24
Niemand betrat den Bereich des Weißen Königs. Martins Selbstempfang hatte eine Grenze überschritten, von der er genau wusste, dass sie unter normalen Umständen existierte. Die Tatsache, dass ich nicht Gabriel war, schien ihm einen Freifahrtschein verpasst zu haben. Und diesen mit Mut zu verwechseln.
„Professor Martins", durchbrach ich endlich die zum zerschneiden dicke Luft, und drehte mich langsam zu ihm um. Ich wollte, brauchte seine vollste Aufmerksamkeit, um die folgenden Worte so echt wie möglich klingen zu lassen. „Mein Name tut nichts zur Sache, aber das hier schon." Ich hob meine Hand, zeigte ihm den weißen Ring, dessen vertraute, elektronische Anwesenheit sich erneut in meinem Körper bemerkbar gemacht hatte, kaum, dass ich das Abteil betreten habe. „Der Name Denaux muss ihnen nichts bedeuten. Es steht ihnen frei zu ignorieren, was meine Familie über die Jahre hinweg aufgebaut hat. Sie können ignorieren, dass ich ein neues Mitglied dieser Familie bin und mich weiterhin als Ms Ryan betrachten, selbst wenn sie mich laut anders nennen. Sie können ignorieren, dass, wenn sie diesen Raum verlassen, auch ohne diesen Ring, es einem gewissen Mitglied meines Hofstaats keine dreißig Minuten kosten wird, ihnen einen Besuch abzustatten, um ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, wo sie erwünscht sind und wo nicht."
„Der Ring erleichtert mir lediglich alles."
Hier legte ich eine kleine Pause ein, schob meine Hände in meine Hosentaschen und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Fenster. Nutzte die sanfte Kühlung dazu, mich zu Ankern.
Ich sah es nicht, immerhin konnte ich mich nicht von außen betrachten. Doch ich spürte, wie mein Blut kalt wurde und jegliche Emotionen aus meinem Gesicht verschwanden, und mein Blick hart wie Granit wurde. Es war ein ungewohntes, aber kein neues Gefühl. Und es bedurfte keiner Analyse von mir, um zu wissen, dass meine folgenden Worte besser unberührt von anderen Emotionen blieben.
„Das was sie gerade getan haben, war mehr, als nur einen Schlüssel zu bringen." Ich sah zwar keinen Schlüssel, aber ich war zu der Schlussfolgerung gekommen, dass er anders diesen Ort nicht hätte betreten können. Und dass das wahrscheinlich seine zurechtgelegte Tarnung war, die er mir später hätte vortragen wollen. „Und dass wissen sie. Falls sie das nicht tun, dann gehen sie raus und fragen jeden, der ihnen begegnet, was es für Konsequenzen nach sich zieht, eine Denaux auf eine derartige Art und Weise zu beleidigen."
Ich sprach das letzte Wort in keinem anderen Ton aus, wie alles andere auch. Dennoch entzog es jegliche Farbe aus Martins Gesicht. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, gleich zwei Predigten an einem Tag zu halten. „Was soll es sein, Professor Martins?", fragte ich, als dieser es vorzog den Mund zu halten. Sein mahlender Kiefer und starrer Blick waren seine einzige Reaktion. Es war nicht viel, doch ich ließ es dabei und ließ ihm die Zeit. Jemandem zu Drohen war Neuland für mich und die Spielregeln teils gewöhnungsbedürftig, teils noch gänzlich unbekannt. Mein dunkler Sarkasmus rekelte sich wie eine dunkle Schlange und reckte züngelnd ihren Kopf. Ich pfiff ihn zurück wie einen Hund, der einem ausgerissen war.
"Drei Antworten, Madame Denaux."
Drei Antworten? Auf was mein Lieber.
Meine Frage musste mir im Gesicht gestanden haben, denn er fügte hinzu: „Auf jede Frage, Angelegenheit die sie interessiert. Ich war mit Gabriels Geschäften sehr vertraut, auch wenn mir nicht die Ehre zuteil gekommen war Mitglied seines Hofstaats zu sein.".
Ein billiger Deal und eine Lüge, dass wussten wir beide. Wem wollte er etwas vormachen, wenn er sogar wusste, wo Gabriel den Schlüssel zu diesem Ort aufbewahrte. Doch es war mir nicht gelegen, diese Situation mehr in die Länge zu ziehen, als unbedingt nötig. Den Kopf neigend ging ich zu der Sitzgruppe und setzte mich in einen der Sessel, was Professor Martins dazu zwang, sich auf die Chaiselongue niederzulassen. Professor Martins war groß und er besaß nicht Ethans, oder Gabriels, natürliche Eleganz, was ihn seltsam deplatziert aussehen ließ. Alistairs Person schoss mir kurz durch den Kopf und beinahe hätte ich angefangen zu lachen. Ihn auf dem zerbrechlich, antiken Schmuckstück zu sehen wäre so, als würde man einem Schwan Kampfbemalungen aufmalen.
