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Dieses Mal befand sich der Ehrenplatz nicht im Zentrum, sondern an forderster Stelle, nahe der Rosensträucher, hinter denen sich wiederum die Anfänge der Mauer befanden, die das Anwesen umschloss. Was auf den ersten Blick wie eine wahllose Zusammenstellung an kleinen Teppichgruppen ausgesehen hatte, entpuppte sich schnell als eine Pyramidenförmige Anordung. Die Spitze bildete ein besonders großer, bunt bestickter Teppich, welcher links und rechts von zwei Feuerbecken eingerahmt wurde, welcher natürlich eigens für die Lockehearts arrangiert worden war.

Wir setzten uns, gut zehn Sitzplätze von dem alten Paar weg, dass uns im Saal noch Gesellschaft geleistet hatte, und ich lehnte mich auf eines der weichen Kissen zurück. Die Nacht war wirklich schön und die Feuerbecken spendeten eine angenehme Wärme.

Wüsste ich es nicht besser, so hätte ich Jaswinda gebeten, sich zu mir zu Gesellen. Man versank förmlich in den Seidenbespannten, kleinen, mit daunenfedern gefüllten, Wolken. Ich warf ihr sogar einen fragenden Blick zu, den sie jedoch sogleich mit panisch geweiteten Augen beantwortete.

"Ich werde mir weiter hinten einen Platz suchen", flüsterte sie mir ins Ohr, woraufhin ich nur äußerst zögerlich nickte. Ich wollte sie in meiner direkten Sichtweite haben, da ich diesem Ort und seinen Bewohnern, so wie Gäste, alles zutraute. Vor allem, weil Ethan sich denken konnte, wer mir vorhin zur Hand gegangen war. Von meinem Zögern gänzlich unbeeidruckt, deutete sie eine steife Verbeugung an und entfernte sich dann mit gesenktem Kopf, jeden möglichen Blick in ihre Richtung ausweichend.

"Du scheinst sie wirklich gern zu haben", sagte Ethan mit gesenkter Stimme, kaum, dass Jaswindas schmale Gestalt hinter einem der weiter hinten stehenden Feuerbecken verschwunden war. Es überraschte mich, dass er das Wort an mich richtete, da seine Wut auf dem Weg hierhin wie Wellen von ihm abgegangen war. Als Resultat hatte jede Sitzgruppe, an der wir vorbeigekommen waren, sofort den Kopf eingezogen.
Hatte am Anfang noch jeder um seine Aufmerksamkeit gebuhlt, so taten sie jetzt alles nur erdenkliche, möglichst mit der Masse zu verschmelzen. Ich konnte keinen Einzigen stechenden Blick auf mir spüren.

Es wunderte mich, dass sie bereits von einem verschreckt waren. Es ging nicht darum, dass ein Toter nichts Schlimmes sei, nur, dass ich gelernt hatte, dass Macht immer mit Gewalt in Verbindung stand. Was diese Menschen wohl alle miteinander Verband: Macht. Gewalt und Tod dürften für sie nichts neues sein.

"Ja", antwortete ich Ethan etwas verspätet und betrachtete mit kurz aufblitzendem Bedauern den Platz, den er zwischen uns gelassen hatte. Er distanzierte sich, steckte klar die Grenzen ab, ohne dabei aber für unsere Gäste zu offensichtlich zu werden. "Diesen Freund", er sprach das Wort wie eine Drohung aus, "magst du ihn auch?"

Ich nickte, ohne zu zögern. Und dieses kleine Stück Ehrlichkeit fühlte sich bereits befreiend an. "Sein Name." Ethans Stimme blieb ruhig, ebenmäßig, verschleierte dabei jedoch nicht, dass die sanft gesprochenen zwei Wörter ein Befehl waren, dessen Folgen bereits in seinen Leblosen Augen zu sehen waren. "Nein", erwiderte ich Schlicht.

Ethan schwieg und ich glaubte schon, seine Wut hätte nun endgültig die Oberhand erreicht, als neben unserer kleinen Privatinsel drei Bedienstege auftauchten. Sie luden jeweils zwei , große, Runde Tabletts aus Silber und Gold auf seiner und meiner Seite ab, auf denen eine Kanne und jeweils ein, bereits gefülltes, dampfendes Çay Glas stand. Dazu wurden zusätzlich kleine Schalen gereicht, aus denen ein sowohl süßer, als auch herzhafter Duft drang und meinen Magen erneut leicht rebellieren ließ. Bitte nicht, fehlte ich im Stillen, und fokussierte mich erneut auf meinen Mann.

