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Die ganze Nacht.

Ich hatte die gesamte Nacht gesucht, mit absolut keinem Ergebnis. Ethan war schneller gewesen. Vielleicht war ich auch nur zu naive an die Sache gegangen. Natürlich war mein Mann dazu in der Lage, jemanden verschwinden zu lassen, allein dass ich heute in die Aufräumarbeiten des Gartens gestolpert war, bewies das. Doch irgendwo hatte ich geglaubt, dass er es das Frühstück abwarten würde. Das er auf mich hören würde. Dabei folgte Ethan Lockheart nur seinen eigenen Worten. Die Sache mit den Wachen, wo er kurzzeitig mir die Erlaubnis gegeben hatte, trotz seiner Gegenwart über sie zu bestimmen, war der letzte Tropfen gewesen, eines bereits vollen Fasses, welches Ethan mit "guten" Sachen angefüllt hatte und mich gewissermaßen an den Umstand hat gewöhnen lassen, dass ich meistens das bekam, was ich wollte. Dabei hatte ich vor Ethan nie die schwierigen Fragen gestellt, bei dem es ihm schwer gefallen wäre, nein zu sagen. 

„Ich glaube, ich wurde zu sehr verwöhnt", seufzte ich laut und gab meinem stillen Beobachter somit das Stichwort, rauszukommen.

Ich hatte vor Wut gekocht. Hinzu kam die Hitze, die sich im Morgengrauen plötzlich über das ganze Gebiet gelegt hatte und kaum auszuhalten war. Um mich ein wenig abzukühlen und weil die Luft mir im Schlafzimmer zu dick geworden war, hatte ich mich zum Pool zurückgezogen, die Füße im Wasser baumelnd und auf die Wasseroberfläche starrend, als könne diese sich plötzlich in einen Spiegel verwandeln, welcher mir auf alle meine Fragen Rede und Antwort stehen würde.

Hades hatte sich bereits vor einiger Zeit bemerkbar gemacht, aber ich hatte ihm noch nicht unter die Augen treten können. Ihn hier zu sehen, wo ich ihm kaum zehn Stunden zuvor offenbart hatte, seinem Erzfeind Gefühle entgegenzubringen und seinen Plan vereitelt hatte, Gabriel zu retten, fühlte sich niederschmetternd beschämend an.

Ich hörte seine Schritte und starrte stur geradeaus. „Ethan verwöhnt mich, wo er nur kann. Manchmal gibt er mir sogar das Gefühl, dass er durchaus menschlich ist. Dadurch bin ich träge geworden."

„Sobald du anfängst, deinen Gegner als etwas übermenschliches anzusehen, hast du bereits verloren."

Ich schnitt dem Wasser eine Grimasse. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?" Hades zögerte nicht. „Ja."

Ich wartete kurz ab, gab ihm die Gelegenheit, seine Meinung zu ändern, doch Hades blieb still. Die Zähne zusammenbeißend zog ich die Füße aus dem Pool und stand auf. Noch sah ich auf das Meer an Blumen, welches gegenüber des Outdoor Pools gepflanzt worden war. "Dann denkst du er ist menschlich?", hackte ich nach, als die Stille anhielt und beobachtete, wie die Rosen der Aufgehenden Sonne die Köpfe entgegenstreckten. Ich fühlte mich in dieser Geste mit ihnen Verbunden. Trotz der Hitze waren sie standhaftig genug, sich dem Gegner erhobenen Hauptes zu stellen. "Er ist in allem was er tut menschlich, Mia. Genauso wie du." Seine letzten Worte klangen in mir nach wie ein lautes Glockenspiel. Wollte er mir damit inderekt zu verstehen geben, dass es in Ordnung war, dass er sich erneut an diesem Ort befand, zurück im Reich seines Feindes? Und das obwohl ich ihm deutlich gemacht hatte, welche Position ich in diesem Krieg einahm. Trotz der inhumanen Handlung meines Mannes, war meine Entscheidung immer noch die Gleiche.

„Mein Standpunkt hat sich nicht geändert", stellte ich klar. "Lediglich die Situation." Noch war ich nicht bereit, Ethan Schaden zukommen zu lassen und wenn, dann nur durch meine Hand. Meine anfängliche Hoffnung alias Dupent lag höchstwahrscheinlich irgendwo innerhalb oder außerhalb der Anlage begraben. Jedenfalls hoffte ich, dass die Toten wenigsten ordentlich entsorgt wurden. Ich hatte keine Ahnung was Ethan mit den ganzen Menschen machte, denen er das Licht auspustete, als wären sie lediglich im Wind flackernde Kerzen. So oder so, ohne Dupent besaß ich keine Ausflüchte, Ethan noch irgendwie ins richtige Licht zu rücken.