Professor Martins versteinerter Gesichtsausdruck wandelte sich von ausdruckslos, zu Beunruhigung. Er jetzt bemerkte ich, dass meine Mundwinkel hochgezogen sind. Alistairs Bild hatte mich wirklich zum Lächeln gebracht. Die Beunruhigung war inzwischen von Martins Gesicht verschwunden, doch sie hatte mich auf eine Idee gebracht.
Trotz der unbewussten Natur meines Lächelnd und der Tatsache, dass es wirklich fehl platziert aussehen musste, ließ ich es wo es war. Und, nach einem erneuten kurzen Überblick meiner Möglichkeiten, entließ ich Martins schließlich mit den Worten: „Ich werde darauf zurückkommen."
Nicht nur, dass mir gerade keine Fragen einfielen, die es Wert wären, gestellt zu werden. Ich hatte das unbeirrte Gefühl, dass der Professor kein besonders geduldiger Mensch war. Und das es ihm mehr quälen würde, eine Situation oder einen Konflikt nicht abschließen zu können.
„Mit Verlaub Madame, dass soll gänzlich jenen überlassen sein." Der Professor zögerte dieses Mal keine Sekunde. Weggewischt waren die Beunruhigung und die dunklen Gewitterwolken in seinen Augen. Vor mir hatte nun erneut der Charmante Leiter des the Heaven Institutes Platz gefunden, den ich heute morgen und bei jeder offiziellen Veranstaltung in der Vergangenheit zu Gesicht bekommen habe. Die Metamorphose war so schnell geschehen, dass ich mir wünschte eine Tasse Tee oder Kaffe zur Hand zu haben, einfach um zwischen diesem schnellen Wechsel an Persönlichkeiten eine kleine Atempause zu haben. Es war, als hätte ich soeben drei verschiedene Versionen von ihm kennengelernt.
„Vielleicht wäre es ihnen recht, dann die letzten Formalitäten ihrer Rückkehr zu klären?"
Wohl eher drei verschiedene Personen, korrigierte ich mich.
Dachte er, dass das bei mir zog? Dass sein gutes Aussehen und sein Charme mich einnehmen würden? Menschen waren bizarre Wesen. Mein Lächeln kippte, so dass es an Intensität verlor, jedoch nicht gänzlich verschwand. Nur so fiel, dass ich mich selbst noch im Spiegel würde begegnen können, ohne Martins zu offenbaren dass seine Person mir erhebliche Gänsehaut verpasste. Die Art, die man bekam, wenn man in der letzten Abendvorstellung eines Horrorfilmes saß, in dem Bewustsein, später noch nach Hause zu müssen. Queens bei Tag konnte schon anstrengend sein, doch bei Nacht glich es einem Pakour.
"Die da wären, Professor?"
"Ihre Unterkunft-"
"Ist Tadellos."
"Die Einrichtung?"
"Ist erledigt."
"Ihr Stundenplan?"
"Zu meiner vollsten Zufriedenheit?"
"Wie kommen sie mit ihren Mitschülern zurecht?"
"Dass zählt wohl kaum zu den offiziellen Formalitäten, Professor."
"Ich habe gehört, sie haben eine Angestellte mitgebracht?"
"Notwendigerweise."
"Ist sie-"
"Bereits einquartiert."
"Benötigen sie Hilfe bei der Neuanmeldung ihrer Krankenversicherung?"
"Nein, um die Formalitäten kümmert man sich bereits." Mental setzte ich mir eine Notiz, morgen im Krankenhaus nachzufragen. Oder Jaswinda darau anzusetzten. Arbeitet nicht einer von Killians engeren Freunden in der Krankenhausverwaltung?
"Wo waren sie das letzte Jahr über gewesen?"
Mein Atem stocke, und ich konnte mich gerade daran hindern, das erste, was mir durch den Kopf schoss auszusprechen. "Familiär unterwegs", antwortete ich schließlich, ohne mir mein Zögern anmerken zu lassen. Das lag sogar sehr nah an der Wahrheit, an die Martins anscheinend begierig war, dran zu kommen. Innerlich klopfte ich mir angesichts meines geschmeidigen Tonfalls auf die Schulter.
