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Angst hatte viele Formen, doch die Bekannteste war wohl die Angst vor dem Unbekannten. Ein beklemmendes, banges Gefühl, welches das Herz zusammendrückte und einem die klare Sicht raubte. Jaswinda ertrank in dieser Art von Angst, denn sie konnte sich nicht einmal ausmalen, welche Folgen ihr Handeln nun nach sich ziehen würde. Sie bezweifelte, dass sie ein schnelles Ende finden würde.
Und sie bezweifelte, dass sie ein ruhiges Ende finden würde.
"Wer bist du?"
Nach zwei Mal fragen, hatte sie geglaubt, er würde aufgeben. Nach Elf Mal hatte sie geglaubt, er würde irgendwann verstehen, dass sie nicht mit ihm reden, geschweige denn ihm antworten würde. Jetzt, beim dreiundzwanzigsten Mal, verstand Jaswinda, dass das Scheusal, an das Iwan sie verkauft hatte, nicht aufgeben würde.
Wieso denn auch, schließlich gab es in dieser Höhle nichts anderes zu tun. Ihre zwei Aufpasser, zwei von Kopf bis Fuß eingehüllte Gestallten, hatten sie gefesselt zurückgelassen und sich irgendwo nach draußen zurückgezogen. Am liebsten hätte sie es ihnen gleichgetan, allein schon wegen der erdrückenden Hitze, die scheinbar von den Höhlenwänden gespeichert wurde. Hauptsächlich jedoch, um von diesem Mann wegzukommen... und den zwölf anderen, die hier ebenfalls gefesselt lagen. Männer, die sie seit ihrer Ankunft nicht aus den Augen ließen. Unter den Zwölf befanden sich außerdem auch drei Frauen, aber ihre Hasserfüllten Blicke waren nicht besser.
Wenn Jaswinda es sich genau überlegte, waren sie sogar schlimmer. Auch wenn sie nach ihrem Äußeren schon einige Tage hier verbracht hatten, verrieten ihr trotzig vorgerecktes Kinn, das Kalkulierende in ihren Augen und die Reste von Reichtum an ihnen, wie etwa ein Perlenohrring oder eine vergessene Haarklammer aus Diamanten in den verfilzten Haaren, ihren ehemaligen Status hier in der Wüste. Bordellbetreiberinnen, Sklaveneintreiberinnen, Frauen, die ihr eigenes Geschlecht verraten hatten eben.
"WER BIST DU!" Jaswinda zuckte zusammen und kauerte sich augenblicklich enger in ihre Ecke. Das Scheusal hatte sich, so weit es seine Fesseln zuließen, aufgerichtet und funkelte sie manisch an. Die mehr schlecht, als recht verbundene Hand zu einer Faust geballt. Das schmutzige Tuch hatte sich blutrot verfärbt.
Er war nah genug, dass sein Speichel sie im Gesicht traf. Ihr wurde zitternd Schlecht. Auch wenn er sie Physisch nicht mehr berühren konnte, hatten seine wiederwertigen Griffe Spuren an ihrem Hals, ihren Handgelenken, sowie an ihren Armen und Knöcheln hinterlassen.
"Niemand",krächzte sie, ihre Stimme schwach von all den unterdrückten Schreien. Er sollte aufhören, angefangen, weil er die Aufmerksamkeit der Anderen weiter auf sie lenkte. „Ich bin ein Niemand", sagte sie noch mal mit Nachdruck, als das Scheusal sie einfach weiterhin anstarrte.
"Sieht man das nicht", meldete sich plötzlich eine der Frauen zu Wort. An ihrem rechten Ohr funkelte im starken Schein der Laternen ein Perlenohrring und an ihrem Handgelenk klimperte ein Bettelarmband. Sie hatte sich mit einem dunklen, lebendigen Funkeln in den Augen aufgerichtet. Weiß der Teufel wie lange sie schon hier war, doch die Neulinge mussten eine willkommene Ablenkung für sie sein und ein Ventil, ihre Boshaftigkeit auszuleben.
