie sollten sich nicht streiten, nicht heute. Am liebsten gar nicht. Sie sollten einfach glücklich sein.

,,Er ist doch noch ein Kind. Das nächste mal sagst du es ihm einfach ruhig und dann wird er es verstehen.''

,,Jetzt bin ich wieder schuld oder was''

,,Ja'' das Vito seinen Senf jetzt dazu geben musste, war nicht gerade Vorteilhaft.

,,Halt die Klappe Zwerg''

,,Viktor'' diesmal war es Peters Stimme die erklang.

,,Was? Willst du mir jetzt auch noch eine Predigt halten, was ich wieder falsch mache oder wie. Kein Problem ich bin es gewohnt schuld zu sein.'' Viktor sprang auf so dass sein Stuhl nach hinten um fiel.

,,Los sag schon was ich für ein Versager von Sohn bin'' Ich war nicht die einzige die Viktor geschockt ansah.

Bevor jemand noch etwas sagen konnte rauschte Viktor aus dem Raum. Stille herrschte und jeder sah auf den Punkt wo Viktor vor hin noch stand.

,,Ich weiß echt nicht was mit ihm im Moment los ist'' Maria lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen.

Kurz entschlossen hob ich Vito hoch und reichte ihn an Vincent, welcher ihn auf seinen Schoß setzte und mich fragend ansah.

Ich wusste nicht ob ich es bereuen würde, aber ich wollte nicht das dieser Abend so aus ging.

Mit einem tiefen Atemzug stand ich auf.

,,Wo gehst du hin?'' fragte mich Valentin gleich.

,,Ich geh mal mit Viktor reden.''

,,Na dann viel Glück. Das haben wir alle schon probiert, aber der spielt nur immer die beleidigte Heulsuse und lässt uns nicht in sein Zimmer'' ironisch lachte Valentin auf und bekam gleich einen leichten Stoß von seinem Vater in die Seite.

Ohne auf jemanden noch zu achten lief ich aus dem Raum, spürte dabei deutlich seinen Blick sich in meinen Rücken bohren. Unsicher blieb ich vor der Treppe stehen und lief dann aber mit langsamen Schritten sie hoch.

An Vincents Zimmer lief ich vorbei und machte Viktors Zimmer daneben aus, was ich auch nur wusste weil sein Name an der Tür stand so wie bei den anderen Zimmer.

Zaghaft klopfte ich an seiner Tür, bekam aber nur ein lautes ,,Verschwinde'' zurück.

,,Viktor ich bins Aayana''

,,Was willst du?''

,,Machst du mir die Tür auf?''

,,Ganz sicher nicht. Du kannst gleich wieder verschwinden.'' seufzend ließ ich mich an der Tür runter rutschen.

Nur weil er mir die Tür nicht auf machte hieß das nicht, dass ich verschwinden würde.

,,Weißt du Viktor''

,,Ne weiß ich nicht'' ich hörte die Provokation heraus, ignorierte sie aber einfach.

,,Ich kenn dich nicht''

,,Ach was''

,,Du kennst mich nicht''

,,Blitzmerker''

,,Aber was ich weiß ist dass hinter deiner momentanen Art mehr steckt als die Pubertät'' Auf der anderen Seite blieb es diesmal still.

,,Ich verlange nicht von dir, dass du es mir erzählst. Ich verlange gar nichts von dir, ich hätte gar nicht das Recht dazu, aber du solltest vielleicht etwas wissen. Da unten sitzt jetzt eine traurige Mutter, die nicht weiß was mit ihrem Sohn los ist. Da unten sitzt ein weinender Junge, der sich mit seinem großen Bruder gestritten hat. Da unten sitzen zu dem noch ein verzweifelter Vater und zwei große Brüder, die sich Sorgen um ihren kleinen Bruder machen. Ich verlange wie schon gesagt nichts von dir, aber ich wünsche mir was von dir. Vergiss nicht was heute für ein Tag ist'' Ich hörte leise Schritte und schnell stand ich auf.

Die Tür öffnete sich und Viktor erschien mit Tränen in den Augen im Türrahmen.

Wenn das so weiter gehen würde, müsste ich gleich wirklich noch weinen.

,,Heute ist Heiligabend. Das Fest der Familie und der Liebe. Vergiss für einen Moment deine Probleme und genieße den Tag mit deiner Familie. Viktor du solltest dich glücklich schätzen, dass du so eine Familie hast. Viele Menschen auf dieser Welt müssen um ihre Familie kämpfen, alles tun damit es ihnen gut geht. Viele kennen ihre Familie gar nicht, viele Kinder auf dieser Welt haben vielleicht noch nicht mal mehr Eltern oder Geschwister, doch du hast sie. Schätze dich glücklich und zeig es ihnen. Zeig ihnen wenigstens heute dass du glücklich bist sie zu haben, dass du sie liebst, dass alles gut wird.''

Eine Träne floss aus Viktors Auge und kurzer Hand wischte ich sie sanft weg.

,,Es wird alles gut Viktor, irgendwann. Ich weiß nicht was du im Moment durch machst, was in dir durch geht, aber verschließe dich nicht, nicht vor deiner Familie. Rede mit irgendwem dem du vertraust, von dem du weißt das er dir helfen und beistehen wird.''

,,Danke Aayana''

,,Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich will dich nicht unglücklich sehen, ich will niemanden unglücklich sehen, besonders nicht heute. Und jetzt komm, du musst noch was erledigen''

Sanft zog ich Viktor hinter mir her und unsicher blieb Viktor vor der Küchentür stehen.

,,Ich hab Angst''

,,Viktor sie sind deine Familie. Du brauchst kein Angst haben und außerdem bin ich doch im selben Raum und glaub mir, es wird gut gehen.'' Ich trat in die Küche ein, in der noch jeder saß.

