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Verrat bohrte sich in meine Eingeweide. Mit einem Willen, der mich selbst überraschte, hielt ich mich zwar aufrecht, aber das Bild desjenigen, der mein Vertrauen missbraucht hatte, brannte sich dabei so schmerzhaft in mein Gehirn, dass ich mich der wartenden Dunkelheit am liebsten hingegeben hätte. Sie war meiner eigenen Dummheit zu verschulden. Meiner eigenen, naiven Torheit. Die Person wusste zu meinem Glück wahrscheinlich nicht um die Funktionen des Ringes, der mir zu der Position verholfen hatte, in der ich mich jetzt befand. Ansonsten wäre aus dem Gift, welches sich jetzt durch meine Adern fraß, wohl sehr schnell ein Messer in meinem Rücken geworfen.

"Ihr...ihr blutet", lenkte eine leise, fast kindliche Stimme meine Aufmerksamkeit  wieder auf das eigentliche Geschehen um mich herum. Die Schüsse hatten aufgehört, ebenso wie die Schreie. Zurück blieben vereinzelte, flehende Stimmen und ein vor Angst verzerrtes Gesicht, aus denen mich ein Paar leere Augen ansahen. Sie erinnerte mich an eine Porzelanpuppe, die vermutlich zeit ihres Lebens noch keinen Tropfen Blut gesehen hatte, bis auf das bei einer Blutentnahme oder wenn sie ihr Steak als Medium Rare bestellt hatte.  

Ich griff nach einem losen Zipfel der Decke und wischte mir über das Gesicht. Hoffentlich lag mein Gesicht genug im Schatten, als das Ethan die verbliebene Schmiere nicht als das Erkennen würde, was es war. Ein Anschlag auf mein Leben. Denn auch, wenn er schief gegangen war, auch, wenn ich bereits spürte, wie der Ring bereits mit Wärme vibrierte und sich gegen die Fremdkörper zur Wehr setzte, mein Mann würde Himmel und Hölle in Bewegung setzten, diese Person zu bestrafen. Was nicht in meinem Sinne war. Nein, im Bruchteil einer Sekunde hatte ich eine Entscheidung getroffen, von der ich hoffte, dass sie die Richtige war.

"Kannst du aufstehen", fragte ich das Mädchen ernst. Eins nach dem anderen, erst einmal brachte ich zuende, was ich begonnen hatte.

Es dauerte ein paar Herzschläge, bis  meine Worte zu ihr durchdrangen. Sie nickte langsam. Da war keine Unsicherheit, keine Angst, nur mechanische Ausführung in dieser Bewegung.

Ich stand auf-
und wäre beinahe wieder hingefallen. Ich kämpfte dagegen an, mich zu krümmen und einem erneuten Hustenanfall zu unterliegen. Blut sammelte sich in meiner Mundhöhle. Ich gab mir einem Moment, ermahnte mich, nicht gierig zu sein, mit dem, was der Ring mir bereits gab. Immerhin wusste ich nicht, wie der Prozess genau funktionierte, etwas, was ich plante zu ändern. Der Ring war eine Werkzeug, von dem ich Gebrauch machen müsste, bei dem Kampf, der mir bevorstand.

Das Schwächegefühl in meinen Beinen nahm ab und als ich sicher war, dass ich mich auch würde in Bewegung setzten können, streckte ich dem Mädchen die Hand hin. Es könnte höchstens zwei Minuten vergangen sein, in der ich mich neu gesammelt hatte, aber die Haut des Mädchens war um einige Nuancen heller geworden. Schweiß glänzte auf ihrem Gesicht.

Ich zögerte, sie schien nicht bereit zu sein, nach meiner Hand zu greifen, ganz gleich, was sie vorhin gesagt hatte. "Wie heißt du?", fragte ich sie. Obwohl ich leise gesprochen hatte, zuckte derartig ruckartig ihr Kopf hoch, als habe ich sie angeschrien. "S..Sophie", krächzte sie.

"Möchtest du Leben Sophie?"

Ich würde es verstehen, sagte ich mir. Ich werde es verstehen, wenn sie nicht nach der Hand der Frau greifen möchte, die mit dem Mann liiert ist, der für den Tod ihres Vaters zuständig ist. Doch ich hoffte, dass sie in der Lage sein würde, auf diese Frage mit Ja zu antworten.

