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Krieg.
Das Wort hing zwischen uns wie ein hin und her schwenkendes Schwert. Es zerriss die Luft mit seiner scharfen Klinge und machte den kleinen Abstand zwischen uns unüberwindbar.

Fast musste ich über meine eigene Dramatik lächeln. Ethan hätte es bestimmt ebenfalls amüsiert, vielleicht würde er sagen, dass es verdächtig nach Shakespeare klang, nur, um mir eine kleine Freude zu bereiten. Er wusste, dass ich Shakespeares Werke zwar nicht unbedingt mochte, doch der Fantasie und Schreibkunst des Dichters großen Respekt einräumte.

Die einnehmend grüne Augen meines Mannes, die jedes Zucken in meinem Gesicht registrierten, blieben an meinen Lippen hängen. Vielleicht hatte ich meine Mundwinkel doch nicht ganz unter Kontrolle gehabt und Ihm entging nichts, nie.

Im Gegensatz zu mir, war er ein Meister in der Kontrolle seiner Emotionen. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er meinen Mund mit etwas anderem als Gier und Leidenschaft betrachtete und dem Wunsch darin, sie küssen zu wollen. In mir flatterte es, doch sein Blick war kontrolliert kalt und kalkuliert. In diesem Moment war ich nicht seine Frau.

"Bist du sicher, dass du schon bereit für dieses Spiel bist?" Dahin war das Flattern... würde ich gerne behaupten. Aber die Schmetterlinge waren lebendig wie eh und je. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schuf somit eine weitere Mauer zwischen uns oder viel mehr um mich. "Allein, dass du diesen Krieg als Spiel darstellst, sollte dir diese Frage beantworten."

Ethan lächelte. Es war das distanzierte Lächeln eines formvollendeten Gentleman. "Es ist nie etwas anderes gewesen, Darling. Selbst wenn man den kalten Krieg oder Napoleons Einzug nach Europa als Kriege bezeichnet, spielten sie nach den Regeln unseres Spiels."

"Werfe mich nicht mit euch in einen Topf." Die Vorstellung, irgendetwas mit dem Massaker heute zu tun zu haben... nein, eigentlich hatte ich sehr wohl etwas damit zu tun gehabt. Ich war ihre Gastgeberin gewesen. Ich spürte, wie es in mir zu lodern begann. Eine wohltuende Abwechslung zu dem Gift, welches immer noch in meinem Organismus zirkulierte.

"Du trägst den Ring der Denauxs, welcher eigens für den Titel des Weißen Königs konstruiert wurde. Und du trägst meinen Ring. Es gibt zurzeit vermutlich niemand anderen, der so tief in diesem Spiel drinsteckt, wie du."

"Der Titel des weißen Königs war von Anfang an nur geborgt", stellte ich eisern klar. Ich würde ihn irgendwann zurückgeben, da ich keine Diebin war, er rechtmäßig den Denaux gehörte und Hades somit in keiner Weise an mich und somit auch an Ethan Lockheart gebunden sein musste. "Und was deinen Ring angeht", fuhr ich fort, Hades geschocktes Gesicht vor Augen, als er mich gebeten hatte, mit ihm fortzugehen, "unsere Heirat ist etwas, was außerhalb dieses Spieles existiert, Ethan." Ansonsten hätte ich schon längst versucht, dem Ganzen ein gewisses andere Ende zu verpassen. Jetzt, konnte ich den Gedanken noch nicht einmal zu Ende denken, ohne dass sich mein Herz und mein Kopf dabei anfühlten, als würden sie bersten.

Ethans Blick verlor bei meinen Worten nichts an seiner Härte und das Lächeln schien an Ort und Stelle festgefroren zu sein. "Ich habe dich an Erster Stelle des Ringes wegen geheiratet, Darling." Ich spürte, wie meine Mundwinkel langsam nach unten sackten. Seine Worte taten weh, natürlich taten sie das, aber das war nicht der Grund, weshalb ich plötzlich das Gefühl hatte, der Boden wäre uneben geworden. Sie waren nichts neues und ich schätzte die Ehrlichkeit, die in ihnen lagen, auch, wenn sie brutal und schonungslos war.

"Lady Mia?"

Hades Stimme kam aus dem Nichts und erfüllte doch meinen ganzen Kopf. Ihr plötzliches Erscheinen brachte mich so aus dem Konzept, dass ich kurz den Fokus um mich herum verlor. Obwohl wir vor nicht einmal einer Stunde über genau diesem Weg miteinander geredet hatten, raubte mir diese Art von Gedankenübertragenden Kommunikation den letzten Nerv. Ich konnte mich gerade so davon zurückhalten, ihm laut zu antworten.

"Ja?", teilte ich ihm mit, dass er meine volle Aufmerksamkeit hatte.

