5
Jaswinda
Du wirst ohne sie nicht überleben. Wieder und wieder spielten sich diese Worte in ihrem Kopf ab.
Und allen Geschehnissen zum Trotz wollte sie es. Leben!
Sie sah zu ihrer Herrin, sie würde nie wieder ihr Vertrauen zurückgewinnen, doch das musste sie auch nicht. Sie würde einfach unentbehrlich für sie werden müssen. Egal was es kostete.
***
Mia
Jaswindas Eingreifen kam unerwartet, doch wie gerufen. Selbst wenn ich nicht umhin kam, mich zu wundern. Und zu Sorgen. Was ging in ihrem Kopf vor? Ihr Blick schien nichts gutes zu erahnen, doch ich sah den Kampfgeist in ihr, den ich gesehen habe, als sie ins Feuer hatte rennen wollen, um längst zu Asche gewordene Skelette zu retten. Das versprach etwas gutes zu werden.
„Du meine Güte, kommen sie alle wieder runter", sagte ich, ungefähr genau am Höhepunkt der Spannungsgeladenen Spitze. Alistair hatte bereits die Hand in Richtung seiner Waffe geschoben.
Die Eskalation einer Situation war mir nichts neues. Wie oft war ich solchen Gegebenheiten ausgesetzt gewesen? Der Etikette der hohen Gesellschaft fremd, war ich von einem Fettnäpfchen ins nächste getreten, war mit Menschen konfrontiert worden, die mich dem Namen Lockheart nicht als würdig ansehen.
Doch nie hatte ich eine solche Situation bewusst provoziert. Erst recht nicht einer hoch Schwangeren Frau gegenüber.
„My Lady!", protestierte Jaswinda, als hätte ich sie persönlich angegriffen.
„Sie haben angefangen!", schnitt Sophie ein.
„Ich habe etwas unbedachtes gefragt", lenkte ich ein. Es war Instinkt, oder meine Erfahrung von früheren Gegebenheiten, doch ich wusste genau, was ich sagen musste. „Ich wollte keinesfalls diese Eskalation der Situation erreichen."
Die Augen von Sophies Ehemann verengten sich bei meinen Worten. Mein Tonfall, ruhig und sachlich, fast so, als würde ich einem Kind seinen Fehler erklären, war nicht an ihm vorbeigezogen.
„Mia?" Hades Stimme klang in meinem Kopf wieder und seine Worte verrieten mir, dass er nah war. Auf eine beunruhigende Art und Weise, beruhigte mich das.
„Was hast du vor?"
Was für eine Hades untypische Frage, schoss es mir durch den Kopf, während der Ehemann und ich uns ein Starrduel lieferten. Es bedeutete, dass der gehfolgsame Soldat in ihm, der, der ohne wenn und aber tötete, ein eigenes Wesen entwickelte. Wie problematisch das für mich in der Zukunft noch werden würde, würde sich noch zeigen.
„Der Ring des Mannes, er ist ein Scheich", war alles, was ich zu sagen brauchte.
„Eine kleine Machtdemonstration, Majestät?"
Hades Lachen vibrierte in meinem Kopf und eine Wärme breitete sich in meinem Bauch aus. Er glaubte zu verstehen, der Soldat in ihm übertönte weiterhin jeden seiner Gedankenstränge. Schritt für Schritt, ermahnte ich mich, und Hades war gerade nicht meine größte Sorge.
Es war eine kindische Methode, kein geplanter oder wirklich idealer Plan, aber um mich von Ethan abzuheben, musste ich anfangen mir selbst einen Namen zu machen.
Hades Lachen wurde leiser, weicher, als würde er wissen, was ich genau in diesem Moment dachte.
Ohne es zu wollen, schossen mir beim Klang dieses Lachens Bilder seiner... Verlobten durch den Kopf. Mein Kummer und meine Neugier über diese Verbindung wuchs. Hatte ich ihm unwissentlich eine Zukunft weggenommen, fernab dieser ganzen Brutalität? Einer Zukunft, in der er häufiger hätte so lachen können?
Wer war diese Frau gewesen, die Selbst Ethan einen Sommer lang hatte fest halten können? Wusste ich überhaupt etwas über die Menschen, die in meinen Garten gestorben sind?
Ich schob den Gedanken fort. Nicht der richtige Zeitpunkt, ermahnte ich mich leise.
Genauso wenig konnte ich es mir leisten, meine Gedanken weiter mit der Erwähnung von Ethan's Vergangenheit zu beschäftigen und der Tatsache, dass ich so gut wie nichts über sie wusste.
Denn in diesem Moment schnaubte Sophie und gab mein Stichwort. „Verlogen!"
