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Mia
Verlobt...
Das Wort hatte plötzlich einen neuen Klang, einen neuen Geschmack auf meiner Zunge.
Wie ein Fremdwort, welches ich in einer neuen Sprache erlernt hatte, erschien es mir ungewohnt, bis ich mir der eigentlichen Bedeutung wieder mächtig wurde. Hades? Verlobt. Der Gedanke ergab keinen logischen Sinn.
Es musste nicht mein Hades sein, sagte ich mir. Es könnte ein dummer Zufall sein, flüsterte ich mir ein. Ich trank von meinem Wasser und wünschte mir plötzlich, es wäre Wein. Wein war delikat, einfach zu trinken und er kam in zwei Farben, in unterschiedlichen Varianten. Und er ließ alles etwas einfacher werden. Zumindest in deinem Kopf.
"Niemand hat ihren Verlobten je wirklich vor der Kamera erwischt, aber es heißt, er sein ein Mitglied der Denaux Familie, oder zumindest eng mit ihr befreundet. Stellen sie sich das mal vor! Vielleicht findet die Hochzeit ja auch auf dem Denaux Anwesen statt." Doch nicht so geheimnisvoll und der letzte Nagel in meinem Sarg.
"Das Denaux Anwesen?" Die Verkäuferin war zurückgekehrt, eine Stange voll von edlen Kleidern, Stoffhosen und Seiden Oberteilen hinter sich herziehend. "Ein wahres architektonisches Meisterwerk", seufzte die Frau. Die Verkäuferin nickte zustimmend.
"Sind das die Kleider für meine Angestellte?", mischte ich mich ein, noch nicht bereit den Namen Denaux in unmittelbarer Nähe von Alistair, Jaswinda... oder mir zu hören.
Die Verkäuferin wurde augenblicklich rot. "Verzeihung, Miss." Alistair gab bei diesem Wort ein leises Hüsteln von sich, was die Frau nur noch mehr in Bedrängniss brachte. Ich zog eine Augenbraue nach oben und warf ihm einen spöttischen Blick zu. Zeigte die Unberührte.
Alistair konterte mit einem Nichtssagenden Ausdruck in seinen gehauenen Zügen, so als wolle er mich still daran erinnern, weshalb er überhaupt hier war. Mein Beschützer und Wachhund, dachte ich grimmig, ohne mir meine Stimmung äußerlich anzumerken. Ich demonstrierte meine stille Rebellion, in dem ich die Verkäuferin wegen des Miss nicht korrigierte.
"Die Klamotten sind für meine Angstellte", wendete ich mich an die Verkäuferin. "Lassen sie sie zuerst umziehen, ich habe Zeit."
"Natürlich, Miss." Die Verkäuferin drehte sich tapfer in Alistairs Richtung. Dieser schob Jaswinda komentarlos zu ihr.
Ich beobachetet wie sie ohne Protest mit der Verkäuferin in Richtung der Gadarobe verschwand, ohne die Stange mitzunehmen. Ich nahm an, dass die Verkäuferin die Klamotten extra für meinen Teint und meine Person ausgesucht hatte, weshalb ich es unkommentiert ließ. Jaswinda sollte lediglich so schnell wie möglich aus ihren. Die Reste der vergangenen Nacht würden dadurch nicht verschwinden, aber zumindest würden sie so nicht mehr an ihr haften.
"Du meine Güte", flüsterte die schwangere Frau neben mir plötzlich. "Sie sind ja von oben bis unten-" Sie unterbach sich, eine leichte Schamesröte ihren Hals hinaufkriechend. "Wir gerieten in einen kleinen Unfall", winkte ich ab, nicht überrascht darüber, dass ihr meine Aufmachung erst jetzt auffiel. "Wir sind auf der Durchreise, weshalb es nur für neue Klamotten und nicht eine heiße Dusche reicht."
Gelogen. Ich hätte jederzeit zuerst eine Dusche nehmen können, eine, die ich dringend nötig hätte. Doch, bevor ich ein Flugzeug stieg, musste ich mich noch um einiges kümmern.
Dieses Kaufhaus war die erste Möglicheit gewesen von Ethan wegzukommen und auf eine Botschaft eines gewissen Jemanden zu warten. Hades voran nach Dubai zu schicken, um mir die nötigen Dokumente zu besorgen.
