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Ohne es zu ahnen, hatte Hades mir drei Schläge verpasst, die mich bis ins Mark erschütterten. Der erste, war sein Auftauchen. Der zweite seine Proklamation, Ethan wäre nicht in der Lage zu lieben. Und der dritte seine Bitte, ihn zu begleiten. Jeder dieser Drei Schlägen führten mir eine Wahreit vor Augen, die wie ein lautes Echo in mir nachhallten.

Ich ließ mir auf meinem Rückweg nicht besonders Zeit, es reichte aber, damit meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten und ich Jaswindas Silhouette bereits von weitem erkannte. Ich wusste nicht, woher ich die Gewissheit nahm, dass es wirklich sie war, aber meine Annahme bestätigte sich und das Verbliebene erschien mir unwichtig. Alles erschien mir mehr oder weniger taub. Ihre Anwesenheit war beruhigend, aber meine Gedanken verloren sich soweit in dem Gespräch mit Hades und Ethans nur mühsam beherrschten Stimme, als sie nach mir gerufen hatte, dass ich nicht registrierte, wie ihre Schultern nach vorne gesackt waren und sie nicht in der Lage war, mich anzusehen.

Erst als sie das Wort an mich richtete, erkannte ich ihre Niedergeschlagenheit. "Ich habe versagt", murmelte sie leise und streifte mir den Umhang von den Schultern. Ich blinzelte, meinte erst, mich verhört zu haben, aber Jaswinda rührte sich nicht, was so viel hieß, dass sie sich in ihre unbewegte Statue manifestiert hatte, ihr Equivalent eines Schutzmechanismus. Vehement schüttelte ich den Kopf. "Die Wachen lassen sich vielleicht noch aufhalten, mein Mann jedoch, spielt in einer ganz anderen Liga." Als sie sich auch nach wertvoll verstreichenden Sekunden nicht rührte, streckte ich den Arm aus, tastete ein bisschen, bis ich ihre Hand fand und kurz drückte. "Keine Ablenkung der Welt kann Ethan von dem abhalten, was er tut oder machen möchte", sagte ich mit der all mir zur Verfügung stehenden Ernsthaftigkeit. Mit dieser endgültigen Tatsache, von der ich mich selbst nicht ausschließen konnte, fiel plötzlich eine Last von mir, die ich nur als Angst vor dem kommenden vermitteln konnte. Was  brachte einem die Angst schon, wenn  besagte Situation noch gar nicht eingetreten war.

Mit erhobenen Kopf, durchgestreckten Schultern und Barfuß, wie mir auffiel, überbrückte ich die letzten Meter des Trampelpfades zuück ins Licht. Jaswinda direkt hinter mir. Der Garten war eine Pracht, die entzündeten Feuerbecken majestätisch und die dicken, wahllos ausgebreiteten Teppiche herlich. Die anwesende Gesellschaft wurde dem ganzen alles andere als Gerecht. In den kleineren Gruppen wurden zwar die Köpfe zusammengesteckt und ich konnte hier und dort leises Gemurmel ausmachen, ansonsten deutete aber alles daraufhin, als wäre soeben jemand gestorben. Was zwar der Tatsache entsprach, aber nicht erklärte, weshalb immer wieder verstohlene Blicke zu einem Mittelplatzierten Teppich geworfen wurden, auf dem das ältere Paar Platz gefunden hatte, mit dem ich eben noch deniert hatte. 

"Lady Lockheart!" Eine kleine, rundliche Frau, welche mit zwei weiteren Frauen am äußersten Rand der aufgestellten Feuerbecken Platz gefunden hatte, entdeckte mich als erstes. Ihre voluminöse Stimme fegte bis hin zurück zur Halle und kündigte jedem mein Auftreten an. Jeder Einzelne Kopf wandte sich in unsere Richtung.

"Mia!" Hatte die Frau noch eben Anstalten gemacht, sich auf mich zuzubewegen, zog sie jetzt ihren Kopf schneller ein, als dass ich blinzeln konnte. Sie erinnerte mich dabei stark an eine Schildkröte, jene die ich bei meinem ersten und letzten Besuch im kleinen, heruntergekommenen Aquarium in Queens gesehen hatte. Ich wusste nicht mehr, wer mich dorthin mitgenommen hatte, nur, dass es einer meiner schönsten... und Einzigen frühen Kindheitserinnerungen war.