Sie und ihr Mann drehten sich um, bereit, mit erhobenen Hauptes den Laden zu verlassen.
Meine Augen glitten unauffällig um uns herum, analysierten meine Umgebung und nahmen die Aufmerksamkeit wahr, die Sophies kleiner Ausbruch verursacht hatte. Menschen hatten sich vor dem Laden gesammelt, gelangweilte High Society Menschen, die Blut gerochen haben. Ein Ausbruch aus ihrem Alltag.
„My Lady!", preschte Alistair vor, sichtlich verstimmt über den Lauf der Dinge. Er wollte vorpreschen, die Beleidigung offensichtlich nicht auf dem Namen Lockheart sitzen lassen, selbst wenn es unwissentlich geschehen ist, da die andere Partei nicht um meine Beziehung zu ihrem kostbaren Lord wusste. Eine Beleidigung blieb es nichtsdestotrotz.
"Lady Mia!", mischte sich jetzt auch Jaswinda ein.
Ich hob lediglich die Hand, eine Geste, die beiden galt. Als die Spannung in ihnen weiterhin blieb, wandte ich mich ihnen zu. "Haltet euch zurück." "Aber-", stieß Alistair aus, brach bei meinem Blick jedoch sofort ab.
"Jaswinda, kümmere du dich um meine Klamotten", sagte ich ruhig, schaffte mir somit wenigstens eine potenzielle Bombe vom Hals und machte mich dann daran, Sophie und ihrem Mann zu folgen. "Miss Sophie", rief ich laut aus, so dass meine Stimme durch die dicht gedrängte erste Etage des Einkaufszentrum schallte. Wieso war mir dieser Ort beim Eintreten nur so viel größer erschienen?
Das Paar blieb bei meiner Stimme abrupt stehen, ihre Bodyguards sofort in erneuter Alarmbereitschaft. Was mich jedoch nicht daran hinderte, meinen Kurs genau auf sie beizubehalten, mein Gang erfreulicherweise selbstsicher. Du hast schlimmeres erlebt, gesehen und ertragen, erinnerte ich mich mit jedem weiterem Schritt. Das hier ist nichts. "Sie gehen zu weit", sagte der Mann, kaum, dass ich in Hörweite war, in der man in normaler Lautstärke miteinander kommunizieren konnte. Und doch weit genug war, um nicht die gleiche Luft zu atmen.
"Und sie übertreiben", sagte ich Ernsthaft.
"Das ist doch...", schnappte Sophie, "...sie...wie unhöflich! Ich bin nicht oberflächlich!" Ihre Stimme zitterte beim letzten Wort, so als müsste sie sich ernsthaft zurückhalten, es nicht zu schreien. Innerlich konnte ich nur den Kopf schütteln. Warum schien ausgerechnet dieses Wort eine herbe Beleidigung unter diesen Menschen zu sein, wo es doch so offensichtlich war. Selbst jetzt, in dieser Sekunde, die Blicke der High Society brannten sich förmlich in uns.
Dabei war jeder Mensch doch oberflächlich, (manche mehr als andere).
In meinem Fall, hatte ich die Schlimmsten Fälle der Oberflächlichkeit in meinem direkten Umfeld zu spüren bekommen.
Ich stellte hier keine Kritik gegen irgendjemandem auf, sondern spielte lediglich die Erinnerung in meinem Kopf ab, wie sehr sich die Menschen gegenseitig zerfleischt hatten, um an die Macht zu gelangen, die Ethan ihnen versprochen und gegeben hatte.
Nicht jeder war seiner Honig falle verfallen, doch diejenigen, die sich aus persönlichen, familiären oder politischen Gründen ihr hingegeben hatten, hatten mehr oder wenig keine andere Wahl gehabt, einen teil ihrer Menschlichkeit aufzugeben. Was war ihnen also noch geblieben, außer der Oberflächlichkeit?
Das Gefühl eines Deja Vus überkam mich und ich tat mich schwer, es abzuschütteln.
„Mia?" Hades Stimme füllte erneut meinen Kopf und ließ mich augenblicklich runter kommen. Seiner Stimme rief mir ins Gedächtnis, welchen Weg ich bereits zurück gelegt hatte.
Natürlich würde ich Deja Vus haben, sagte ich mir selbst, dies waren Gedanken, Geschehnisse und Unterhaltungen, die mich seit dem Tag meiner Hochzeit verfolgten.
„Was immer du tust, mach dir dafür nicht die Hände schmutzig. Dafür hast du-"
"Halte dich da raus, Hades", fiel ich ihm sanft und streng zugleich ins Wort. Dieser Moment war nicht sein Kampf.
