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So musste es im Himmel aussehen.

Blumen. Überall waren Blumen. Ihre bunte Farbenpracht überschwemmte meine Sinne, als ich mich, zugegebenermaßen mehr als ungeschickt, schwach auf einen Ellbogen stützte, um mehr sehen zu können als nur den weißen Baldachin meines Bettes.

Mein ganzer Körper fühlte sich schwer und gleichzeitig extrem ausgelaugt an. Als hätte mich jede Kraft verlassen und nur eine Hülle zurückgelassen.

Was auch immer mich befallen hatte, der Blick lohnte sich allemal. Der Raum war groß und eingerichtet wie ein Gewächshaus. Höchstwahrscheinlich befand ich mich sogar in einem . Wo sonst würde es einen leisen sprudelnden Bach geben, der geradeso zwischen zwei hohen Palmen zu erkennen war.

Oder Rosen, welche neben tropisch aussehenden Pflanzen blühten. Dabei müssten Rosen bei dieser Hitze doch gewiss eingehen.
Es sah aus wie in einem Märchen. Jedenfalls bis ein schmerzhaftes Picksen in meiner Armbeuge mich wachrüttelte.

Keuchend musste ich feststellen, dass zwei Nadeln in meine Vene eingeführt worden waren, von denen zwei Schläuche zu Beuteln mit einer schimmernder Flüssigkeit führten.

Daneben standen zwei große Maschinen, die mich auf Anhieb an eine Krankenhaus-Serie erinnerten, die ich früher jedes Mal geschaut habe, wenn der gute alte Dad mal nicht zuhause gewesen war.

Herzmonitor und ein Beatmungsgerät. Nur war die Maske mitsamt des Schlauches nicht über meinen Mund gestülpt, sondern sie hing nutzlos an dessen Seiten herab. Der Herzmonitor gab auch kein Lebenszeichen von sich und beim genaueren Hinsehen realisierte ich, dass keine Flüssigkeit mehr aus dem Beutel in den Schlauch tropfte.

Meine Arm fing an zu zittern. Mein Körpergewicht drückte mich nieder und ich landete mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück auf die Matratze. Alles an mir fühlte sich entkräftet und schwer an.
Ich verstand nicht, weshalb ich plötzlich hier war. Gerade eben noch hatte ich Mom zugewinkt und auf einmal war alles schwarz geworden.

Aus dem Augenwinkeln bemerkte ich, wie etwas einen einzelnen Sonnenstrahlen einfing und ihn dutzendfach zurückwarf. Es war kräftezehrend, trotzdem schaffte ich es, meinen Kopf um wenige Zentimeter zu drehen. Nur wenige Schritte vom Bett entfernt stand ein Podest, auf dem ein blutbespritztes Diadem ruhte.

Mein Mund fühlte sich auf einmal staubtrocken an, als hätte ich ein handvoll Sand geschluckt, welcher sich jetzt quälend meinen Rachen hinunter arbeitete. Richtig, ich erinnerte mich. Ich wurde angeschossen und wenn ich mich richtig entsann, dann ist der Schuss durch meine Brust gegangen. Also, wieso war ich noch nicht tot?

Ein lauter Knall schreckte mich so plötzlich auf, dass mein Körper selbst in diesem geschwächten Zustand instinktiv reagierte und sich aufbäumte. Taube Muskeln wurden mit einem Mal zurück in Aktion katapultiert und der Schmerz riss mich beinahe auseinander. Aber durch meine ausgedörrte Kehle vermochte ich nicht auch nur einen Ton von mir zu geben.

Schnelle Schritte, welche direkt in meine Richtung zuhielten, ließen mich erneut erstarren. Besser gesagt, selbst wenn ich mich hätte bewegen wollen, mein Körper schien in eine Art Froststarre übergegangen zu sein, um den noch immer wütenden Schmerz unter Kontrolle zu bekommen.