Beim Anblick der vielen Anhänger ihres Bettelarmbandes stand die Zeit um Jaswinda herum still und sie glaubte zunächst, es handle sich lediglich um einen schlechten Scherz. Doch das Armband verschwand auch dann nicht, als sie mehrfach blinzelte.
Es brannte sich in Jaswindas und ihr Kopf beschwor alte Bilder hervor. Bilder eines fast identischen Armbandes, welches bei einem ihrer unfreiwilligen Verkäufe an einen der Maskierten Männer einen weiteren Anhänger erhalten hatte. Bordellbesitzerinnen zeigten so ihren Kunden und ihren Konkurrenten, wie hoch sie zurzeit im Kurs standen.
Diese, schien ordentlich im Geschäft gewesen zu sein und Jaswinda konnte sich lebhaft vorstellen, wie viele Junge Frauen, Mädchen unter ihr gelitten haben müssten.
„Sie ist eine Hure", fuhr die Frau nach einer kurzen, dramatisch inszenierten Pause fort. „Eine dreckige, kleine Hure, die den Worten eines Freies zu viel Glauben geschenkt hatte, nichts weiter."
Die ohnehin schon stickige Luft in der Höhle, war mit einem Mal kaum mehr auszuhalten. Phantom Hände griffen nach Jaswinda, rissen an ihren Kleidern, erstickten ihre Schreie und rissen frische, wie bereits vernarbte Wunden erneut auf. Von irgendwoher ertönte das Echo eines hässlichen Lachen und Iwans giftige Worte. „Sie fickt sich gut." Ein Gegenstand, genau das war ich für diese Menschen. Und genau das würde ich wohl für immer bleiben.
Es war böswillige Ironie, dass gerade das Scheusal dem Widersprach.
"Wegen einer Hure würde ich mich wohl kaum hier befinden!", zischte er und wendete sich von ihr, der Bordellbesitzerin zu. „Wegen einer einfachen Hure, hätten nicht meine gesamten Männer dran glauben müssen!"
Die Frau neben der Bordellbesitzerin schnaubte. Ihr hämisches Kopfschütteln brachte die Diamantenhaarspange in ihren verfilzten, schwarzen Haaren zum glänzen. "Das erkennt man doch auf den ersten Blick, wenn du zu dumm bist und dich von so einer austricksen lässt, dann ist das deinem Schwanzgesteuerten Gehirn zu verschulden." Sie sprach, als wäre sie dabei gewesen und als wüsste sie genau, weshalb wir hierher gebracht worden waren. Sie sprach, als wüsste sie nicht, dass diese Höhle das Gefängnis des Kommandanten war. Würde sie es wissen, so sähe sie bestimmt nicht so entspannt und schadenfroh aus.
Jaswinda beobachtete, wie die Hautfarbe des Scheusals erst rot wurde, um dann in ein tiefes Violett überzuwechseln. Venen traten an seinen Schläfen hervor und seine Kiefer malten lautstark. Sie wünschte, sie könnte sie ihm brechen. Erstens wegen der Geräusche, zweitens wegen der Befriedigung, die sie dadurch erhalten würde und drittens um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Aber das Leben war ihr noch nie gut zugetan gewesen und so beobachtete sie hilflos, wie das Scheusal den Mund öffnete.
"Ich sag dir", begann er langsam, "dass sie keine einfache Hure sein kann! Ansonsten würde sie in diesem Augenblick unter meinen Männern herumgereicht werden! Und ich wäre nicht hier!" Die beiden Frauen lachten, als würde der letzte Satz nicht ebenfalls auf sie zutreffen.
"Was denn? Bist du etwa nicht zum Zug gekommen!"
Jaswindas Hände ballten sich zu Fäusten. Doch sie schwieg. Ohne Ehre, die sie würde verteidigen können, was brachte es da, irgendetwas zu sagen. Trotzdem, erinnert zu werden, wer sie war, und das so kurz bevor dem Ende... hatte sie das wirklich verdient? Die Antwort lag auf der Hand.