Dieser führte gerade sein Glas an die Lippen und trank einen kleinen Schluck von seinem Çay.
Scheinbar entspannt zurückgelehnt, mit einem aufgestellten Bein und dem leicht derangierten Haar, war er das Ebenbild eines auf der Lauer liegenden Panthers. Der brüllende Löwe von vorhin war schneller verschwunden, als ich angenommen hatte. Ich griff nach einer der Schalen, kandierte Nüsse, mein unschlagbarer Favorit, und schob mir, angesichts meines Magens, vorsichtig eine in Mund. Kurz glaubte ich, einen vertrauten Geruch in der Nase zu haben, anders als der, von karamellisiertem Zucker, aber er verflüchtigte sich zu schnell, als das ich ihn wirklich zuordnen konnte.

Ich hatte nicht mal wirklich Hunger, nur, wann immer mir etwas deutlich missfiel, kompensierte ich es mit Zucker. Und die Stille zwischen uns, ging mir eindeutig unter die Haut. Und was wäre mit einem Kompromiss? Irgendjemand sollte den ersten Schritt machen. Ich musste ihm nicht alles sagen, aber es gefiel mir ohnehin nicht, wie oft ich bereits log. Dupents kleine, rundliche Gestallt kam mir in den Sinn und das Echo meiner kurz entflammten Hoffnung klang in mir nach. Ich sah zu unseren Gästen, die meisten, wohl widerwillen ihrer Überzeugung, aber bereit, ein Stcük weit über ihren Schatten zu springen.

Sie alle waren Opfer eines Spieles geworden, welches ihre Seiten wortwörtlich in Schwarz und Weiß aufteilte. Dabei war es genau dieses Schwarz - Weiß- Denken und dem kompromisslosen Beharren auf den eigenen Standpunkt, welches Krieg, Leid und Elend erst hervorrief.

"Ethan, vergiss nicht unsere Frühstücksverabredung morgen", sagte ich, als ich es endlich geschafft hatte, mich von der still vor sich hinleidenden Masse loszureißen und erneut meinem Mann zuzuwenden. Dem Subjekt, das für all das hier verantwortlich war. Er hatte die Lieder halb gesenkt und döste scheinbar zwanglos vor sich hin, versunken in seine eigenen Gedanken. Bei meinen Wort legte er leicht den Kopf schräg. "Was haben diese ungeladenen Gäste nur an sich, dass du so einen Narren an ihnen gefressen hast?", fragte er in dem gleichen, gefährlich seidigen Ton von vorhin. "Ich nahm an, als Hausherrin stehe mir das Recht zu, eigene Gäste einzuladen", erwiederte ich freundlich und erntete die volle Ladung seines arktischen Blickes. Unbewegt und absolut niederschmetternd.

Jetzt hatte ich die gewünschte, wenn auch leicht beunruhigende, Aufmerksamkeit und wurde wieder ernst. Ich wusste nicht wieso, aber die Stimmung und der Zeitpunkt erschienen mir richtig, ohne wirklich auf sie abgezielt zu haben."Hoffnung, dieser besondere ungeladene Gast hat mir Hoffnung gegeben." Der Zweite war zwar ebenso besonders, hatte aber mehr zu meiner instabilität beigetragen, als zu irgendwas nützlichem (von der Freude mal abgesehen)."Er hat mir Hoffnung gegeben, darauf, dass der Tod endlich ein Ende findet. Und er hat mir Hoffnung gemacht, dass ich dir in Naher Zukunft gefahrlos einen Namen geben kann."

In einer einzigen geschmeidigen Bewegung richtete sich Ethan tauf und der auf der lauer liegende Panther spannte seine Körper zum tödlichen Sprung an. "Wen auch immer du vorhin getroffen hast, er hat dich offensichtlich mit einer eigenen Stimme gefüttert, von der du glaubst, gebrauch machen zu können, weil sie bei kleineren Sachen funktioniert hat." Der Hohn und das Gift in seiner Stimme waren kaum zu überhören und mir dämmerte es, dass Ethan ser wohl eine Ahnung davon hatte, wer ungebetener Gast Nummer zwei gewesen ist.