In einer leicht seltsam verdrehten Position liegend, kamen die Schritte hinter mir zum Halt. Es blieb eine Zeit lang, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, beängstigend still und ich wünschte mir, den Kopf wenigstens ein bisschen drehen zu können. Ich atmete so flach wie möglich und stemmte mich kaum merklich hoch, bevor mich erneut jegliche Kraft verließ.

Die nächste Stimme, die ich jedoch vernahm, ließ einen Schauer über meine sensible Haut gleiten. "Es ist zu spät." Die Stimme der Eishexe klang schmerzerfüllt, und doch hielt das mich nicht davon ab, sie jederzeit wiederzuerkennen.

Dieses Miststück! In einem meiner Träumen hatte ich beobachten müssen, wie sie sich während meiner mentalen Abwesenheit trotz meiner körperlichen Anwesenheit an Ethan geschmissen hatte.
Es hatte wie jetzt stark nach Blumen gerochen. Es war nur ein kurzer Blick gewesen, doch dieser hatte ausgereicht, um mich innerlich kochen zu lassen, kurz bevor alles in mir erneut taub geworden war.

"Es sind bereits sechs Monate!" Sechs Monate? Wovon zum Teufel sprach die Eishexe? "Und jetzt wird sie dir nicht mehr im Weg-", Das letzte Wort ging in einem lauten, schmerzerfüllten Schrei unter. "WAS HAST DU GETAN!" Mein Atem stockte. Seine Stimme drang in jeden noch so kleinen Winkel meines Verstandes und ließ mich vor Sehnsucht beinahe platzen. Sie klang genauso wie in meinen Träumen. Dort hatte er auch gebrüllt... Nun ja, ab und zu. Er hatte geschrien, oder wohl eher befohlen, ich solle doch endlich aufstehen.

Jedes Mal, wenn er anfing so verzweifelt zu klingen, hätte ich dem Wunsch fast nachgegeben. Aber eben nur fast. "SIE IST TOT", schrie die Irre in diesem Moment zurück und es kostete mich wertvolle Sekunden, in denen der Tumult hinter mir zunahm, um zu erkennen, dass sie mich damit meinte.

Es kostete mich weitere wertvolle Sekunden, bis ich den Tumult als Schlagen von Haut auf Haut identifizierte, und Ethans wütendes Brüllen verriet mir, dass wohl er derjenige war, der gerade austeilte. Diese Erkenntnis hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in mir .

Er klang traurig. Trotz der von ihm kommenden animalischen Geräusche.

Erneut versuchte ich mich aufzustemmen, mich irgendwie lebendiger erscheinen zu lassen und vielleicht dabei sogar das Leben dieser Pute zu retten. Außer der eingeworfenen "Ich habe es für dich getan", gab sie nur entsetzliche Schreie von sich.

Aber mein Körper schien immer wieder den Geist aufzugeben. Wie ein Auto, dessen Motor einfach nicht anspringen will.
Ich gab einen frustrierten Laut von mir, der allerdings von der Matratze nahezu verschluckt wurde.

Das Schlagen hörte nicht auf und mir stiegen heiße Tränen in die Augen. So hatte ich nicht vorgehabt aufzuwachen. Nicht zu einer weiteren Leiche, einem weiteren, höchstwahrscheinlich verdienten und trotzdem sinnlosen Tod.

"ETHAN!" Eine weiter bekannte Stimme mischte sich ein und ich meinte mich zu erinnern, dass er ein junger Mann war, welcher direkt Ethan unterstellt war. Aber was wusste ich schon, mein Gehirn fühlte sich wie eine einzige, hin und her schwimmende Masse an.

Ich schien mich auf nichts wirklich konzentrieren zu können, ich driftete ab, hörte Ethan schreien, brüllen und das machte mich wütend. Das alles hier machte mich wütend. Ich hasste es, schutzlos und nutzlos zu sein. Ich hasste es, Ethan so schreien zu hören, hasste es, mich diesen Schmerzen beugen zu müssen.