„Und das von jemanden, die selbst einst willenlos unter Männern lag", gebar das Scheusal mit immer höher schlagenden Zorn auf, woraufhin die Frau wutentbrannt aufschrie. Wo waren die Aufpasser? "Wenn du wüsstes, wem ich unterstehe, würdest du dich nicht einmal mehr wagen zu atmen", züngelte sie. "Wer auch immer es ist, es wird ein Mann sein, für den du Beine breit gemacht hast. Für anderes sind Frauen ja nicht gut!" In seiner Rage bäumte sich das Scheusal auf.
Die ruckartige Bewegung des Scheuslas zog an dem Strang, mit de er und Jaswinda zusammengebunden worden waren. Auf dem Weg hierhin hatte sie ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, sich während der Rückfahrt zu erdrosseln, als auf ihr Ende zu warten und noch eine weitere Sekunde gezwungenermaßen an ihn gebunden zu sein, zwar bewegungsunfähig, da seine Arme, im Gegensatz zu ihr, an seinen Oberkörper festgebunden waren, aber dennoch. Letztendlich hatte sie keinen Weg gefunden, diesen Gedanken praktisch umzusetzen und befand sich nun zwangsweise in dieser Lage.
Ihre zusammengebundenen Handgelenke folgten schmerzhaft der Bewegung des Stricks. Sie verlor das Gleichgewicht und kippte seitlich hin. Ihr Kopf berührte dabei beinahe den Oberschenkel des Scheusals. Sie wollte wegrutschen, doch das Scheusal war schneller. Es hatte das Bein gehoben, grätschte es und klemmte ihren Hals am Boden fest. „Ich hatte meinen Männern eine Freude machen wollen", fauchte er sie an. "Iwan hätte dich töten sollen. Hätte ich vorher gewusst, was für einen Ärger du einbringst, hätte ich dich Iwan erst gar nicht abgekauft! Du bist Schuld, dass ich jetzt hier bin!"
Jaswindas Kopf wurde leer, als die Panik sie überrollte. Ihr Atem ging schneller und sie bäumte sich wie ein wild gewordenes Tier auf. Sie wollte nicht von ihm berührt werden. Sie wollte nicht von ihm angesprochen werden. Und sie wollte nicht von ihm beschuldigt werden! Von niemanden. Sie griff mit ihren Fingern nach dem Strick und zog ihrerseits daran. Ohne eine Möglichkeit sich festzuhalten, kippte das Scheusal und verlor kurzzeitig die Anspannung im Bein, mit dem er sie am Boden fixierte. Hastig schob sie es von sich, holte aus und schlug blind nach ihm, um ihn ja außer Reichweite zu bekommen. Die traf die Hand, die der Kommandant mit der Machete aufgespießt hatte. Das Scheusal brüllte. Ob sie es nun verdient hatte oder nicht, in dieser Höhle war niemand besser als sie.
Zudem waren sie alle gefesselt und sie alle sahen gebadet in ihren eigenen Extrementen, ihrem eigenen Schweiß wie Versager aus und rochen mindestens Zehn Mal schlimmer.
Jaswinda hatte in der Vergangenheit oft in solchen Gruppenräumen gefangen gelegen, weshalb ihr nicht gleich die Nasenhaare wegätzten.
Das Blut rauschte ihr in den Ohren und Worte begannen wie ein Strom aus ihrem Mund zu fließen. "Haltet die Klappe! Haltet einfach euren verdammten Mund und seit in Gottes Namen einmal in eurem Leben still! Wer auch immer ihr geglaubt habt in eurem früheren Leben zu sein, ihr seid es nicht mehr. Und was mich angeht", sie wendete sich dem keuchenden Scheusal zu, "Ich.Bin.Ein.NIEMAND!" Ihre Brust hob und senkte sich schwer, Tränen tropften aus ihren Augenwinkeln, Hitze hatte sich in ihrem Kopf eingenistet und ihre Fäuste öffneten und schlossen sich zitternd. Ihr war soeben entgültig die letzte Sicherung durchgebrannt.