"My Lady." Allistair war unbemerkt neben mich getreten, obwohl sein Schatten Sophie und mich geradezu verschluckte. Ich senkte meine Hand. Sophie war bei Allistairs Auftauchen in sich zusammen gesunken. Ich war mir nicht mal sicher, ob sie überhaupt noch Luft holte. Ich hatte meine Chance verpasst. "My Lady, es ist spät, vielleicht solltet ihr-"

"Die Überlebenden", fiel ich ihm mit Blick auf Sophie ins Wort. "Sorg dafür, dass man sich anständig um die Überlebenden gut kümmert." Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass er nicht mehr mich ansah, sondern hinter sich, zu dem Podest. Einem plötzlichen kurzentschluss, einer fatalen, hirnrissigen Idee folgend, folgte ich seinem Beispiel. Offenbarte mein Gesicht dem hellen Licht der Flammen und Ethans Blick. Ich musste verrückt geworden sein.

Ethan hatte sich nicht vom Fleck gerührt und hatte mich scheinbar die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen. Als er jetzt mein Gesicht sah, dass noch nicht getrocknete Blut darauf, spannte sich sein ganzer Körper sichtbar an.

Die Händen immer noch in augenscheinlich lockeren Pose in den Taschen seiner Smokinghose, setzte er sich in Bewegung. Ganz der Panther. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, erschuf eine Mauer zwischen uns. "Lady Lockheart", murmelte Allistair schockiert, "was-?" Dieses Mal unterbrach er sich selbst. Mit gesenktem Kopf machte er seinem Herrn Platz.

Hatte meine lapidare Säuberung Aktion von vorhin überhaupt etwas gebracht oder hatte ich am Ende alles nur noch schlimmer gemacht? Die Vermutung lag nahe, dass ich das Blut nur verschmiert und nichts wirklich entfernt hatte.

"Mia", sagte Ethan, seine Stimme ein Kunstwerk der Sinnlichkeit, "was sind das für unschöne Flecken in deinem Gesicht?" Seine Augen zuckten kurz zu meinen verschränkten Armen, bevor er sie ausschließlich auf mein Gesicht fokussierte.

"Blut." Ethan erstarrte. Ich zuckte mit den Schultern. "Jemand sendet mir regelmäßig Gift, mit der Botschaft, dass diese Person verschont bleiben soll." Die Worte glitten mir wie süßer Honig zäh und klebrig von den Lippen. Sie waren keine Lüge, da ich glaubte, die Intention hinter ihrem Handeln zu begreifen. Nachdem ich sicher war, dass Ethan mein Gesagtes registriert hatte, seine Ohrenbetäubende Stille war immer ein sicheres Zeichen, für einen herannahenden Sturm, breitete ich in einer großen Geste meine Arme aus. "Dein Zug." Und als würde mein wundervoller, gehorsamer Körper meine Worte unterstreichen, hustete er das verbliebene Blut hervor, welches ich vorhin unterdrückt hatte. Ich wischte mir über den Mund und betrachtete die rote Flüssigkeit kurz, bevor ich erneut zu Ethan sah.

Ich spielte mit dem Feuer. Sein Gesicht war eine Maske des Grauens und Ich spürte einen längst verloren geglaubten Funken von Angst. Wieso sagte er rein gar nichts?

"Ich bin Müde", sagte Ich, in der Hoffnung, gerade keinen Fehler gemacht zu haben. "Gute Nacht", damit drehte ich mich um und ging.

Das Mädchen saß unverändert versteinert an Ort und Stelle. Für den Moment, war sie sicher. Hoffentlich. Es schmerzte, sie dort zu lassen, so viel stand fest.

Im Gehen verschaffte ich mir einen besseren Überblick über die Überlebenden. Es waren nicht viele und ich konnte kein Muster in ihnen erkennen. Jedes Alter und Geschlecht war vertreten, aber ich wäre ein Narr, wenn ich glaubte, dass nichts dahinter stecken würde.

Wieso Ethan diese Menschen auch verschont hatte, es hatte nichts mit Herzlichkeit zu tun. Das hier war eine Säuberungaktion, so wie eine Großraum Eliminierung derjenigen, die ihm auf seinem Weg zur Spitze im Weg stehen könnten. Bei so was, machte mein Mann keine Halbherzigen Sachen, dahinter steckte etwas anderes.

