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Ich wünschte, so was wie innere Bedürfnisse könnten manchmal einfach ignoriert werden. Besonders dann, wenn man ganz genau wusste, dass das folgende, einen für immer im Gedächtnis bleiben würde.

"Ethan, lass mich los."

Sei es der Ernste Klang meiner Stimme, das fehlende Zittern meines Körpers, welches immer einsetzte, wann immer ich bisher in Kontakt mit Gewalt gekommen war, oder aber das pulsieren vom weißen Ring, welches mir durch Mark und Knochen fuhr, und welches Ethan möglicherweise durch seinen eigenen Key-Schlüssel wahrnehmen konnte, seine Arme glitten ohne Widerworte  von mir ab und ließen mich frei.

Ich sah ihn nicht an, als ich mich von ihm löste und den Körperkontakt brach. Ich wollte nicht, rein aus Reflex, zurück in seine Arme flüchten, wenn ich mich dem Grauen stellte, von dem die anhaltende Schüsse und Schreie kündete.

Nur dass der sich mir eröffnende Anblick nichts mehr mit Grauen gemein hatte. Die sich abspielende Szene, war schlichtweg kalkulierter Massenmord. Es wurde schnell klar, das bestimmte Gruppen explizit anvisiert und eliminiert wurden, während wiederum andere, eine absolute Minderheit, wie ich erwähnen möchte, verschont blieben, dafür aber zitternd und fürs Leben geschädigt auf ihren Sitzgruppen kauerten und den wahrscheinlich verzweifelten Versuch unternahmen, den Kugelhagel über ihren Köpfen zu ignorieren.

Oh, einige versuchten wegzulaufen, aber es wurde auch hier klar, dass es ein zweckloses Unterfangen war. Viel mehr stand es um die Laufenden schlechter, da Ethans Scharfschützen wohl bewegliche Ziele bevorzugten. Ihre Körper wurden von ein, zwei Einschüssen getroffen, von einem roten Sprühnebel eingehüllt und schließlich leblos zu Boden geschickt.
"Dad! DADDY!" Ein Mädchen aus einer der näher gelegenen Sitzgruppen, vielleicht siebzehn, achtzehn Jahre alt, wollte sich auf einen der leblosen Körper stürzten, wurde aber von einer hysterisch kreischenden Frau angerempelt und zur Seite geschleudert. Sie fiel auf einen Scherbenhaufen, der wohl einst eines der Teeservice gewesen sein muss. Ihre prächtigen, honigblonden Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und fielen kaskadenartig über ihren ungeschützten Rücken, ihres Rückenfreien Abendkleides. Es ähnelte im Schnitt meinem, nur das ihres mit Rüschen bestückt war. Wie passend, dachte ich. Raschen waren genau das, was Jungen Mädchen zu Gesicht stand, welche ihr Leben lang wohl wie eine Prinzessin behandelt worden waren. Vielleicht war sie ja auch eine.

Eine Prinzessin die bei ihrer Rückkehr ihrem Volk würde mitteilen müssen, dass ihr König im Ausland verstorben war. Falls sie die Rückreise würde antreten könne. Sie versuchte aufzustehen, obwohl ihr rechtes Bein immer wieder unter ihr nachgab. Sie musste sich an den Scherben geschnitten haben.

Eine der Decken wurde mir um die Schultern geschlungen und mein Mann bettete seinen Kopf auf meiner rechten Schulter ab. Seine Haare kitzelten mich an der Wange und sein sinnlicher Mund war zu einem kleinen, zufriedenen Lächeln verzogen. Er sieht nicht auf das geschehen, sondern hatte seine Augen geschlossen und inhalierte einmal tief ein. Von der Seite sah er aus wie ein verschmuster Kater.
"Du riechst nach Rosen", sagte er nach einer kurzen Weile, in der ich ihn einfach dabei beobachtete, wie er meine Nähe genoss.
"Mir war nicht kalt", erwiderte ich, mit mir ringend, nach seiner Hand zu greifen, die sanfte Kreise auf meiner Hüfte fuhr. Ethan seufzte, öffnete aber immer noch nicht die Augen. "Wieso über etwas traurig sein, was du nicht hast verhindern können, Darling."  
"Hört man es mir so sehr an?", fragte ich.
"Ich muss dich nicht ansehen, um zu wissen, dass du den Tränen nahe bist." Es klang, als würde es ihn stören. Als ob meine Gefühle hier das Hauptthema waren! Ich sah zurück zu dem Mädchen, welches sich einige Schritte weiter gekämpft hatte. Die Schüsse hörten immer noch nicht auf. Wie viele waren nur der vergifteten Einladung des schwarzen Königs gefolgt?!

"Was ist, wenn das da unsere Tochter wäre", sagte ich leise in die Geräuschkulisse eines Krieges hinein und kostete plötzlichen Ruck aus, der durch Ethans ganzen Körper ging.

Ohne auf seine Antwort zu warten, löste ich mich ein zweites Mal von ihm und setzte mich in Bewegung. Mein Füße versanken im weichen Gras und das leise Kitzeln an meinen Zehen wirkte eigenartig beruhigend auf mich. Ich sah nicht zu Boden, während ich mein Ziel ansteuerte, weshalb ich mehr als einmal durch Blut irgendeines Armen Träumers lief, der sich wer weiß was durch diese Einladung erhofft hatte, nur nicht den Tod. Das Blut hielt mich nicht davon ab weiterzugehen, bis ich das Mädchen erreicht hatte, welches vor gar nicht allzu langer Zeit ich gewesen war. Ihr Anblick war Herzzerreißend, aber wem nützten meine Tränen. Wem nützte es, wenn ich nur wieder allzu schockiert über das Handeln meines Mannes war, indes die Zeit um mich herum weiter lief. Ich streifte die Decke von meinen Schulter und ließ auf das Mädchen nieder segeln. Diese stockte inmitten ihres erneuten Versuches, zu ihrem Vater zu gelangen und sah verwirrt auf. Der Blick aus ihren Tränen verhangenen Augen war kaum zu ertragen. "Er ist Tod", sagte ich sanft und bückte mich zu ihr herunter, als die Decke, durch das Beben ihrer Schultern, drohte runterzurutschen. 
                                                                                                                                                                                                    Ich hatte das hier nicht verhindern können, aber das würde mich nicht daran hindern, zukünftige Ereignisse zu unterbinden. Mit ruhigen Händen zog ich einen Knoten in die Decke, um sie an Ort und Stelle zu halten. 

Übelkeit brannte mit einer solch plötzlichen Intensität in mir auf, das mein Kiefer sich automatisch lockerte und der herausdrängenden Flüssigkeit freien Lauf ließ. Aus Reflex war es mir gelungen, zumindest einen Teil mit meiner Hand aufzufangen und dem Mädchen nicht auch noch Säure auf die ganzen Geschehnisse obendrauf zu setzten. Nur dass es keine Magensäure war, welche sich auf dem gelben Stoff ihres Kleides und meiner Hand verteilt hatte. Das Gesicht des Mädchen verwandelte sich zu einer Maske kindlichem Schocks, als sie mein Blut betrachtete, welches mir durch meine Finger rann. Ich tat es ihr gleich und hustete augenblicklich einen neuen Schwall hervor. Wieder stieg mir dieser eigenartige Geruch in den Kopf, den ich in letzter Zeit scheinbar überall wahrzunehmen schien. 

... der Gedanke löste eine Art Sintflut an kurzen Eindrücken aus. Beim Essen, Tee trinken, Baden und wann immer eine bestimmte Person in meiner Nähe war.
Ich schwankte.

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