Was ihm nicht dämmerte und was ihm von selbst wohl auch nie klar werden würde, war, dass er ebenfalls in der Position war, falsch zu liegen. Wie jetzt. "Nicht er", sagte ich ruhig, "Du." Und es stimmte. "Du hast mich zu deiner Frau gemacht, du hast mich an deine Seite gesetzt, du hast mich zu dir auf dein erdachtes Podest geholt, du", ich musste schlucken, da sich ein leichtes Zittern in meine Stimme geschlichen hatte, "Du hast mir eine Position gegeben, wo ich eine Stimme besitze." Ich war nicht lauter geworden, ich hatte sogar meine Stimme etwas gesenkt, damit wirklich keiner belauschen konnte, was ich soeben gesagt hatte und doch hatte ich das Gefühl, dass die darauffolgende Stille, allumfassend war. Ohne ihn, wäre ich kaum in der Lage gewesen, diese Gedanken gegen ihn und seine Entwicklung zu fassen. Ich wäre entweder bereits Tod oder hätte mich irgendwo versteckt gehalten, um den Rest meiner Tage mit eingezogenem Kopf zu verbringen.

"Warum hast du mich zur Frau genommen?"

"Wegen deines Rings", kam die postwendende, emotionslose Antwort. Ich hob die rechte Hand. "Diesen hier?" Wann war das letzte Mal, dass ich an ihn gedacht hatte? Wie lange lag es bereits zurück, dass ich ihn dabei erwischt hatte, wie er gelegentlich kurze Blicke darauf geworfen und mich dementsprechend behandelt hatte. Ich hob die linke Hand. "Oder diesen hier." Der schwarze Diamant glitzterte im Schein der Feuers und absorbierte jedes Licht, machte es sich zu eigen. Genau wie sein Besitzer es mit mir getan hatte, nur vielleicht nicht so, wie er es interpretierte. Ethan schwieg und... schwieg. Selbst sein Gesicht und seine Augen "schwiegen". Sein Blick ruhte einfach auf dem Ring, mit dem schwarzem Diamante. Einer plötzlichen Nervosität folgend, senkte ich die rechte Hand und angelte nach einer Nuss. Wieder meinte ich kurz bevor ich sie in meinen Mund schob einen vertrauten Geruch wahrzunehmen, aber in dem Moment löste sich Ethan aus seiner Starre. "Er steht dir", sagte er in die Stille hinein. "Er hat dir immer gestanden." Mit dieser kryptischen Antwort, die er mehr zu sich selbst zu sagen schien, ließ ich frustriert meine, bereits vor Anstrengung zitternde Hand sinken.

Ein plötzlicher Pfiff zerriss die Luft und es knallte im Himmel. Ich riss erschocken den Kopf nach oben. Farben durchbrachen die Nacht, erstreckten sich wie ein himmlisches Blumenfeld über unseren Köpfen. Dass mussten hunderte Raketen auf einmal sein. Die erdrückende Stille wurde auf einmal von Überraschten "Oh's" und "Ah's" unterbrochen. "Das große Finale", murmelte ich unbewusst leise vor mich hin. Das Bild war wunderschön und auch die Stimmung ließ sich von der Farbenpracht anstecken. Ein ganz und gar untypischer Zug für Ethan Lockheart. Ein flackender Schatten fiel über mich und besagter Mann ging vor mir in die Hocke. Er streckte die Arme nach mir aus, sein Gesicht von den Schatten der Feuerbecken hart und... bösartig. Ich zuckte nicht zurück, als meine Schultern umschlang und mich nach vorne zog, mein Gesicht an seine breite Brust presste. "Hoffnung ist ein gefährlicher Grad, Mia. Ich werde mir anhören, was dieser Belgier zu sagen hat, welcher Ausgang dich dabei jedoch erwarten wird, vergiss dabei nie, dass du meine Frau bist, selbst dann nicht, wenn du gegen mich kämpfen wirst", sagte er in einem kaltem, amüsiert angehauchten Ton. "Nicht das dir eine andere Wahl bleibt, schließlich bist du hier, nicht wahr." Hades Bitte, ihn zu begleiten zuckte durch mein Bewustsein und ich fragte mich, wie viel Ethan in seiner Stille und aus meinen nicht ausgesprochenen Worten zusaamen gereimt hatte.

Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Seine durchtrainierten Arme pressten sich gegen meine Ohren und jedes Geräusch um mich herum wurde schlagartig gedämpft.

Dann kam der erste Knall. Nicht jener Knall, der in einer wunderschönen Blume am Himmel resultierte, sondern jener Art, die in Schreien resultierte. In vielen Schreien. In grausamen Schrein.

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