Die besten Lügner halten sich immer so nah wie möglich an die Wahrheit, dass lässt ihre Emotionen am souveränsten erscheinen. Und wenn die Wahrheit zu weit entfernt liegt, dann macht man die Lüge zu einer Wahrheit. Unser Gehirn kann Vorstellung von Realität nur schwer unterscheiden, hast du mich verstanden, ma petit ange?
Laut und deutlich, Maman. Inzwischen hörte ich ihre Stimme immer weniger, doch kam ab und an noch in den Genuss ihrer Weisheiten, die ich sorgfältig abspeicherte. Jetzt mehr denn je, mit dem Wissen, dass sie eine Meisterin auf dem Gebiet ihrer eigenen Lehren gewesen ist.
Ich stand auf, um mir eine Tasse von dem Tisch zu holen, an dem der Professor bei meinem eintreten gesessen hatte. Der Kaffee in der French press musste schon längst fertig gezogen haben und das Frage Antwort Spiel des Professors hatte ihn nah genug an eine Antwort getrieben, die ich ihm nicht geben würde, so dass ich meinem Kopf ein bisschen Zeit und Ablenkung geben wollte. Der Mann hatte Erfahrung, erinnerte ich mich. Genau wie Maman, oder Tante Cloe, war er gut in dem was er tat, ansonsten wäre er wohl kaum der Leiter dieses Ortes.
Ich schenkte mir einen guten Schuss Kaffee in die filigrane Kaffeetasse, dessen Henkel ein gebogener Schwanenhals darstellte, dessen Kopf auf dem Tassenrand ruhte. Gabriels Geschmack wurde von Sekunde zu Sekunde kurioser. "Wollen sie das genauer spezifizieren, Madame?" Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Martins sich zurückgelehnt hat, und die Beine lässig übereinander schlug. Er lebte sich richtig in seine neue Rolle ein. Sein neu erwachtes Selbstvertrauen gefiel mir gar nicht. Ich drehte mich zu ihm um und nahm gleichzeitig einen Schluck.
Dumm. So dumm. Der süßliche Geschmack, der mit dem Kaffee meine Speiseröhre hinabfloss war unverkennbar. Zumindest nach der sofortigen Reaktion meines Körpers, der plötzlich heiß und kalt wurde. Eine vertraute Reaktion, wie nach der entscheidenden Dosis, die mir Jaswinda verpasst hatte. Gift.
Ich setzte die Kaffeetasse mit einem leisen klang von Porzellan auf Porzellan auf dessen Unterteller ab. Meine Gedanken rasten. Wie hatte ich nur so einen Anfängerfehler in der Gegenwart dieses Mannes begehen können. Diese Demonstration von Naivität konnte, würde mich den Kopf kosten. Sie war alles war Martins brauchte, um auch die anderen, lauernden Bastarde auf mich anzusetzen. Atme, Mia. Tief durchatmen, denk nach. Erfinde was. Mach was. Egal was. In meinem Kopf sah ich von der Tasse zurück zu Martins, während ich in der Realität es nicht wagte, von Martins wegzusehen. Dieser Mann hatte mich soeben vergiftet. Wer sagte mir nicht, dass er nicht einfach eine andere Waffe ziehen würde, wenn ich jetzt wegsah. Ein rationaler, wie irrationaler Gedanke. Dass ist es noch, was er will, sagte ich zu mir selbst in Gedanken. Er möchte die Angst schüren. Oder dich umbringen. Wenn man darüber nachdachte, ein strategisch riskanter, wie teuflischer Schachzug. Er hatte soeben demonstriert wie einfach er sich an Gabriel Sachen hatte vergreifen können. Und das mit einer solchen Dreistigkeit, dass er einen Ass im Ärmel haben musste, von dem ich nichts wusste. Weshalb sonst würde er nicht nur einfach hier eindringen, sondern mich obendrein auch noch vergiften. Innerlich tief Luft holen, musste ich mir eingestehen, dass ich an eine Grenze gekommen war.
In die Ecke gedrängt, ersann sich mein Kopf daraufhin nur eine einzige mögliche Lösung. Ohne das Gesicht zu verziehen und ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, hob ich die Tasse und nahm einen erneuten Schluck. Martins sanftmütiges Lächeln verrutschte kein Stück. Lediglich das Leuchten in seinen Augen flackerte ein wenig. Als ich den mit Gift versetzten Kaffee schluckte, senkte ich die Tasse, setzte sie jedoch nicht ab. Stattdessen fuhr ich mit dem Zeigefinger erst den dessen empfindlichen Rand entlang, bevor ich mit dem Nagel, in einem rhythmischen takt, dagegen schlug. In der Stille hörte es sich wie das Ticken einer Uhr an.