Ich hatte soeben einen hohen Einsatz gesetzt, ohne zu wissen, ob ich das nötige Blatt dafür haben würde. Wenn ich ehrlich war, bereute ich es fast schon wieder. Mein Mann liebte mich, auf seine Art und Weise, nur würde das ausreichen, um ihn dazu zu bewegen mit seinem Plan inne zu halten, um den Täter zu finden, der seine Frau unter seiner Nase vergiftet hatte? Denn wenn er es einmal geschafft hatte, würde er es auf den einem oder anderen Weg vielleicht  wieder schaffen und das nächste Mal würde der Ring vielleicht nicht rechtzeitig reagieren. Ich fragte mich, wieso der Ring nicht von Anfang an darauf reagiert hatte. Wieder würde mir klar, wie wenig ich über seine Funktion Bescheid wusste.

Ich hob die Hand und betrachtete ihn, währenddessen hatte ich die Stufen zum Banquetsaal erklommen und durchquerte ihn. Dabei hinterließ ich eine Spur aus blutigen Fußspuren. Alles zu seiner Zeit, ermahnte ich mich. Erst einmal musste ich etwas überprüfen.

Die Tür des Saals stand offen, als hätte sie jemand in seiner Hast vergessen richtig zuzumachen. Ich betrat die Eingangshalle, die nun weniger Dienstboten aufwies, aber genug, um einen von ihnen rauszupicken. "Ist hier vor nicht allzu langer Zeit eine Frau vorbeigekommen und hat dieses Anwesen auf mein Geheiß verlassen?", fragte ich den überraschten Mann, dessen Uniform nicht ganz zu seiner Muskolösen Statur zu passen schien. "Ja, My Lady. Da sie in eurem Namen unterwegs war und ich sie vor dem Banquet zusammen mit euch gesehen habe, sah ich in ihren Worten kein Problem?"

"Ist das eine Frage?"
Der Mann schluckte. Ihm war deutlich anzusehen, wie die Unsicherheit ihn auffraß. "Nein?" Lächelnd neigte ich den Kopf und wendete mich den Treppen zu, die in den oberen Stock führte. Ich hatte ihm nicht geantwortet, aber mein Lächeln schien ausreichend genug zu sein, dass der Mann jetzt erleichtert aufatmete. Wenn er damit zu Ethan gehen sollte, was ich bezweifelte,  konnte mir niemand vorwerfen, gelogen zu haben.

Ich wartete mit meinem nächsten Schritt, bis ich unser Zimmer erreicht hatte, der Einzige Ort, der sich wirklich unbeobachtet anfühlte. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir noch blieb, aber es müsste einfach reichen.

Jaswinda war also auf der Flucht, in der Gewissheit, die Dame des Hauses auf dem Gewissen zu haben. Wäre ich in ihrer Position, ich hätte genau das gleiche getan. Allerdings war sie nicht der Typ, der so etwas alleine über die Bühne bringen könnte. Ich hatte mich in ihr getäuscht, aber was das anging, war ich mir sicher.

Ich konnte keinem von diesem Anwesen hinter ihr her schicken, ohne Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen. Entkommen lassen würde ich sie jedoch auch nicht. Jaswinda war Teil eines Planes, der vor geraumer Zeit angefangen hatte, in meinem Kopf Gestalt anzunehmen.

Wenn alles nichts half, würde ich mir eine Ausrede einfallen lassen, aber zunächst Mal... Ich sah erneut auf den Ring. Bitte Klapp, dachte ich, und drehte an dem warmen Material. Er war immer noch damit beschäftigt, meinen Körper vom Gift zu reinigen, welches immer noch schmerzhaft in mir wütete. Schmerz, der nicht Ansatzweise an den heranreichte, den ich bereits durchlebt hatte, weshalb er sich leicht ausblenden ließ.

Genau genommen, wusste ich nicht, ob ich den Ring überhaupt drehen, berühren oder sonst was mach musste, außer an den Namen zu denken, mit dem ich in Kontakt treten wollte. Doch besser zu viel, als zu wenig. Ich atmete zittrig ein und aus und wartete auf eine Reaktion. Sekunden verstrichen, in denen sich nichts tat, dann- "Mia?"
Mit Blick zur Tür, holte ich einmal tief Luft. "Hades, ich brauche deine Fähigkeiten."

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