Inzwischen lag die gesamte Aufmerksamkeit auf Sophie, ihrem Mann und mir. Auf die Bodyguards achtend trat ich so nah an das Paar heran, ohne die Alarminstinkte ihrer Wachen einzuschalten. Ich verschwendete keine Zeit mit einer dramatischen Pause, sondern kam gleich zum Punkt.
„Sind ihre Worte ihre ehrlichen Gefühle mir gegenüber oder entspringen sie lediglich ihrer Wut?"
Von meiner direkten Frage vor den Kopf gestoßen und sichtlich perplex, antwortete die werdende Mutter gerade heraus. „Ja, natürlich!" Ihre offene Ablehnung und das Feuer in ihren Augen bestätigten die von mir erhoffte, absolut ehrliche Reaktion.
Ein neues Bild, rief ich mir selbst ins Gedächtnis, ein wenig verletzt darüber, als verlogen bezeichnet worden zu sein. Du hast diese Szene selbst so auf die Spitze getrieben, Mia, lebe nun mit den, vergleichsweise minimalen, Konsequenzen. Das hier, sollte ein Statement, sowie ein neues Bild für die Zukunft werden. Ein Bild, an das sich jeder erinnern sollte.
„Ich verstehe", sagte ich, mein Mantra innerlich wiederholend, bis ein Gefühl der Ausgeglichenheit durch meinen ganzen Körper strömte. „Ich hätte andere Worte wählen können, wenn ich sie verletzt habe, so tut es mir leid."
Vier einfache Worte. Mehr bedurfte es nicht. Ich senkte bei diesen Worten nicht den Kopf, sah nicht verlegen nach links oder nach recht, sondern hielt mich aufrecht, gerade und meinen Blick geradewegs auf die Frau vor mir fokussiert. Und setzte eine Ehrlichkeit in meinen Ton, die ich, ein wenig zu meiner eigenen Überraschung, auch genau so meinte.
Man sollte niemals versuchen, es jedem Recht zu machen, dass würde bedeuten, andere über sich selbst zu stellen. Gleichzeitig sollte man davon absehen, andere von oben herab zu behandeln, sie in eine Schublade einzuordnen, obwohl man seinen gegenüber nicht einmal kennt. Die feine, aber steil herabfallende Grenze von einfach nur oberflächlich sein, zum Unmenschen zu werden.
„Woher weiß ich, dass Sie es ernst meinen", klinkte sich in diesem Moment Sophie erneut in die Unterhaltung ein. Ich erlaubte mir für einen Moment erleichtert zu sein. Sie hätte nach meiner Entschuldigung einfach weggehen können oder sie gar nicht erst ernst nehmen müssen. Das war jedem Menschen schließlich selbst überlassen. „Weil ich jemand bin, der diese Worte nicht leichtfertig ausspricht." Oder zumindest würde ich so jemand werden. Ich wollte von nun an ein Umfeld erschaffen, in denen ich diese Worte erst gar nicht gebrauchen musste. Jedenfalls nicht Personen wie Sophie und ihren Mann gegenüber. Nicht involvierte Menschen.
„Und Sie sind?", mischte sich da Sophies Mann plötzlich ein und brachte mich zum Lächeln. Er hatte einen vorsichtigen Blick zu seiner Frau geworfen, als ob er sich hatte vergewissern wollen, ob sein Einmischen ok war. Vorhin im Laden hatte es zwar noch anders ausgesehen, aber vielleicht hatte das einfach nur daran gelegen, dass er gespürt hatte, dass außer mir eine weitere, äußerst gefährliche Präsenz anwesend gewesen ist.
Nichtsdestotrotz streckte ich meine Hand zuerst in Sophies Richtung aus. „Mia Lockheart." Nie hatte sich ein Wort so schwer und gleichzeitig so leicht auf meinen Lippen angefühlt, wie dieser eine Name. Von dieser Sekunde an, schalteten meine Sinne auf eine Schärfe um, die alles um mich herum genauestens Wahrnahm.
Ich war keineswegs überrascht, dass niemand etwas aufzufallen schien, und scheinbar niemand in Hörweite die richtigen Schlüssel zog. Wieso auch? Der Name Lockheart ist schließlich nie im gleichen Kontext wie mein derzeitiges Verhalten gefallen. Niemand würde von der Lockheart Familie erwarten, dass sie sich irgendjemanden gegenüber rechtfertigte oder entschuldigte.