"Das Mädchen hat recht", sagte einer der anwesenden Männer unvermittelt und unterbrach damit die Bordellbesitzerin und das Scheusal in ihrer anhaltenden Sprachlosigkeit. Er hob träge den Kopf und sein Turban neigte sich dabei gefährlich zur Seite. Die Bewegung wirkte belastend für ihn. „Ihr streitet euch hier wegen unnützer Angelegenheiten, wenn es doch auf das gleiche hinauskommt." Er nickte zu dem Mann, der ihm am nächsten lag. Bewegungslos. Jaswinda blinzelte, ihr Kopf weiterhin eine einzige Teergrube an belastenden Gefühlen, doch ihr Herzschlag verlangsamte sich bei dem Anblick des bewegungslosen Körpers.
"Er macht sich doch deswegen verrückt", fauchte die Frau mit der Haarspange und klang dabei wie ein Kind. Ihr dunklen Augen flogen hasserfüllt zu Jaswinda, die dies jedoch nur am Rande wahrnahm, da dass Bild des Körpers sie zu sehr störte, als dass sie den Blick hätte abwenden können. „Wir verrecken", sagte der Mann leise, zog sich den Turban vom Kopf und schleuderte ihn auf den still liegenden Körper. Jaswinda war zu abgestumpft, um zusammen zu zucken oder sich weiterhin zu fragen, ob die zwei Handlanger des Kommandanten wohl jemals zurückkommen würden.
Sie registriete lediglich zwei Dinge. Erstens, dass neben dem still liegenden Körper noch weitere waren und dass die Kleidung des Mannes zwar den Anschein eines Wüstenmannes erweckte, doch dass seine Stimme einen leichten europäischen Akzent aufwieß. Ihr Kopf arbeitete. Irgendetwas tat sich vor ihr auf, ein Bild, dass sich langsam Zusammen puzzelte.
"Sei still", meldete sich die Bordellbesitzerin zu Wort und schüttelte vehement den Kopf. Das Licht verfing sich dabei in ihrem Ohrring und eine weitere Auffälligkeit grub sich von irgendwoher aus dem Teer in ihr. Der Ohrring schimmerte nicht strahlend weiß, wie Jaswinda zunächst gedacht hatte, sondern in einem blassen blau. Eine spezielle Färbung, die man gehäuft im Norden fand.
Jaswindas Dorf lag an der Grenze zu den Nord- Gebirgen, obwohl es natürlich kein Vergleich mehr zu früher war, waren die Einheimischen Dörfer sich auch heute noch nicht wohlgesinnt. Der Tiefe Norden blieb normalerweise ganz für sich. Sie waren an ihren Traditionen hängen geblieben und ausgesprochen stolz auf ihre Seidenproduktion, mit der sie vor hundert Jahren noch wirklich etwas zu sagen hatten. Sie unterstellten sich normalerweise niemanden außerhalb ihres "Territoriums", welches sich merklich verkleinert hatte. Wieso nur hatte Jaswinda das Gefühl, etwas nicht ganz zu greifen zu können. Es rutschte ihr immer wieder durch die Finger.
"Ich kenne Mädchen wie sie", fuhr die Bordellbesitzerin fort und kam abrupt auf das alte Thema zurück. Das aufblitzende Zähneflätschen war eindeutig an Jaswinda gerichtet. "Ihre Augen sind Tod. Was kann jemand wie sie schon sein, außer eine Hure, die nichts anderes gelernt hat, außer die Beine breit zu machen." Ihr Lachen hallte laut durch den kleinen Höhlen Raum und offenbarte einen gewissen... Wahnsinn.
"Wir drehen uns im Kreis, weil du die Augen davor verschließt", knurrte der Mann und sein Akzent wurde einen Nuance deutlicher. „Du willst nicht wahrhaben, dass die große Asifa Malika es ebenfalls erwischt hat!"