Sie verblasste noch im selben Atemzug, wie alles um mich herum, kaum das Ethan in mein Sichtfeld trat.
"Er ist nicht in der Lage, zu lieben!"
Es stimmte, Ethans Art der Zuneigung erinnerte nur selten an die klassische Art zu lieben. Für mich jedoch, reichte es vollkommen. Es reichte, dass er sein Jacket ausgezogen, die Ärmel hoch gekrämpelt und offensichtlich nach mir gesucht hatte. Es reichte, dass er zwar wütend aussah, aber seine Augen einzig und allein auf mich fokussiert hatte. Und es reichte, dass ich mich selbst daran erinnerte, was mir vorhin im Saal noch klar geworden war. Ich musste nicht gerettet werden, auch dann nicht, als seine drohende Statur direkt vor mir zum stehen kam.

Ich hätte Hades Angebot in keiner Notlage dieser Welt wahrgenommen. Ich war genau dort, wo ich sein wollte. Mein Ziel war es zwar, dem Töten und dem Wahnsinn ein Ende zu setzten, denen sich mein Mann verschrieben hatte und keinem das Leid zu geben, welches ich hatte durchleben müssen, aber was Hades und vielleicht auch sonst niemand verstand, war, dass Ethan nicht mein Feind war, sondern jemand den ich vom Grunde meines Herzens beschützen ... oder zusammen mit ihm untergehen wollte.

"Wo warst du?", verlangte er zu wissen und warf einen kurzen, düsteren Blick hinter mich.
Ich streckte die Hände aus, ruhig, vielleicht ein wenig müde, meine Übelkeit hatte sich immerhin eine ganze Weile schon nicht mehr gemeldet, und richtete den Kragen seines Hemdes. Er erstarrte. Und ich holte innerlich tief Luft. "Wir hatten einen ungebetenen Gast, mit dem ich eine Unterredung gebraucht habe."

Ich strich eine letzte Falte gerade und sah dann zu ihm auf. Ohne Schuhe überragte er mich um Längen und mir fiel zum ersten Mal auf, wie klein mein Körper war, insbesondere im direkten Vergleich zu ihm. Es würde ihn keine Mühe kosten, mich zu zerquetschen. Und auch wenn mir vorhin noch genau diese Art Gedanken in den Sinn gekommen waren und ich indirekt bereits beschlossen hatte, nichts zu sagen, was auch im geringsten auf Hades Anwesenheit hindeuten könnte... so hatte ich doch am Tisch denselben Entschluss gefasst, keine schlechte Ehe mit ihm führen zu wollen. Ich schätze letzteres Überwog einfach, selbst wenn Ethans Anspannung unter meinen Händen jetzt explosionsartig in die Höhe schoss.

Sein Gesicht näherte sich meinem, bis uns lediglich Zentimeter von einander trennten. Das Grün seiner Augen hätte ebenso gut Gift sein können. "Wer?", fragte mit einer solch gefährlichen Geschmeidigkeit, dass sie mir wortwörtlich unter die Haut drang.

"Ein Freund", antwortete ich ausweichend. Wenn Ethan um die Identität unseres Gastes wüsste, wäre dieser kaum in der Lage, mir morgen in Jaswindas Heimatdorf zu folgen. Oder schlimmer, und warscheinlicher noch, Ethan würde mich erst gar nicht gehen lassen. Nach dem Lesen des Tagebuches, blieb mir jedoch keine andere Wahl, als dass ich diese Frau treffen musste. Einerseits weil sie Einblick in Gabriels Charakter besaß und möglicherweise Hades davon überzeugen konnte, von seinem Vorhaben zu lassen. Anderseits... weil ich selbst sichergehen musste, dass die nächsten Schritte, die ich unternehmen würde, die richtigen waren. 

"Ich verstehe." Ethans Stimme schnitt wie ein eisiger Windstoß durch die Nacht und das Lächeln, welches bei diesen Worten auf seinen Lippen erschien, war einfach nur beängstigend. "Nun, was für ein Glück, dass du es zu unserem großen Finale zurückgeschafft hast."

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