"Ich habe sie gefunden, wie soll ich weiter verfahren?", sagte Hades im gleichen Moment, wie Ethan sich zu Wort meldete: "Überrascht dich das etwa oder hast du diesen simplem Fakt über die Zeit bereits verdrängt."

Mein Kopf drehte sich und ich brauchte einige Herzschläge, um beide Männerstimmen in meinem Kopf zu entwirren und ihr gesagtes noch mal in Ruhe zu betrachten. Wie zum Teufel kriegte Ethan das hin.

"Bring sie unversehrt zurück", sagte ich zu Hades und schickte noch ein leises "Bitte" hinterher, von dem ich allerdings nicht wusste, ob er es gehört hatte, da es erneut still in meinem Kopf geworden war. An Ethan gerichtet, dessen Ton mir gar nicht gefallen hatte, hatte ich nichts zu sagen, da Worte diesen Mann ohnehin nur schwer erreichten. Stattdessen ging ich schnurstracks auf ihn zu, Schwert hin oder her, ignorierte dabei seinen unveränderten kalten Gesichtsausdruck, fasste ihn am Kragen und zog ihn zu einem Kuss zu mir hinunter.

Er war kurz, hart und keiner bewegte seine Lippen, doch es war Ethans Mund, den ich da unter meinem spürte und so war er ganz und gar perfekt für mich. "Damals ist damals und heute ist heute", konnte ich mich dann doch nicht hindern zu sagen, aber dafür, dass unsere Lippen kaum einen Millimeter voneinander entfernt waren, hielt ich das für ein ziemliches überzeugendes Argument, welches genau im richtigen Augenblick ausgesprochen wurde.

Als ich ihn wenig später entließ, sahen wir uns Sekundenlang einfach nur stumm an, bevor er sich aufrichtete und seinen Kragen wieder gerade strich. Das Endresultat war befriedigend, weshalb ich mich der Sache selbst annahm und die Enden für ihn glatt strich. Zufrieden mit meinem Werk sah ich auf und als sich unsere Blicke trafen, musste ich lächeln. Seine Züge waren immer noch kalt, doch der Ausdruck in seinen Augen schon um eine Nuance weicher.

"Ich werde dich nicht gewinnen lassen." Eine Feststellung, der ich in meinem jetzigen Zeitpunkt nichts entgegenzusetzen hatte. Etwas, was er und ich gleichermaßen wussten.

Als Ethan den Raum verlassen hatte, schmiss ich mich auf das Bett. Gänzlich erschöpft vom heutigen Tag, war ich bereits drauf und dran, weg zu dämmern, als ich plötzlich an Dupent denken musste. Mein Körper fuhr schlagartig hoch und alle Müdigkeit wich aus mir. Wenn ich eine Verräterin wäre, die drauf und dran war, sich ihrer Vorgesetzten zu entledigen, würde ich ihren letzten Auftrag dann in einer zufrieden stellenden Manier erfüllen? In dem Wissen, dass besagter Auftrag ohne sie ohnehin zum Scheitern verurteilt war. Dupent hatte in diesem Anwesen bereits zu viel gesehen und ohne meinen Schutz, würde Ethan ihn wohl kaum ziehen lassen.

Nein, noch während ich mir den Gedanken durch den Kopf gehen ließ, würde der Mann auch mit mir kaum hohe Überlebenschancen haben. Nicht, wenn Ethan ihn als mögliche Bedrohung sah. Und mein Drängen, mir seine Vorschläge anzuhören, würden für meinen Mann schon reichen, um ihn als solche zu sehen. Je näher er seinem Ziel kam, desto skrupelloser wurde er.

***

Wer war Mia Lockheart. Der Name verriet es eigentlich schon. Sie war seine Frau, das war alles, was ein Außenstehender wissen musste, um sein Verhalten ihr gegenüber dementsprechend anzupassen. Dass hieß, wenn er seinen Kopf behalten wollte. Doch wie sah es bei ihm aus? Wie weit konnte er gehen, ohne dabei seinen Frieden oder seine Frau zu verlieren. Etwas in Mia hatte sich offensichtlich verändert.

Nein, viel mehr war es endlich aus ihr herausgebrochen, korrigierte er sich.

Er hatte dieses Feuer schon oft an ihr gesehen, nur noch nie in seinem vollen Ausmaß, wie es schien. Er schwenkte die dunkelrote Flüssigkeit in seinem Weingleis, seine langen Finger um den delikaten Stiel geschlungen. Es benötigte nur ein wenig Druck und der Stiel würde brechen. Nur ein wenig, präzise platzierter Druck und sie würde sterben.

"Ich bin vergiftet worden."

Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Das war keine
Option. Wie sollte er die Konzentration bewahren, eine ganze Welt zu führen, wenn er nicht vollends bei der Sache war und einen klaren Kopf hatte. Er hatte zu hart dafür gearbeitet.

Die Sonne hatte sich gerade über den Horizont erhoben, als er die Überlebenden seiner kleinen Scharade ihrer Warterei erlöste und in seinen Salon zitierte.