„Scheiße! Sind alle hier etwa krepiert? Ich will hier raus!", brüllte das Scheusal und zog an seinen Fesseln. "Oder den genauen Grund kennen, weshalb ich hier bin. Und Ich bin wegen Ihr hier, jetzt fehlt mir nur noch das Wieso!" Das Scheusal hatte es geschafft, sich wieder soweit aufzurichten, dass sein Gesicht nicht mehr im Dreck lag.
Bei seinen Worten vibrierte es in Jaswinda und das Fehlen ihrer eben durchbrochenen geistigen Gesundheit machte sich wieder bemerkbar. Was immer sie vorhin auch hatte verstehen wollen oder beinahe zusammengeknüpft hätte, wurde von der Teergrube in ihrem Kopf erbarmungslos verschluckt. Wieso verstand er nicht, dass sie selbst nicht wusste, weshalb sie hier war. Der Kommandant hätte sie an Ort und Stelle töten können.
Weswegen fühlte sie sich überhaupt genötig, ihm zu antworten?! Wieso glaubte er, dass sie ihm übehaupt antworten würde! So ging es weiter und die Teergrube breitete sich in Rekordzeit weiter aus, bis sie das Gefühl hatte, in ihr ertrinken zu müssen.
Sie hoffte, ihr Schweigen würde dem Scheusal vermitteln, dass sie nicht gewillt war, mit ihm zu reden. Doch er hatte es die vorherigen Male schon nicht verstanden, wehsalb sollte er es also jetzt tun.
"Wieso kam er persönlich, um dich zu holen. Wieso hat er dabei meine ganzen Leute als Vergeltung umgebracht. Und wieso hat der Kommandant von einer Sie gesprochen!"
Stille legte sich über die Höhle. Jaswindas Züge verhärteten sich, als sich die Augen der Anderen mit einer Zementschweren Last auf sie legten. „Der...Kommandant?", hauchte die Bordellbesitzerin, der Blick nach innen gerichtet.
"Wovon sprichst du?", fragte der Mann mit dem Akkzent. "Wenn du die Mumien da draußen meinst", sagte die Frau mit der Diamantenhaarspange mit gesenkter Stimme, "dann..." Ihre Stimme verlor sich, als einer der still liegenden Körper in einen kränklichen Hustenanfall ausbrach, einmal zuckte und schließlich erschlaffte. So viel Tod, dachte Jaswinda Stumpf.
Das Scheusal stieß ein hartes, irres Lachen aus. Seine Geduld schien genau wie bei ihr am Ende zu sein. "Wieso sagst du es uns nicht. Wer ist Sie?" Es dauerte einen Herzschlag, bis Jaswinda realisierte, dass er das Wort erneut an sie gerichtet hatte. Er hatte seine Taktik von ihr zu Lady Mia geändert und ihr ging der Grund für seine Fragerei auf. Langsam sah sie auf und musste lächelte. „Sie ist keine Person, mit der du über deinen Tod verhandeln könntest."
Über diesen Umstand war sie sich so sicher, wie sie besorgt über Lady Mias plötzlich veränderte Position war.
Von all den Anfällen, die sie über die Jahre bei Nanna miterlebt hatte, waren die beängstigten immer die gewesen, in denen sie plötzlich ganz still geworden war und begonnen hatte, über den Tod zu sprechen. Nicht den Akt, sondern über eine Person, die diesen personifizierte. Ein Kind, welches bereits bei seiner Geburt seine Eltern mit seinen Raubvogelartigen Augen zutiefst verstört hatte. Eine zu fleisch gewordene Waffe, die, wer immer Herr über sie war, zu unaussprechlichem fähig war und die seinen Herrn zu einem furchterregenden Gegner machte. Im Laufe der Geschichte hatte diese Waffe nur einen Herrn gehabt.
Einen. Nicht zwei. Einen!