Und bestimmt niemand würde damit rechnen, dass die Ausgestreckte Hand eines Lockhearts einfach ignoriert wurde. Zugegeben, Ethan's Einfluss war... einnehmend, anders ließ es sich nicht beschreiben, doch Menschen vergaßen über seine Position hinweg dass er auch nur ein Mensch war. Und das Lockheart zwar für viele Unternehmen und viel Angst und Schrecken stand, doch im Grunde einfach nur ein Name war.
Es wurde Zeit, dass sich das änderte, Schritt für Schritt. Selbst, wenn dass hieß, dass mein Arm darunter leiden musste. Meine Muskeln zitterten bereits und erinnerten mich daran, dass ich eigentlich so gut wie keine Muskeln besaß.
„Sie mögen sich entschuldigt haben, Ms Lockheart", Sophie stockte kurz, runzelte die Stirn, fuhr dann jedoch ungerührt fort, „es ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass sie ihre Worte von vorhin erst gemeint haben."
Langsam, aber bedacht ließ ich meinen Arm sinken und neigte verneinend, sowie bejahend den Kopf.
„In der vorherigen Situation", setzte ich zur Erklärung an, „ja, aber den Rest von Ihnen kann ich schlecht einschätzen, weshalb ich kein Recht dazu habe, sie im allgemeinen Oberflächlich zu bezeichnen."
Es war nur aus dem Augenwinkel, doch ich sah einige Leute in der Massen zustimmend nicken. Es bedeutete Nichts, änderte nichts an meiner Haltung, doch ich schätzte es, dass meine Einstellung hier nicht nur auf Enttäuschung stieß. Viele von unseren Zuschauern hatten sich beim ersten Anzeichen des ausstehenden Kampfes bereits abgewendet.
Sophie, die die Menschen um uns herum wohl erst jetzt wahrnahm, sah die zustimmenden Gesten ebenfalls und ich konnte in ihrem Gesicht ablesen, dass sie ihre eigenen Schlüsse daraus zog. „Verlogen", zischte sie, von null auf hundert erbost und sichtlich gekränkt.
Ich schloss kurz die Augen, nickte jedoch im gleichen Atemzug. Meine Worte hatten sie nicht erreicht, doch das war in Ordnung. Ich war in der Lage gewesen, dass zu übermitteln, was ich hatte übermitteln wollen. Und dieses Wort entsprach nicht mal der Unwahrheit, ich hatte den Köder vorhin schließlich ausgeworfen und mir die Situation anschließend zu Nutze gemacht.
Aber einer dieser Menschen würde eins und eins zusammenzählen können, würde mich in Zukunft irgendwo anders erneut antreffen, sich an mich erinnern, und sich ins Gedächtnis rufen, dass ein Lockheart nicht nur grausam war. Ich wusste, dass ich mir nicht immer die Freiheit nehmen konnte, mich so zu zeigen, doch ich würde es nicht unversucht lassen.
Ich wollte mich umdrehen, in dem Glauben, einen Feind mehr, doch um einen Eindruck reicher gehen zu können, doch wurde abrupt aufgehalten, von einer Silhouette, die sich in meinem Blickwinkel bewegt hatte.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Mann immer als radiant, als einnehmendes Feuer in jedem Raum, jeder Gesellschaft und jeder Umgebung wahrgenommen. Ihn jetzt zu sehen, unauffällig an uns herantretend, nicht mehr presenter als ein Schatten, brachte mein Herz so sehr zum stolpern, dass ich es wortwörtlich mit eisernem Willen gefrieren musste, um mich unter Kontrolle zu halten.
Wie lange stand er schon da?
Trotz meiner Bemühungen durchschaute mich Ethan wie ein offenes Buch. Dabei musste ich selbst zugeben, dass mein Gesicht, welches sich beim Näherkommen in seiner Sonnenbrille widerspiegelte, beeindruckend nichtssagenden wirkte.
Innerlich schrie ich Sophie an, dass sie gehen sollte, doch es reichte ein kurzer Blick, um zu erkennen, dass Ihnen der Weg versperrt wurde... von ihren eigenen Wachen.
„Was zum...", stieß die Frau irritiert heraus, wurde von ihrem Mann mit einer einfachen Geste jedoch sofort zum schweigen gebracht. Wie es aussah, hatte ich ihn anfangs wirklich falsch eingeschätzt. Er schien genau zu wissen, wo er eingreifen sollte und wo nicht.
Kluger Mann. Aber nicht ansatzweise so intelligent wie der Mann, der nun vor mir zum stehen kam. Diese Einschätzung litt zugegebenermaßen unter einer schweren subjektiven Sicht, die sich kurz in meinem Herzschlag spiegelte.
Selbst wenn ich immer noch nicht wusste, ob ich ihn zwischenzeitlich küssen oder schlagen sollte... bevor ich ihm alles nehmen würde.
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