Die Frau sah nicht überzeugt aus und ich beschloss das Gespräch von mir abzulenken und auf das eigentliche Thema meines Interesse zurückzuführen. Da ich Alistairs Anwesendheit jedoch überdeutlich warnahm und keinen unnötigen Verdacht erregen wollte, ließ ich Hades Namen vorerst weg. Ich konnte nicht sagen, wie viel er darüber wusste und wie er mein Interesse deuten würde.
War sie wirklich Hades Verlobte... Ihre leblose Gestalt grub sich in meine Gedanken und führte mir die Tragweite des Ganzen so plötzlich vor Augen, dass es mich beinahe vom Stuhl riss.
"Sie haben was von einer Romanze gesagt", beeilte ich mich zu sagen. „Mit Mr...?"
„Lord Lockheart! Ja, ein wahrer Herzensbrecher, wissen Sie. Man hat die Beiden hier und dort mal zusammen gesehen, doch offiziell hat er es nie gemacht."
Man hatte sie zusammen gesehen? Es musste ernster gewesen sein als gedacht. Und trotzdem lag sie jetzt wer weiß wo, ihrer strahlenden Zukunft beraubt, von dem Mann, in dessen Armen sie einst gelegen hat.
„Wie lange ging das?", hackte ich nach, Alistairs warnendes Hüsteln ignorierend. Was hatte er schon gegen ein paar harmlose Fragen.
„Einen ganzen Sommer lang", schwärmte die Frau, so als würde sie sich selbst in den Straßen von Paris sehen, Arm in Arm mit einem Mann von dessen Übeltaten noch nicht einmal etwas wusste.
"Mein Mann wünscht sich schon seit Jahren in Kontakt mit Lord Lockheart zu treten", seuftzte die Frau weiter. Unwissentlich, dass sie mein Leben gerade ein bisschen weiter verkompliziert hatte. Ich lächelte sie an. Ruhig trank ich einen weiteren Schluck, zerissen, von meiner Neugier und dem Wunsch ihr zu sagen, bloß Abstand zu den Namen Lockheart und alles drum herum zu haben. "Und warum wäre dies der Fall?", fragte ich sie.
Die Frau begann ein wahres Loblied von Ethan und seinen Kontakten zu singen, während sie gleichzeitig mit Wörtern um sich warf, die sie wahrscheinlich nicht einmal verstand. Zumindest zeigte ihr Gesicht zunehmende Verwirrung bei jedem neuen Wirtschaftswort, welches aus ihrem Mund kam. Ich schätzte ihre Bemühungen, sie hatte all dieses Wissen vermutlich ihres Mannes wegen angesammelt.
Besaßen Ethan und ich eigentlich ein gemeinsames Hobby?
Besaßen wir Gemeinsamkeiten? Außer, dass wir scheinbar verrückt auf einander waren?
„Erfolg, Kontakte, Reichtum." Ich sah in die unschuldigen, blauen Augen mir dieser Fremden Frau, mit einer Ernsthaftigkeit, als würde ich sie schon lange kennen. Man benutzte so eine Ernsthaftigkeit nur bei Menschen, die wussten, damit umzugehen, was normalerweise nicht auf das Profil eines fremden Menschen zutraf. Ich konnte sehen, wie die Frau davon eingenommen wurde. „Ist das alles, was einen Menschen begehrenswert macht? Begehrenswert genug, um ihn unbedingt kennenlernen zu wollen?"
„Sie haben nicht einmal nach meinem Namen gefragt", fuhr ich fort, als die Unbekannte schwieg, „und dass obwohl sie mich angesprochen haben. Es lag nicht in ihrem Sinne, meinen Namen zu erfahren, wieso?"
„Ich...", war alles, was sie darauf antworten konnte.
„Sophie!" Ein gut aussehender Mann um die vierzig, mit hellen Haaren und strahlend blauen Augen betrat den Laden und eilte auf die Frau neben mir zu. „Kaum drehe ich mich um, bist du weg!" Er kniete sich vor sie, mich kaum registrierend und die Sorge in seinen Augen war rührend.
Ich stand auf und ging auf Abstand. Ich hätte zwar gern mehr über Ethan erfahren, doch diese Chance hatte ich mir selbst gestrichen. Außerdem war das ein Moment zwischen zwei Liebenden. So nahm ich jedenfalls an. „Ich bin kein Snob", hörte ich Sophie hinter mir sagen, ihrer Stimme wohl wieder mächtig.
