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Mia... jenes Mädchen, welches er über das letzte Jahr hinweg verfolgt hatte, in der Hoffnung, auf einen Riss in Ethan Lockhearts Rüstung anzustreffen. Seine Schwestern und er waren bei dem Versuch auf Titanwände gestoßen, die Ethan um seine frisch verheiratete Frau gezogen hatte und somit hatte er schnell den glühenden Fahden zu ihr verloren. Das Mädchen war bereits nach kürzester Zeit verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Seine letzte Hoffnung war dieser CIA Agent gewesen, aber das letzte, was er von ihm gehört hatte, waren seine Schmerzensschreie gewesen, als sie ihn erwischt hatten.

Er musste mehrfach blinzeln, als jenes Mädchen, welches immer so ausgesehen hatte, als würde sie unter der Last ihrer Furcht und unter der des weißen Key- Schlüssels jeden Moment nachgeben, jetzt lachend den Kopf zurückwarf und dabei wahrscheinlich nicht mal wusste, wen sie damit alles in ihren Bann zog. 

Zugegeben, damals hatte er sie lediglich über einen kurzen Zeitraum hinweg für sich gehabt und aller Anfang war bekanntlich schwer, aber er konnte sich genau an den Ball erinnern, auf dem sie Ethan die Stirn geboten und gleichzeitig so ausgesehen hatte, als wollte sie sich jeden Moment von den Kugeln der auf sie gerichteten Waffen erschießen lassen, nur damit sie der ganzen Situation entkommen konnte. Jetzt stand sie neben ihm, stolz, selbstbewusst. 

Vielleicht hatte er all die Zeit über falsch gelegen. Denn diese Frau, die gerade freudestrahlend ihre Gäste begrüßte... glich einer Königin. Realistisch gesehen war sie es auch oder würde es zumindest bald sein. Wenn Ethans Vormarsch so weiterging, würde bald nichts mehr übrig bleiben. Diejenigen, die sich werten, wurden von seiner privaten Armee und dem Militär übergelaufener Staaten, meist kleine Länder, die als erstes von allen unbemerkt in seine Hände gefallen waren, gnadenlos zerschlagen. Spätestens, als ihm Macao ins Netz gegangen war, in dem er sich jedes verdammte Casino und somit Macaos Hauptgeldquelle angeeignet hatte, waren zumindest einige der feinen Herrschaften auf den charmanten englischen Adligen Aufmerksam geworden. Aber wer misstraute schon einem Mann, der das Gesicht eines Engels hatte, selbst, wenn es das eines gefallenen war. Diese Tatsache hatte er an Gabriel und auch an ihm mehrfach bestätigt bekommen. Und wohin hatte dieses lächerliche Streben nach Schöhnheit die Gesellschaft letztendlich gebracht: an den Rande eines Kollaps, von dem er bezweifelte, dass die Welt sich wieder erholen würde. 

Ein perlendes Lachen zog ihn hinfort von den Bildern, die ihn erneut zu überschwemmen drohten, zu der Gestalt der Frau, die jetzt deutlich näher gekommen war. Sie und der Lord hatten sich in Bewegung gesetzt, steuerten den zentralst gelegenen Tisch an, der pompöser nicht hätte sein können, und er... war ihnen unbewusst gefolgt. Ihr gefolgt. Er maßte sich nicht an, von sich zu behaupten, er wäre nicht auch schon der Schöhnheit zum Opfer gefallen. Immerhin hatte er seit seiner Kindheit einem gold Jungen gedient und nie auch nur ein krummes Haar an ihm entdecken können, selbs wenn er ihm befohlen hatte, jemandem das Herz rauszuschneiden und ihm zu bringen. Wortwörtlich gemeint. Aber etwas in ihm hatte sich geändert, vor dem Krieg und noch vor seinem Fall. Es war das Handeln eines einzelnen Mädchens gewesen, welches kopflos in ein Blutbesudeltes Krankenhaus gerannt war, um zu einem Mann zu gelangen, der sie gezwungen hatte, Part eines Lebens zu werden, welches unter normalen Umständen ihr Verhängnis gewesen wäre. 

Steckte etwas von diesem Mädchen noch in dieser Frau?  Oder war sie gänzlich zu Lady Lockheart geworden. Sein Körper rebellierte bei dieser Vorstellung. Er trat, ohne sein Zutuhn, einen Schritt vor, aus dem Schatten der Säule und genau in Mias Blickfeld. Die Frage nagte, brannte in ihm, dass er sich kaum zügeln konnte, einfach nach vorne zu stürmen und sie direkt zu fragen, sich nicht mit einer zweitklassigen Reaktion von ihr zufrieden zu geben. Allein dass er sich ihr so preis gab, war suizid. Er war im Begriff alles aufzugeben, wofür er das ganze Jahr über gekämpft hatte. Aufgrund eines grotesken Kurzschlusses in ihm. Dem Drang zu wissen, ob die Mia, die ihn in den schlimmsten Tagen auf seiner Reise am Leben erhalten hatte, nur eine Illusion von ihm war, ein Trick seines Gehirns, um ihm am Leben zu erhalten. 

Sie sah ihn, sowie er ins Licht trat und jede Farbe wich aus ihr. Das Glas, welches ihr einer der, als Kellner getarnten Sölder überreicht hatte, rutschte ihr aus der Hand und ging mit einem Ohrenbetäubenden Klirren zu bruch. Sie würde schreien. Sie würde ihn verraten. Sie hatte ihn verraten. Wieso war ihm auf dem Weg hierhin nie in den Sinn gekommen, dass Mia nicht mehr Mia war. Weshalb hatte er nie die Vorstellung zugelassen, dass sie sich über die lange Zeit verändert hatte, wie er selbst sich verändert hatte. 

Mit seinem nächsten Atemzug war er verschwunden. Zurück in die Schatten, zurück auf den Pfad, der kurzfrstig verlassen hatte, um einer verblassten Erinnerung nachzugehen. Sein Fenster war zu, aber was spielte es für eine Rolle. Sie würde schreien und somit wäre er ohnehin verdammt. Er trat aus einer der vielen offenen Durchgänge in den Garten und ignorierte mit innerlich angespanntem Geist die Blicke von Ethans Männern, vor denen ihn nicht mal die Schatten verschleiern konnten. 

Er wartete auf den Schrei und den Moment, in dem er offen anfangen konnte zu flüchten oder einen schnellen, effizienten Weg in den ersten Stock zu finden, aber was als nächstes kam, war kein Schrei. Sondern ein Schuss. 

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