Vincent beschäftigte sich mit Vito, welcher immer noch traurig aussah. Valentin spielte mit der Gabel herum, Peter fütterte Vitus, welcher als einziger wirklich glücklich aussah. Maria saß immer noch mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl und an ihrer Körperhaltung konnte man deutlich erkennen wie sehr sie das doch mit nahm.

Sanft zog ich Viktor an seiner Hand mit in den Raum und alle Blicke richteten sich gleich auf uns und ich konnte bei jedem wirklich sehen, dass sie erstaunt waren, dass Viktor hier war.

Viktor gab ich einen sanften Stoß und kurz zuckte er auf, sah mich zweifelnd an, aber nickte ich nur in eine Richtung in die er auch sofort lief.

Mit langsam Schritten lief er auf seine Mutter zu und bevor jemand etwas sagen konnte nahm er sie einfach in den Arm. Man merkte deutlich wie Maria eine Last von der Schulter fiel und fast schon sehnsüchtig schlang sie ihre Arme um ihren mittleren Sohn.

Leise hörte man Viktor ein ,,Ich hab dich lieb Mama'' flüstern, was Maria zum lächeln brachte und sie auch ebenfalls leise erwidern ließ.

Kurz danach löste sich Viktor wieder, drückte seiner Mutter noch einen Kuss auf die Wange ehe er zu Vincent lief und kurzer Hand Vito ihm abnahm.

Sanft drückte Viktor Vito an sich, welcher sofort sich an ihn klammerte.

,,Es tut mir leid Vito. Ich wollte dich nicht anschreien. Du bist doch mein kleiner Zwerg und ich hab dich lieb'' Vito strahlte seinen großen Bruder an, welcher das strahlen erwiderte.

,,Ich dich auch Viki'' Viki drückte Vito noch einen Kuss auf die Stirn ehe er ihn runter lassen wollte, doch klammerte Vito sich nur noch fester an ihn.

Viktor schüttelte kurz lächelnd den Kopf und wendete sich dann an den Rest. ,,Und euch hab ich auch lieb. Ich bin froh euch als Familie zu haben.'' Vincent welcher neben Viktor auf dem Stuhl saß stand auf und schloss seinen kleinen Bruder und automatisch auch seinen anderen kleinen Bruder in die Arme.

,,Ich hab dich auch lieb kleiner Bruder und egal was passieren wird, wir werden immer eine Familie bleiben.'' seine Worte brachten mich zum lächeln, doch innerlich weinte ich und musste mich beherrschen nicht von außen zu weinen.

Wir werden immer eine Familie bleiben.

Seine Worte hallten sich in meinem Kopf immer wieder ab und er hatte Recht. Sie würden immer eine Familie bleiben. Sie liebten sich schließlich und wie man so schön sagt; Blut ist dicker als Wasser und ich wusste, egal was passieren würde, sie würden zusammen halten.

Die Familie Collister war einzigartig und es war traurig zu wissen, dass ich sie schon bald wahrscheinlich nie wieder sehen würde, denn der einzige Grund wieso ich hier war, war das Projekt und das würde bald ein Ende nehmen.


Ein lautes ,,Gruppen kuscheln'' von Valentin ließ mich auf zucken und kurz danach war die Familie Collister wieder verbunden. Es war schön mit an zu sehen, doch schmerzte es auf der anderen Seite genauso.

Ich würde nie eine Familie haben, ich hatte nie eine richtige und so wie es aussah würde ich das auch nie, denn schließlich war ich einfach Aayana Lambert, das Mädchen was es nicht wert war wahr genommen zu werden.






Während sie sich umarmten kam ich mir noch überflüssiger vor, als davor schon. In so einem Moment sollte man unter der Familie sein und zu der gehörte ich nun mal nicht.

Ich gehörte zu mir nach Hause auch wenn es mir nicht gefiel und gerade in mir sämtliche Wunden aufriss.

Ich hatte mich daran gewöhnt alleine zu sein, ich hatte mich mit dem Gedanken angefreundet alleine zu enden, nie die Familie zu haben die ich mir wünschte, doch gerade, gerade setzte es mir mehr zu als mir lieb war.

In so einem Moment wünschte ich mir meinen Vater wieder.

In so einem Moment sehnte ich mich nach seiner Stimme und in so einem Moment vermisste ich das Schach spielen was ich mit ihm verband und was mich immer an ihn erinnern würde.


Leise schlich ich mich aus dem Raum.

Ich musste hier weg, ich sollte hier weg. Es war falsch, ich war einfach falsch hier.

Das war ein Familienfest, was dachte ich mir eigentlich hier einfach auf zu kreuzen und zu denken, dass ich wenigstens heute einmal glücklich sein könnte, mich einmal wohl fühlen würde in meiner Haut.


Im Eingangsbereich zog ich mir meine Schuhe an und schnappte mir meine Tasche.

Die Eingangstür fiel hinter mir ins Schloss.

Es schmerzte doch war es richtig.

Ich würde den Abend schon noch irgendwie rum bringen, so wie jedes Weihnachten. Die Zeit würde vorbei gehen und schneller als ich gucken konnte wäre schon wieder der nächste Tag und ich konnte neu starten.

Meine Arme fingen an zu zittern während ich die Auffahrt hinunter lief.

Bevor ich das Grundstück verließ drehte ich mich noch mal um. Meine Augen waren Tränen gefüllt und sie fokussierten die Tür.

,,Frohe Weihnachten Familie Collister''

Meine Stimme war nur ein Hauch. Ein Hauch der Einsamkeit, denn die lebte gerade in mir auf.

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