„Was weiß ein Miststück wie du schon", unterbrach das Scheusal ihre Gedanken, einen wilden Ausdruck im Gesicht. „Du wurdest von deinem eigenen Geliebten Verraten, weggeworfen. Du bist ein Miststück, eine Hure, eine... eine..." Er warf den Kopf zurück und brüllte, warf sich dann wieder nach vorne und fing manisch an zu lachen. „Du glaubst, jemand würde für dich kommen, nicht wahr!"
Die Bordellbesitzerin schnaubte, zurück aus der Erinnerung, welche auch immer die Erwähnung des Kommandanten in ihr ausgelöst hatte. Der abfällige Blick, mit dem sie Jaswinda bedachte , war äquivalent zu der Betrachtung eines toten Tier Kadavers. „Wer würde schon für so jemanden kommen!"
"Damit", erklang es aus dem Nichts, „wäre wohl ich gemeint."
Beim Klang dieser Stimme, kam die Luft um Jaswinda herum zum Stillstand.
Unsicher, fast schon vorsichtig, hob sie den Kopf. Sie erschien wie eine Fata Morgana. Ihre zierliche Gestalt, Folgen ihres Komas, in ein rotes Kleid, aus hin und her wiegendes leichtes Material gehüllt, obwohl der Wind heute genauso gut Tod sein konnte, erschien sie einem mehr wie eine Lichtbild Gestalt.
Lady Mias dunkle, seelenvolle Augen trafen auf ihre, und der Ausdruck in Ihnen war unleserlich. Ihr Herz und Magen krampften sich zusammen.
Vor zwei Wochen hatte sie angefangen, Lady Mias Speisen, Getränke, Seife und Lotionen mit Gift zu präperieren, in der festen Absicht, sie langsam, aber sicher zu töten. So wie Iwan es gewollt hatte. Selbst als Lady Mia ihr vage von ihren Plänen erzählt hatte, selbst als sie das Vertrauen in ihren Augen gesehen hatte, war Jaswinda nicht einmal in den Sinn gekommen, aufzuhören.
Das Gift hätte sie töten müssen. Genaugenommen wäre die von ihr verabreichte Dosis bereits nach einer Woche absolut tödlich gewesen, der Effekt trat nur erst langsam ein. Aber Jaswinda hatte absolut sichergehen wollen.
Und doch stand Lady Mia jetzt hier. Oder zumindest Ihr Trugbild. Unversehrt. Die Ruhe in Person. Sie sagte kein Wort und nach ein Paar Herzschlägen löste sich ihr Blick von ihr und legte sich in ihrer tödlichen Ruhe auf die Frau mit dem Perlenohring, dessen gesamter Körper beim Anblick der Queen zu zittern begann.
Diese Augen, dachte sich Jaswinda, obwohl nur die wenigsten sein Gesicht kannten, Personen aus diesen Kreisen brauchten nur einen Blick in diese Raubvogel Augen zu werfen, um zu wissen, dass sie einen Jäger vor sich hatten. Einen Killer. Augen, die wie eingraviert allein auf Lady Mia lagen.
War die Stimmung vorher bereits angespannt und manisch gewesen, so drohte sie jetzt endgültig zu kippen. Man sollte meinen, Jaswinda hätte sich bereits auf dem Anwesen an extreme Fälle von Stimmungsschwankungen gewöhnt, so hatte es der Lord doch vollbracht, aus einem Fest ein Massaker zu machen. Doch hier war keine feine, wohlbehütete Gesellschaft anwesend, sondern, nach dem Auftreten, der Körpersprache und der Kleidung her, Kriminelle, die die schlimmsten Seiten der Welt gesehen und selbst hergeführt hatten.
Der Einzige, der sie, was das anging, übertrumpfte, war der Mann, der gerade die Welt eroberte. Ethan Lockheart.
Mit dem Wissen um ihre Person und die Tatsache, dass neben ihr die weiße Königin stand, eine Gestallt, die in diesem Milieu ein Äquivalent zu dem Schwarzen Mann unter deinem Bett war, war eine Mischung, aus der Albträume geschaffen wurden. Ein Albtraum, der sich soeben über Jaswinda und die gesamte Höhle gesenkt hatte.
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