Das Gift wirkte schnell, ich spürte wie meine Eingeweide sich zusammenzogen, doch es war nicht tödlich. Oder jedenfalls nicht stark genug, um gegen das sofortige einsetzen der Entgiftungs Aktion meines Ringes etwas entgegenzusetzen. An dieser Stelle sandte ich meinen leisen Dank ebenfalls an Jaswinda, dessen Giftattacke gegen mich einen Teil des Überraschungseffektes jetzt nahm, der mich mit der Hitzewelle traf, in der das Gegengift, ausgesandt von meinem Ring, gegen das Gift des Professors trafen.
Innerlich mit zusammengebissenen Zähnen, nahm ich einen dritten Schluck. Mit hochgezogenen Augenbrauen, setzte ich die Tasse schließlich ab. "Immer noch nichts?", fragte ich den Professor in einem spielerischen Ton. Bevor ich meine Stimme bis unter den Gefrierpunkt kippen ließ. "Sie enttäuschen mich."
"In wie fern Madame Denaux?" Am liebsten würde ich seinen unschuldigen Gesichtsausdruck vom Gesicht kratzen. Aber ich fürchtete, den kürzeren zu ziehen und zwang mich meine aufsteigende Unruhe, sowie meine Wut runterzuschlucken. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das brennen in mir, welches mit der Sekunde intensiver wurde, jedoch meine Sinne von allen ungebetenen Emotionen ablenkte.
„Ich hatte gehofft, dass wir zu einem Einverständnis kommen." Das fehlende Bedauern in meiner Stimme war nicht nur mir aufgefallen.
Diesmal war er es, der die Augenbrauen hochzog. „Ich fürchte sie irren sich, denn ohne mich würden sie ein Loch in ihrem Informationsmetzwerk haben."
Ich lachte auf. Und spuckte gleichzeitig ein wenig Blut aus. Ungerührt lehnte ich mich gegen den Tisch. „Informanten muss man vertrauen können. Ich bin ihnen mit Ehrlichkeit begegnet und werde von ihnen vergiftet."
Martins lehnte sich vor. Einen durchdringen Ausdruck in den Augen. „Wo sind sie das letzte Jahr gewesen."
„Familiäre Geschäfte", gab ich ihm die selbe Antwort.
Seufzend schüttelte der Professor den Kopf. Und erhob sich dann langsam. „Das ist nicht die Antwort auf die ich gehofft habe."
Obwohl mein Keyschlüssel noch damit beschäftigt war, das Gift in Schach zu bekommen, zweigte ich etwas von der Kapazität ab, um nach dem Keyschlüssel des Professors zu suchen. Nur das er keinen trug.
Ein düsteres Lächeln kratzte direkt unter meiner Oberfläche.
Was nun? Das Gefühl in die Ecke gedrängt zu werden hatte sich vervielfacht und das beklemmende Gefühl fraß sich statt des Giftes ätzend durch mich.
Das war nicht, wie ich mich zeigen würde. Und wollte. Ich rief mir bewusst das Bild des verbrannten Dorfes vor Augen, während Martins sich vor mir aufbaute. Das Schreien und das Flehen in den Ohren, hörte ich fast nicht, was Martins sagte. „Eine Schande, wirklich, aber sie sind jung. Sehr jung."
Sein Blick aus funkelnden Augen war so auf mein Gesicht fixiert, dass ich problemlos denk Henkel der French Press zu fassen bekam, die sich direkt hinter meinem Rücken befand. Der Oberkörper des Professors war gesenkt, so dass es kein Problem darstellte, auszuholen und seinen Kopf zu treffen.
Nur das es nicht nötig war. Eine vertraute Präsenz füllte meinen Kopf und ich lockerte augenblicklich meinen Griff, während Martins Hand sich auf meinen Hals zubewegte. „Das Gift sollte sie jeden Moment paralysieren, trotz ihres kostbaren Ringes", lachte er leise und warm, als würde er einen Witz reißen.
Wie konnte er so viel über die Funktion des Ringes Bescheid wissen?
„Wie gesagt", sagte ich laut, meine Miene unverändert, „eine Enttäuschung." Der Professor hatte keine Zeit sich aus meinen Worten einen Reim zu machen, bevor er nach hinten gerissen und brutal gegen eines der Fenster geschleudert wurde. Wie Hades es geschafft hatte, unbeobachtet hinter ihn zu kommen, konnte ich nicht sagen.
„Du hast nicht den Befehl erteilt." Erklang es düster in meinem Kopf. Er musste die French press nicht ansehen, damit ich wusste, was er damit meinte. Gleich bei meinem Eintreten hatte ich ein stummes Signal an meine Königin geschickt. Ich war nicht dumm. Auch wenn ich nichts lieber getan hätte, als Hades den Tag frei zugeben.
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