Demnächst würde ich über all meine Verletzungen Buch halten, dachte ich sarkastisch, während ich mich ernüchternd daran erinnerte, dass ich über meine Entführungen schon längst ein ganzes Buch voll mit Gedanken niedergeschrieben hatte, zumindest in meinem Kopf. Das Ergebnis war gewesen, dass ich unter dem Stockholmsyndrom litt. Und dass besagter Entführer, nach dem Krach zu urteilen, gerade anfing, erneut wahllos auf Dinge einzuschlagen, und mir somit das Herz aufriss. Wie oft wollte er mir noch wehtun!?

Ein plötzliche Wärme fing an, sich von meiner rechten Hand über meinen ganzen Körper auszubreiten. Eine vertraute und zugleich fremde Hitzewelle, die wie wohltuendes Sonnenlicht über meine tauben und verletzten Nervenenden glitt.

Ich wollte ihn sehen. Meinetwegen auch nur für ein letztes Mal.
Die Hitze verstärkte sich, bis ich förmlich brannte. Mein Geist schrie, ich solle den gleichen, dummen Fehler, meinen Körper noch einmal zu bewegen, unterlassen. Aber alles andere in mir sträubte sich dagegen.

Ich wollte ihn sehen und ihm einen bösen Blick zuwerfen.
Ich wollte ihn sehen, ich wollte ihn sehen, ich wollte ihn!

Mit einem Ächzen und zitternden Körperteilen drehte ich mich zurück auf den Rücken und stemmte mich hoch, wobei ich das Kopfende des Bettes als Stütze nutze.

Schwer atmend lehnte ich mein ganzes Gewicht nach hinten und versuchte das schmerzhafte Ziehen meiner Beine und meines Brustkorbes dabei zu ignorieren.

Als ich die gesamte Szene überblicken konnte, hätte mir eigentlich vor Schock der Mund offen stehen sollen. Von Jaydens üblicher kühler Eleganz und Schönheit war nicht mehr viel zu erkennen, wie sie so blutend und komplett verkrümmt auf dem Boden kauerte, während Ethan immer noch nach ihr trat. Ein schmerzhafter Flashback von meinem Vater zog an mir vorbei und ließ alles in mir gefrieren. Sie hatte womöglich etwas getan, wofür sie eine Strafe verdient hätte, aber sie so wehrlos zu sehen, drehte mir den Magen um.

Ich wusste nicht, ob ich meiner Stimme schon wieder soweit vertrauen konnte, aber wenn ich weiterhin tatenlos blieb, würde diese Gewalt kein Ende finden. Von den beistehenden Männer in dunklen Anzügen, einschließlich dem jungen Mann in Jeans und T-Shirt, dem ich die bekannte Stimme zuordnete, da mir auch sein Gesicht bekannt vorkam, und den zwei Frauen, die mit schadenfrohen Lächeln dastanden, tat keiner etwas, um die niederprasselnden Schläge zu verhindern. Dabei hätte nicht mal Ethan eine Chance gegen zehn Personen auf einmal... glaubte ich.

Meine Kehle fühlte sich zwar noch aufgerissen an, aber als ich den Mund aufmachte, konnte ich tatsächlich ein Wort deutlich genug hervorbringen. "Ethan."

Die Welt stand still. Ethan fror mitten in der Bewegung ein und die Blicke der Beistehenden schossen beinahe simultan zu mir, der Schock auf ihren Gesichtern saß tief.
Als hätten sie soeben einen Geist erblickt.

Aber am härtesten traf es Ethan, meinen Mann. Er drehte sich wie in Zeitlupe zu mir um. Sein Körper zitterte so stark wie meiner es vorhin getan hatte. Die Fäuste waren geballt und die blutunterlaufenen Augen halb aufgerissen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er sie öffnen oder lieber doch zupressen sollte.

Er sah aus, als hätte er soeben einen göttlichen Akt erlebt.

B

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