Hades der einen sechsten Sinn für alles zu haben schien und wusste, dass ich noch nicht fertig war, schwieg. Ich zögerte mit dem, was ich sagen wollte, da es mir zu grotesk vorkam, so etwas zu verlangen und weil ich Angst hatte, dass es den dünnen Faden zwischen uns endgültig zum reißen bringen würde.

Doch Jaswinda war mir zu einer Lehre geworden und bei dem Kurs, den ich ansteuerte, konnte ich nichts riskieren. Ich holte tief Luft und drehte mich um. Zumindest würde ich ihm dabei in die Augen sehen. Augen, die nichts an ihrer Wildheit verloren hatten. Dieser Falke war im Inbegirff seine Ketten zu lösen und seine Freiheit zu finden... und ich war bereit ihm diese Chance zu nehmen.

„Ich möchte, dass du mir beibringst wie der Ring funktioniert."

Statt distanziert oder wütend zu reagieren, wie ich es mir insgeheim erhofft, gewünscht hatte, wurden Hades Züge weich. „Wie ich sehe hast du gelernt Entscheidungen zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen." Von seiner Reaktion zurückgeworfen, fand ich keine Worte und neigte lediglich fragend den Kopf.

„Entscheidungen ändern sich konstant, da sie abhängig sind von Emotionen und Situationen. Im ideal Fall sollten Emotionen zwar außen vor gelassen werden, doch das kommt mit der Zeit." „Du hast bei unserem Abendlichen Treffen entschlossen, Lord Lockheart nichts von mir zu erzählen und ursprünglich hast dubeschlossen, heute auf der Fahrt aus der Anlage mir etwas zu beweisen oder mich aus deinem Leben zu streichen. Die Situation hat sich geändert, Mia, weshalb auch deine Entscheidungen letztendlich anders ausgefallen sind."

Ich war nie ein Fan von Überraschungen gewesen, erst recht nicht seit meiner Heirat mit Ethan. Doch das jemand in der Lage war, das Chaos in mir einfach nur mit seinen Worten zu lichten, war zur Abwechslung eine Überraschung, die ich als angenehm empfand.
Vielleicht würden sich andere dagegen sträuben, dass ein Fremder sie so gut analysieren konnte, dass sie selbst in der Lage waren Sachen zu benennen, bei denen sie gar nicht anwesend gewesen sind, doch für mich, die manchmal selbst kaum in der Lage war, ihre Gedanken in Worte zu fassen, war es eine Erleichterung.
Und Bürde zugleich, als mir die Bedeutung seiner Worte klar wurde.

„Ich habe Ethan nicht deinen Namen genannt", sagte ich leise.
Hades Augen blitzten.
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?" Ich musste ein Lächeln unterdrücken, mein Gesichtsmuskeln fühlte sich ohnehin viel zu Steif an, um ein richtiges zustande zu bringen.
„Für jetzt, ja", antwortete ich und hoffte, er würde es dabei belassen.

Hades schwieg, seine Gedanken waren hinter seinem Pocker Face unmöglich zu entschlüsseln.
Ich hielt seinen Blick, versuchte nichtsdestotrotz etwas in ihm zu lesen und scheiterte kläglich bei dem Versuch.
„Was hast du jetzt vor", durchbrach Hades schlussendlich die Stille und ließ das Tabu Thema fürs erste ruhen, nur um ein anderes anzuschneiden.

Ich lächelte freudlos und wie zu erwarten, fühlte es sich eher nach einer Grimasse an. „Wo ist sie?", stellte ich die Frage, die ich bis jetzt nicht gestellt hatte, einfach, weil sie an Priorität verloren hatte. Ich wusste bereits, dass Hades sich um alles gekümmert hatte was die junge Frau betraf.

„Nicht weit von hier fängt das Gebirge an. Ich habe sie unter der Beobachtung von zwei Personen gestellt, denen man vertrauen kann."
Vertrauen war derzeit nicht gerade mein Lieblingswort, doch aus Hades Mund reichte es, um es Ernst zu nehmen.

„Dann bring mich hin."

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