Ich drehte mich langsam wieder um. „Das habe ich auch nicht gesagt."
„Aber gemeint!"
Sie stand jetzt ebenfalls, die Hände zu Fäusten geballt. Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Alistair näher kam. Er würde sich doch wohl kaum auf eine schwangere Frau stürzen?
„Halte dich da raus."
Vermutlich lag es an jahrelangem Training, unglaublicher Beherrschung oder aus einem Mix aus beiden, doch es war dem Schotten hoch anzurechnen, dass bei den Klang meiner Stimme in seinem Kopf er nicht gleich an die Decke ging. Nur seine Augen war der Schock anzusehen. Sie bohrten sich praktisch in den Ring an meiner rechten Hand.
„Sophie, wer ist diese Frau?" Auftritt des Ehemannes, welcher Alistairs Näherkommen sehr wohl bemerkt hatte.
Sophie ignorierte ihren Mann, kapselte sich von ihm ab, als er nach ihrer Hand greifen wollte und stellte sich mir ganz auf sich gestellt. Ein neu gewonnener Respekt schwellte in mir an.
„Na gut", sagte ich langsam, „Sie sind ein Snob. Einer von der klassischen Sorte."
„Wer gibt ihnen das Recht, Menschen zu verurteilen oder in Schubladen zu stecken!"
Ich lächelte. „Erfahrung."
„Entschuldigung, aber was wollen sie von meiner Frau?!" Der Ehemann, dem es einscheinend zu heikel wurde wurde, trat vor, seine Frau praktisch zwingend hinter sich schiebend. Sich erneut in ihren Fokus rückend, sah ich, wie der Kampfgeist und das Potential einer Löwin zurück zu dem eines Kaninchens schrumpfte, ihres Selbstbewusstseins und ihrer Standhaftigkeit beraubt. Beinahe dankbar darüber, kuschelte sich Sophie an die Seite ihres Mannes.
Damit war das Gespräch für mich beendet. Ich drehte mich weg, ich sollte vielleicht mal nach Jaswinda sehen, und irgendwie die Bilder von Ethan und einer anderen Frau und von Hades und einer toten Frau aus meinem Kopf bekommen.
„Ich rede mit Ihnen!", brauste der Mann auf.
Mich erneut dem Paar zuwendend sagte ich lediglich: „Ich habe mich mit ihrer Frau unterhalten, sie sind derjenige, der sich eingemischt hat."
„Sehen sie nicht, dass sie sie aufgeregt haben?! Wissen sie denn nicht, dass man Schwangere Frauen nicht aufregen darf!"
Ich dachte kurz darüber nach, sah zu der Frau und kam zu einem Entschluss. Im Normalfall stimmte das, doch dieses Exemplar vor mir hatte nicht danach ausgesehen, gestresst zu sein. Viel mehr hatte sie lebendig gewirkt.
Doch das war lediglich meine Subjektive Beobachtung.
„Sie haben recht." Seine Aussage war korrekt und diese Diskussion unnötig, selbst, wenn ich sie angezettelt hatte. Dabei wollte ich nur einen genaueren Blick auf Menschen erhaschen, mit denen ich mich seit geraumer Zeit umgab. Mit einem klareren Geist und einem bewussteren Sein.
„Dann Entschuldigen sie sich!"
„Ich entschuldige mich." Drei kleine Worte, mit so viel Macht. Ich war immer noch überzeugt davon, dass der Schlagabtausch von vorhin Sophie nicht im mindesten geschadet hatte, so schlug die schlechter werdende Stimmung ihres Mannes auf ihr Gemüt.
Damit schien die Sache geklärt... bis Alistair auf einmal ausbrach.
„Meine Lady hat sich für nichts zu entschuldigen!"
Und beinahe gleichzeitig: „Lady Mia braucht sie nicht zu entschuldigen!" Eine neu angekleidete Jaswinda stand mit, vor der Brust verschränkten Armen, wie ein wütender Bulle breitbeinig neben der Stange mit meinen Klamotten. Augenscheinlich bereit, sie jederzeit als Waffe zum Einsatz kommen zu lassen.
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