Er sah von der roten Flüssigkeit auf, die ihn jetzt an das dunkle Blut seiner Frau erinnerte und wendete die Aufmerksamkeit seinen Gästen zu. Mia verbannte er dabei in den hintersten Winkel seiner Gedanken.

"Erneut heiße ich jeden von Euch Willkommen in meiner bescheidenen Festung", fing er schließlich nach einer Minutenlangen Stille an, die für seine Gäste gewiss eine Qual gewesen sein musste, und beobachtete, wie sie alle beim Klang seiner Stimme zusammenzuckten. Schwach. Ängstlich. Und nach der heutigen Vorstellung lediglich ein Haufen Spielfiguren in seiner Hand. Seine Sammlung wuchs langsam, aber stetig. Ein König brauchte willige Spielfiguren, denn er konnte sich nicht um jede seiner Ländereien persönlich kommen. Insbesondere bei einem Königreich, welches die ganze Welt einfasste.

Er sah in die Gesichter jener Männer und Frauen, die er dafür eigens, nach einem langen Prozess ausgesucht hatte. Sie allesamt waren von manipulierbarer Natur und der heutige Tag würde sie Prägen, würde sie auf lange Zeit wissen lassen, was ihnen blühte, sollten sie ihren Platz vergessen. Er proste ihnen sein Glas entgegen. "Meinen Glückwunsch", er lächelte. "Sie alle haben sich einen Platz in der neuen Welt verdient." Bei ihrer stummen, einnässenden Erleichterung, die wie Wellen von ihnen abglitten, wurde sein lächeln amüsierter. Dabei kannten sie das Große Finale noch nicht einmal. Ein Finale, welches er selbst vor Mia verheimlicht hatte.

Er hatte dem untergesetzten Belgier, der es gerade mal mit einem Gespräch geschafft hatte, seine Frau um den Finger zu wickeln, bisher keines Blickes gewürdigt. "Dupont, richtig?", sprach er ihn jetzt direkt an und die Blässe auf seinem rundlichen Gesicht ging jetzt in seine Auge über. "M..m.m.m..m...m..my L...lll...lor-" Er brach in einen Hustenanfall aus. Er wartete geduldig, bis der andere Mann sich soweit erholt hatte, um ein leises "Ja", rauszuquetschen. Was wollte Mia nur von ihm, dass sie sogar die gesamte Nach das Anwesen auf den Kopf gestellt hatte, um ihn zu finden? Sie war diskret und persistent vorgegangen, so dass er schon befürchtet hatte, er müsse persönlich dafür sorgen, dass sie sich zu Bett legte. Kurz vor Morgengrauen hatte sie schließlich aufgegeben, erschöpft und Müde, wie ihm berichtet wurde.

Und Schuld daran war diese Enttäuschung eines Mannes. Hätte er nicht schon vorher entschieden, ihn umzubringen, würde er es spätestens jetzt tun.

"Ich habe gehört, dass sie interessante Ansichten zum Thema meiner Regentschaft haben. Wir sollten gleich vollzählig sein, ich hoffe, sie sind dann bereit, sie mit uns allen zu teilen." Seine Ton ließ verlauten, dass das keine Bitte war. Auch wenn es eine Qual werden würde, sollte er weiterhin so stottern. "Vollzählig?", fragte Li-Ming Wang, eine Vertreterin der Triaden, und mit die Einzige Person in diesem Raum, die ihm tatsächlich gefährlich werden könnte, da sie mit hoher Intelligenz, einem ausgezeichnetem Geschäftssinn und einer Kämpfernatur beschenkt worden war, die der seiner Frau bei näherem Betrachten nicht unähnlich war. Es wunderte ihn nicht, dass sie diejenige war, die als erste sich traute, den Mund aufzumachen. Und ihre Frage war ein Schlüsselelement in seiner Vorstellung, auf die er gewartet hatte.

"In diesem Raum befinden sich die Instanzen meiner neuen Regierung. In diesem Sinne hielt ich es für Vorteilhaft, einen alten Bekannten einzuladen, als einen Ehrengast." Wie aufs Stichwort klopfte es. Alle Köpfe drehten sich augenblicklich zur Tür und als sie nach seinem herein geöffnet wurde, fiel eine eisige Stille über seinen Salon und noch während er in Seelenruhe an seinem Wein nippte, beobachtete er wie auf jedem einzelnen Gesicht der vierzehn Ladies und Gentlemen sich der Schock mit Übelkeit abwechselte. Bis schließlich ein tiefes Grauen alles überschatte. Allistair schob Gabriel Denaux in seinem Rollstuhl herein, den Kopf Orentierunglos hin und her schwingen, als wäre er gerade aufgewacht und die Schultern kraftlos nach vorne hängend. Dass absolute Sinnbild eines gefallenen Königs.

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